Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 517. Wien, Mittwoch den 7. Februar 1866
[1]Hofoperntheater.
0002Ed. H. Wir haben selten Gelegenheit, vom Hofopern-
0003theater zu sprechen. Es ist gar zu schwer, diesem abgelebten
0004Repertoire noch einen Stoff abzuringen, und gar zu geschmack-
0005los, sich allwöchentlich mit oder ohne Witz über Herrn Salvi
0006herzumachen, der sich niemals wehrt und wahrscheinlich auch
0007nicht mehr ändert. Ueberdies hat er mehr Glück als — man-
0008cher seiner strebsamsten Collegen. Alle Jahre etwa greift ihm
0009eine durchschlagende Novität unter die Arme — sehr wenig
0010in der That — mit welcher man sich denn geduldig bis zur
0011folgenden fristet. Vor sechs Wochen lebte die Oper noch von
0012dem letzten Nachglanz der „Dinorah“, jetzt lebt sie bereits
0013von dem Vorgeschmack der „Afrikanerin“. Auf diesen braunen
0014Bissen kann sich Niemand mehr freuen, als wir, und wäre
0015es nur, damit endlich dieses vorbereitende Geschwätz und Ge-
0016tümmel zu Ende komme. Es ist, als wollte man dem Publi-
0017cum die ganze Sache durch lauter spannende Notizen und
0018Bulletins vorzeitig verleiden. Der betäubende Manilabaum
0019der „Afrikanerin“ scheint jetzt schon sämmtliche Gehirne
0020meyerbeerisirt zu haben; ein traumhafter Zustand, in welchem
0021man der Direction das ganz kleine Versehen kaum imputiren
0022kann: Mozartʼs Geburtstag vergessen zu haben. An diesem
0023Tage (27. Januar) spielte man im Hofoperntheater Verdiʼs
0024„Trovatore“. Zuerst hatte das Repertoire für diesen Abend
0025„Die Stumme von Portici“ angesetzt, dann entschied man sich
0026für „Die lustigen Weiber“, der „Trovatore“ paßte aber doch
0027noch besser. Es dürften außer Wien alle bedeutenderen Büh-
0028nen Deutschlands den Geburtsatg des großen österreichischen
0029Meisters gefeiert haben. Der bescheidene Musentempel zu
0030Frankfurt am Main brachte an dem Festabend sogar eine
0031bisher noch unbekannte Oper Mozartʼs: die „Zaïde“ (aus
0032dem Jahre 1780), zur Aufführung, überdies an den vorher-
0033gegangenen Tagen des Januar nicht weniger als fünf Mo-
0034zartʼsche Opern („Così fan tutte“, „Idomeneo“ „Don Juan“,
0035„Figaroʼs Hochzeit“, „Zauberflöte“), endlich in Concertform
0036noch den „König Thamos.“ Das Alles hatte man sich hier offen-
0037bar unter dem „Trovatore“ gedacht. Wir sind weit entfernt,
0038ein im Grunde äußerliches Zusammentreffen als großes Un-
0039glück für die Kunst auszurufen, ein peinliches Symptom
0040jedoch ist es ohne Frage, daß man in Wien Mozartʼs Ge-
0041burtstag nicht mehr weiß.
0042Nach der „Dinorah“ huschte allerdings noch eine Novi-
0043tät über die Bretter. Versunken und vergessen, das ist „Des
0044Sängers Fluch“ — von Langert. Seither treibt sich unsere
0045Oper in dem engen Kreis von „Hugenotten“, „Robert“, „Trova-
0046tore“, „Rigoletto“, „Lucia“ und „Martha“ herum. Auf diesem
0047trostlos abgeweideten Boden machten sich in jüngster Zeit
0048allenfalls zwei Reprisen bemerkbar, die mit Hilfe eines ga-
0049stirenden Sängers, Herrn Gunz, aufgekeimt sind: „Die
0050Nachtwandlerin“ und „Die Entführung aus dem Serail“.
