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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 10027. Wien, Sonntag, den 24. Juli 1892

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Vom Théâtre Français. II.

Adrienne Lecouvreur und ihr Theater.


0003Ed. H.*) Wenige unserer Theater-Besucher dürften sich
0005um Adrienne Lecouvreur sonderlich gekümmert haben, bevor
0006sie ihnen als Paraderolle in dem bekannten Stücke von
0007Legouvé entgegengetreten war. Und auch jetzt beschränkt sich
0008das allgemeine Interesse an der berühmten Schauspielerin
0009so ziemlich auf die Fabel jenes Schauspiels. Die effectvollste
0010Situation desselben steht erwiesenermaßen im vollen Wider-
0011spruche zu der historischen Wahrheit. Die Freiheit des Dich-
0012ters, eine Legende für seinen poetischen Zweck zu verwerthen,
0013bleibe unangefochten, aber thatsächlich ist Adrienne Lecouvreur 
0014ebensowenig vergiftet worden, wie Mozart, Cimarosa oder Bellini,
0015von denen dieselbe Schauermär eine zeitlang verbreitet war.
0016Weder die Eifersucht von Collegen noch die Feindseligkeit der Her-
0017zogin von Bouillon sind schuld an ihrem frühen Tode. Adrienne 
0018starb am 20. März 1730, nachdem sie fünf Tage vorher mit
0019übermenschlicher Anstrengung, unter Schmerzen und Ohn-
0020machten, gespielt hatte. Nach dem gerichtlichen Sections-
0021Protocoll ist sie einer heftigen Gedärmentzündung erlegen,
0022einer Krankheit, die sie bereits fünf Jahre früher an den
0023Rand des Grabes gebracht hatte. Sie war als die Tochter
0024eines Hutmachers aus der Provinz, der sich ganz nahe der
0025Comédie Française etablirte, sehr jung nach Paris gekom-
0026men. Kaum 15 Jahre alt, gesellt sie sich zu einigen theater-
0027lustigen jungen Leuten, welche im Laden eines Gewürz-
0028krämers den „Polyeucte“ aufführen. Die Vorstellung macht
0029einiges Aufsehen, man spricht von dem großen Erfolge
0030der jungen Tragödin, und einer der Zuschauer, der
0031Schauspieler Legrand, begeistert sich für die Aufgabe,
0032ihr Talent auszubilden. Er war ein so mittel-
0033mäßiger Comödiant, daß ihm wahrscheinlich nicht
0034das mindeste Verdienst zukommt an dem späteren Ruhme
0035seiner Schülerin. Adrienne hat sich in der That selbst aus-
0036gebildet. In der Comédie Française debutirte sie im Mai
00371717 in einer Tragödie von Crébillon und dem Lustspiele
0038George Dandin. Man verlangte damals von den Debütanten,
0039daß sie am selben Abend sich in beiden Gattungen, im Tra-
0040gischen und Komischen, zeigen sollten. Die Zuschauer zum
0041Lachen zu bringen, nachdem man sie weinen gemacht, das
0042war zu jener Zeit der Ehrgeiz aller jungen Schauspielerinnen.
0043Obwol durch die Tragödie berühmt geworden, galt die Lecou-
0044vreur doch für vortrefflich auch im Lustspiel; sie wurde
0045darin anfangs sogar häufiger beschäftigt, als im Trauer-
0046spiel. Am bewunderungswerthesten war sie im Ausdruck
0047starker Leidenschaften; da sprach sie unmittelbar, unwiderstehlich
0048zum Herzen und packte die Zuhörer mit einer Kunst, die von
0049Natur nicht mehr zu unterscheiden war. Ohne ernstes
0050Studium hatte sie diese Kunst keineswegs erlangt. Es be-
0051fremdete sie, daß der berühmte Grammatiker Dumarsois 
0052inmitten des jubelnden Publicums immer nur zeitweilig ein
0053halblautes „Recht gut“ von sich gab. Sie lud ihn zu sich
0054ein und bat ihn um seinen Rath. Er war in der That der
0055Mann, ihrer einzigen Unvollkommenheit abzuhelfen. Ihre
0056Aussprache war nicht correct. Dumarsois gestand, daß ihr
0057Vortrag immer seine Seele bewege, aber manchmal sein
0058Ohr verletze. Die erste Pflicht des Schauspielers sei, gut zu
0059sprechen. Adrienne faßte rasch das Gebot ihres Meisters:
0060man müsse jedem Wort, jeder Sylbe den richtigen Werth
0061geben. Der „tonische Accent“ sei die Seele des Wortes.
0062Den Vortrag Adrienne’s durchdrangen Geist und Empfin-
0063dung, dazu der Reiz einer tiefklingenden Stimme, dieser
0064unschätzbare Vortheil für eine Tragödin, den später auch die
0065Rachel besaß. Solche Vorzüge erhob Dumarsois zur schönsten
0066Wirkung, indem er ihnen die literarische Genauigkeit der
0067Aussprache beifügte. Fragen der Aussprache wurden damals
0068in der Pariser Gesellschaft mit großer Wichtigkeit behandelt;
0069die Comédie Française galt dafür als Autorität, genau wie
0070bei uns in — früherer Zeit wenigstens — das Burgtheater.
0071Adrienne hatte so viele Bewunderer im Publicum, daß
0072Neider, insbesondere Neiderinnen, in den Coulissen nicht
0073ausblieben. Obendrein zeigte sie sich unbotmäßig gegen die
0074Disciplin des Theaters. Jeden Augenblick ward ihr eine
0075Geldstrafe dictirt wegen Zuspätkommens zu den Proben und
0076Aufführungen. Darin übte man gegen Adrienne allerdings
0077eine besondere Strenge; ihre Beziehungen zur großen Welt,
0078wo sie verhätschelt ward, hatten ihr die Feindseligkeit
0079vieler Collegen zugezogen. Einer derselben entdeckte in dem
0080Worte Couleuvre (Natter) das Anagramm des Namens
0081Lecouvreur und glaubte damit die Schwärze ihres
0082Charakters zu beweisen. Auch ein direct gegen sie gerichtetes
0083Stück: „L’actrice nouvelle“ ward von Quinault, ihrem 
0084erklärten Feinde, zur Aufführung eingereicht und wäre ohne
0085Dazwischenkunft einflußreicher Freunde auch wirklich gespielt
0086worden. Der frühe Tod Adrienne Lecouvreur’s versetzte dem
0087Theater den schwersten Schlag. Ein von Voltaire verfaßter
0088Nachruf ertheilt ihr das außerordentliche Lob, sie habe die
0089Kunst, zum Herzen zu sprechen, so gut wie erfunden und
0090zuerst Wahrheit und Gefühl an die Stelle von Pomp und
0091Declamation gesetzt.


