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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 11259. Wien, Samstag, den 28. December 1895

[1]

Zur Biographie Franz Liszt’s.


0002Ed. H. Noch immer strömen neue Beiträge aus Liszt’s
0003Correspondenz, dieser unerschöpflichen Quelle. Zuerst kam
0004der hochbedeutende Briefwechsel Liszt-Wagner, dann folgten
0005zwei Bände Briefe von Liszt und dessen „Briefe an eine
0006Freundin“. Nun liegen zwei weitere Bände vor uns: dies-
0007mal nicht Briefe von, sondern an Liszt.*) Die Heraus-
0010geberin der früher genannten Sammlungen, Frau La
0011Mara
, erwirbt sich damit ein neues Verdienst. Durchaus
0012interessant als Geistesproducte und Bekenntnisse so vieler
0013bedeutender Zeitgenossen Liszt’s, werfen diese Briefe auf den
0014Empfänger selbst einen hellen Widerschein. Es sind darunter
0015wenige, in welchen Liszt („l’homme le plus abusé“, wie
0016ihn H. W. Ernst nennt) nicht um irgend etwas ge-
0017beten würde; bald soll er jungen Componisten Verleger
0018schaffen, Concertgebern Empfehlungsschreiben senden, bald
0019hohenorts die Genehmigung von Dedicationen oder gar Orden
0020erwirken. Und wenn wir nur wenige Seiten weiter blättern,
0021so sagt uns gewiß ein Dankbrief desselben Schreibers, daß
0022Liszt die Bitte erfüllt hat. Seine Autorität und sein Einfluß
0023waren ebenso groß, wie seine Gefälligkeit, seine Herzensgüte.
0024Diese aus den verschiedensten Kreisen stammenden Briefe,
0025gegen 500 an der Zahl, geben zusammen ein ganz einziges
0026Bild von Liszt’s Weltverkehr, wie er bei keinem anderen
0027Musiker je seinesgleichen fand. Die Herausgeberin durfte
0028den ganzen handschriftlichen Schatz des Weimarer „Liszt-
0029Museums“, dieser schönen Stiftung der Fürstin Marie
0030Hohenlohe in Wien, unbeschränkt benützen. Als willkommenen
0031charakteristischen Schmuck hat sie jedem Briefe die auto-
0032graphirte Unterschrift des Verfassers beigegeben.


0033Wenn wir die erste Abtheilung aufschlagen: „Virtuosen-
0034und Wanderjahre 1824 bis 1847“, so überrascht uns gleich auf
0035der ersten Seite ein interessanter Brief unseres Karl Czerny 
0036aus Wien. Er schreibt an seinen „lieben Franzi“ nach London,
0037wo sein junger Zögling erfolgreiche Concerte gibt. Czerny 
0038titulirt ihn mit „Er“ und gibt ihm väterliche Ermahnungen:
0039„Er wird nie vergessen, daß, je größer der Ruf und der
0040Enthusiasmus des Publicums ist, desto schwerer und wich-
0041tiger es ist, sich darin zu erhalten, und daß das Urtheil ein-
0042zelner wahrhaft großer Meister und Kenner mehr werth ist
0043und länger dauert, als das einstimmige Klatschen der
0044Menge.“ Erst viele Jahre später weicht das pädagogische
0045„Er“ dem höflichen „Sie“. Das Verhältniß hat sich um-
0046gekehrt: der alte Czerny schickt seinem berühmten Schüler 
0047nach Weimar einige seiner „eigenen Scriblereien“ und
0048empfiehlt sie dessen „schützender Meisterhand“. ... Aus
0049Liszt’s erster Pariser Zeit datirt einer der merkwürdigsten
0050Briefe von George Sand, Ausbrüche einer leiden-
0051schaftlich erregten, fast verzweifelnden Seele. Sie bittet
0052den Freund, sie nicht zu besuchen, da sie in ihrer
0053schmerzlichen Lage, eine Beute tiefsten Kummers und
0054grausamer Zweifel, auch von der echtesten Theil-
0055nahme keinen Trost erwarte. „Ich will abreisen, um
0056eine tiefe, schreckliche Leidenschaft in mir zu ersticken. Schwerlich
0057wird das mir zu irgend etwas nützen, denn jeder neue Tag
0058läßt mich an meiner Willensfreiheit zweifeln. Sie werden
0059mir bezeugen, daß ich in den Tagen meines größten Schmerzes
0060den Urheber meiner Leiden nicht angeklagt habe. Daß ich
0061fliehe, beweist meine Schwäche, nicht meine Stärke. Meine
0062Vernunft und meine Religion verlassen mich. Gott weiß,
0063was aus mir wird. Meine Seele ist vielleicht für immer
0064verloren.“ Von berühmten deutschen Frauen begegnen wir um
0065diese Zeit Bettina Arnim. Trotz ihrer 60 Jahre bleibt
0066sie immer „das Kind“, dessen Naivetät nicht leicht von
0067Affectation zu unterscheiden ist. Natürlich duzt sie ihn. „Ist
0068es schwer“ — so beginnt ihr erster Brief an Liszt —
0069„mir zu schreiben, so ist es auch schwer, von dir gelesen zu
0070werden. Es ist das Tiefste und Innigste, was auch das
0071Einfachste ist. Dies allein kann dem Freund etwas gelten.
0072Wie das Kind vom Schlaf befallen wird, während es Nah-
0073rung saugt, so geht mir’s, ich muß gleich träumen, wenn
0074ich an dich denken will. Du bist ein Organ der Zeit; ich 
0075weiß auch Wie und Warum, aber ich bin mit im Werden
0076in dir begriffen und muß mich leidend verhalten.“ Je weiter
0077desto enthusiastischer und unverständlicher wird die poetische
0078Dame: „Du, der das Haupt untertaucht in den Quellen der
0079Harmonie, wie könntest du nach Anderem dich sehnen, als nach
0080Ihr, die eines Vaters Tochter ist, der des Himmels Schöpfer
0081ist und der Erde nach der Natur!“


