Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 11801. Wien, Donnerstag, den 1. Juli 1897
[1]Johannes Brahms.
(Erinnerungen und Briefe.) III.
0003Ed. H.*)
Bevor er ständiger Sommergast in Ischl ge-
0006worden, pflegte Brahms seinen Landaufenthalt abwechselnd
0007in Baden-Baden, Wiesbaden, Thun (in der Schweiz),
0008einigemale auch in Pörtschach und Mürzzuschlag zu neh-
0009men. Aus allen diesen Orten erhielt ich Lebenszeichen von
0010ihm; Briefe oder Briefchen, die ohne den Anspruch auf
0011bedeutenden Inhalt doch so manche interessante persönliche
0012Mittheilung enthielten, manchen treffenden Ausspruch oder
0013liebenswürdigen Charakterzug. Ich habe die Empfindung
0014und folge ihr, daß unser Herz nach jedem schweren Ver-
0015luste sich gern an die bescheidensten Erinnerungszeichen
0016klammert. Bei den nachfolgenden Briefen aus den Sechziger-
0017und Siebziger-Jahren dachte ich zunächst an Brahms’ spe-
0018cielle Freunde und Verehrer, aber wo hätte er deren nicht!
0019Der erste Brief bezieht sich auf Brahms’ Erwählung
0020zum Director der Wiener Sing-Akademie im Jahre
00211863. Der Antrag traf ihn in Hamburg und fand ihn nicht
0022gleich zur Annahme entschlossen. „Es ist,“ schrieb er der
0023Vereinsleitung, „eben ein besonderer Entschluß, seine Frei-
0024heit das erstemal wegzugeben. Jedoch was von Wien
0025kommt, klingt eben dem Musiker noch eins so schön, und
0026was dorthin ruft, lockt noch eins so stark.“
0027Mir schrieb er darüber im Sommer 1863: „Mein
0028lieber Freund! Du wirst dich wundern, daß die froheste,
0029dankbarste Erwiderung nicht eiliger kommt, als dein und
0030so mancher freundliche Brief zu mir. Ich komme mir aber
0031vor wie ein unverdient Gelobter und möchte mich lieber
0032eine Weile verkriechen. Habe ich doch beim Empfange der
0033telegraphischen Depesche (durch Flatz, der doch stets den
0034Auftakt haben muß!) entschieden mit so ehrender Aufforde-
0035rung zufrieden sein wollen und die Götter weiter nicht ver-
0036suchen. Viel gewisser will ich jedoch jetzt annehmen und
0037kommen. Und da weiter bei mir nichts in Frage kommt,
0038als ob ich eben den Muth habe, „Ja“ zu sagen, so soll’s
0039eben passiren. Hätte ich abgelehnt, meine Gründe wären
0040nur fremd für die Akademie und für euch Wiener über-
0041haupt gewesen. Großen Dank muß ich dir noch sagen für
0042dein vortreffliches Buch vom Musikalisch-Schönen, dem ich
0043genußreichste Stunden, Aufklärung, ja förmlich Beruhigung
0044verdanke. Jede Seite ladet ein, auf das Gesagte weiter
0045fort zu bauen, die schönsten Durchführungen zu versuchen
0046und da hiebei ja, wie du sagt, die Motive die Hauptsache
0047sind, so verdankt man dir immer den doppelten Genuß. Für den
0048aber, der seine Sache so versteht, gibt’s überall zu thun in
0049unserer Kunst und Wissenschaft, und will ich wünschen, uns
0050werde bald über Anderes so schöne Belehrung. Für heute
0051mit herzlichstem Gruß und Dank dein Joh. Br.“
0052Der folgende Brief vom August 1866 betrifft die mir
0053gewidmeten Walzer zu vier Händen op. 39.
