Projektziele von „Hanslick Online“

Alexander Wilfing, 2023

Die Website „Hanslick Online“, die aus der Projektreihe „Hanslick im Kontext“ entstanden ist, ermöglicht Vergleiche zwischen Eduard Hanslicks Schriften: einerseits zwischen den 10 Auflagen seines Traktats Vom Musikalisch-Schönen, die von ihm zeitlebens publiziert wurden, andererseits zwischen Hanslicks Aufsätzen für die Neue Freie Presse und den 12 Anthologien, die Hanslick aus diesen Texten gebaut hat (dieses Feature ist aktuell in Arbeit) und die sich hier als Liste finden lassen (vgl. „Eduard Hanslicks Schriften“). Zukünftig soll auch die Möglichkeit von automatisierten Quervergleichen zwischen dem Traktat, den Kritiken und den Anthologien bereitgestellt werden, welche im Rahmen eines neuen Projekts für die Bedürfnisse dieses Textkorpus zu schaffen sein wird. Hiermit reagiert „Hanslick Online“ auf mehrere konkrete Probleme der Hanslick-Forschung und setzt sich eine ganze Reihe an Zielen:

  • Da Hanslicks Nachlass im 2. Weltkrieg verlustig ging, sind (Stand heute) keine Vorlagen, Entwürfe oder Skizzen seiner Schriften bekannt. Die von uns edierten Drucke machen hiermit die Primärquellen der Hanslick-Forschung aus, die nun als digitale Edition mit TEI-Markup und Suchfunktion für alle zugänglich sind und sich als Standard der Hanslick-Forschung etablieren sollen.
  • Abgesehen von Dietmar Strauß’ historisch-kritischer Ausgabe von Hanslicks Aufsätzen, die nur bis ins Jahr 1865 reicht (1993–2001), blieben dessen Kritiken oft nur als Teil von eigenen und fremden Auswahl-Bänden geläufig. „Hanslick Online“ bietet mit seinen nahezu 900 Original-Kritiken somit einen guten Überblick zum breiteren Spektrum von Hanslicks Tätigkeit als Musikkritiker.
  • Hanslick hat Vom Musikalisch-Schönen aus persönlichen, inhaltlichen und politischen Gründen immer wieder überarbeitet. „Hanslick Online“ visualisiert diese Änderungen und ermöglicht Vergleiche von Absätzen einzelner oder auch aller Auflagen, was es uns erleichtert, die Entwicklung der Abhandlung zu rekonstruieren und die Änderungen zu kontextualisieren.
  • Die bisherige Hanslick-Forschung hat oft versucht, die ästhetische Auffassung Hanslicks auf den Punkt zu bringen und ebnete hierbei häufig die Spannung zwischen einzelnen Auflagen ein. „Hanslick im Kontext“ reflektiert hingegen die Dynamik von Hanslicks Position(en), deren Verlauf in einzelnen Auflagen des Traktats mittels „Hanslick Online“ erstmals wirklich fasslich wird.
  • Im Hinblick auf die Dynamik von Hanslicks Standpunkt werden dann auch Vergleiche zwischen Vom Musikalisch-Schönen und späteren Texten wichtig. Suchbegriffe ermöglichen dabei einen weitgehend kompletten Überblick zentraler Begriffe sowie ihrer Funktion in Hanslicks Musikbild, das so auf Kohärenzen, Widersprüche, Veränderungen und Differenzierungen geprüft werden kann.
  • Hanslick benutzte seine eigenen Texte manchmal mehrfach: so übernahm er Passagen seiner frühen Kritiken in Vom Musikalisch-Schönen, arbeitete in späteren Auflagen aber auch Elemente aus anderen Artikeln oder Büchern ein. Da Hanslick solche Stellen nur ab und zu als richtige Zitate markiert, soll „Hanslick Online“ das Auffinden von unbekannten Übernahmen ermöglichen.
  • Das betrifft vor allem seine Anthologien, die von Hanslick aus bereits gedruckten Aufsätzen kompiliert wurden. Hin und wieder wurden dafür auch mehrere Kritiken eines Werks zu einem neuen Kapitel verschmolzen oder Stellen eines nicht integrierten Aufsatzes verschoben. Für solche Fälle, die manuell kaum entdeckt werden können, bedarf es automatisierter Textvergleiche.
  • Für Hanslick waren seine Anthologien zudem akademische Publikationen, eine „Statistik“ seines Zeitalters. Eine auf Basis von „Hanslick Online“ durchgeführte Untersuchung, welche Kriterien bei der Auswahl und Revision von besagten Artikeln für die Anthologien zur Anwendung kamen, wird also auch Aufschlüsse über Hanslicks Konzept der Musikhistorie und Musikästhetik bereithalten.
  • Zuletzt wird aber auch die Deutung von Hanslicks Standpunkt von der hierbei jeweils genutzten Auflage von Vom Musikalisch-Schönen zumindest mittelbar bestimmt. Die deutschsprachige Hanslick-Forschung, die Hanslick oft in die Tradition der idealistischen Kunstästhetik stellt, geht dabei meist von der 1. Auflage aus. Auf Englisch liegen dagegen jedoch die 7., 9. und 10. Auflage vor, aus denen einige idealistisch anmutende Textpassagen getilgt wurden, was etwa eine formalistische Interpretation begünstigt. Dies führt dazu, wie Geoffrey Payzant korrekt bemerkt, dass etwa die deutschsprachige und englischsprachige Hanslick-Forschung fundamental differieren: „When we compare the secondary literature in English about Eduard Hanslick’s Vom Musikalisch-Schönen with that in German we get the impression that commentators in German are writing about one book and commentators in English about quite another“ (Hanslick on the Musically Beautiful: Sixteen Lectures on the Musical Aesthetics of Eduard Hanslick, Christchurch: Cybereditions, 2002, 44.) Ein kritischer Vergleich der Auflagen erschließt demnach nicht nur die Genese des Textes selbst, sondern ebenso die Formation ganzer Diskurse und Rezeptionsmuster, die zukünftig ebenfalls erschlossen werden sollen.