0003Ed. H. Held der neuen Oper ist der niederländische
0004Maler Cornelius Schut, ein Rubensschüler dritter Ordnung,
0005von dessen Erlebnissen uns die Kunstgeschichte nur spärlich
0006berichtet. Möge ja Niemand die Mühe geschichtlicher Nach-
0007forschungen an unsere Novität wenden. Der Name des
0008Helden ist historisch, alles Uebrige freie Erfindung. Corne-
0009lius Schut (geboren 1597, gestorben 1655 in Antwerpen)
0010war, wie einer seiner Biographen sagt, ein so rüstiger
0011Maler, daß er im Laufe von wenigen Jahren reich wurde
0012und auf großem Fuße lebte. Er malte viel aus der Heiligen
0013Geschichte und Mythologie, war auch ein Hauptmitarbeiter
0014an den Blumenstücken des berühmten Jesuiten Daniel Seghers,
0015in dessen Gehänge und Kränze er biblische Scenen, meist Maria
0016mit dem Kinde, reliefartig Grau in Grau malte. Die kaiser-
0017liche Gemälde-Galerie in Wien besitzt von Schut ein für seine
0018ganze Art charakteristisches Bild: „Hero beweint den Leander“.
0019Der halbnackte Jüngling liegt todt auf dem Strand, zu
0020seinen Häupten steht Amor, der auf einen Pfeil getreten ist
0021und weinend ein Tuch an die Augen drückt; Hero, in gelber
0022Gewandung, starrt mit ausgebreiteten Armen schmerzerfüllt
0023gegen Himmel. Gemachter Idealismus und gequälte Alle-
0024gorie — aber, wie die Kenner sagen, flott gemalt. Dieser
0025dem großen Publicum bis auf den Namen fremde Maler
0026findet im Theater nicht die Bekanntschaft und die Sympa-
0027thien vor, wie etwa der von vier italienischen Operncompo-
0028nisten verherrlichte Rafael Sanzio. Dafür haben die Herren
0029Illica und Smareglia wenigstens den einen Vortheil, daß
0030sie ihrem Cornelius Schut unbehindert an- und aufrichten
0031können, was ihnen beliebt.
0032Zu Beginn der Oper sehen wir die Maler von Ant-
0033werpen in einer Schänke beisammen und hören von ihnen,
0034daß der früher so heitere Cornelius Schut trübsinnig und
0035Philosoph geworden sei. So producirt er sich auch selbst.
0036Aber bei dem Anblicke einer ihm begegnenden fremden
0037schönen Dame geräth der weltmüde Skeptiker sofort in helle
0038Flammen. Er spricht sie an, aber Elisabeth, so heißt das
0039Fräulein, antwortet mit keiner Sylbe und erreicht schweigend
0040ihre Wohnung. Natürlich erscheint sie alsbald auf dem
0041Balcon. Cornelius macht ihr von unten seine Liebeserklärung,
0042erklettert dann den Balkon und findet schnell Erhörung. Der
0043zweite Act spielt in der Umgebung von Antwerpen, am
0044Alkmarsee, wo die Liebenden heimlich ein Landhaus be-
0045zogen haben. Wie der erste Act geendet, so beginnt auch der
0046zweite: mit einem langen, langen Liebesduett zwischen Cor-
0047nelius und Elisabeth. Cornelius hat schon zwei Jahre
0048in seinem Landhäuschen gesteckt, ohne Sehnsucht nach der
0049Stadt zu empfinden. Da nahen sich die Maler, welche einen
0050Ausflug nach Alkmar unternommen, und begrüßen jubelnd
0051den langvermißten Freund. Sie erzählen von dem unge-
0052heuren Aufsehen, das sein neues Madonnenbild im Ant-
0053werpener Dom erregt, und wie sein Ruhm die ganze Stadt
0054erfülle — er möge doch mit ihnen zurückkehren! Cornelius
0055wäre dazu von Herzen gern bereit, aber Elisabeth zerfließt in
0056Thränen und hält ihn verzweifelt zurück. Vergebens bittet
0057er sie, mitzugehen und sich seines Ruhmes zu freuen; „O
0058komm’ mit mir, sei’s nur auf Tage, auf Stunden!“ Nein,
0059Elisabeth will weder den Geliebten begleiten, noch ihn fort-
0060lassen. Als er endlich mit dem Versprechen baldiger Rück-
0061kehr den Freunden zum Schiffe folgt, ruft sie in Ver-
0062zweiflung: „Die Liebe — oder das Kloster!“ Und
0063trotz der unglaublichen Dummheit dieses Verhaltens
0064der holden Elisabeth, schafft es doch den ganzen
0065Jammer und den tragischen Ausgang des Stückes.