0092Die Lebensumstände der Lecouvreur sind unseren Theater-
0093freunden immerhin noch besser bekannt, als der Zustand des
0094Hauses, in welchem sie geglänzt hat. „Geglänzt“ im figür-
0095lichen Sinn, denn die Scene der großen Künstlerin war stets
0096nur mittelst etlicher Pakete Talgkerzen beleuchtet. 45 Francs
0097für Talgkerzen — damit beleuchtete man im Jahre 1718 den
0098Zuschauerraum, die Gänge, die Coulissen, die Decorationen, die
0099Garderoben der Schauspieler und auch noch die „Loge à la
0100limonade“, welche das Foyer des Publicums bildete. Mußte
0101dieses Halbdunkel nicht das Spiel der Darsteller beeinträch-
0102tigen? Nach seiner persönlichen Erfahrung meint Regnier,
0103es habe niemals ein Schauspieler davon zu leiden gehabt.
0104Die Augen waren anders gewöhnt, als die unseren, und
0105zwischen der Beleuchtung des Theaters und der unserer
0106Wohnungen bestand dasselbe Verhältniß wie heute. Man
0107war zu Hause gewohnt, im Düstern zu sehen, bei einer
0108Unschlittkerze zu lesen, zu arbeiten; man verlor im Theater
0109keinen Zug von den Schauspielern in dem sie umgebenden
0110Halbdunkel. Dem achtzigjährigen Regnier kommt es vor,
0111als sei das Theater immer auf dieselbe Weise beleuchtet
0112gewesen. Und doch, was für Fortschritte hat er darin
0113erlebt! Er erinnert sich des Théâtre Français im Jahre
01141822; dasselbe Haus wie heute, aber welch verschiedener
0115Anblick! Der Zuschauerraum war damals um eine Logen-
0116reihe höher geworden; die innere Decoration bestand in einer
0117jonischen Säulenreihe längs des Saales, welche oben durch
0118Unterabtheilungen die Logen des ersten und zweiten Ranges
0119verband; die Wände bekleidete eine blaue, durch das Alter
0120grau gewordene Tapete. Seit der Republik war dieser Saal
0121nicht restaurirt worden; seine Beleuchtung beschränkte sich
0122auf einen Luster von 40 Oellampen. Elf Jahre später, 1833,
0123ward der Saal wieder restaurirt und die Oellampen durch
0124Gasflammen ersetzt, in der Stärke von etwa 80 Oellampen.
0125Man blieb dabei nicht stehen; Beleuchtungs-Apparate ge-
0126langten auf die Bühne und erhellten von rechts und links
0127alle Theile der Scene. Für Regnier hat dieser fortwährende [2]
0128Lichtzuwachs keinen reellen Werth. Er will vor 60 Jahren
0129Talma und die Mars ebenso deutlich gesehen haben, wie
0130heute Herrn Got oder Fräulein Reichemberg. Das Theater,
0131das ja von der Illusion lebt, dürfte eines Tages leiden von
0132der Ueberfluthung mit blendendem Licht. Nach Regnier’s
0133Ueberzeugung ist das elektrische Licht, das sich ohne Zweifel
0134allgemein durchsetzen wird, nachtheilig für die Schauspie-
0135lerinnen. Unter dem elektrischen Licht und den riesigen Opern-
0136guckern von heute hätte die sechzigjährige Mlle. Debrie 
0137schwerlich noch jugendliche Rollen spielen können.


