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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 204. Wien, Dienstag den 21. März 1865

[1]

Theater und Concerte.

(Schubert-Concert der Philharmoniker. — Gesellschaftsconcert. Orchesterverein und Liedertafel. — „Paqueretta.“ — Offenbach’sSchöne Helena.“)


0003Ed. H. Was in Wien für die Errichtung eines Schu-
0004bert-Monumentes
bisher geschah, ist zum allergrößten
0005Theil das Verdienst des Männergesang-Vereins, der nicht blos
0006die erste Anregung dazu gab, sondern auch die reichlichsten Bei-
0007träge erzielte. Das Orchester des Hofoperntheaters hat nun
0008gleichfalls den Entschluß gefaßt und am 19. d. M. ausgeführt,
0009ein „philharmonisches Concert“ zum Vortheil des Schubert-
0010Monument-Fonds zu geben. Wer die Mühen der Vorbereitung
0011eines solchen Concerts und die Verhältnisse der in der Regel
0012vielgeplagten Orchester-Mitglieder kennt, der weiß das Opfer
0013zu würdigen, welches Capellmeister Dessoff, Concertmeister
0014Hellmesberger und die Herren vom Opernorchester hier
0015unaufgefordert einem patriotischen und künstlerischen Zweck dar-
0016brachten. Drei von den Orchesterstücken (das Programm be-
0017stand ausschließlich aus Schubert’schen Compositionen) waren
0018den Hörern so gut wie neu: zwei Zwischenact-Musiken zu
0019Rosamunde“ und die Ouverture zur Oper „Alfons und
0020Estrella.“ Rosamunde war ein vieractiges Drama der Frau
0021Helmine v. Chezy, in welchem viehhütende Prinzessinnen,
0022kühne Prinzen, gräßliche Tyrannen, Räuber, vergiftete Briefe etc.
0023vom Zufall weislich durcheinandergesetzt, einen romantischen
0024Unsinn vollführen, den heutzutage wol kaum Jemand verdauen
0025würde. Und was veranlaßte Franz Schubert zur Compo-
0026sition der Chöre, Tänze und Zwischenact-Musiken zu diesem
0027Schauerdrama? Ein äußerer zufälliger Anlaß, dieselbe „Göttin
0028Gelegenheit“, die ihm zeitlebens die kostbarsten Schätze entlockte,
0029um damit nur zu oft hölzerne Puppen zu schmücken. „Rosa-
0030munde“ war für das Theater an der Wien, und zwar zum
0031Benefice der Demoiselle M. Neumann (später verehelichten
0032Lukas) bestimmt. Für die hübsche Beneficiantin interessire
0033sich, wie Kreißle berichtet, gar zärtlich Herr Kuppelwie-
0034ser
, Schubert’s Freund. Er vermittelte, daß Schubert die
0035muskalische Ausstattung der „Rosamunde“ übernahm und in
0036seiner wunderbar raschen Productivität binnen fünf Tagen
0037vollendete. Bei der Anführung im Wiedener Theater (am 20. De-
0038cember 1823) gefiel die Musik sehr, ohne jedoch dem langweiligen
0039Schauspiel aufhelfen zu können. „Rosamunde“ wurde nach zwei
0040Vorstellungen für immer zurückgelegt. Auch um die Musik
0041kümmerte man sich nicht weiter, bis sie jetzt, also nach 42 Jah-
0042ren, durch Capellmeister Dessoff wieder ans Licht gezogen
0043wurde. Die Entreacts zur „Rosamunde“ gehören zu den inter-
0044essantesten und liebenswürdigsten Bekanntschaften, die wir seit
0045langer Zeit im Concertsaal gemacht haben. Nicht der (mitunter
0046mißbrauchten) Pietät für Schubert’s großen Namen bedarf
0047es zum Preise dieser Tonstücke, sie strömen über von der rei-
0048zenden Melodienfülle, dem feurigen und doch so lieblichen Er-
0049guß seines Gemüthslebens. Namentlich der erste Entreact ist ein
0050echter Schubert und, wie uns dünkt, der werthvollsten einer.
0051Ein marschähnlicher Satz übergeht in einen freien, dramatisch
0052schildernden Mittelsatz, der von dem tremolirenden Fis-moll-
0053Accord an alle Reize der Schubert’schen Romantik enthüllt.
0054Die Anlehnung an einen bestimmten Moment des Dramas ist
0055augenscheinlich, ohne daß sie jedoch den mit dem Schauspiel
0056unbekannten Hörer in seinem musikalischen Genuß verkürzt.