0054„Soeben den Titel zu vierhändigen Walzern schreibend,
0055die nächstens erscheinen sollen, kam mir ganz wie von selbst
0056dein Name mit hinein. Ich weiß nicht, ich dachte an Wien, an
0057die schönen Mädchen, mit denen du vierhändig spielst, an
0058dich selbst, den Liebhaber von derlei, den guten Freund und
0059was nicht. Kurz ich fühle die Nothwendigkeit, dir es zu
0060schreiben. Ist es dir recht, daß es dabei bleibe, so danke ich
0061gehorsamst; wünschest du jedoch aus irgend einem Grund
0062die Sache nicht, so wende ein Wort daran und der Stecher
0063kriegt Gegenordre. Es sind zwei Hefte kleiner unschuldiger
0064Walzer in Schubert’scher Form — willst du sie nicht und
0065lieber deinen Namen auf einem gehörigen viersätzigen Stück,
0066„befiehl, ich folge“. Nächster Tage gehe ich in die
0067Schweiz. Soll ich dir vorklagen, daß ich diesen Winter nicht
0068in Wien war? Mein Kommen im nächsten Jahr kann’s
0069deutlicher sagen. In etwelcher Eile und alter Freundschaft
0070dein Joh. Br.“
0071Hermann Goetz, der Componist der „Bezähmten
0072Widerspenstigen“, hatte eine große Oper „Francesca di
0073Rimini“ hinterlassen, welche von Ernst Franck vervoll-
0074ständigt am 30. September 1877 zum erstenmale in Mann-
0075heim zur Aufführung gelangte. Ueber die ziemlich ver-
0076breitete Meinung, daß auch Brahms an dieser Vervoll-
0077ständigung mitgeholfen, schrieb mir dieser aus Baden-Baden
0078im October 1877:
0079„Liebster Freund! In der „N. Fr. Presse“ schreibt
0080man, daß Franck und ich die „Francesca di Rimini“
0081ergänzt haben. Dem ist nicht so; Franck allein hat die
0082Ouvertüre und den 3. Act nach den Skizzen orchestrirt,
0083ich habe nur seine Arbeit angesehen und mich aufs höchste
0084gefreut über den schönen Ernst und den Fleiß, den ich ihm
0085nicht zugetraut hätte. Schon bei Gelegenheit der „Wider-
0086spenstigen“ hat er übrigens gleiche hingebungsvolle Liebe
0087gezeigt, damals und jetzt mit bestem Erfolg. Er ist wirklich
0088nicht genug zu loben für das, was er für Goetz (seinen
0089Götzen) gethan hat, und hättest du den vortrefflichen Men-
0090schen und höchst schätzenswerthen Künstler gekannt, du
0091hättest deine helle Freude mit dem kleinen Franck, dem
0092allein Goetz einen ruhigen Tod und seine Francesca das
0093Leben verdankt. — Doch eben erwähnte Notiz findet sich
0094in vielen Blättern, ich aber schreibe nicht gern, möchtest du
0095nicht 2 Worte daran wenden? Daß ich’s so lange gehen
0096ließ, kann ich nur damit entschuldigen, daß ich, läge der
0097Fall anders herum, ich gewiß schweigen würde. ... Eigent-
0098lich hatte ich so eng geschrieben, weil ich dir recht behaglich
0099plaudern wollte. Aber seitdem hat die Feder schon wieder
0100Stunden geruht. Ich bin zum Briefschreiben verdorben.
0101Einige schöne Herbsttage will ich noch hier in Liechtenthal
0102(bei Baden-Baden) genießen. Lang aber wird’s nicht [2]
0103dauern und die Karlsgasse und die Andern haben mich
0104wieder. Dessoff kommt oft herüber und ist sehr vergnügt —
0105auch wenn er neue Noten von mir sieht. Nun aber grüße
0106schönstens in deinem und andern Häusern. Auf baldiges
0107frohes Wiedersehen!“
0108Aus Pörtschach am Wörthersee in Kärnten, wo
0109Brahms den Sommer 1878 verbrachte, stammt nach-
0110stehender Brief: „Ich bin dir von Herzen verbunden und
0111zum Dank soll’s auch, wenn ich dir etwan den Winter eine
0112Symphonie vorspielen lasse, so heiter und lieblich klingen,
0113daß du glaubst, ich habe sie extra für dich oder gar für
0114deine junge Frau geschrieben! Das ist kein Kunststück, wirst
0115du sagen, Brahms ist pfiffig. Der Wörthersee ist ein
0116jungfräulicher Boden, da fliegen die Melodien, daß man sich
0117hüten muß, keine zu treten. Uebrigens wollte ich dir von
0118dort schon gelegentlich deiner Grillparzer-Aufsätze schreiben.