0138Das Theater war 1689 eröffnet worden und brachte
0139durch seine schlechte Construction schwere Verlegenheiten für
0140die Schauspieler. Die Epoche der Adrienne Lecouvreur war
0141besonders ungünstig; die Theater, insbesondere die Comédie
0142Française, spielten vor halbleerem Hause. Die Schauspieler,
0143von Schulden bedrückt, beschworen den Regenten, sich ihres
0144Elends zu erbarmen. In dem Jahre von Adrienne’s Debüt
0145betrug der Antheil eines Societärs für den Monat Juni
014675 Francs; die Debütantin erhielt nur die Hälfte! Im
0147August und September wird gar nichts vertheilt, und im
0148October kommt auf die junge Tragödin ein Betrag von
014919 Francs 10 Sous. Man schreitet zu allerlei Einschrän-
0150kungen. Die geringe Betheiligung des Publicums macht eine
0151starke Wache entbehrlich; man beschränkt sich auf sechs
0152Polizeimänner. Die Preise der Plätze werden um den vierten
0153Theil herabgesetzt. Nachdem der Eigenthümer des berühmten
0154Café Procope erklärt, daß er bei so schwachem Theaterbesuche
0155unmöglich den Pacht seines Locals im Schauspielhause zahlen
0156könne, erhält er eine Herabminderung von 1200 auf 900
0157Francs. Auch ist das Theater gezwungen, seine Almosen ein-
0158zuschränken. Gegen die bisherige Gewohnheit spendet es
0159nichts mehr an die Klöster, ausgenommen an das der
0160Charité, welches täglich fünfzehn Sous erhält. Als die Ge-
0161sellschaft nicht mehr auf den Ertrag der Vorstellungen rechnen
0162kann, stürzt sie sich fieberhaft in die Zufälle des Spiels,
0163kauft Lotterielose an und convertirt in trügerische Bankbillette
0164die Gelddepots, welche bei dem Notar für die Gesellschafts-
0165schulden haften. Vergebliche Versuche! Das Geld der Comédie
0166Française verschwindet wie in einem Abgrund, und man sieht sich
0167zu einer höchst mißlichen Liquidation gezwungen. Um die Socie-
0168täre des Ruhestandes auszuzahlen, muß Geld zu Wucherzinsen
0169aufgenommen werden. Das Publicum war zur Zeit der
0170Regentschaft völlig von der Politik eingenommen und ver-
0171nachlässigte das Theater. Im Jahre 1721 finden wir das
0172Théâtre Français an 24 Abenden geschlossen, in den meisten
0173Fällen „wegen Mangels an Zuschauern“. Das Aufsehen, das
0174die ersten Vorstellungen der Adrienne Lecouvreur bei einigen
0175Kennern und Liebhabern erregt hatten, verschwand bald
0176unter dem Lärm der Ankunft Peter’s des Großen. Am
0177Tage seines Eintreffens fanden die Schauspieler es ge-
0178rathen, ihr Theater zu schließen, und wiederholten diese
0179Vorsichtsmaßregel bald darauf wegen einer ihm zu
0180Ehren veranstalteten Revue. So lang der Czar in
0181Paris weilte, hängte sich die Menge an seine Fersen.
0182Welche Einnahme, wenn es dem Czar eingefallen wäre,
0183das Théâtre Français zu besuchen! Er dachte nicht daran.
0184Der Regent führte ihn in die Große Oper, „wo Beide auf
0185derselben Bank saßen“, denn ein Fauteuil oder selbst ein
0186einfacher Stuhl war damals im Theater ein unbekanntes
0187Möbel. Nachdem Peter der Große Bier verlangt und ge-
0188trunken hatte, verließ er im vierten Act die Oper, um zu
0189nachtmalen. Wenn die prachtvoll ausgestattete Oper mit
0190ihren Tänzerinnen und Decorationen den Czar nicht zu
0191fesseln vermochte, wie hätte die Comédie Française auf seinen
0192Besuch hoffen dürfen!


