Wörter einzeln suchen

Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 11537. Wien, Dienstag, den 6. October 1896

[1]

Hofoperntheater.

(„Die verkaufte Braut“, komische Oper von Friedrich Smetana. Deutscher Text von M. Kalbeck.)


0003Ed. H. Nun hat endlich auch unser Hofoperntheater
0004die Braut verkauft. Etwas spät allerdings. Nach dem großen
0005Erfolg der czechischen Aufführung im Ausstellungs-Theater
00061892 waren bekanntlich zahlreiche Stimmen laut geworden
0007für eine Aufführung der „Verkauften Braut“ in deutscher
0008Sprache. Die Direction der Hofoper wollte aber davon
0009nichts hören; sie hatte es sehr dringend, Opern wie „Signor
0010Formica“ und „Cornelius Schut“ liebevoll aufzufüttern
0011zu deren sicherer Abschlachtung. Da griff das Theater an
0012der Wien muthig zu und wahrte sich (1893) die Ehre
0013der ersten deutschen Aufführung. Gerne gedenken wir
0014ihres günstigen, durch viele Wiederholungen bekräftig-
0015ten Erfolges. In das allgemeine Lob jener sorg-
0016fältigen, für ein Operetten-Theater hochanständigen Auf-
0017führung mischte sich trotzdem der stille Seufzer:
0018Wie schade, daß die Hofoper sich diesen Treffer entgehen
0019ließ! Jetzt, drei Jahre nach dem Theater an der Wien, entschließt
0020sich plötzlich Herr Director Jahn, der „Verkauften Braut“
0021seine Pforten zu öffnen. Seltsamer Rückfall in eine frühere,
0022längst verschollene Uebung! Aeltere Theaterfreunde ent-
0023sinnen sich wol der Zeit, da Wiener Vorstadtbühnen dem
0024Hoftheater zuvorzukommen pflegten mit neuen Opern.
0025Sensations-Opern von europäischem Ruf wie „Robert der
0026Teufel“, die „Hugenotten“, „Tannhäuser“, „Der Nord-
0027stern“ (Vielka) waren auf der kleinen Bühne des Joseph-
0028städter und des Theaters an der Wien früher erschienen, als
0029im Hoftheater. Desgleichen zahlreiche reizende Repertoire-
0030Opern von Lortzing, C. Kreutzer, Auber, Adam etc. Damals
0031besaßen die genannten Bühnen freilich ein tüchtiges Opern-
0032personal; man sang und spielte sehr gut in der Vorstadt.
0033Das ist lange vorbei; neben den Possen und Ausstattungs-
0034stücken herrscht da nur mehr die Operette. Die
0035Hofoper ward bald aller Rivalen ledig und glück-
0036liche, alleinige Herrin über sämmtliche Novitäten. Und trotz-
0037dem sehen wir heute abermals, wie eine Reminiscenz aus
0038überwundenen Zeiten, die Hofoper hinter dem Vorstadt-
0039theater langsam nachhinkend. Es heißt, daß ein Lüftchen vom
0040Seinestrand die „Verkaufte Braut“ gestreift und den
0041schlummernden Ehrgeiz unserer Hofopern-Direction neu an-
0042gefacht habe. Las man doch schon vor Monaten in französi-
0043schen Blättern, daß auf Anregung der Fürstin Metternich 
0044die Oper Smetana’s in der Opéra Comique vorbereitet
0045werde. Das Wort der Fürstin und das Beispiel Frankreichs
0046— sie sind ja beide unwiderstehlich. Die künstlerische
0047Autorität der Fürstin Metternich, welche unter Louis
0048Napoleon den „Tannhäuser“ in Paris durchgesetzt hat, über-
0049dauert alle Regierungsformen. Indem sie jetzt die komische
0050Oper Smetana’s der französischen Republik zuführt, beweist
0051die Fürstin ihre musikalische Unbefangenheit und Viel-
0052seitigkeit. Tannhäuser und der Heiratskuppler Kezal,
0053Elisabeth von Thüringen und die böhmische Marie,
0054der Sängerkrieg auf der Wartburg und die Jahr-
0055marktspossen der Dorfbewohner — welche Gegensätze! Endlich
0056Wagner und Smetana! Letzterer bekannte sich zwar per-
0057sönlich als Verehrer Wagner’s und ist in seiner letzten Oper
0058Libussa“ ihm auch vielfach nachgefolgt. Aber in der „Ver-
0059kauften Braut“ wird die schärfste Brille keinen Wagner-Styl
0060entdecken, ebensowenig im „Kuß“ und anderen Lustspiel-
0061opern Smetana’s. Ja, gerade der Gegensatz kommt dieser
0062Musik heute zu statten und erklärt theilweise ihre nach-
0063geborenen Erfolge. Man empfindet die einfache Sangbarkeit,
0064die heitere Naivetät, das Volksthümliche dieser Gesänge als
0065ein wohlthuendes Aufathmen nach dem aufreibenden Genuß
0066und schmerzlichen Nervenreiz der „Musikdramen“. In Paris 
0067scheint jetzt überdies ein günstiger Augenblick für fremd-
0068ländische Musik eingetreten. So patriotisch conservativ der
0069Franzose auch empfindet in theatralischen Dingen, er kann
0070gegenwärtig mit einheimischen Opern-Novitäten unmöglich
0071auslangen. Der Eine Massenet vermag doch, bei all
0072seinem Fleiße, dem Bedürfnisse nicht allein zu genügen.
0073Wie witzig, daß man die Pariser mitten in ihrem aller-
0074neuesten Wagner-Taumel wieder mit dessen geradem
0075Widerspiel zu angeln vorhat: mit Smetana! Fast möchten
0076wir den Franzosen mehr Verständniß zumuthen für die
0077Verkaufte Braut“, als für die Nibelungendichtung. Ihnen
0078sind Wotan, Fafner, Fricka, Loge ohne Frage noch weit 
0079böhmischere Dörfer als das böhmische Dorf der guten
0080Marie Kruschina.