0119Da du doch deine Sachen für spätere Leser aufbewahren
0120mußt, so melde ich noch, daß unter den Grillparzer-Com-
0121ponisten Mendelssohn fehlt. In meiner jüngsten Jünglings-
0122zeit lag stets auf einem mir befreundeten Clavier jenes Lied
0123Es-dur 6/8 und sang von Sehnsucht nach Italien. Nun
0124aber: unten stand eine Notiz von Hoffmann v. Fallers-
0125leben, in der das Gedicht sehr despectirlich behandelt war,
0126und ein besseres, von Hoffmann unterlegt! Verlag war wol
0127Schlesinger in Berlin. Nun ist es seitdem nicht wieder
0128vorgekommen, aber auf mein Gedächtniß kann ich mich ver-
0129lassen, und du auf das ganz interessante Factum. Lienau
0130(der Chef der Geschäfte Haslinger und Schlesinger) ist dein
0131ganz besonderer Verehrer und wird es dir gewiß ver-
0132schaffen. Ich bleibe nun noch von Tag zu Tag hier — sie
0133sind nämlich schön, die Herbsttage. Beste Grüße deiner
0134Frau und unseren gemeinsamen Freunden.“
0135Ein anderer Brief aus Pörtschach vom September 1878
0136bezieht sich auf das Hamburger Musikfest, womit
0137das Jubiläum der dortigen „Philharmonischen Gesellschaft“
0138gefeiert werden sollte. Ich hatte eine Einladung dazu er-
0139halten, zugleich die dringende Bitte, dem Comité Nachricht
0140zu geben, ob Brahms, von dem keine Antwort einge-
0141troffen, bestimmt in Hamburg erwartet werden könne. Auf
0142meine Interpellation erwiderte Brahms:
0143„Pörtschach am See, September 1878.
0144Du hast mir schon einmal öffentlich Anstandslehre ge-
0145predigt; ich wünschte nicht, daß es ein zweitesmal ohne
0146meine Schuld geschähe, und deßhalb erzähle ich dir, daß es
0147an den Hamburgern liegt, wenn ich bei ihrem Feste nicht
0148erscheine. Artigkeit und Dankbarkeit habe ich keine Gelegen-
0149heit zu beweisen; im Gegentheil wäre einige Grobheit am
0150Platze, wenn ich Zeit und Lust hätte, mir damit die Laune
0151zu verderben. Ich will aber auch nicht die deine stören
0152durch ausführliche Mittheilungen und sage deßhalb nur,
0153daß trotz Anfrage mit keinem Worte die Rede von Honorar
0154oder irgend welcher Entschädigung war. Damit bin ich
0155armer Componist doch bedenklich taxirt und verliere alles
0156Recht, bei der Festtafel etwan neben deiner Frau zu sitzen!
0157Also ich bitte diesmal um Nachsicht für meinen ohnehin
0158lädirten Ruf als artiger Mann. Wegen der Symphonie
0159bitte ich freilich nicht um Nachsicht — aber ich fürchte,
0160wenn nicht Joachim, wie ich wünsche, die Direction an-
0161getragen wird, gibt’s eine miserable Aufführung. Nun, die
0162Diners in Hamburg sind gut, die Symphonie hat eine
0163günstige Länge — du kannst während deß dich nach Wien
0164träumen! Ich denke recht bald nach Wien zu gehen, aber
0165gefallen hat mir’s in Pörtschach wieder vortrefflich. Mit
0166herzlichem Gruß an dich und deine Frau. Dein J. Br.“
0167Trotz dieser stark zweifelhaften Antwort ist Brahms
0168doch zu dem Fest gekommen, das glänzend und genußreich
0169verlief. Clara Schumann, damals sechzig Jahre alt,
0170spielte Mozart’s D-moll-Concert mit vollendeter Meister-
0171schaft und jugendlichem Feuer. Der folgende Abend brachte
0172die zweite Symphonie von Brahms, welcher, mit Orchester-
0173tusch und Lorbeerkränzen empfangen, selbst dirigirte.
0174Joachim spielte im Orchester die erste Violine. Nach der
0175Symphonie warfen die Damen vom Chor und aus den
0176ersten Sitzreihen Brahms ihre Blumensträußchen zu. Er
0177stand da, wie es in seinem Wiegenlied heißt, „mit Rosen
0178bedeckt, mit Nelken besteckt“. Zur Luftfahrt nach Blankenese
0179fanden sich auf dem Verdeck des Dampfers viel interessante
0180und berühmte Musiker in heiterem Gespräch zusammen:
0181Brahms, Ferdinand Hiller, N. Gade, F. v. Flotow,
0182Theodor Kirchner, J. Reinthaler u. A.
