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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 10085. Wien, Mittwoch, den 21. September 1892

[1]

Italienische Oper.


0002Ed. H., Nach dem Cavalleria-Rausch und Intermezzo-
0003Weh’ in allen Gestalten haben wir jetzt den Cultus der
0004Persönlichkeit. Noch niemals ist auf deutschem Boden ein
0005junger, durch eine einzige kleine Oper berühmt gewordener
0006Componist mit einem solchen Huldigungstaumel gefeiert wor-
0007den, wie jetzt in Wien Mascagni. Selbst der fünfzigjährige
0008Richard Wagner nicht — und das war doch noch ein
0009Anderer! Die Neugierde des Publicums verfolgt ihn auf
0010der Straße und lauert ihm nach dem Theater auf. Bleibt
0011der Unvorsichtige mit einem Bekannten stehen, so bildet
0012sich sofort ein ungenirt zuhörender dichter Kreis von Maul-
0013affen um die Beiden. Wien hat doch die berühmtesten Ton-
0014dichter aller Nationen in seinen Mauern beherbergt — aber
0015wenn ein englischer Admiral in rother Uniform und hohem
0016Federhut eine neu entdeckte Insel betritt, er kann von den
0017Eingeborenen nicht mehr angestaunt werden, als Mascagni 
0018von den Wienern. Wer den aufrichtig bescheidenen, an dem
0019ganzen Spectakel ganz schuldlosen jungen Mann nicht kennt,
0020der mochte vielleicht gegen ihn einige Voreingenommenheit
0021empfinden. Mußte man sich doch sagen, daß Mascagni’s
0022Leistungen ihn noch nicht auf jene classische, sichere Höhe
0023stellen, welche so unbegrenzte Verherrlichung rechtfertigt. Ich
0024glaube indessen, daß man diese Ovationen richtiger beurtheilt,
0025wenn man sie weniger von der künstlerischen Seite als von
0026der gemüthlichen, rein menschlichen betrachtet. Die Leute, die,
0027Mascagni umdrängend, sich an seinem sanften, bartlosen Gesicht
0028nicht satt sehen können, gleichen sie etwa fanatischen Musik-
0029liebhabern? Sehen sie nicht vielmehr aus wie lauter zu-
0030thunliche, herzlich mitfühlende Gratulanten? Es wird uns
0031ja so selten das Glück, einen ganz Glücklichen zu sehen; gar
0032einen jungen Componisten, den gleich sein erster Bühnen-
0033versuch aus Noth und Kümmerniß plötzlich ins volle Sonnenlicht
0034hinaufträgt! Es ist etwas Herrliches um den Ruhm; so
0035recht süß schmeckt er aber doch nur in der Jugend. Während
0036der alte Voltaire versicherte, er gäbe seinen ganzen Ruhm
0037gerne dahin für einen guten Magen, besitzt der glücklichere
0038Mascagni die beiden Dinge zugleich. Und ein Drittes oben-
0039drein, das ihn erst wahrhaft zum Glücklichen stempelt: 
0040persönliche Anmuth und Liebenswürdigkeit. Damit gewinnt
0041er alle Herzen. Indessen ist es keine Kleinigkeit, immer
0042liebenswürdig oder auch nur höflich zu bleiben, wenn man
0043von Früh bis Abends beäugelt, bedrängt, bewundert wird.
0044So ein Glück verlangt viel Geduld. Börne sagte einmal
0045gelegentlich eines Rührstückes, er „möchte lieber eine blinde
0046Maus sein, als so ein Jubelgreis“. Auch ein Jubeljüngling,
0047wie unser Mascagni, ist nicht immer zu beneiden. Miß-
0048gönne ihm Niemand das seltene Glück; es hängt viel Plage
0049daran und auch manche Gefahr. Möge Mascagni wenigstens
0050der allerschlimmsten entgehen: der Selbstüberschätzung.


0051Cavalleria rusticana“ und „Freund Fritz“ die bei-
0052den einzigen fertigen Werke Mascagni’s — sind den Wienern
0053vom Hofoperntheater her zur Genüge bekannt. Nicht ihnen
0054galt somit die Neugierde des massenhaft zuströmenden Publi-
0055cums, sondern ihrer Aufführung durch italienische Sänger
0056unter der Leitung des Componisten. „L’amico Fritz“
0057machte den Anfang. Mascagni legt auf diese Partitur einen
0058größeren Werth, als auf sein Erstlingswerk. „Freund Fritz“
0059ist die feinere, vornehmere Musik, die „Cavalleria“ die
0060packendere, effectvollere; ein rundes Ganzes, in dem nichts
0061zu viel, nichts zu wenig ist, und Alles an rechter Stelle.
