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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr 11405. Wien, Sonntag, den 24. Mai 1896

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Billroth in seinen Briefen. I.


0002Ed. H.*) Die Sammlung von 530 Billroth-Briefen,
0006mit deren Anordnung und Herausgabe Dr. Georg Fischer 
0007in Hannover sich ein unschätzbares Verdienst erworben hat,
0008liegt soeben in zweiter vermehrter Auflage vor uns. Die
0009überraschend kurze Frist, in welcher die erste Auflage (1895)
0010vergriffen war, beweist die dankbare, ja enthusiastische Auf-
0011nahme dieses ganz einzigen literarischen Denkmals. Billroth 
0012selbst hat wol nie einen Augenblick an die Möglichkeit solcher
0013Veröffentlichung gedacht; danken wir seinem Collegen Dr.
0014Fischer, daß er durch die Bescheidenheit des Lebenden sich
0015nicht abhalten ließ, so werthvolle Mittheilungen, Urtheile,
0016Schilderungen und Selbstbekenntnisse des Abgeschiedenen für
0017immer der Vergessenheit zu entreißen.


0018Beim ersten Durchblättern der Sammlung dürfte das
0019nichtärztliche Publicum sich vielleicht etwas enttäuscht fühlen
0020durch das starke Ueberwiegen der speciell medicinischen
0021Stücke. Die an Aerzte gerichteten Briefe füllen mehr als
0022zwei Drittheile des Buches, vollends wenn man die aus-
0023schließlich dem Neubau der chirurgischen Klinik betreffenden
0024(an den Architekten Hofrath Gruber) hinzurechnet. Mancher Leser
0025zieht hastig die Fühlhörner zurück, wenn er auf breite Erörterungen
0026über chirurgische Technik, schwierige Operationen, klinische Ein-
0027richtungen und Aehnliches stößt, das für uns chinesisch ist.
0028In zahlreichen Briefen beantwortet Billroth specielle An-
0029fragen von Fachgenossen und sucht auch wiederum bei
0030Autoritäten Aufklärung über einzelne ihm zweifelhafte Punkte.
0031Wie jeder ehrliche, von Selbstvergötterung verschonte Meister
0032hat Billroth niemals aufgehört zu lernen, sich nie genirt, zu
0033fragen. Beim Anblicke so zahlreicher Briefe an ärztliche
0034Collegen kam mir anfangs der Zweifel, ob es nicht vielleicht
0035besser gewesen wäre, dieselben, abgesondert von den übrigen,
0036herauszugeben. Eingehendere, gesammeltere Lectüre heilte
0037mich jedoch von diesem Bedenken. Fürs erste würde durch
0038diese Ausscheidung oder Zweitheilung die chronologische An-
0039ordnung des Ganzen zerstört, welche Billroth’s Lebenslauf
0040hier von seiner Studentenzeit bis zu Ende so schön und
0041vollständig vor uns entfaltet. Nur so gewinnen wir ein 
0042Bild von seiner unvergleichlichen Vielseitigkeit. Wie in Bill-
0043roth’s Leben, so wechseln in den Briefen fortwährend medi-
0044cinische und musikalische, allgemein wissenschaftliche und
0045humanitäre Interessen. Wie hübsch ist es, wenn er z. B.
0046einen Brief chirurgischen Inhalts an Professor Baum 
0047mit den Worten beginnt: „Meine Finger zittern augen-
0048blicklich, weil ich eine Stunde lang Bach gespielt habe. Das
0049strengt die Finger gewaltig an; denn nicht nur jeder Tact,
0050das Ganze muß dastehen wie ein gothischer Bau, steinern,
0051hoch und groß; ich habe mich heute Morgens mit einer
0052Art Leidenschaft dieser Musik hingegeben.“ Hierauf spricht
0053er über die Krankheiten der Brustdrüsen. Oder wenn er
0054einem andern medicinischen Briefe die Mittheilung anhängt:
0055„Ich habe eben alle meine musikalischen Compositionen ins
0056Feuer geworfen; es stank fürchterlich!“