0183Im Frühjahr 1880 als Juror zu einem Wettkampf
0184von Militärmusiken nach Brüssel geladen, wollte ich die
0185Gelegenheit nicht versäumen, auf dem Rückweg ein Stück
0186Holland kennen zu lernen. Ich wußte, daß Brahms dort
0187große Verehrung genoß und mit den besten Musikern persön-
0188lich befreundet war; ihn bat ich deßhalb um ein’ oder die
0189and’re Empfehlung. Er antwortete mit folgendem Briefe:
0190„Lieber Freund! Ich habe ein unglückselig schlechtes
0191Gedächtniß für Personen und Namen. Das ist mein kleinster
0192Fehler, aber er ist am stärksten ausgebildet. Wie viel freund-
0193liche liebe Leute stehen mir jetzt, mehr oder weniger deutlich,
0194vor der Seele. Ernstlich beschämt fühle ich mich, roh und
0195undankbar — ich suche vergebens ihre Namen.
0196Nun wirst du dich in Amsterdam und Haag nur kurz
0197aufhalten, da glaube ich, daß inliegende Karten dir alles
0198Nöthige auf die angenehmste Weise schaffen werden.
0199Verhulst (M. Dr. in Amsterdam, wohnt im Haag),
0200versäume nicht, möglichst kennen zu lernen. Ausge-
0201zeichneter Musiker, Freund von Mendelssohn und Schu-
0202mann, höchst origineller Mensch, vortrefflich gut, kindlich
0203zart und weich. Er muß dich sehr interessiren — bis zu
0204seinen Liedern, die, wie es recht ist, ihn bisweilen sehr hübsch
0205photographiren. Mit ihm fahre auch nach Scheveningen;
0206trinkt dort auch einen „Advocaten“ mit ihm und Herrn
0207Zilken, geht auch ins Casino zu einem Diner oder Souper.
0208Für Amsterdam empfehle ich nachfolgende drei sehr
0209gute Führer: Herr Sillem (Junggeselle, höchst liebens-
0210würdig und gebildet) wird dir der beste und angenehmste
0211Begleiter sein, von Morgens bis Abends und wohin es
0212dich ziehen mag. NB. Hier und im Haag verstehen sich
0213die herrlichen Galerien und die vielen historischen Erinnerungen
0214von selbst!
0215Wenn du irgend behagliche Tage in Amsterdam bleibst,
0216so wird Herr Sillem dich auch in Häuser und Familien
0217führen, wo es dir so wohlig sein muß wie nur irgendwo.
0218Wenn du ihm zum Beispiel den Namen des größten Kaffee-
0219händlers entlocken könntest — ohne mich allzusehr zu
0220blamiren — bitte, frage so unter der Hand, als ob ich dir
0221erzählt hätte und du der Vergeßliche wärst! Die Karten
0222an Röntgen und de Lange schickst du ihnen vielleicht und
0223schreibst dein Hotel und eine Stunde dazu? Zunächst könnten
0224sie, falls Sillem nicht dort sein sollte, seine Führerstelle
0225vertreten. Röntgen (von holländischer Abkunft, in Leipzig
0226geboren) war ein sehr merkwürdiges Wunderkind und ist
0227einstweilen ein sehr tüchtiger, schön begeisterter Musiker ge[3]-
0228worden. De Lange ist einer der besten holländischen
0229Musiker, Cellist, fruchtbarer Componist, Kritiker und an-
0230genehmer Mensch — wie dies ja bisweilen der Fall. Ich
0231denke mir, du wirst in Brüssel schon einige Holländer kennen
0232lernen, zum Beispiel Nicolai aus Haag, Herausgeber
0233der „Caecilia“, an den du natürlich keine Karte brauchst,
0234Hol aus Utrecht, der wol der tüchtigste junge Director
0235und Musiker im Haag ist. In Utrecht wirst du dich nicht
0236aufhalten? Professor Engelmann träfst du wol auch
0237nicht mehr; an ihn und Herrn Riemsdyk machtest du die
0238schönsten Bekanntschaften und bitte ich, im günstigen Fall
0239nur meinen Gruß zu sagen.