0051Ob die „Sonnambula“ wirklich ein dringendes Bedürfniß für
0052unsere deutsche Oper war, möchten wir bezweifeln; erscheint
0053sie doch „mit jedem jungen Jahr“ als Italienerin bei uns,
0054diese Musik für fromme Hirten. Gegen Belliniʼs „Nacht-
0055wandlerin“ fühlen wir uns bis zur Ungerechtigkeit eingenom-
0056men und haben deßhalb kaum eine vollgiltige Stimme dar-
0057über. Musikalisch abgehärtet und geduldig, wie es alten Käm-
0058pen ziemt, erschrecken wir doch tödtlich, so oft eine neue Be-
0059setzung der „Nachtwandlerin“ uns auf den richterlichen Sperr-
0060sitz ruft. Es ist ein wahres Bacchanal der Langweile, wobei
0061statt des Weines eine musikalische Bettelsuppe von Wasser,
0062Milch und gekochtem Vergißmeinnicht servirt wird. Ein An-
0063dante nach dem andern, alle auf demselben arpeggirten Drei-
0064klang, alle auf der Terz anhebend, alle im zweiten Theil nach
0065der nächstverwandten Molltonart modulirend. Kommt einmal
0066doch ein Allegro, so klingt es so trivial, lacht so albern in
0067seinen Zwischensätzen von Flöten und Clarinetten, daß man
0068sich wieder nach Andantes sehnt. Sie kommen nur zu bald,
0069und wie mit geöffneten Adern verschmachtet man in diesem
0070warmen Bad von Terzen und Sexten. So armselige, lächer-
0071liche Chöre endlich findet man kaum in irgend einer andern
0072namhaften Oper.
0073Bleiben somit zwei bis drei wahrhaft schöne empfin-
0074dungsvolle Melodien, die ihren Ruhm verdienen und auch
0075uns entzücken würden, stünden sie allein oder wo anders.
0076„Norma“, vor der wir den Hut ziehen, steht wie eine clas-
0077sische Riesenstatue daneben.
0078Die Musik zur „Norma“ war ein fast unbegreiflich ho-
0079her Flug dieses zarten, von der Kunst nur wenig gestützten
0080Talentes, ein Flug, von dem es mit gebrochenen Schwingen
0081zurückkehrte.
0082Das Libretto der „Nachtwandlerin“ ist bei aller Ein-
0083fachheit gar nicht zu verachten. Es hat eine sehr verständige
0084Anlage und Steigerung; die Hauptmomente sind wirksam,
0085und jeder einzelne Vers empfängt den Componisten mit offe-
0086nen Armen. Der Höhenpunkt der Handlung (II. Finale)
0087ruht, seltsam genug, auf demselben psychologischen und dra-
0088matischen Motiv, welches den tragischen Conflict in Weberʼs
0089„Euryanthe“ herbeiführt. Hier wie dort eine des Treubruchs
0090scheinbar überwiesene Braut, die mit dem reinsten Bewußtsein
0091ihrer Unschuld dennoch der Anklage wehrlos gegenübersteht.
0092In der „Nachtwandlerin“ ist diese tragische Wendung ungleich
0093besser behandelt; sowol die pathologische Unzurechnungsfähig-
0094keit Aminaʼs, als der geringe Bildungsgrad ihrer naiven Um-
0095gebung lassen den Eindruck des Unvernünftigen und sittlich
0096Verletzenden nicht aufkommen, den wir bei der empörenden
0097Verurtheilung Euryantheʼs empfinden. Erwähnen wir noch,
0098daß der Stoff zur „Nachtwandlerin“ von Scribe herrührt,
0099der ihn interessant genug für eine zweimalige Bearbeitung
0100fand (als Vaudeville und als großes Ballet, nach welchem
0101letzteren Romani sein italienisches Libretto bildete), so wird
0102kaum mehr zweifelhaft erscheinen, wenn die Hauptschuld an der
0103großartigen Langweiligkeit der „Sonnambula“ trifft. Bel-
0104lini hat fast alle Gelegenheiten zum Auftragen kräftigerer
0105Schatten und wechselnder Beleuchtung unbenützt gelassen.