0081Vor Kurzem ist die interessante Thatsache bekannt
0082worden, daß eine französische Aufführung der „Verkauften
0083Braut“ bereits einmal geplant gewesen. Sie ist nicht zu
0084Stande gekommen. Aber die Vorbereitungen dazu blieben
0085nicht ohne Einfluß auf die gegenwärtige Fassung der
0086Partitur, welche Smetana, im Hinblick auf Paris, zu be-
0087reichern und aufzufrischen für nöthig erachtete. Er fügte den
0088bierbegeisterten Bauernchor, das Lied Mariens („Wie fremd
0089und todt“), endlich den Tanz in der Comödiantenscene neu
0090hinzu und theilte die ursprünglich zweiactige Oper in drei
0091Aufzüge. In dieser Gestalt und mit hinzucomponirten
0092Recitativen an Stelle der gesprochenen Prosa hat die „Ver-
0093kaufte Braut“ überall freundlichste Aufnahme gefunden und
0094auch im Hofoperntheater gestern sehr lebhaft angesprochen.
0095Mit dem vollen Reiz der Neuheit vermochte die Oper
0096freilich hier nicht mehr zu fesseln; dafür besitzt sie andere,
0097nachhaltigere Reize, die sich nicht so schnell abstumpfen.


0098Die Handlung — wir brauchen sie nicht von neuem
0099zu erzählen — kennt man als gemüthlich, heiter und einfach
0100in ihrer Intrigue. Daß letztere auf einer crassen Unwahr-
0101scheinlichkeit fußt, läßt man den lebensfrischen Charakteren
0102und der guten Musik zuliebe nachsichtig hingehen. Ein
0103schlauer Geschäftsmann, der, wie Kezal, alle Vorsichten eines
0104Winkeladvocaten übt, wird es nicht unterlassen, im Heirats-
0105contract den Taufnamen des Bräutigams aufzunehmen.
0106Nur dadurch aber, daß in diesem Contracte und zwei Acte
0107lang in allen darauf bezüglichen Gesprächen blos vom
0108„Sohn des Michna“ die Rede ist, niemals von Wenzel 
0109Michna, wie der Liebliche heißt, ist der merkwürdige und
0110verhängnißvolle Irrthum aller Betheiligten möglich. Die
0111Musik ist bereits gelegentlich der früheren Aufführungen ein-
0112gehend und in erfreulichster Uebereinstimmung der Kritik
0113gewürdigt worden. Mit Unrecht pflegte Smetana selbst
0114etwas geringschätzig auf seine „Verkaufte Braut“ herab-
0115zusehen, weil er sie mühelos und weniger zu eigenem Er-
0116götzen, als zu dem des Prager Publicums geschrieben hatte.
0117Die „Verkaufte Braut“ bleibt bei all ihrer Bescheidenheit
0118doch der feste Grundstein von Smetana’s Ruhm und Be-
0119liebtheit. „Der Kuß“, „Das Geheimniß“, „Dalibor“ be-
0120sitzen neben einer sorgfältigeren, mitunter lippigeren musika[2]-
0121lischen Technik auch einzelne entzückende Musikstücke, denen
0122kaum eines aus der „Verkauften Braut“ gleichkommt.
0123Als Ganzes aber steht letztere obenan unter seinen
0124Opern; keine andere ist so einheitlich, so frisch und unge-
0125künstelt, so national im besten Sinne. Von Wagner’schen
0126Einflüssen zeigt sie, wie bereits erwähnt, keine Spur.
0127Weniger platonisch als seine Liebe zu Wagner war
0128Smetana’s Begeisterung für Liszt. Allerdings konnte
0129sich diese nicht in der Oper offenbaren, wol aber in
0130den symphonischen Werken. Wir kennen den Cyklus
0131Mein Vaterland“ aus den Philharmonischen Con-
0132certen. Bisher unbekannt waren hingegen drei (jetzt bei
0133Simrock erschienene) symphonische Dichtungen, welche Sme-
0134tana während seines Aufenthaltes in Götaborg (1856 bis
01351861) componirt hat und die nach Form und Inhalt das
0136Vorbild Liszt’s nicht verkennen lassen. Schon die Titel sind
0137charakteristisch: „Richard III.“, „Hakon Jarl“ und „Wallen-
0138stein’s Lager“. Also ein englischer, ein dänischer, ein deut-
0139scher Stoff. Nirgends der leiseste Anklang an den böhmi-
0140schen Musikcharakter, welchem Smetana’s Opern ihren so
0141eigenartigen Reiz verdanken. An diesen Orchesterstücken
0142würde Niemand den Componisten der „Verkauften Braut“
0143wiedererkennen. Ein oder das Andere davon werden wir
0144hoffentlich in den Philharmonischen Concerten hören.