0062Fritz“ wirkt weniger durch die Gewalt des Ganzen, als
0063durch originelle, geistreiche Einzelzüge, welche wiederum mehr
0064im Orchester liegen, als in der Gesangs-Melodie. Zwischen
0065dem ersten und dritten Act, auf welchen die Dürftigkeit der
0066Handlung drückt, erhebt sich der zweite durch eine
0067viel interessantere Entwicklung und bedeutendere musikalische
0068Schönheiten. Er hat auch in der italienischen Aufführung
0069den Höhepunkt des Abends gebildet und den Erfolg des
0070Ganzen entschieden. Der Tenorist da Lucia (Fritz) erfreute
0071gleich in der ersten Scene durch seine frische, kräftige, leicht
0072ansprechende Stimme. Die besten italienischen Tenoristen,
0073von Moriani bis Masini, pflegen sonst die steifsten Schau-
0074spieler zu sein; Signor Lucia macht eine Ausnahme, er
0075wirkt ebenso günstig durch sein freies, natürliches Spiel,
0076wie durch seinen Vortrag, in welchem gute Schule sich mit
0077warmer Empfindung verbindet. Letztere geht im Feuer manch-
0078mal zu weit; mit einigen maßlosen Fortissimos im zweiten
0079Acte erzielte Lucia große Wirkung, die aber nur innerhalb eines
0080italienischen Ensembles möglich ist. Wenn in denselben Stellen
0081unsere deutschen Tenoristen sich so überschreien und über-
0082spielen wollen, sie würden wahrscheinlich ausgelacht. Von
0083den übrigen Sängern im „Amico Fritz“ ist nicht viel zu
0084melden. Die Susel gab Signora Torresella, eine sehr
0085anständige, nur zu gern tremolirende Sängerin von reiz-
0086loser Stimme und Erscheinung. Die Altistin Signora
0087Zanon (Joseph) hat eine mächtige, jugendlich üppige
0088Stimme, die sie gräßlich mißbraucht. Der Bariton, Signor
0089Sottolano, ist unbedeutend, erheiterte aber dadurch, daß
0090er als Rabbiner sich einen ritterlichen Shakespearekopf mit
0091kleinem Schnurrbärtchen zurecht gemacht hatte. Höchst inter-
0092essant war uns Mascagni an der Spitze seines Orchesters.
0093Das ist ein Dirigent, der mit seinen Sängern Alles mit-
0094lebt, mitfühlt, mitsingt, dabei das Orchester unausgesetzt im
0095Auge behält, es bald zügelt, bald anfeuert, ohne je in ge-
0096waltsame, unschöne Action zu verfallen.


0097Der Erfolg des „Amico Fritz“ ward bald verdunkelt
0098durch den Triumph der „Cavalleria rusticana“. Nicht nur
0099ist letztere in Wien (und wahrscheinlich überall) die viel be-
0100liebtere Oper; auch die Aufführung vom 19. d. M. brachte
0101in den Hauptrollen vorzügliche Kräfte zur Geltung. Vor
0102Allem Signora Bellincioni, deren Santuzza als ein
0103vollendetes Kunstwerk unauslöschlich in unserer Erinnerung
0104fortleben wird. Gemma Bellincioni, deren Name erst seit
0105wenigen Jahren zu den bekannteren gehört, ist eine drama-
0106tische Sängerin allerersten Ranges. Bei ihr fließen Ton und
0107Geberde, Gesang und Spiel so untrennbar zusammen, in
0108jedem Moment so seelenvoll und ergreifend, und bei völlig
0109realistischer Wahrheit stets so edel, wie wir Aehnliches auf
0110der Opernbühne höchst selten erlebt haben. Die Rolle der
0111Santuzza stimmt so außerordentlich zu der ganzen Erscheinung
0112der Sängerin, als wäre sie eigens für dieselbe gedichtet und
0113componirt. Die Bellincioni auch in anderen großen drama-
0114tischen Partien zu sehen, wäre uns von größtem Werth. Man
0115kann sagen, daß sie alles Uebrige verdunkelt hat, ein klein
0116wenig sogar den vergötterten Maëstro. Diese Santuzza ab-
0117gerechnet, von der unsere deutschen Sängerinnen keine blasse
0118Ahnung haben, möchten wir der Aufführung im Hofopern-
0119theater den Vorzug vor der italienischen geben. Signor
0120Stagno genießt mit Recht den Ruf eines der besten
0121italienischen Tenore; allein er genießt ihn schon etwas lange.