0106Hätte Bellini zu seiner gefühlvollen Weichheit die leichtblüti-
0107gere Grazie Donizettiʼs und die Energie Verdiʼs besessen,
0108seine „Sonnambula“ wäre selbst für unseren bösen Geschmack
0109eine der anziehendsten italienischen Opern geworden.
0110Ueber die Aufführung, insbesondere über die sehr beifäl-
0111lig aufgenommenen Leistungen Fräulein Murskaʼs und des
0112Herrn Gunz, haben wir bereits in Kürze berichtet. Wir
0113haben noch ein wohlverdientes Lob Fräulein Dillner nach-
0114zutragen, welche die junge Wirthin zu allgemeiner Zufrieden-
0115heit sang und spielte. Wir freuen uns, daß zu der rühmlichen
0116Sorgfalt, welche diese fleißige Sängerin seit jeher auf ihre
0117Rollen verwendet hat, nun auch das vollständige Gelingen
0118hinzutritt. Als Graf Rudolph hatte Herr v. Bignio Gele-
0119genheit, seine klangvolle Stimme und weiche Vortragsweise
0120günstig zu verwerthen. Weniger ist sein Spiel zu loben, das
0121in der großen Schlußscene des dritten Actes sogar zum indif-
0122ferentesten Nichtspiel wurde und (von Herrn Gunz treulich
0123unterstützt) im Publicum die Ueberzeugung hervorrief, es
0124kümmere sich eigentlich Niemand um das ganze Nachtwandeln
0125der Amina.
0126Das geschmacklos eitle Costüm Herrn Bignioʼs fand
0127einstimmigen Tadel, und mit Recht. Graf Rudolph hat für
0128seine Tracht einen ziemlich freien Spielraum; es liegt wenig
0129daran, ob er in modernem oder älterem Schnitt, im Civil- [2]
0130oder Militärkleid erscheint. Einmal für dies oder jenes ent-
0131schieden, muß er aber im Style einer bestimmten Tracht blei-
0132ben und darf nicht, wie Herr Bignio, bis zum Knie deutscher
0133Bürger aus der Zeit der Freiheitskriege, bis zum Hals fran-
0134zösischer Marquis von 1770 und hoch oben endlich ein Ele-
0135gant vom Pester „Jungherren-Ball“ mit wohlgepflegtem Voll-
0136bart, langem Haar und einer Hahnenfeder auf der Mütze sein.
0137Die allgemeine Meinung scheint von den zwei neuen
0138Rollen Frln. Murskaʼs die „Amina“ entschieden zu bevor-
0139zugen, uns hat ihre „Constanze“ weit mehr befriedigt. Bel-
0140liniʼs „Amina“ verlangt neben der vollendeten Coloratur einen
0141durchaus seelenvollen getragenen Gesang, eine durch Wahrheit
0142und Einfachheit rührende Darstellung. Der ersten virtuosen
0143Anforderung genügte Frln. Murska vollkommen, höchstens
0144daß einige Geschmacklosigkeiten, wie die überladene Ausschmü-
0145ckung des Schlußrondos, störten. Hingegen fehlte ihrem Vor-
0146trag der überzeugende Ausdruck des Gefühls, dem Spiel und
0147Gesang die letzte veredelnde Grazie, der ganzen Erscheinung
0148endlich der frühlingsduftige Hauch der Natur. In dem lan-
0149gen Andante des letzten Finales fand übrigens Frln. Murska
0150unter glücklicher Anwendung der mezza-voce Töne zarter
0151Empfindung, die uns überraschten. Es wäre ungerecht, Frln.
0152Murska geradezu Kälte vorzuwerfen. Sie besitzt eine gewisse
0153elementarische Wärme und Lebhaftigkeit, welche sie, eine vorzüg-
0154lich musikalische Natur, aus dem musikalischen Elemente
0155schöpft, und die meist in einzelnen flüchtigen Blitzen aus Accen-
0156tuirung und Phrasirung unwidersprechlich hervorleuchten.