0066Elisabeth ist wirklich Nonne geworden, weil Cornelius seine
0067Freunde nach Antwerpen begleitet; er findet später das
0068Landhaus leer und bleibt ohne jede Spur von der Ge-
0069liebten. Wir sehen ihn zu Anfang des dritten Actes in der
0070Kirche an einem Bilde malen, oder richtiger, vor der leeren
0071Leinwand in melancholischen Betrachtungen kauern. Da
0072vernimmt er im Mittelschiff der Kirche die Stimme Elisa-
0073beth’s. Er stürzt ihr zu Füßen und beschwört sie, durch
0074ihre Liebe ihn dem Leben wieder zurückzugeben. Umsonst.
0075„Ich bin des Himmels. Mein Herz ist todt für dich!“
0076Elisabeth entfernt sich mit den Nonnen. Cornelius aber malt
0077schnell das Bildniß Elisabeth’s als Madonna auf die Lein-
0078wand und sinkt todt zu Boden.
0079Die ganze Handlung, welche sich weit weniger für ein
0080Drama, als für eine psychologische Novelle eignet, spielt
0081nur zwischen Cornelius und Elisabeth, zwei mehr leidenden
0082als handelnden Personen. Für keine von beiden vermögen
0083wir uns zu erwärmen. Elisabeth folgt nur ihrem bornirten
0084Liebes-Egoismus, ihren „ahnungsvollen“ Träumen und ihrer
0085fixen Idee: die Liebe oder — das Kloster! Schut’s Charakter
0086erscheint verständlicher; daß er, wie seine Freunde behaupten,
0087ein ganz außerordentlicher Mensch ist, müssen wir freilich
0088auf Treu’ und Glauben hinnehmen. „Cornel strebt zu Höhen
0089des Menschengeistes, seines Genius Flug beschämt des Adlers
0090Kühnheit, furchtlos und ohne Zagen reißt er keck des
0091höchsten Himmels Allmacht herab“ — und was solcher Prah-
0092lereien mehr sind. Von ihm selbst bekommen wir in harten,
0093ungefügen Versen nur pessimistische Phrasen und liebestrunkene
0094Ausbrüche zu hören; er ist abwechselnd ein Stückchen Hamlet
0095und ein Stückchen Romeo — auf beiden Seiten gleich ver-
0096schwollen. Alle übrigen Personen, die sich um die Herzens-
0097geschichte der beiden Liebenden herumbewegen, sind im
0098Grunde überflüssige Nebenfiguren. Ein billiges Auskunfts-
0099mittel, die Freunde Schut’s durch historische Namen inter-
0100essant zu machen! Neben Franz Hals und Craesbecke,
0101die aus der Malergruppe individueller hervortreten, hat ein
0102Chorist als „Teniers“, ein anderer als „Breughel“,
0103ein dritter als „Brouwer“ je zwei Noten zu
0104singen. Die berühmten Namen fliegen nur so herum.
0105Man erwarte beileibe nicht ein Seitenstück zu Oehlenschlä-
0106ger’s bekanntem Künstlerdrama, wo drei große Maler,
0107Coreggio, Michelangelo und Giulio Romano, zusammen-
0108treffen und jeder in seinem Charakter und seiner künstleri-
0109schen Eigenart treffend individualisirt ist. Das Textbuch ist
0110im Geschmacke einer abgelaufenen Literaturströmung erfun-
0111den: der Künstler- und Klosterschwärmerei der romantischen
0112Schule. Im Schauspiele waren auch eine zeitlang die
0113Malerdramen in Mode. Nach Oehlenschläger’s „Coreggio“ [2]
0114insbesondere „Van Dyck’s Landleben“. Da stellten die an-
0115muthigsten Situationen Rubens’sche Bilder dar; Scenen
0116aus dem Soldaten-, Bürger- und Bauernleben sollten
0117gleichsam die niederländische Malerschule repräsentiren.