0122Die Stimme, so trefflich geschult sie auch sei, klingt doch
0123nicht mehr schön genug, um einen ungetrübten Genuß zu [2]
0124gewähren. Wo Stagno seine volle Kraft und Kunstfertigkeit
0125auf Einen Punkt concentrirt, bringt er es noch zu blen-
0126dender Wirkung, wie sein Vortrag des Trinkliedes bewies.
0127Signor Sottolano ist ein anständiger Alfio, doch bei-
0128weitem nicht die energische Charakterfigur, die uns im Hof-
0129operntheater entgegentritt. Am weitesten steht die italienische
0130Lola gegen unsere deutsche zurück. Von Ersterer wollen
0131wir lieber ganz schweigen. Hätte sie es nur auch gethan!
0132Mascagni, der sein Orchester wieder herrlich führte und
0133belebte, nahm die meisten Tempi etwas langsamer, manches,
0134wie das Trinklied, sogar bedeutend langsamer, als wir es
0135gewohnt sind. Das „Intermezzo“ erfuhr zwar sein systemi-
0136sirtes Da capo, erreichte jedoch, durch die ungenügende Orgel-
0137begleitung beeinträchtigt, nicht die Wirkung, welche es jedes-
0138mal im Operntheater ausübt. Ueber die Ovationen nach
0139Schluß der Vorstellung gibt der Polizeirapport die beruhigende
0140Auskunft, daß der gefeierte Maëstro von seiner Verehrer-
0141meute zwar hart bedrängt gewesen, aber doch mit dem Leben
0142glücklich davongekommen sei.


0143Mit den beiden Mascagni’schen Opern ist die Thätig-
0144keit der italienischen Oper im Ausstellungs-Theater keines-
0145wegs abgeschlossen. Herr Sonzogno, der große römische
0146Musikverleger, dessen Preisausschreibung bekanntlich das
0147Talent und den Ruhm Mascagni’s ausgebrütet hat, will
0148uns die besten jetzt in Italien wirkenden Sänger vor-
0149führen, und zwar in den allerneuesten Original-Opern
0150Sonzogno’schen Verlages. Vier neue Opern und die Com-
0151ponisten dazu hat Herr Sonzogno zur Ausstellung mit-
0152gebracht. Er fährt gleichsam in großer Parade vierspännig
0153vor. Zwei dieser Novitäten haben wir eben gehört: „Pagliacci“
0154von R. Leoncavallo und „Il birichino“ von L. Mugnone.
0155Beide Opern, sowie die zwei nachfolgenden: „Tilda“ von
0156Fr. Ciléa und „Mala vita“ von U. Giordano, sind
0157bemerkenswerthe Zeichen der Zeit; sie zeigen uns das
0158immer stärkere Eindringen der naturalistischen Schule,
0159des „Verismo“, in die Oper. Merkwürdig, daß diese
0160Richtung sich zuerst in der italienischen Oper zeigt,
0161welche doch unter dem Einflusse langer Tradition am
0162längsten festgehalten hat an idealem Inhalt und Styl. In
0163Frankreich haben zuerst die Flügelmänner der Opéra
0164comique im achtzehnten Jahrhundert — Philidor, Mon-
0165signy, Grétry — Stoffe und Typen des Alltagslebens 
0166mit großer Wirkung zu musikalischen Rührstücken und
0167Familien-Gemälden verwendet. Doch selbst in dem empfind-
0168samsten, zum Beispiel im „Deserteur“, wurde der eigentlich
0169tragische Ton vermieden, alles Gräßliche beseitigt und stets
0170mit einem glücklichen Ausgang geschlossen. Die neueste
0171Richtung sucht ihre tragischen Stoffe am liebsten auf dem
0172Dorfe und im Arbeiterviertel auf und kennt nur
0173blutige Lösungen. In Frankreich ist Bizet’sCarmen“
0174der erste und bis jetzt einzige bedeutende Vor-
0175gang in dieser Richtung. Desto stärker regt es sich
0176gerade in Italien. Von dort dürften wir zuerst
0177gefaßt sein auf musikalische Seitenstücke zu Gerhard Haupt-
0178mann, Sudermann, Richard Voß u. s. w. Ein Beispiel
0179dieser Art ist die zweiactige Oper „Pagliacci“ von
0180Ruggiero Leoncavallo. Auf der italienischen Ausgabe
0181heißt sie nicht Oper, sondern „Drama“, und es ist bezeich-
0182nend, daß jetzt sogar Italien, die musikalische und melodische
0183Nation par excellence, in die kindische Furcht vor dem
0184Namen „Oper“ verfallen ist. Und doch ist der Begriff „Oper“
0185so weit und so liberal, daß er jede Art allerschönster und
0186allerdramatischester Musik umfaßt; man muß sie nur machen
0187können. Maëstro Leoncavallo hat sich das Textbuch
0188selbst geschrieben — natürlich, möchte man heute beisetzen.