0145Die Aufführung der „Verkauften Braut“ im Hofopern-
0146theater hat verdienterweise die lauteste Anerkennung gefunden.
0147Es ging ein Jubel durch das Haus, wie wir ihn da seit
0148Langem nicht erlebt haben. Aufrichtig erfreut waren wir,
0149Fräulein Mark wieder einmal in einer neuen Partie zu
0150sehen. So weit sich aus dieser weder großen noch anstren-
0151genden Rolle schließen läßt, befindet sich Fräulein Mark 
0152wieder im ungehemmten Besitze ihrer Stimme. Als Schau-
0153spielerin schien sie uns das Pikante zu übertreiben. Nament-
0154lich im ersten Acte war sie zu nervös aufgeregt in Ton
0155und Mimik. Ein böhmisches Bauernmädchen war das nicht,
0156noch weniger Smetana’s Marie, welche als eine schlichte,
0157innige Natur gedacht ist. Im zweiten Act kam die Rolle
0158der Sängerin besser entgegen; für das neckende Schelmen-
0159spiel, das sie mit dem blöden Wenzel aufführt, paßte diese
0160malitiöse Beweglichkeit und Schärfe ganz gut. Rein gesang-
0161lich bietet diese Rolle keine glänzende Aufgabe; doch wußte
0162Fräulein Mark einige zarte Stellen besonders fein zu ge-
0163stalten. In schöner Verwendung der Kopfstimme ist sie
0164jedenfalls vorgeschritten. Herr Schrödter gefiel als Hanns,
0165wie in allen ähnlichen Rollen, durch sein lebhaftes, an-
0166muthiges Spiel und die wohlthuende Frische seines jugend-
0167lichen Organs. Die komische Figur des Heiratsvermittlers
0168wurde durch die unübertreffliche Darstellung des Herrn
0169Hesch zum Mittelpunkte der ganzen Oper. Die scharfe,
0170dabei nicht aufdringliche komische Charakteristik, das
0171prickelnde Leben des Vortrages und die musikalische
0172Tüchtigkeit sind Vorzüge, die Herrn Hesch zu einem sehr
0173werthvollen neuen Mitglied unserer Oper stempeln. Seine
0174kräftige Stimme wirkt durch ihr Volumen, nicht durch Glanz
0175oder sympathischen Wohllaut. Also eine echte Baßbuffo-
0176stimme. Ob Herr Hesch, den ich nur in der Rolle des
0177Kezal gehört, auch andere Aufgaben gleich vortrefflich zu
0178lösen vermag, ist abzuwarten. Als Mephisto soll er sehr
0179gefallen haben. Jedenfalls möchte ich gerne annehmen, daß
0180er ein gewisses bellendes Tremoliren der Stimme sich nur
0181als charakteristisch für die komische Rolle des Kezal ange-
0182eignet habe und in edleren Gesangspartien davon abzugehen
0183vermag. Dem Stotterer Wenzel kommt die gutmüthige Komik
0184des Herrn Schittenhelm trefflich zu statten. Besonders
0185ergötzlich ist er im dritten Acte, wo die Passion für die
0186schöne Esmeralda ihn in die drolligste Lebendigkeit versetzt.
0187Die beiden bäuerlichen Ehepaare Michna und Kruschina werden
0188von den Damen Kaulich und Walker, den Herren Frey und
0189Felix sorgfältig gegeben. Wäre es aber nicht doch leicht möglich
0190gewesen, sie etwas mehr zu individualisiren, schärfer von
0191einander abzuheben? Besonders die beiden Männer sehen
0192aus wie Doppelgänger und agiren wie Zwillinge. Es gibt
0193in der „Verkauften Braut“ zwei noch kleinere Rollen, die
0194erst ganz zum Schluß episodisch auftreten und sehr wenig
0195zu singen haben: der Seiltänzer-Principal Springer und
0196die Tänzerin Esmeralda. Wie wichtig sie beide für den
0197Erfolg der Oper sind, zeigte sich, indem sie von Herrn
0198Stoll und Fräulein Abendroth vortrefflich gespielt
0199wurden. „Es gibt keine kleinen Rollen,“ pflegte der be-
0200rühmte Hamburger Director Schröder zu sagen. Das
0201Talent des Herrn Stoll für dergleichen komische Chargen
0202ist bekannt; aber Fräulein Abendroth hätte man so viel
0203Laune, koketten Uebermuth und gar solches Balletgenie
0204nimmer zugetraut. Kurz, Fräulein Abendroth und Herr 
0205Stoll (denen sich noch Herr Marian als Kannibale bei-
0206gesellte) haben sich in diesen schnell vorüberhuschenden
0207Episodenrollen um die Vorstellung sehr verdient gemacht,
0208denn ohne die possenhafte Seiltänzer-Episode würde sie recht
0209matt auslaufen. Nicht nur langt der Stoff nur mehr
0210kärglich zu, auch die Musik lahmt im dritten Act an vielen
0211Stellen.