0057Dies eigenthümliche, tief leidenschaftliche Stück sagt uns,
0058welch bedeutende dramatische Wirkungen Schubert’s Musik er-
0059reicht hätte, wäre ihr jemals eine halbwegs ebenbürtige Dich-
0060tung entgegengekommen. Poetische Klötze, wie „Rosamunde“,
0061„die Zauberharfe“, „Alfonso“ und „Fierrabras“ mußten mit 
0062ihrem Centnergewicht selbst Schubert’s Musik rettungslos zu
0063Boden ziehen. Der Strom der Zeit ging darüber hinweg.
0064In unseren Tagen wagen sich rüstige Taucher hinab, lösen
0065den funkelnden musikalischen Schmuck von den versunkenen
0066Klötzen und retten ihn zur allgemeinen Freude wieder ans
0067Tageslicht.


0068Minder energisch und bedeutend, dafür von einschmeicheln-
0069der Zärtlichkeit ist der zweite Entreact, ein liedmäßiger Satz
0070mit zwei Trios, deren eines den reizendsten Wechselgesang
0071zwischen Clarinette und Oboe bildet. Das Thema scheint Schu-
0072bert besonders lieb gewesen zu sein, er hat es in das Andante
0073seines A-moll-Quartetts herübergerettet. Beide Stücke wurden
0074überaus schön vorgetragen; das Publicum wünschte offenbar
0075deren Wiederholung, — das nächste Jahr wird sie hoffentlich
0076bringen. Während Schubert in dem ersten Entreact sich
0077vollkommen frei gehen läßt, sich in der Fülle einer reichbewegten
0078Gedankenwelt nicht an die Grenzen einer Zwischenactmusik
0079bindend, hält er sich in der Ouverture zu „Alfonso und Estrella“
0080streng in den knappen Formen der damaligen Ouverturen.
0081Nicht von hervorragender Eigenthümlichkeit oder Größe, mit
0082andern Schubert’schen Instrumental-Werken verglichen, macht
0083doch ihr klarer, lebhafter Melodienfluß, mit dem effectvoll und
0084glänzend aufstürmenden Schluß, einen ganz gewinnenden Ein-
0085druck und eignet sich das Stück ganz besonders zur Einlei-
0086tungsmusik.


0087Die große C-dur-Symphonie, an Reichthum und Genia-
0088lität der Erfindung die erste seit Beethoven der Zeit wie dem
0089Range nach, beschloß würdig das Concert. Die bedeutenden
0090Längen dieses Werkes sind allerdings nicht wegzuleugnen, die
0091vorherrschende Homophonie und die Gleichförmigkeit des Rhyth-
0092mus macht sie ungleich fühlbarer als Aehnliches bei Beethoven.
0093Wir haben die jedesmal und überall constatirte Thatsache auch [2]
0094bei dieser Aufführung wieder beobachtet, daß das Publicum,
0095welches zu Anfang jedes der vier Sätze sich mit Entzücken dem
0096Melodienzauber hingibt, gegen Ende jedes Satzes und der gan-
0097zen Symphonie sichtlich ermüdet. Wir glauben, daß ein häu-
0098figeres Vorführen des Werkes auch diese Ermüdung allmälig
0099verringern würde, und empfehlen deshalb das Mittel im all-
0100seitigen Interesse. Die übrigen Theile des Programms erlit-
0101ten einige unvorhergesehene Lücken: Frau Dustmann hatte
0102zwei Tage vor dem Concert, Herr Walter sogar erst zwei
0103Stunden vor demselben wegen Unpäßlichkeit absagen lassen.
0104Fräulein Bettelheim bewährte, wie so oft schon, ihre rüh-
0105menswerthe Bereitwilligkeit, indem sie außer ihren angekündig-
0106ten zwei Liedern („Memnon“, „Gruppe aus dem Tartarus“)
0107noch zwei andere („An Anselmo’s Grab“ und „Geheimes“)
0108vortrug. Die beiden letztgenannten gelangen ihr ganz vorzüg-
0109lich und riefen stürmischen Beifall hervor. Capellmeister Des-
0110soff, der zwischen den anstrengenden Orchesternummern oben-
0111drein alle Lieder auf dem Piano begleitete, wurde sammt dem
0112trefflichen Orchester nach jedem Stücke lebhaft ausgezeichnet.