0157Aus den dramatischen Elementen der Rolle jedoch
0158überspringt nicht ein Funke in die Sängerin, Situation und
0159Charakter stehen gleichsam äußerlich wie Decorationsstücke
0160neben ihrem Gesang. Wir haben in jüngster Zeit, namentlich
0161seit der „Dinorah“, einen günstigeren Eindruck von Fräulein
0162Murska empfangen, als nach ihren ersten Gastrollen. Nicht
0163als ob die Weihe seelenvollen Ausdrucks oder dramatischer
0164Gestaltungskraft sich seither eingestellt hätte, wol aber, wie
0165uns dünkt, ein häufigeres Hervortreten jener „elementarischen“
0166Wärme, welche, sei sie auch nur ein Product musikalischen
0167Empfindens oder rein subjectiver Erregung, doch mittelbar
0168das ganze Bild belebt und uns näher rückt. Die „Constanze“
0169in Mozartʼs „Entführung“, eine schwindelerregende, nur von
0170wenigen Sängerinnen vollständig bewältigte Partie, hob gerade
0171Fräulein Murskaʼs Vorzüge, ihre leichtansprechende, ein-
0172schmeichelnde Höhe und ihre bedeutende Coloratur in das
0173hellste Licht. „Constanze“ ist nichts weiter, als ein virtuoses,
0174dramatisch lebloses Gesangs-Präparat. Dabei ist die Form
0175dieser Coloratur so veraltet, die Cantilene so steif pathetisch,
0176daß eine moderne Sängerin nur mit einiger Selbstverleug-
0177nung an das Studium dieser mehr mühevollen als lohnenden
0178Aufgabe gehen mag. Von Fräulein Murska haben wir
0179zum erstenmal diese halsbrecherischen Passagen nicht blos
0180correct, sondern leicht und mühelos singen gehört, und ver-
0181danken es ihr, daß wir wenigstens den lebensvollen ersten Act
0182(in dem uns immer nur Constanzeʼs B-dur-Arie aus der
0183Stimmung warf) diesmal mit ungetrübtem Behagen genossen.
0184Die große Bravour-Arie im zweiten Act („Martern aller
0185Arten“ für die Sängerin und sehr mäßiges Vergnügen für
0186den Hörer) machte trotz Fräulein Murskaʼs Bemühung nur
0187geringe Wirkung; hier wie in dem Quartett ist von „Con-
0188stanze“ nebst der äußersten Höhe auch eine ausgiebig klang-
0189volle Tiefe verlangt.
0190Im Ganzen verdient die Leistung Fräulein Murskaʼs
0191alle Anerkennung. Dinorah und Constanze haben als absolute
0192Coloratur-Partien recht eigentlich das Terrain aufgewiesen,
0193auf welchem Fräulein Murska eine Rivalin auf unserer Bühne
0194weder hat, noch seit längerer Zeit gehabt hat. Weder Fräu-
0195lein Wildauer noch Fräulein Liebhart konnten sich als
0196Gesangskünstlerinnen mit Fräulein Murska messen, und kamen
0197in der letzten Zeit ihres Wirkens ihr auch an Stimme nicht
0198gleich. Für das heitere Genre besaß Fräulein Wildauer
0199ein ausgebildetes, glänzendes Talent, Fräulein Liebhart ein
0200recht artiges Geschick; in der ernsten Oper wird man rührende
0201oder hinreißende Töne der Leidenschaft von ihnen ebensowenig ver-
0202nommen haben, als jetzt von Fräulein Murska. Um eine
0203Welt überlegen waren aber diese beiden Vorgängerinnen dem
0204Fräulein Murska in der Kunst des Costüms. In diesem
0205gewiß nicht unwichtigen Punkte scheint Fräulein Murska völlig
0206rath- und hilflos. Hier hätte eine gebildete Regie wol das
0207Recht, künstlerisch zu interveniren und zu verhindern, daß
0208z. B. die „arme Waise Amina“ in schwerer Seide erscheine,
0209sich mit abscheulich hochgestelzten Stiefletten ins Bett lege
0210und bei ihrer nächtlichen Dachpromenade eine lange Schleppe
0211hinter sich herziehe, die sie mit gar nicht somnambüler Bewe-
0212gung hoch aufnehmen muß, um nur zur Noth über den Steg
0213herabzukommen. In der „Entführung“ sahen wir Fräulein
0214Murska zum erstenmal gut costümirt; freilich ist die Harems-
0215tracht nicht zu vergreifen und verträgt eine grellere Instru-
0216mentirung.