0212Die „Verkaufte Braut“ ist im Hofoperntheater sehr
0213gut ausgestattet — zu gut, möchte ich sagen. Im ersten Act
0214herrscht auf der Bühne eine ununterbrochen fluthende un-
0215ruhige Bewegung, welche, in der Absicht, „die Scene zu
0216beleben“, gerade die Scene stört. Was geht da nicht Alles
0217vor, dicht hinter dem Rücken der beiden Verliebten, die uns
0218ihre Gefühle mittheilen! Ein geistlicher Herr schreitet über
0219die ganze Bühne, von händeküssenden Bauernkindern um-
0220ringt; Zigeuner werden vom Flurschützen arretirt und unter
0221großer Theilnahme abgeführt; an allen Krambuden drän-
0222gen sich Käufer und Schaulustige, beißen in Aepfel
0223oder Marzipan; Bauernjungen schäkern aufdringlich mit
0224den Mädchen u. s. w. Damit stiehlt man nur der
0225Hauptsache die nothwendige Aufmerksamkeit und macht
0226die Zuschauer verwirrt. Auch im zweiten Act, der zum
0227Glück die Statisten und Choristen an die Wirthshaustische
0228fesselt, war trotzdem ähnlicher Unfug angebracht. In seiner
0229merkwürdigen Vorliebe für Arretirungen läßt der Regisseur
0230während der schönsten Stelle des Duetts zwischen Marie 
0231und Wenzel einen Unbekannten am Ausschank verhaften, der,
0232heftig mit dem Regenschirme gesticulirend, die Leute um sich
0233versammelt und unter allgemeiner Aufregung fortgeführt
0234wird. Da schaut natürlich das ganze Publicum auf diese
0235stürmische, unerklärliche Nebenhandlung, muß unwillkürlich
0236hinschauen und verliert so den Zusammenhang und den
0237Eindruck des Duetts, welches uns ganz allein wichtig
0238sein soll.


0239Die Tänze, die auch musikalisch zu dem Erquickendsten
0240dieser Oper gehören, sind sehr hübsch arrangirt; ein Er-
0241götzen für Auge und Ohr. Der Erfolg der ganzen Vor-
0242stellung war ein glänzender und dürfte zahlreichen Wieder-
0243holungen getreu bleiben. Die Hauptdarsteller wurden nach
0244jedem Act stürmisch gerufen; Herr Hofcapellmeister
0245Fuchs hatte als Dirigent der Oper vollen Anspruch, sich
0246ihnen anzuschließen.