0118Aehnliches scheint dem Textdichter in den Volksscenen seines
0119„Cornelius Schut“ vorgeschwebt zu haben, aber die Wirkung
0120versagt, weniger durch seine, als des Componisten Schuld.
0121Antonio Smareglia hat sich in Wien vor fünf Jahren
0122mit seinem „Vasall von Szigeth“ nicht unvortheilhaft ein-
0123geführt. Bedeutet „Cornelius Schut“ einen Fortschritt nach
0124jenem ersten Werke? In formaler und technischer Beziehung
0125gewiß. Die Musik der neuen Oper ist einheitlicher, vor-
0126nehmer im Styl und noch sorgfältiger, scrupulöser in der
0127Ausführung. Auch die Wahl des Textbuches bezeugt einen
0128ästhetischen Fortschritt, denn mit der unsäglich brutalen
0129Handlung des „Vasall von Szigeth“ zeigt „Cornelius
0130Schut“ keine Verwandtschaft. Einen musikalischen Vorzug
0131möchte ich dennoch der älteren Oper nachrühmen: ihre Chöre
0132und Tänze im zweiten Acte haben ungleich mehr Leben und
0133Frische, als die analogen Volksscenen in „Cornelius Schut“.
0134Im Wesentlichen ist Smareglia’s musikalischer Charakter
0135derselbe geblieben: er neigt entschieden zum Weichen, Senti-
0136mentalen, Schwärmerischen. Auch in „Cornelius Schut“ sind
0137die zarten, gefühlvollen Partien die besten. So die Duette Elisa-
0138beth’s mit Cornelius, oder wenigstens Stücke daraus. Diese
0139drei Liebesduette im ersten, zweiten und dritten Acte verhalten
0140sich dramatisch zu einander wie Eroberung, Besitz und Verlust.
0141Zu lang sind sie alle drei; auch fehlt ihnen das Gegen-
0142gewicht kraftvoller, farbenfrischer Musikstücke. Dazu boten die
0143zechenden Maler, die Spaziergänger, die Kirmeß, die Schiffer-
0144und Brummchöre Gelegenheit genug. Aber hier zeigt sich
0145der Componist auffallend schwerblütig, temperamentlos und
0146von dürftiger Erfindung. Auch vermissen wir in seinen
0147Volksscenen nationale Charakteristik. Nichts als die Deco-
0148rationen und Costüme erinnern daran, daß wir uns auf
0149niederländischem Boden befinden. Der Musik nach könnte
0150dieses Antwerpen in jeder beliebigen Gegend liegen —
0151Italien natürlich ausgenommen, denn weder Signor Sma-
0152reglia noch seine Landsleute verstehen mehr italienische Musik
0153zu machen. Diese „Volksscenen“ schmachten nach einer ein-
0154leuchtenden frischen Melodie und keckem Rhythmus. In zwei
0155Figuren, dem Maler Craesbecke und dem Modell Gertrud,
0156nimmt Smareglia einen kurzen Anlauf zu realistischer Fär-
0157bung; aber wie vor seiner eigenen Kühnheit erschrocken, kehrt
0158er schnell wieder um.