0217Nebst Fräulein Murska ist vorzüglich Herrn Gunz
0218vom königlich hannover’schen Theater die Wiederaufnahme der
0219„Entführung“ und der gute Erfolg dieser heutzutage schwer
0220besetzbaren Oper zu danken. In keiner anderen Rolle hat
0221uns Herr Gunz so gleichmäßig befriedigt, wie als Belmonte.
0222Seine coloraturgewandte, in hoher Lage sich leicht bewegende
0223Stimme eignet sich ebenso vortrefflich dafür, als sein Vor-
0224trag, der im Ausdruck zärtlicher, leicht bewegter Empfindung
0225am glücklichsten ist. Er forcirte sein Organ nicht (ein Fehler,
0226vor dem Niemand dringender zu warnen ist, als gerade Herr
0227Gunz) und sang die beiden ersten Arien in wahrhaft muster-
0228giltiger Weise. Daß er die vierte Arie (Es-dur Nr. 17)
0229wegließ, kann mit Rücksicht auf die übergroße Zahl der Arien
0230in dieser Oper nur gebilligt werden. Herrn Rokitansky
0231dachten wir uns, nach Stimme, Figur und Vortrag, als
0232prädestinirt für die Rolle des Osmin. Im ersten Acte (dem
0233vorzüglichsten der Partitur, wie der hiesigen Vorstellung) war
0234Herr Rokitansky auch ganz trefflich — nur die zugefügten
0235langen Triller, die gar zu sehr an die Spinnrad-Koketterie
0236der „Martha“ erinnern, hätten wir gerne geschenkt. In den
0237folgenden Acten sank die Leistung um ein Bedeutendes; der
0238Triumph-Arie fehlte die groteske Leidenschaftlichkeit, dem
0239Trinkduett aller Humor. Daß Herrn Rokitansky die besten
0240Wirkungen der Komik entgehen, liegt zum großen Theile in
0241der starren Unbewegtheit seiner Gesichtszüge und der trägen
0242Behäbigkeit der Action. Wir glauben, daß einiger energischer
0243Wille und Eifer hier viel nachhelfen und Herrn Rokitansky
0244rasch auf jene Stufe heben könnten, zu welcher ihn Talent und
0245natürliche Mittel befähigen.
0246Das älteste Mitglied des Hofoperntheaters, Herr Erl,
0247ist noch immer ein guter Pedrillo, das jüngste, Fräulein
0248Pappenheim, noch lange kein gutes Blondchen. Mit Ver-
0249gnügen erfüllte uns die Aufmerksamkeit und Theilnahme,
0250womit das Publicum der ganzen Oper folgte, unbekümmert
0251darum, daß Text und Musik in manchen Theilen der Gegen-
0252wart schon sehr ferngerückt sind. In der „Entführung“ stehen
0253die Elemente der abgestorbenen italienischen Opera seria und
0254jene des neu aufblühenden deutschen Singspiels fast unver-
0255mittelt neben einander, gerade so wie die frischesten, genialsten
0256Ideen Mozartʼs neben den verbrauchtesten Redensarten seiner
0257flüchtigen Feder. Wer indessen offenen Sinn und Verständ-
0258niß für die unverwelklichen Schönheiten dieser Oper besitzt,
0259dem wird auch jenes nothwendige Maß von Pietät und musik-
0260historischem Interesse kaum fehlen, das uns den mitunter
0261scheinbar bedrohten vollen Genuß des Werkes rettet.