0082Ernest Legouvé, einer der wenigen noch Ueberlebenden
0083aus jenem glänzenden Pariser Künstlerkreis von 1830 bis
00841840, ist durch einen Brief vertreten, indem er ebenso
0085geistreich wie vornehm eine Verstimmung Liszt’s besänftigt.
0086Letzterer war verletzt davon, daß Legouvé in einem musikali-
0087schen Essai Chopin über Liszt gestellt habe. Legouvé be-
0088dauerte sehr, dem Freunde unabsichtlich weh gethan zu haben,
0089hält jedoch seine individuelle Meinung aufrecht und erklärt
0090sie folgendermaßen: „Was mir in den Künsten den höchsten
0091Rang zu verdienen scheint, ist die Einheit, die Vollständig-
0092keit. Chopin, so glaube ich, ist ein Ganzes; Composition und
0093Ausführung, Alles ist bei ihm in Uebereinstimmung und
0094von gleichem Werth; sein Spiel und seine Werke sind zwei
0095von ihm gleichmäßig geschaffene Dinge, die sich gegenseitig
0096unterstützen und in ihrer Art vollkommen sind. Chopin ist
0097zur Verwirklichung seines Ideals gelangt. Sie im Gegen-
0098theil, sind erst auf dem halben Weg Ihrer Entwicklung; der
0099Virtuose steht auf der Höhe, aber der Componist ist ein
0100wenig zurückgeblieben. So ist es, so muß es sein. Noch
0101kämpfen zu viele Ideen in Ihrer Phantasie. An dem Tag,
0102wo der innere Liszt zum Vorscheine kommen wird, an
0103dem Tag, wo diese wunderbare Macht der Ausführung ihre
0104Ergänzung gefunden in einer ebenbürtigen Kraft der Com-
0105position — an diesem Tag wird man nicht mehr sagen, Liszt 
0106sei der erste Pianist in Europa — man wird ein anderes
0107Wort finden. Eugen Sue wird Ihnen bestätigen, daß ich der-
0108jenige bin, der ihm am meisten Böses über seine Werke
0109sagt; das ist sehr einfach: ich liebe ihn, ich kenne ihn und
0110bin wüthend, zu sehen, daß seine Bücher weniger Talent be-
0111sitzen, als er. Können Sie mir verübeln, daß der Liszt, den
0112ich in der Zukunft sehe, mich verhindert, den Liszt von heute
0113ebenso sehr zu bewundern?“

[2]