0189Dasselbe behandelt den tragischen Contrast in dem Hand-
0190werke des Bajazzo, der als geschminkter Possenreißer
0191das Volk lachen macht, während Noth und Kummer sein
0192Gemüth bedrücken. Der Componist entwickelt diese poetische
0193Grundidee seines Dramas in einem eigenen, wie mir scheint,
0194sehr überflüssigen „Prolog“, den der Clown mit großem
0195Pathos dem Publicum vorsingt. Der erste Act enthält sehr
0196wenig Handlung. Tonio, zugleich Clown und Bösewicht des
0197Stückes, wird von seiner Principalin Nedda, der er Liebes-
0198anträge macht, abgewiesen und rächt sich, indem er ihrem
0199Gatten Canio das zärtliche Einverständniß Nedda’s mit einem
0200jungen Bauer verräth. Canio stürmt wüthend auf Nedda 
0201ein, vermag aber nicht den Namen seines Rivalen aus ihr
0202herauszubringen. Diesen Versuch wiederholt er immer heftiger
0203im zweiten Act während der Comödie, die er mit seiner
0204Frau vor den Dorfbewohnern aufführt. Das Spiel wird
0205dem eifersüchtigen Wütherich unversehens zum Ernst; er er-
0206sticht auf der Scene seine Frau und gleich darauf den zu
0207ihrer Rettung plötzlich herbeispringenden Liebhaber. Der starke 
0208Einfluß der „Cavalleria rusticana“ zeigt sich schon in diesem Text-
0209buche, das im Gräßlichen noch weiter geht. Endet die „Cavalleria“
0210mit einem Mord hinter der Scene, so schließen die „Pagliacci“
0211mit zwei Ermordungen auf der Bühne selbst. Auch im
0212Musikalischen glauben wir das Vorbild Mascagni’s häufig
0213wahrzunehmen: in der emancipirten Form, den grellen
0214Modulationen, dem häufigen Tactwechsel, der Vorliebe für
0215chromatische Scalen in der Gegenbewegung, auch in Sexten
0216u. s. w. Leoncavallo ist ein beachtenswerthes, auf starken,
0217leidenschaftlichen Ausdruck angelegtes Talent. Er hat Wärme,
0218die sich in manchen gefühlvollen Stellen geltend macht, noch
0219mehr aber loderndes Feuer in den Momenten äußerster
0220Leidenschaftlichkeit. Uns dünkt Manches darin grell und un-
0221natürlich, den Italienern nicht. So würden wir beim An-
0222hören des ersten Chors niemals auf brave Landleute rathen,
0223die sich auf eine Comödie freuen, sondern eher auf eine
0224zügellose Räuberbande. Die melodische Erfindung des Com-
0225ponisten ist keineswegs reich oder originell; aus den senti-
0226mentalen Cantilenen, die meistens von den Geigen
0227oder dem Violoncell unison mitgespielt werden, klingt
0228vornehmlich die Stimme Verdi’s. Sehr effectvoll be-
0229handelt Leoncavallo das Orchester; es wimmelt da
0230von kunstvollen und gekünstelten Farbenmischungen, die vor
0231zwanzig Jahren in Italien undenkbar waren. Das Vorbild
0232Wagner’s hat wol das Meiste dazu gethan. Manchmal ver-
0233fällt der Componist auch der Versuchung, mit einem In-
0234strumentirungs-Kunststück zu glänzen, das die Probe auf
0235seine dramatische Zulässigkeit nur schwer bestehen möchte. So
0236in der ersten Scene der Nedda die sehr ausgedehnte, übrigens
0237sehr geschickt gemachte Nachahmung des Vogelgezwitschers und
0238Anderes. Während der erste Act sich recht nothdürftig fort-
0239fristet, steigert sich der zweite, dramatisch wie musikalisch, zu
0240bedeutender Wirkung. Am besten gefiel uns die Musik zu
0241der eigentlichen Bajazzo-Comödie; hier war der Componist
0242durch die Scene gezwungen, aus seinem hochgesteigerten,
0243leidenschaftlichen Pathos herauszutreten und eine an den
0244Volkston anklingende einfach graziöse Weise anzustimmen,
0245die durch ihren Rococo-Beigeschmack noch gewinnt.