0057Mit der ärztlichen Correspondenz wäre ferner vieles
0058Werthvolle und für Billroth Charakteristische der allgemeinen
0059Kenntniß und Theilnahme entzogen geblieben. In Billroth 
0060hing der Mensch, den wir Alle so innig geliebt haben,
0061untrennbar mit dem Gelehrten, dem Arzt, dem Künstler
0062zusammen. Die meisten seiner medicinischen Briefe enthalten
0063Stellen, aus welchen der umfassende Geist, das weiche, theil-
0064nehmende Gemüth Billroth’s wohlthuend auf uns Alle
0065überströmt. Ein Beispiel aus dem Sommer 1886: Billroth 
0066verschiebt seine ihm so nothwendige Erholungsreise nach
0067St. Gilgen, um dem 74jährigen schwer erkrankten Augenarzt
0068Professor Arlt beizustehen. Er schildert in einem Briefe an
0069Dr. Gersuny ausführlich Arlt’s Krankheitszustand, welcher
0070eine Amputation des Beines nothwendig machen werde.
0071„Er hat,“ schreibt Billroth, „die wahnsinnigsten Schmerzen
0072im Bein; es ist herzzerreißend, das Leiden des standhaften
0073Mannes zu sehen! Aengstlich mit allen Narcoticis, wie alle
0074alten Aerzte, habe ich ihm heute endlich selbst eine volle
0075Spritze einer fünfpercentigen Morphinlösung applicirt. Dabei
0076sagte er: „Gott ist mein Zeuge! Ich bin dazu gezwungen.“
0077Und dabei diese Selbstlosigkeit! Wir blieben bei ihm, bis die
0078Morphinwirkung eintrat. Und er sagte: „Kinder, ihr habt
0079den ganzen Tag gearbeitet, quält euch nicht mit mir, geht!“ Ist
0080das nicht großartig? Welch ein Mensch!“ Dieser aufopfernde
0081Antheil Billroth’s und dieses tiefe Mitgefühl mit dem alten
0082Kranken — zeigt es uns nicht das Gegentheil von dem Bilde, das
0083man sich oft von unseren amputirlustigen Chirurgen macht? Ist 
0084das nicht großartig? „Welch ein Mensch!“, der Ausruf Bill-
0085roth’s paßt auf ihn selbst. Ein anderes Beispiel von Billroth’s
0086zartfühlender, überall mitleidender Seele: Er schreibt an
0087Professor Dittel im Mai 1889, wie sehr ihn der lang-
0088same Verfall seines Collegen Dr. Breisky schmerze und wie
0089er es beklage, daß dessen Arzt der Frau des unrettbar Er-
0090krankten die volle Wahrheit gesagt habe. „Ich gebe zu, daß
0091dies unter Umständen nothwendig ist; doch hier halte ich es
0092nicht für nothwendig. Wie soll die arme Frau ohne eine
0093Spur von Hoffnungsschimmer noch die Wochen ertragen,
0094bis der Erlöser aller Leiden sanft an ihren Mann heran-
0095tritt! Wir müssen ihr immer Muth einflößen und dem
0096armen Kranken Morphium. Eine harte Arbeit! Doch be-
0097denken wir wohl, daß jeder Hausarzt Hunderte von Malen
0098in dieser Situation ist und seine unheilbaren Kranken täglich
0099oft sehen muß. Ahnte der Jüngling diese moralischen
0100Qualen, wenn er begeistert in den Tempel Aeskulap’s tritt,
0101— er würde gewiß oft umkehren! Dem unverschleierten
0102Bilde von Saïs gegenüberzustehen, dazu gehört die ganze
0103unerschrockene Resignation, die wir uns nur langsam in
0104unserem Berufe erkämpfen.“