0193War das damals ein trauriger Ort, das Théâtre
0194Français, mit seinem engen düsteren Saal und seinem
0195stets lärmenden, unreinlichen Stehparterre! Es gab nur
0196vier verschiedene Plätze, zu folgenden im Jahre 1718 herab-
0197gesetzten Preisen: Erste Ranglogen 4 Francs; zweite 2 Francs;
0198dritte 1 Franc 10 Sous; Parterre 1 Franc. Außerdem
0199konnten auf der Bühne selbst, rechts und links von den
0200Schauspielern zwanzig Personen auf drei Bankreichen Platz
0201nehmen. Dieser Platz war sehr gesucht und kostete 5 Francs
020210 Sous. Die erste Loge rechts vom Zuschauer hieß die
0203Loge des Königs, die gegenüberliegende die Loge der Königin.
0204Wenn es den Majestäten gefiel, ihren Besuch anzukündigen,
0205wurden diese Logen ihnen reservirt, sonst aber beliebig vermiethet.
0206Zur Zeit von Adrienne’s Debüt hatte Frankreich keine
0207Königin und der Hof besaß sein eigenes Theater, wo er
0208häufig die Schauspieler des Théâtre Français sah. Kamen
0209Prinzen oder Prinzessinnen von Geblüt ins Theater, so
0210ersetzte man ihnen zu Ehren die Talglichter durch Wachs-
0211kerzen. Ihre Geburt gab ihnen das Recht, die ersten Logen
0212zu benützen, auch wenn diese bereits an Private vermiethet
0213und von diesen besetzt waren; die Insassen mußten sich 
0214zurückziehen und sehen, wo sie sonst Platz fanden. Wenn die
0215Prinzen nicht gerade eine Prinzessin begleiteten, wählten sie
0216ihren Platz am liebsten auf der Bühne. Dann unterbrachen
0217die Schauspieler sofort die Vorstellung, alle Zuschauer erhoben
0218sich grüßend und setzten sich erst wieder, wenn der Prinz
0219den ihm unverzüglich geräumten ersten Platz eingenommen
0220hatte. Der Regisseur, welcher am Schlusse die morgige Vor-
0221stellung anzukündigen hatte, machte dem Prinzen eine tiefe
0222Verbeugung und bat um die Erlaubniß, ankündigen zu
0223dürfen. Wie verschieden waren damals die Sitten in Eng-
0224land! Ein Prinz, welcher durch sein Zuspätkommen die
0225Vorstellung verzögerte, wurde dort ohneweiters ausgezischt.