0114Von Heine finden wir nur zwei kurze Billette aus
0115dem Jahre 1844, welche eben den Keim zu bleibendem
0116Zerwürfnisse zwischen den beiden Männern enthalten. Im
0117ersten ersucht Heine um Karten zu Liszt’s Concert, im
0118zweiten erbittet er sich Liszt’s Besuch. „Ich habe bereits
0119einen ersten Artikel über Sie geschrieben, den ich vor Ihrem
0120zweiten Concerte fortschicken möchte, und es steht vielleicht
0121etwas darin, was Ihnen nicht gefiele; deßhalb ist es mir
0122ganz recht, daß ich Sie erst spreche.“ Liszt scheint die von
0123Heine ihm vorgelesenen Stellen übel genommen und heftig
0124erwidert zu haben. Hierauf hat Heine den Artikel mit noch
0125schärferen Spitzen und einem geringschätzigen Schlußwort
0126versehen. Heine soll gegen Liszt aufgebracht gewesen sein,
0127weil ihm dieser die verlangten Concert-Billette nicht zu-
0128geschickt habe. Solche Züge kleinlicher Rachsucht sind leider
0129nicht selten bei Heine; sein Talent und seine Lust, zu ver-
0130letzen, erprobte er ohneweiters auch gegen Freund. Blättern
0131wir weiter nach den großen Namen des damaligen Frank-
0132reich, so stoßen wir gleich auf Lamartine. Er bittet
0133Liszt nach Mouceau zu Tische. „Wir speisen zu welcher
0134Stunde Sie wollen. Es steht kein Clavier da. Wir wollen
0135Sie und nicht Ihre Hände.“


0136Gegen Ausgang der Vierziger-Jahre erscheint Hector
0137Berlioz immer häufiger unter den Briefschreibern. Die
0138lebhafte Sympathie, welche Liszt jedem genialen Künstler zu-
0139wendete, welcher neue Wege einschlug, ist auch Berlioz zeit-
0140lebens zu statten gekommen. Zuerst half Liszt durch seinen
0141von Robert Schumann bewunderten Clavierauszug der
0142Sinfonie fantastique“ dieses Werk verbreiten, später, in
0143seiner Weimarer Zeit, war er unermüdlich in Vorführung
0144der in Deutschland noch wenig bekannten Berlioz’schen
0145Werke. Berlioz, bekanntlich ein leidenschaftlicher Raisonneur,
0146beginnt seine Briefe aus dem Jahre 1848 mit heftigen An-
0147griffen auf die französische Regierung, „diese Leute, welche
0148vorgeben, uns zu regieren, und den Ruin der Musik
0149decretiren“. Von London heimgekehrt, habe er im Pariser
0150Conservatorium eine Commission von zehn Einfaltspinseln
0151vorgefunden, welche die Aufhebung des Bibliothekarpostens
0152beschlossen haben. Wenn der Minister, wie vorauszusehen, 
0153zustimmt, werde er (Berlioz) von ein paar Feuilletons leben
0154müssen, welche jetzt nur zu halbem Preise bezahlt werden,
0155oder gar nicht. Berlioz ist entzückt von Liszt’s Antrag, die
0156Oper „Benvenuto Cellini“, die seit ihrem Pariser
0157Fiasco vom Jahre 1838 vollständig vergessen war,
0158in Weimar aufzuführen. „Ich habe diese Oper jetzt
0159durch 13 Jahre ernsthaft geprüft und schwöre, daß ich
0160diese Cellini’sche Gewalt, diesen Aufschwung und Ideenreich-
0161thum niemals wiederfinden werde. Aber die Aufführung ist
0162jetzt nur noch schwieriger, da die Theaterleute, insbesondere
0163die Sänger, keine Spur von Humor besitzen.“ Zur Auf-
0164führung in Weimar kündigt Berlioz sein Erscheinen an;
0165Liszt’s Vorschlag, ein Concert vorausgehen zu lassen, hält
0166Berlioz für unmöglich, denn die Oper dauert drei Stunden
0167und „das deutsche Publicum muß um zehn Uhr im Bette
0168liegen“! Nachdem der „Benvenuto Cellini“ auch in der
0169italienischen Oper in London von Anfang bis zu Ende
0170ausgezischt worden und am nächsten Tage zurückgezogen
0171war, schreibt Berlioz an Liszt: „In meinem Kopfe tobt ein
0172großer Conflict zwischen der Liebe zur Kunst und dem Ekel,
0173zwischen dem Ueberdruß des Bekannten und der Sehnsucht
0174nach dem Unbekannten. Die Musik, so wie wir sie ver-
0175stehen, ist eine Millionärkunst! Sie braucht Millionäre.
0176Mit den Millionen verschwindet jede Schwierigkeit, erleuchtet
0177sich jede Intelligenz, wird der Marmorblock ein Gott und
0178das Publicum ein Mensch. Und kein Monarch, kein Roth-
0179schild, der das begreift!“ — Liszt bemühte sich auch, den
0180Cellini“ an der Dresdener Hofoper anzubringen; aber erst
0181vierunddreißig Jahre später gelangte die Oper dort zur
0182Aufführung.