0105Wer denkt da nicht unwillkürlich an Nothnagel’s 
0106schönen Ausspruch: „Nur ein guter Mensch kann ein guter
0107Arzt sein!“ Billroth selbst citirt dieses Wort als ein wahres:
0108„Es ist die Grundbedingung für den inneren, ja meist auch
0109für den äußeren Erfolg der ärztlichen Thätigkeit. Ich möchte
0110zu dem „guten Menschen“ noch hinzugefügt wissen und „gut
0111erzogen“, d. h. in einer Familie, in der ein wohlwollender
0112Geist gegen alle Menschen lebt. Er muß einen unwidersteh-
0113lichen Drang zum Helfen anderer unglücklicher Menschen
0114haben, zunächst angeboren und anerzogen; dann kommt er
0115später auch auf dem Wege geläuterter Empfindung und
0116Lebenserfahrung durch Reflexion zu der Ueberzeugung, daß,
0117so viel der sittlich erzogene Mensch auch nach Glück jagen
0118mag, er doch schließlich das Glück wesentlich darin findet,
0119Andere nach Kräften glücklich zu machen. Nur in diesem
0120Punkte darf er egoistisch sein, ich meine, sich selbst glücklich
0121machen, und zwar so viel als er kann. So wie dies aus
0122sittlicher Erziehung entspringt, so wird es auch immer wieder
0123neue Quelle innerer Läuterung, Stärkung des Pflichtgefühls,
0124Befestigung eigener Sittlichkeit. Trifft ihn ein Unglück, so
0125wird er in der Hilfe Anderer, die noch unglücklicher sind [5]
0126als er, Trost und Stärkung zu neuem Aufschwung nehmen.“
0127Das sind goldene Worte, die man jedem angehenden
0128Mediciner auf das erste Blatt seines Stammbuches
0129schreiben sollte. Billroth selbst war sehr vorsichtig darin,
0130junge Leute in ihrer Sehnsucht nach dem ärztlichen
0131Stand zu bestärken. Er that es nur, wo er In-
0132telligenz, Willensstärke und Begeisterung zweifellos vorfand.
0133Gewissenhaft, fast schonunglos betont er die Mühsal und
0134Verantwortlichkeit des ärztlichen Berufes. Die höchsten An-
0135sprüche stellt Billroth an sich selbst; je berühmter sein
0136Name, je glänzender seine Leistungen werden, desto un-
0137genügender dünkt ihm sein Wissen und Können. Im Juli
01381873 schreibt er an Frau Professor Seegen nach Karls-
0139bad: „Viele Operirte und mehrere zu Operirende hängen
0140noch mit ganzer Seele an mir von Jahr zu Jahr mehrt
0141sich ihre Zahl, die Last wird schwerer und schwerer. Vor
0142einer Stunde verließ ich eine vortreffliche Frau, die ich
0143gestern operirte, eine schreckliche Operation. Mit welchem
0144Blick sie mich heute ansah! „Werde ich leben?“ Ich hoffe,
0145sie wird leben; doch unsere Kunst ist so unvollkommen!
0146Ein Jahrhundert stets sich steigernden Wissens und Er-
0147fahrens möchte ich haben, dann könnte ich vielleicht etwas
0148thun! Doch so wie es nun einmal ist, geht es doch recht
0149langsam mit unseren Fortschritten, und das Wenige, was
0150der Einzelne erreicht, ist so schwer auf Andere übertragbar,
0151ebenso wie sich die Cultur von einem Volke zum andern
0152doch auch nur unvollkommen überträgt; der Empfangende
0153muß doch das Beste noch dazu thun.“


0154Zwei schöne Charakterzüge, die bei großen Gelehrten
0155nicht immer beisammen wohnen, leuchten aus der langen
0156Reihe der Billroth’schen Briefe erquickend hervor: die un-
0157zerstörbare Verehrung und Dankbarkeit gegen seine Lehrer,
0158sodann seine warme, werkthätige Liebe zu den Schülern.
0159Seinem Lehrer, dem Professor Baum in Göttingen,
0160schreibt und berichtet Billroth von Paris, von Berlin,
0161Zürich, Wien — von überall her, wo er nach absolvirter
0162Universität seine wissenschaftlichen Studien fortsetzt und ins
0163praktische Leben eintritt. Einer der werthvollsten dieser Briefe
0164datirt aus Berchtesgaden vom 9. August 1877. Darin
0165dankt er dem greisen Meister für sein Bild. „Ich betrachte
0166es mit inniger Dankbarkeit für alles Gute und Schöne,
0167was ich Ihnen schulde. Sie waren doch der Erste, der den 
0168Funken der Begeisterung für das Große und Erhabene in
0169der Wissenschaft in meine damals noch schwankende Seele
0170und noch schwankenderen Charakter warf. Sie ließen mich
0171Ziele sehen, die ich wol nie zu erreichen hoffte, doch deren
0172Anstrebung mich erhob und nach und nach die Energie und
0173den Ehrgeiz in mir weckten, zu erproben, wie weit meine
0174Kräfte wol reichten. Ich sah in Ihnen auch, daß es mög-
0175lich sei, Wissenschaft und Kunst vereint zu bewältigen, ja
0176daß künstlerische Bildung dazu dienen könne, die wissen-
0177schaftliche Lehrkraft zu steigern.“ Er berichtet dann über
0178seine Lehrmethode und Grundsätze. „Ich trachte in meinen
0179Schülern die möglichst vorsichtige naturwissenschaftliche Me-
0180thode der Beobachtung und die schärfste Selbstkritik selbst
0181mit etwas Pessimismus auszubilden, um sie vor Ueber-
0182hebung und allzu frühem Fertigsein zu bewahren; sie sind
0183durch die Jugend genugsam vor Depressionen geschützt. ...
0184Vorwärts geht es wahrlich in unserer deutschen Chirurgie;
0185doch wenn wir keine Rückschritte machen wollen, müssen wir
0186sehr bedächtig den Weg auf seine Sicherheit nach allen Rich-
0187tungen prüfen. Ich gehörte früher wol mehr der leichteren
0188Cavallerie und den Pionnieren in der Chirurgie an und
0189versuchte manchen kühnen Sprung; jetzt bin ich ganz zum
0190schweren Geschütz übergegangen und hoffe nun auch eine
0191Stelle im Generalstab zu verdienen.“ Wie glücklich fühlte
0192sich Billroth, als er später das von Professor Baum 
0193Empfangene ihm an dessen Sohn Wilhelm vergelten konnte,
0194welcher sein Schüler ward.