0240Dir sagt nun mein langes Schwätzen, daß mich deine
0241Fahrt genug interessirt und beschäftigt. Daß ich nicht mit
0242Namen um mich werfen kann, ist eine Schande. Aber ich
0243hoffe und meine, mit inliegenden Karten kommst du schon
0244weiter und auch zu Menschen weiter! Ich denke, du wirst
0245nachher Land und Leute loben.
0246Mit besten Grüßen und Wünschen den herzlich er-
0247gebener J. Brahms.“
0248Im Mai 1880 hatte ich in Karlsbad das neueste
0249Liederheft (op. 84) von Brahms erhalten und ihm sehr ent-
0250zückt über das „Vergebliche Ständchen“ geschrieben. Er
0251antwortete mir aus Ischl:
0252„Voller Vergnügen muß ich dir für deinen Brief
0253danken, denn er war mir wirklich ein ganz besonderes, und
0254ich bin höchst gut gelaunt durch den gut gelaunten! Unser-
0255einer kann nicht ein großes NB. dazu machen, wenn er —
0256meint, in der Lage zu sein, aber es ist die angenehmste
0257Schmeichelung, wenn’s ein And’rer thut.
0258Und diesmal triffst du in mein Schwärzestes! Für
0259das eine Lied gebe ich die andern alle und noch das
0260W.-Album dazu. Von dir aber ist mir die Bestätigung
0261ernstlich werth! Ich weiß lange, daß dein vortreffliches
0262Schnüffel-Organ sich keinen wirklich guten Bissen entgeh’n
0263läßt (beim Austernessen ist das schon ärgerlicher).
0264Mit Widmungen bin ich nun schlimm daran, ich
0265schulde so viele, mehr oder weniger, daß ich mich scheue,
0266mit dem Auszahlen anzufangen. Ich muß mir einen be-
0267sondern Modus ausdenken, vielleicht einen thematischen
0268Katalog herausgeben, wo neben jeder Nummer ein schöner
0269Name steht!? Besprich das einmal mit Simrock. —
0270Das wäre nun sehr schön, wenn du nach Ischl kämst;
0271es ist doch prachtvoll hier und höchst genußvoll zu spazieren.
0272Ob ich wol eigentlich nach Bayreuth gehe? Auch
0273Bülow, der im August mit seiner Braut hingeht, will mich
0274verführen oder fragt mich vielmehr, ob ich mich anschließen
0275will. Wenn du etwa zuweilen im Begriff bist, eine Bay-
0276reuther Broschüre ärgerlich wegzuwerfen, dann thue lieber
0277ein Kreuzband darum und schicke sie hieher; uns ist so was
0278exotisch und interessant.
0279Simrock, Dvořak bitte schönstens zu grüßen und deine
0280Sängerin noch schöner. Du aber sei nochmals herzlichst
0281bedankt für deine freundlichen Worte.“
0282Gleichfalls aus Karlsbad hatte ich Brahms herzlich ge-
0283dankt für das dritte und vierte Heft seiner vierhändigen
0284„Ungarischen Tänze“, die ich mit meiner Frau so gerne und
0285oft dort gespielt. In diesen beiden Heften wirkt Brahms
0286thatsächlich kleine Wunder der Harmonisirung und Rhythmik,
0287welche die Kunst des „Setzers“ hoch über die des un-
0288bekannten „Sängers“ dieser einfachen Volksmelodien erhebt.
0289Man gebe irgend einem andern Componisten diesen melo-
0290dischen Rohstoff, wie er Brahms vorlag, und sehe zu, was
0291der Andere daraus macht. Es sind übrigens zwei dieser
0292Stücke vollständig Brahms’ eigene Erfindung, ohne daß er
0293es für wichtig genug hielt, sich dessen zu berühmen. Brahms
0294antwortete mir aus Ischl. „Ich bin so vergnügt über deine
0295vergnügten und lieben Worte, daß ich dir’s gleich sagen
0296muß. Du weißt, daß mir die Sachen ausnahmsweise selber
0297einigen Spaß machen. Wie freut’s mich also, wenn’s
0298Anderen auch so geht und wenn sie gar so lieb sind, es nicht
0299zu verschweigen! Mit besten Grüßen an dein zweites Selbst
0300und an dein zweites Händepaar herzlichst den J. Brahms.“
0301Aus Crefeld sendete mir Brahms im Februar 1884
0302folgende Zeilen:
0303„Crefeld, 26. Februar 1884.