0183Mit Liszt’s Niederlassung in Weimar tritt eine große
0184Zahl neuer Correspondenten auf den Schauplatz. Zuerst
0185Dingelstedt, dessen Briefe, flott und burschikos ge-
0186schrieben, ein seltsames Gemisch von deutschen und franzö-
0187sischen Sätzen bilden. Er fühlt sich unbehaglich in seiner
0188Stellung als Bibliothekar in Stuttgart und sucht (bereits
01891845!) durch Liszt Anknüpfung mit Weimar. Er schreibt:
0190„Cher excellent! Riemer ist zu Weimar gestorben. Gott 
0191hab’ ihn selig: er war ein langweiliger, alter —. Weise 
0192für die Stelle des Ober-Bibliothekars in Weimar auf mich 
0193hin. Das Geschäft verstehe ich durchaus, und die Person 
0194kriegen sie drein, auch noch das Talent meiner Frau, die
0195für die Gesellschaft dort eine Acquisition wäre. Hier bleib’
0196ich nicht. Es ist mir zu „gemüthlich.“ Dingelstedt’s Wunsch,
0197gemeinsam mit Liszt das Weimarer Theater zu leiten, ging
0198erst zwölf Jahre später in Erfüllung.


0199Ein ergreifendes Bild bedrückten Künstlerlebens und
0200verschämter Armuth bietet ein Brief von dem später be-
0201rühmt gewordenen Componisten der „Verkauften Braut“,
0202Friedrich Smetana in Prag. Voll Vertrauen wendet sich
0203der 24jährige, völlig mittellose Musiker an Liszt. „Meine
0204Conditionen bringen mir monatlich 12 fl. CM., so daß ich
0205gerade so viel habe, um nicht zu verhungern. Meine Com-
0206positionen kann ich nicht drucken lassen, weil ich daraufzahlen
0207müßte und leider mir nicht so viel ersparen kann. In
0208meiner Noth, ohne Aussicht auf Hilfe, ohne Freund, fuhr
0209es wie ein Blitz durch meine Gedanken — der Name
0210Liszt auf einem Musikstücke, das auf meinem Tische lag,
0211bewog mich, Ihnen, dem Künstler ohne Gleichen, von dessen
0212Großmuth alle Welt redet, Alles zu vertrauen.“ Er bittet
0213Liszt, sein Opus 1 anzunehmen und es drucken zu lassen.
0214Aber noch eine größere Bitte fügt er hinzu: um ein Dar-
0215lehen von 400 fl.! Smetana möchte eine Musik-Bildungs-
0216anstalt errichten. „Wenn ich nur so viel Geld hätte, um
0217eine Wohnung miethen zu können und wenigstens zwei
0218Instrumente anzuschaffen, so wäre meine Existenz gedeckt. Ich
0219besitze kein Instrument; ein Freund erlaubt mir, bei ihm
0220zu üben.“ Liszt half wie immer.