0195Seine Schüler dürfen wiederum stolz sein auf das
0196rühmliche Zeugniß, das Billroth nicht müde wird, ihnen
0197auszustellen. Wie oft erklingt in seinen Briefen das Lob
0198seiner Schüler und Assistenten Czerny, Wölfler,
0199Gussenbauer, Gersuny, Mikulicz, Menzel,
0200Salzer, Eiselsberg, Frisch, Winiwarter und
0201Anderer! Immer und immer wieder ermuntert, lobt und
0202ermahnt er sie. So schreibt er an Dr. Rosthorn 1891:
0203„Fahren Sie fort, nur Tüchtiges und wohl Ueberdachtes
0204dem wissenschaftlichen Publicum darzubringen, und denken
0205Sie bei Ihren Arbeiten immer nur an ein solches. Halten
0206Sie sich immer in geistigem, historischem Contact mit den
0207großen Forschern und Aerzten aller Zeiten. Wenn wir
0208immer im Bewußtsein bleiben, wie viel Großes und
0209Gewaltiges der Mensch sich schaffen mußte, bevor er da stehen 
0210konnte, wo wir stehen, so werden wir nicht gar so großartig
0211davon denken, daß wir in einigem Detail etwas mehr
0212wissen. Ob über die Lebensprocesse im Ganzen und Großen
0213unsere Kenntnißnahme einen so sehr großen Zuwachs in
0214den letzten Decennien erhalten hat, ist mir zweifelhaft.“ Ab-
0215hold wie der Zukunftsmusik ist Billroth auch der hoch-
0216müthigen „Zukunftschirurgie“. Er bekennt dies in einem
0217der schönsten Briefe an Professor Baum (1879): „Ich kann
0218Ihnen nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin, daß Sie gleich beim
0219Beginn meiner Studien den historischen Sinn und die
0220höchste Achtung vor unseren Vorfahren in mir geweckt
0221haben. Es gibt nichts, was mehr vor Ueberhebung unserer
0222Leistungen schützt, als wenn man sich immer nur im
0223Rahmen des Ganzen denkt. Es gibt jetzt so viele Leute,
0224auch unter unseren Besten, die glauben, sie haben die ganze
0225Chirurgie erfunden, und mit denen sich nur verkehren läßt,
0226wenn man ihnen dies a priori zugibt. Die Geschichte der
0227Wissenschaften macht keine Sprünge. Wenn Einer sich ein-
0228bildet, er habe einen großen Sprung gethan, so muß er
0229ihn gewiß zu drei Vierteln wieder zurückthun. Eine solche
0230kritische Zersetzung zerstört freilich unsere schönsten Illu-
0231sionen, doch bewahrt sie uns auch vor Selbstüberschätzung
0232und Stagnation.“ In gleichem Sinne richtet Billroth an
0233Professor Winiwarter, der eine neue Auflage seines
0234Lehrbuches vorbereitet (1879), die Mahnung: „Machen Sie
0235das Buch nicht viel dicker! Denken Sie immer daran, daß
0236es für Studenten ist, und daß man ihnen das Lernen im
0237Anfang möglichst erleichtern soll. Erhalten Sie in dem Buch
0238auch womöglich den historischen Geist, den Zusammen-
0239hang mit der Vergangenheit. Goethe sagt irgendwo:
0240Und was man ist, das blieb man Andern schuldig!“