0304Geliebter Freund! Es ist ernstlich unrecht, daß ich nicht
0305bisweilen ganz behaglich und herzlich zu dir oder euch plau-
0306dere, aber es geht nicht. Ich hatte hier in Crefeld sogar
0307einige angenehmste Ruhetage — aber wie viel durchaus
0308nöthige Correspondenz hat mir auch hier die Lust am
0309Schreiben verdorben! So soll denn dies auch nur ein flüch-
0310tiger Gruß sein und dir nebenbei sagen; daß sich der Weg
0311nach Haus leider noch ein wenig hinzieht! Mitte März —
0312früher komme ich nicht zurück. Eigentlich ist es schade, daß
0313ich dir nicht Allerlei erzähle und beschreibe. Da du mich
0314doch gewiß nicht für eitel hältst, so würdest du Freude
0315haben, wenn ich dir von den manchen ernstlichen und schönen
0316Freuden erzählte, die ich so unterwegs erlebe. Hier am Rhein
0317wie in Berlin, Wiesbaden, Meiningen u. s. w.
0318Von Holland (ich gehe nur für ein Concert nach
0319Amsterdam) möchte ich dir einen wohlschmeckenderen Gruß
0320senden — könnte ich nur behalten, für welchen geistlichen
0321Braten und Schnaps du so besondere Neigung hast. Von
0322Billroth hörte ich gern, daß er recht fröhlich ist, vielleicht
0323spendirst du eine Karte? Im Uebrigen bin ich kein Schwarz-
0324seher und denke, du und ganz Wien spaziert so vergnügt
0325weiter, wie wir es trotz Allem gewohnt sind. Sei recht vom
0326Herzen gegrüßt. Dein J. Brahms.“
0327Im Sommer 1884 verbrachte ich eine Woche auf dem
0328Semmering, wo mich Brahms von Mürzzuschlag aus be-
0329suchte. Er versprach, auf unserer Rückfahrt nach Wien uns
0330im Bahnhofe von Mürzzuschlag zu begrüßen, verspätete sich
0331aber. Darauf beziehen sich die folgenden zwei Billette und
0332die Nachschrift des dritten aus Mürzzuschlag:
0333„Liebster Freund! Da steh’ ich nun mit Rosen und
0334Gelbveigelein, das heißt mit einem Körbchen voll Früchten,
0335Liqueuren und Kuchen! Er und Sie sind aber wol mit dem
0336früheren sonntäglichen Extrazug durchgefahren? Ich habe
0337am Bahnhofe schönen und seltenen Effect gemacht als artiger
0338Mann! Jetzt jubeln die Kinder über den Kuchen — für die
0339nationalen Schnapse aber opfert sich dein J. Br.“
0340„Liebster Freund! Deine Karte freut mich besonders,
0341weil ich dir doch endlich sagen kann, wie schlecht ich den
0342Tag eurer Durchreise verlebte. Ihr habt euch vielleicht so
0343beiläufig vergebens und verdrießlich nach mir umgesehen.
0344Mir aber war es so selbstverständlich, daß ich euch am
0345Bahnhofe sehen würde — ich konnte mir doch nicht Mühe
0346geben wollen, daran zu denken, es konnte mir nicht bei-
0347fallen, mich besonders daran erinnern zu wollen — ja,
0348leider war es so selbstverständlich, daß — ich eine Viertel-
0349stunde zu spät daran dachte!
[4]
0350Wie so eine Dummheit Einem den Tag verderben und
0351hernach der Gedanke daran immer wieder kommen und
0352Einen plagen kann; hoffentlich kennst du das nicht so
0353gründlich wie ich, der ich mir nur zu oft so ärgerlichen
0354Katzenjammer bereite. Es wäre gar freundlich, wenn du
0355eure nächste Durchfahrt meldetest, vielleicht ruht ihr gar
0356hier eine Nacht aus?
0357Vom Herzen dein Brahms.“
0358„Lieber Freund! Wenn dich dieser Tage Herr Robert
0359Hausmann aus Berlin besucht, so sieh’ ihn doch. Du
0360wirst dich in jeder Beziehung des jungen Mannes erfreuen,
0361auch ohne sein vortreffliches Violoncell. Hausmann wohnt
0362mit seiner Mutter bei Fellingers. Du kennst die Leute,
0363so viel ich weiß, nicht. Ich glaube aber, du bist neuen Be-
0364kanntschaften gegenüber so wenig mobil wie ich. Sonst wäre
0365es hübsch, wenn du bei der Gelegenheit die Bekanntschaft
0366der sehr netten Leute machtest. Frau Fellinger ist eine
0367Tochter von Josephine Lang-Köstlin und eine gar reizende
0368und talentvolle Frau.