0159Wenn ich schon nach dem „Vasall von Szigeth“
0160Smareglia einen Künstler nannte, dessen Streben, Wissen
0161und Können unsere volle Achtung erzwingt, so gilt dies
0162noch viel mehr von seinem „Cornelius Schut“. Aber der
0163Respect ist’s ja nicht, womit einem dramatischen Compo-
0164nisten gedient sein kann. Erheben, erschüttern, fortreißen soll
0165er uns, wenigstens unterhalten. Das gelingt unserem Maëstro
0166äußerst selten und gleichsam nur im Vorübergehen. Er sucht,
0167was ihm an schöpferischer Kraft und starker Sinnlichkeit
0168fehlt, durch kunstreiche Detailarbeit und psychologische
0169Grübelei zu ersetzen. Oder sollte er die Naivetät, die
0170Freude am sinnlich Schönen, diese angeborene Mitgift des
0171Italieners, absichtlich erstickt haben, um sich zum „Dra-
0172matiker“ im Sinne Wagner’s zu machen? Schon „Der
0173Vasall von Szigeth“ verrieth ein genaues Studium
0174Wagner’s. Noch gründlicher hat sich „Cornelius Schut“
0175an Wagner’scher Musik vollgesogen. Die endlos, formlos
0176sich fortschleppende Cantilene, die scharf accentuirte Declamation,
0177der Aufwand einer effectvollen, aber ruhelosen und vordringlichen
0178Instrumentirungskunst — das Alles verräth den zu Wagner’s
0179Fahne übergegangenen abtrünnigen Italiener. In den
0180Volksscenen des ersten Actes bemüht sich Smareglia mit
0181sehr schwachem Erfolge, das Durcheinander der einzelnen
0182Stimmen in den „Meistersingern“ nachzuahmen. Das macht
0183Wagner eben viel besser. Und wenn im zweiten Acte die
0184Maler den wiedergefundenen Cornelius begrüßen und zur
0185Rückkehr bewegen („Kehr’, o Cornel, zu uns zurück“!), so
0186mahnt die ganze Situation so lebhaft an das erste Finale
0187im „Tannhäuser“, daß man gern etwas mehr von
0188Wagner’s Musik dazu hören möchte. Aber der junge
0189Wagner ist den heutigen Italienern schon zu melodiös. An-
0190klängen, sehr starken Anklängen aus Wagner’s späteren Opern
0191begegnen wir in „Cornelius Schut“ jeden Augenblick. Ueber-
0192wiegend herrscht in der ganzen Oper der weichlich oder auf-
0193geregt sentimentale Ton. Wie gerne gäben wir ganze Seiten
0194dieses gefühlsschwelgerischen declamirten Singsangs für eine ein-
0195zige schön gewachsene, reinliche Melodie, die sich frei bewegt und nicht
0196auf einem instrumentalen Ameisenhausen sitzt! Wie überdrüssig
0197sind wir dieses allzeit bedeutsamen und nachdrücklichen Musik-
0198styls, welcher jedes Wort des (ohnehin unverständlichen)
0199Textes im Orchester dick unterstreicht, roth, grün, blau
0200unterstreicht, so daß wir Wichtiges von Unwesentlichem
0201kaum mehr unterscheiden und nur lauter Farbenkleckse sehen,
0202keine einzige deutlich umrissene Zeichnung! Mancher geist-
0203reiche, fein empfundene Zug in Smareglia’s Partitur geht
0204rettungslos verloren in dem Nebel ihrer aufgeregten Mono-
0205tonie. So machte denn „Cornelius Schut“, wenn ich richtig
0206beobachtet habe, auf das Publicum schließlich den Eindruck
0207achtungsvoller Langweile. Und wenn die Langweile vorhält,
0208wird selbst die Achtung ärgerlich.
0209Die sehr beifällige Aufnahme der ersten Aufführung
0210haben wir gestern bereits gemeldet. Herr Smareglia mußte
0211mit den Darstellern der Hauptrollen wiederholt dankend
0212hervortreten. Applaus und Hervorruf nahmen aber nach
0213dem letzten Acte, als der größte Theil des Publicums sich
0214bereits entfernt hatte, einen so demonstrativ lärmenden
0215Charakter an, daß man sie schwerlich für den Ausdruck der
0216allgemeinen Meinung halten konnte. Aus persönlicher Sym-
0217pathie für den kenntnißreichen, ehrlichen und bescheidenen
0218Componisten möchte ich seinem „Cornelius Schut“ eine an-
0219sehnliche Reihe von Wiederholungen wünschen. Die nächste
0220Zukunft wird lehren, ob das Werk sich aus eigenen Mitteln
0221zu behaupten vermag. Von Seite der Aufführung war nichts
0222verabsäumt. Glänzend lösten der Chor und das Orchester
0223ihre schwierigen Aufgaben unter der Leitung des Hofcapell-
0224meisters Hanns Richter. Herrn Van Dyck’s feuriger
0225Gesangsvortrag und schauspielerisches Talent gestalteten die
0226Figur des Cornelius Schut so interessant wie möglich.
0227Fräulein Lola Beeth, ein Frauenbild wie kein Nieder-
0228länder ein schöneres gemalt hat, entsprach auch als Dar-
0229stellerin den Anforderungen ihrer Rolle. Zum Schlusse
0230zollen wir auch Frau Warnegg, Fräulein Lederer,
0231den Herren Grengg und Neidl gerne den Dank,
0232welchen die Rollen selbst ihnen schuldig geblieben sind.