0246In der italienischen Oper ist es nicht immer leicht, zu
0247unterscheiden, was wirklich tiefere, echte Theilnahme, was nur
0248momentane lärmende Aufwallung sei in dem Beifall des
0249Publicums. Aber die „Pagliacci“ scheinen einen echten Er[3]-
0250folg errungen zu haben. Maëstro Leoncavallo wurde viel
0251applaudirt, erschien auch nach jedem Applaus sofort bei offener
0252Scene auf der Bühne, sich wieder und wieder verneigend.
0253Merkwürdig, daß auch die Anhänger des „Verismo“ in
0254Italien, die Verfechter der Naturwahrheit auf der Bühne,
0255ganz unempfindlich sind gegen diese groben Störungen des
0256dramatischen Zusammenhangs. Auch von der schlimmen Illu-
0257sion, daß jeder Applaus schon das Verlangen nach Wieder-
0258holung der betreffenden Scene bedeute, wird man die italieni-
0259schen Sänger schwer abbringen. In der ersten Aufführung
0260der „Pagliacci“ wurde gleich der Prolog applaudirt. Was
0261geschieht? Der Bassist Beltrami erscheint, bedankt sich und
0262macht dem Dirigenten gewisse Freimaurerzeichen, worauf
0263er den ganzen langen, langweiligen Prolog noch einmal ab-
0264singt. Dieses entsetzliche Ereigniß dürfte dem Publicum viel-
0265leicht zur Warnung dienen, nicht gar zu freigebig und aus-
0266dauernd mit seinem Applaus zu sein. Wir hatten in den
0267Pagliacci“ die Folgen dieser Unvorsichtigkeit recht oft zu
0268tragen, am schmerzlichsten nach einem das Glockengeläute
0269nachahmenden Bauernchor, welcher repetirt wurde, obwol
0270man bei dem tactweis wiederholten f c, f c der Bässe schon
0271beim erstenmal verrückt werden konnte. Um die Aufführung
0272machte sich insbesondere der Tenorist A. Garulli ver-
0273dient, ein guter Sänger und vortrefflicher Schauspieler. Auch
0274Signora Othon, die Herren Beltrami und Daddi 
0275trugen zu dem Erfolge des Maëstro Leoncavallo nach Kräf-
0276ten bei.


0277Weniger Stoff bietet uns eine zweite Novität, die ein-
0278actige Oper „Il Birichino“ von Leopoldo Mugnone.
0279Es wäre wirklich schwer, zu diesem langweiligen Rührstück
0280eine interessante, fesselnde Musik zu schreiben. Signor
0281Mugnone hat das auch nicht gethan. Wir bedauern die
0282redliche Mühe, die er sich gegeben; Mugnone ist ein guter
0283Musiker, dessen „edlere Richtung“ schon in unserer gestrigen
0284Notiz anerkannt, aber durch den Druckfehlerteufel in eine
0285„polare Richtung“ umgeheimnißt wurde. Möge er mit einem
0286anderen Textbuch glücklicher sein. Sein „Birichino“ ver-
0287schaffte uns übrigens die erfreuliche Bekanntschaft einer un-
0288gemein talentvollen jungen Sopranistin, Elvira Bram-
0289billa
, welche die schwierige Titelpartie, den fünfzehn-
0290jährigen Lolo, mit reizender Natürlichkeit spielte und sang.
0291Hoffentlich haben wir sie nicht zum letztenmale gehört.