0221Nicht ohne Rührung wird man den Brief lesen, in
0222welchem Ottilie v. Goethe die Oper ihres Sohnes Walther
0223v. Goethe, behufs einer Aufführung in Berlin, Liszt 
0224empfiehlt: „Ich wollte Ihnen nicht gleich schreiben, denn es
0225erschien mir so zudringlich; es sah aus, als wenn ich nun
0226gleich aus dem zarten flüchtigen Seidenfaden unserer Be-
0227kanntschaft ein Ankertau drehen wollte. Es war Unrecht von
0228mir, daß ich nicht so aussehen wollte, denn es war ja
0229wahr.“ Liszt’s guter Wille und Einfluß waren gewiß auch
0230diesmal so stark wie immer, aber das Talent Walther’s [3]
0231v. Goethe war zu schwach. Es scheint nicht, daß seine Oper 
0232irgendwo zur Aufführung gelangt ist. Zwei Tonkünstler, die
0233nun häufiger und mit längeren Briefen an Liszt heran-
0234kamen, sind Robert Volkmann und Robert Franz.
0235Liszt hat bekanntlich Beide hochgeschätzt und kräftig gefördert.
0236Volkmann übersendet ihm aus Pest (1850) eine seiner
0237ersten Compositionen, das Claviertrio in B-moll, mit der
0238Bitte um Liszt’s Urtheil und um dessen guten Rath, wie
0239er für diese und ähnliche Compositionen „am ersten einen
0240Erfolg hoffen könne?“ Wie mit Volkmann verhält es sich
0241mit Robert Franz. Liszt macht Beide durch rühmende
0242Aufsätze dem größeren Publicum bekannt, vermittelt ihnen
0243Dedicationen u. s. w. Robert Franz schreibt (wol Liszt zu-
0244liebe) auch einige Artikel zu Gunsten der Zukunftsmusiker,
0245obwol er „von dem unseligen Parteiwesen kein Heil für die
0246Kunst erblicken kann.“ Aber groß ist sein Schrecken, als
0247sein Schwager, Dr. Hinrichs, eine geistvolle Broschüre 
0248gegen Wagner veröffentlicht und Robert Franz von
0249mancher Seite für ein bischen mitschuldig gehalten wird. „Hätte
0250ich ahnen können, welche Folgen meines Schwagers Arbeit
0251für mich mit sich bringen würde — keine Sylbe hätte er
0252schreiben dürfen!“


0253Den schwärmerischen Freundinnen Liszt’s bringt das
0254Jahr 1849 mancherlei Befürchtungen. Die geistvolle Schau-
0255spielerin Charlotte v. Oven, geborene v. Hagen, schreibt:
0256„Sonst gaben doch noch die Zeitungen Nachricht über Sie,
0257jetzt liest man nur Politik. Wenigstens hoffe ich, daß diese
0258Wirren keinen Bezug haben auf jene mystische Stelle Ihres
0259Briefes, worin es heißt, „sie sei ernst und entscheidend für
0260Ihr Schicksal“. Ich dachte zuerst an den ungarischen Krieg,
0261und das stimmte mich sehr ernst — dann fiel es mir ganz
0262heiß aufs Herz: Heirat! Und ich bekam beinahe ein
0263Fieber, denn jetzt erst weiß ich, welches Uebel in der Welt
0264das größte ist, und wollte, ich hätte die tugendhafteste Hand-
0265lung meines Lebens nicht begangen. Vorbei, vorbei!“
0266Eine andere Freundin, die italienische Fürstin Belgio-
0267joso
, hält ihm eine kleine politische Strafpredigt: „Ihr
0268Vaterland ist jetzt unterlegen wie das meine. Wie ist es
0269möglich, lieber Liszt, daß Sie nicht theilnehmen an dem 
0270Kampfe? Ist Ungarn nicht Ihr Vaterland? Thatsächlich
0271und nach Ihrer Wahl? Ich glaubte Sie längst jenseits der
0272Donau.“ Liszt war viel zu vernünftig dazu. — Die Briefe
0273von Robert und Clara Schumann (meistens schreibt sie
0274im Namen ihres Mannes) sind fast durchaus ganz prak-
0275tischen, sachlichen Inhalts, Concertreisen betreffend, wichtige
0276Aufführungen in Leipzig oder Weimar u. dgl. Um so auf-
0277fallender sticht ein einzelner Brief Schumann’s davon ab.
0278Er betrifft die Composition „Faust’s Verklärung“, nach
0279welcher Liszt sich erkundigt hatte. Nun scheint Schumann 
0280ein abschätziges Wort Liszt’s über Musik und Musiker in
0281Leipzig übel vermerkt zu haben; es reizt ihn zu folgender
0282Auslassung: „Würde Ihnen, lieber Freund, die Composition
0283nicht vielleicht zu leipzigerisch sein? Oder halten Sie
0284Leipzig doch für ein Miniatur-Paris, in dem man auch
0285etwas zu Stande bringen könne? Im Ernst — von Ihnen,
0286der so viele meiner Compositionen kennt, hätte ich
0287etwas Anderes vermuthet, als in Bausch und
0288Bogen so ein Urtheil über ein ganzes Künstlerleben aus-
0289zusprechen. Wahrlich, sie waren doch nicht so übel, die
0290in Leipzig beisammen waren — Mendelssohn, Hiller, Benett 
0291und Andere; mit den Parisern, Wienern und Berliner
0292konnten wir es allenfalls auch aufnehmen. Gleicht sich aber
0293mancher musikalische Zug in dem, was wir componirt, so
0294nennen Sie es Philister oder wie Sie wollen, alle verschie-
0295denen Kunstepochen haben dasselbe aufzuweisen, und Bach,
0296Händel, Gluck, später Mozart, Haydn, Beethoven sehen sich
0297an hundert Stellen zum Verwechseln ähnlich (doch nehme
0298ich die letzten Werke Beethoven’s aus, obgleich sie wieder
0299auf Bach deuten). Ganz originell ist Keiner. So viel
0300über Ihre Aeußerung, die eine ungerechte und beleidigende
0301war. Im Uebrigen vergessen wir das Alles — ein Wort
0302ist kein Pfeil — und das Vorwärtsstreben die Hauptsache.“
0303Dies ist wol der einzige Brief in der ganzen großen
0304Sammlung, welcher einen Vorwurf gegen Liszt enthält.
0305Hingegen mußte er manche Klage über Extravaganzen seiner
0306Schüler und Verehrer anhören. So hatte Hanns v. -
0307low
die große Sängerin Henriette Sonntag (Gräfin
0308Rossi) bei Gelegenheit ihres Auftretens in Weimar in einem 
0309scharfen Artikel — seinem ersten schriftstellerischen Debüt —
0310angegriffen, und nicht blos als Künstlerin. Auch hier hatte
0311Klatschsucht sich geregt und, wenigstens in halben Andeu-
0312tungen, Liszt als nicht ganz unbetheiligt an jener Kritik
0313bezeichnet. Die Künstlerin bedauert, daß die glaubwürdigen
0314Aufklärungen, welche Liszt ihr persönlich gegeben, leider keine
0315Wirkung auf die irregeleitete öffentliche Meinung üben können.
0316„Das ist schlimm und läßt sich nicht wieder gutmachen.“