0226Wie verhielt es sich mit den Einnahmen des alte
0227Théâtre Français? Vollständig besetzt, faßte es gegen 1200
0228Personen; die stärkste Einnahme erreichte kaum 2000 Francs.
0229Die Tageskosten beliefen sich auf 263 Francs. Der vierte
0230Theil der Einnahme fiel den Armen zu. Es war dies eine
0231geradezu erdrückende Steuer, aber seltsamerweise von den
0232Schauspielern nicht einmal so stark angefeindet, wie die
0233Verpflichtung, dem Autor eines aufgeführten Stückes den
0234neunten Theil der Einnahmen zu zahlen, und auch das nur
0235so lange, als die Novität sich in der Gunst des Publicums
0236erhielt. Eine höchst ungerechte und harte Bedingung. Die
0237Tantième des Autors hörte auf, sobald zwei aufeinander-
0238folgende Aufführungen seines Stückes weniger einbrachten
0239als 350 Francs im Sommer, 550 Francs im Winter.
0240Dann verfiel sein Stück „den Regeln“, das heißt, es gehörte
0241nicht mehr dem Verfasser, dem man nichts mehr zu bezahlen
0242brauchte, sondern blieb für immer Eigenthum der Schau-
0243spieler. Es ist ein wenig bekannter, sehr charakteristischer Zug
0244Voltaire’s, daß er nach seinem „Oedipe“ keinen Werth
0245auf seine Tantiemen zu legen schien und sie den Schau-
0246spielern überließ; er erreichte damit, daß sie seine Stücke
0247öfter aufführten. Seltsam, daß Molière als Theater-
0248dichter, Schauspieler und Director seiner Truppe niemals
0249einen Schritt that, um diese für die Autoren so drückenden,
0250ungerechten Vorschriften zu beseitigen. Wahrscheinlich hat
0251Zartgefühl und Bescheidenheit ihn verhindert, seine Autorität
0252in einer ihn so nahe berührenden Frage zu benützen. Chef
0253seiner Gesellschaft, die von ihm und durch ihn lebte, hat er
0254doch nie einen besonderen Vortheil für seine Person bean-
0255sprucht. Bei seiner Verheiratung wurden ihm allerdings zwei
0256Antheile von der Einnahme zugestanden; der eine galt aber [3]
0257für seine Frau, welche ein erstes Rollenfach glänzend vertrat.
0258Für seine Stücke, diese Schatzkammer seiner Truppe, machte
0259Molière niemals andere als die allgemein üblichen Bedin-
0260gungen und wurde als Autor völlig gleich behandelt mit
0261den obscursten Literaten, die für sein Theater schrieben.


0262Die Auslagen, welche das Théâtre Français für den
0263Comfort des Publicums machte, waren zur Zeit der Le-
0264couvreur verschwindend klein. Die Schauspieler glaubten
0265schon eine außerordentliche Reinlichkeit zu zeigen, indem sie
0266der Logenschließerin vorschrieben, einmal in der Woche
0267die Logen auszukehren und die Bänke abzustauben! Die
0268Bühne hingegen fegte man täglich; zu dieser unerhörten
0269Sauberkeit nöthigte die Künstler die Sorge für ihr sehr kost-
0270bares Costüm. Eine luxuriöse Theater-Garderobe galt ihnen
0271stets als die erste Nothwendigkeit. Große Herren kamen
0272diesem Bedürfniß und Hang der Schauspieler gern mit ihren
0273eigenen Hofkleidern zu Hilfe. Der Schauspieler Raymond
0274Poisson bittet in Versen den Herzog von Créqui um einen
0275schönen Anzug für seine Rolle als Marquis; der Cardinal
0276Richelieu sendet dessen Collegen Bellerose ein elegantes Hof-
0277costüm. Dieser Bellerose war berühmt wegen der Kostbarkeit
0278seiner Garderobe; er hat sie um den damals enormen Preis
0279von 22,000 Francs verkauft. Die Schauspielerinnen hielten
0280natürlich noch größere Stücke auf prächtige Kleider, spielten
0281sie doch in unmittelbarster Nähe der die Bühne blokirenden
0282Zuschauer. Andererseits verringerten sich wieder durch diese
0283Belagerung der Scene die Ausgaben für Decorationen.
0284Wozu auch diese? Man sah sie ja nicht. Ein Salon, ein
0285Palast, eine Hütte, ein Kerker, ein Wald und ein Garten — das
0286reichte hin für alle dramatischen Situationen. Möbel existirten
0287nicht; man stellte ein Fauteuil oder Stühle nur dann auf
0288die Bühne, wenn das Stück den Schauspielern ausdrücklich
0289zu sitzen anwies. Orosman, in Voltaire’s Tragödie, erdolchte
0290die Zaïre zwischen den Coulissen, weil auf der Bühne
0291schlechterdings kein Raum war für das vorgeschriebene Sofa.
0292Wir haben aus der Zeit der Lecouvreur geradezu abstoßende
0293Schilderungen von dem Theater, in welchem man schlecht
0294hörte, schlecht sah, und in einem schmutzigen, übelriechenden
0295Parterre eine lärmende Menge sich stieß und drängte. Wir
0296staunen, mit welchem Gleichmuth im siebzehnten und acht-
0297zehnten Jahrhundert wohlhabende Bürger, ja große Herren
0298sich Unbequemlichkeiten gefallen ließen, welche heute dem
0299bescheidensten Theaterbesucher unerträglich wären.

Fußnoten
  • *)Vergleiche „Neue Freie Presse“ Nr. 10020 vom 17. Juli.