0241Geradezu classisch in ihrer Schärfe und Einfachheit sind
0242die Winke, welche Billroth seinem Schüler Professor
0243Mikulicz gibt für die Abfassung eines Compendiums der
0244speciellen Chirurgie: „So etwas muß man machen, wenn
0245man jung ist, später wird man so von des Gedankens
0246Blässe angekränkelt, daß es immer schwieriger wird. Mein
0247Rath ist: Wenn Sie überhaupt Neigung dazu haben, so
0248thun Sie es jetzt
! Halten Sie sich an das häufig 
0249Vorkommende; die Raritäten deuten Sie nur an, sie haben
0250keinen Werth für die Studenten. Breiten Sie sich gehörig
0251aus, wo Sie aus eigener Erfahrung reden; Anderes er[6]-
0252wähnen Sie nur beiläufig. Die Vollständigkeit eines Lehr-
0253buches bleibt immer eine Illusion. Neue Auflagen müssen
0254immer mit neuem Leben wieder in die Welt geschleudert
0255werden. Schreiben oder dictiren Sie flott hinter einander;
0256drei Monate nach dem zuerst Geschriebenen lesen Sie den
0257Anfang wieder und streichen Sie unbarmherzig, wenn auch
0258mit blutendem Herzen. Seien Sie stylistisch sehr streng gegen
0259sich; streichen und corrigiren Sie so lange, bis Alles sich
0260kinderleicht liest. Der Leser muß immer die Empfindung
0261haben, die Chirurgie sei eigentlich sehr einfach und leicht.
0262Treiben Sie keine Polemik! Schmeicheln Sie Keinem; doch
0263sprechen Sie von Jedem, der ernst arbeitet oder gearbeitet
0264hat, immer mit dem Hut in der Hand. Wenn Sie auch
0265seine Meinung nicht theilen.“


0266Auch pädagogische Grundfragen streift Billroth in
0267einem Briefe an Professor His mit einigen bedeutenden
0268Worten: „Im Ganzen bestärkt sich bei mir immer mehr
0269die Anschauung, daß das Wesentliche der Erziehung fast
0270nur im Beispiel der Umgebung, im häuslichen Ton liegt.
0271Da kommt Vieles von selbst in die Kinder hinein und aus
0272ihnen hinaus, was nie durch Vorschrift oder Lehre zu er-
0273reichen ist. Hat man Gelegenheit, der Vergangenheit roher
0274Menschen nachzuspüren, man wird die Quelle meist in dem
0275häuslichen Ton finden und ganz vorwiegend in dem Mangel
0276an mütterlichem Einfluß. Selten überlegt man wol in der
0277eigenen Jugend, daß man nicht nur ein Mädchen zur eigenen
0278Freude, sondern auch die Mutter für die späteren Kinder
0279heiratet; es ist auch fast zu viel von einem jungen Menschen
0280verlangt, das vorzudenken. Es ist in unserer socialistisch an-
0281gehauchten Zeit wol ein altes zopfig Wort: „Aus gutem
0282Hause sein“, und doch liegt eine ganze Weltweisheit
0283darin.“ ...


0284Diese wenigen Beispiele — sie ließen sich leicht verzehn-
0285fachen — dürften hinreichend darthun, daß Billroth’s Briefe
0286an Mediciner keineswegs blos für Mediciner interessant
0287sind, vielmehr jedem gebildeten Leser, der im Ueberspringen
0288einiger exotischen Zeilen nicht ungeschickt ist, Lehrreiches und
0289Anziehendes bringen. Wir haben uns heute nur an Billroth,
0290den Arzt und Forscher, gehalten; die reichlichere Ausbeute,
0291welche die Briefe des Musikers und Kunstfreundes gewähren,
0292soll uns ein nächstesmal beschäftigen.

Fußnoten
  • *)Briefe von Theodor Billroth. Herausgegeben von
    Dr. G. Fischer in Hannover. Mit 4 Bildern in Lichtdruck, Hahn’sche
    Buchhandlung, Hannover und Leipzig. Zweite vermehrte Auflage, 1896.