0317Die Correspondenz Liszt’s beschränkte sich keineswegs
0318auf Künstler; unter den Briefstellern finden wir Namen
0319vom höchsten Range. König Friedrich Wilhelm IV., die
0320Prinzessin Augusta, nachmalige Kaiserin von Deutschland,
0321der Fürst von Hohenzollern-Hechingen, Herzog Ernst von
0322Coburg-Gotha — sie Alle schreiben an Liszt eigenhändig
0323und in liebenswürdigstem, fast freundschaftlichem Tone. Der
0324Herzog Ernst wendet sich in seiner Eigenschaft als Opern-
0325componist an Liszt, und in dieser Beziehung ist sein Brief
0326sehr charakteristisch. Im Begriffe, ein Libretto von der
0327Birch-Pfeiffer zu componiren, wünscht der Herzog, Liszt 
0328möchte zwischen ihm und R. Wagner den Vermittler
0329machen. „Ich habe bereits über die Hälfte des ersten Actes
0330fertig. Nun tritt die große Frage in Bezug auf die In-
0331strumentation hervor. In keiner Weise habe ich Lust, diese
0332schwere Aufgabe Lampert (Hofcapellmeister zu Gotha) oder
0333einem unbedeutenden Componisten zu übertragen; wer ließe
0334sich aber besser vorschlagen, als unser genialer Wagner?
0335Hier handelt es sich also nur darum, ob er geneigt ist, den
0336bereits fertigen Musikstücken die Instrumentation anzupassen
0337und, sozusagen, die letzte Hand ans Werk zu legen. So viel
0338ich höre, soll Wagner wenig beschäftigt und nicht in
0339brillanten Umständen sein. Vielleicht kommt es ihm gelegen,
0340in wenig Monaten 100 Louisd’or zu verdienen. Alles dies
0341ist jedoch Nebensache, wenn es ihm im Ganzen Freude
0342macht, an einem Werke theilzunehmen, das ja doch nicht
0343seinen Namen tragen dürfte.“ Es ist begreiflich, daß
0344Wagner, der eben mit Leib und Seele an seinen Nibelungen 
0345arbeitete, auf diesen gutgemeinten Antrag nicht einging.
0346Eher könnte man sich denken, daß Liszt ihm gar nichts
0347davon gesagt habe.

Fußnoten
  • *)Briefe hervorragender Zeitgenossen an Franz Liszt.“ Heraus-
    gegeben von La Mara. (Leipzig bei Breitkopf & Härtel, 1895.)