0369Ich hoffe, die Damen vom Professor Schmidt schil-
0370dern meine Promenade mit dem Körbchen nicht gar zu
0371lebhaft in Wien! Sonst möchten meine sonstigen, bis jetzt
0372wenig verwöhnten Freundinnen aufhören, so anspruchslos
0373zu sein.“
0374Für den September 1889 war wieder ein drei-
0375tägiges Musikfest in Hamburg angezeigt, wo
0376Brahms (als neuer Ehrenbürger der Stadt) mehrere noch
0377ungedruckte Chöre zur ersten Aufführung bringen sollte.
0378Mein Plan, hinzufahren, ward übrigens vereitelt. Auf meine
0379Anfrage antwortete Brahms aus Ischl: „Liebster Freund!
0380Ich begreife zwar die Hamburger Nachlässigkeit nicht. ...
0381Aufrichtig aber, ich verstehe auch nicht dein gar so eifriges
0382Drängen nach diesen Concerten, die, nebenbei gesagt, auch
0383durchaus nicht mit Titel und Anspruch eines Musikfestes
0384auftreten. So weit das nun aber mich angeht, macht es
0385mich verlegen. Du erwartest am Ende wunder was von
0386meinen ganz kleinen und simplen Sprüchen**)
und weißt
0388und bedenkst nicht, daß ich nur gern gerade jetzt eine kleine
0389Aufmerksamkeit zeigte und dazu die Worte, der Inhalt der
0390Sprüche geeignet ist. Dich aber als Nicht-Lutheraner und
0391Nicht-Norddeutscher kann nicht einmal dieses interessiren!
0392Vielleicht kann ich dir indeß einen andern kleinen musikali-
0393schen Spaß in Hamburg machen.
0394Dem Bülow aber gehen die Einfälle nicht aus! Einst-
0395weilen hat er im (wie es scheint, noch geheimen) Kriegsplan,
0396zum Schluß des dreitägigen Musikfestes drei Walzer von
0397Joh. Strauß zu machen!
0398Deine Rührigkeit beschämt mich und deine Reiselust
0399weckt vielleicht meine. Bis jetzt suche ich nur nach einem
0400Vorwand, wegbleiben zu dürfen! ... Willst du mir die
0401Freundschaft thun und in Bremen den Musikdirector Rein-
0402thaler aufsuchen oder durch Karte von deinem Kommen
0403benachrichtigen? Außerdem hast du den besten und gescheite-
0404sten Führer an ihm.“
0405Weit mehr noch hatte ich zu bedauern, daß es mir
0406nicht vergönnt war, einer sehr lockenden Einladung nach
0407Meiningen zu folgen. Brahms schreibt mir von dort
0408am 1. December 1891:
0409„Ich habe die Tage über viel und herzlich an dich ge-
0410dacht — „Pazmann“***)
hätte dir erlaubt, sie mitzugenießen,
0412und sie wären dir ein Genuß gewesen in jeder Beziehung.
0413Ich will dich nicht neidisch machen — nur deßhalb beschreibe
0414ich nicht ausführlicher, was dich Alles interessirt und er-
0415freut haben würde. Nur das Eine melde ich, daß ich erst
0416vierzehn Tage später (am 14. December) anfangen kann,
0417dir zu erzählen. Das kommt daher, daß Joachim die Jung-
0418fräulichkeit seines Quartetts meiner neuesten Sache preis-
0419gegeben hat. Bis jetzt hat er das keusche Heiligthum sorglich
0420gehütet, und jetzt, so sehr ich dagegen gesprochen, verlangt
0421er, daß ich mit Clarinett und Clavier eindringe, mit Trio
0422und Quintett. Am 12. December passirt das, und zwar
0423mit dem Meininger Clarinettisten.
0424Mandyczewski sage (oder lass’ ihn lesen), daß
0425das Quintett „Adagio con sordini“ so oft und lange ge-
0426spielt wurde, wie es der Clarinettist nur aushalten konnte.“
0427(Schluß folgt.)