0113Eine sehr genußreiche Production, die nicht durch Novi-
0114täten, aber durch vortreffliche Ausführung bekannter gediegener
0115Werke glänzte, war das dritte „Gesellschafts-Concert“
0116im großen Redoutensaale. Unter Herbeck’s vorzüglicher Lei-
0117tung wurde Haydn’sSymphonie mit dem Paukenschlag,“
0118Schumann’sSchifflein“ und „Im Walde“ (Vocalchöre),
0119endlich Mendelssohn’sWalpurgisnacht“ aufgeführt. In
0120letztgenannter Composition (neben dem „Sommernachtstraum“
0121gewiß die lebensfrischeste und eigenthümlichste des Meisters)
0122sangen die Herren Walter, Bignio und Panzer, dann
0123eine talentvolle, stimmbegabte Schülerin des Conservatoriums,
0124Fräulein Ritter, die Soli mit Liebe und Verständniß. Die
0125wohlgeschulten, herrlichen Stimmen des „Singvereins“ be
0126währten den vortheilhaften Ruf dieser Gesellschaft. Wenige 
0127Tage nach dieser ernsten Production wurde Herrn Herbeck’s 
0128Talent von seiner komischen Seite gefeiert: in einer sehr be-
0129suchten Liedertafel des Männergesang-Vereins, welcher
0130Herbeck’s „Musikalische Preisausschreibung“ und andere Scherze
0131vom letzten „Narrenabend“ zur allgemeinen Befriedigung
0132wiederholte.


0133Es wird wol keine allzu starke Indiscretion sein, wenn
0134wir auch einmal von dem „Orchesterverein“ sprechen, der
0135unter den Flügeln „der Gesellschaft der Musikfreunde“ und
0136speciell unter der umsichtigen Leitung des Musikdirectors Heiß-
0137ler
eine geräuschlose, aber um so vernünftigere und ersprieß-
0138lichere Existenz führt. Die Productionen dieses aus Dilettanten
0139zusammengesetzten Vereins bewahren einen familienhaft abge-
0140schlossenen Charakter, — er hat nichts von jenem krankhaften
0141Drängen in die Oeffentlichkeit, das der Ruin so vieler „Lieb-
0142haber-Concerte“ geworden ist. Einige der letzten Productionen
0143des „Orchestervereins“, insbesondere die gelungenen Aufführun-
0144gen Haydn’scher und Mozart’scher Symphonien, dann der
0145vollständigen „Egmont-Musik“ von Beethoven (unter aus-
0146gezeichneter gastlicher Mitwirkung von Frau Dustmann) fan-
0147den so einhelligen und verdienten Anklang, daß wol auch die
0148Kritik von dem Aufblühen des „Orchestervereins“ und der er-
0149folgreichen Thätigkeit Herrn Heißler’s Kenntniß nehmen darf.


0150Im Kärntnerthor-Theater scheint man nach der
0151Dinorah“ die Verpflichtung gefühlt zu haben, auch das Ballet-
0152repertoire mit einer Novität zu bereichern. Man brachte daher
0153ein altes Ballet, „Paqueretta“, zur Aufführung, das vor 12
0154Jahren hier sehr gefallen haben soll. Nach den officiösen Mit-
0155theilungen, welche als wohlmeinende Möven dieser Aufführung
0156voranflogen, waren wir nahe daran, zu glauben, die letzten
015712 Jahre seien eigentlich nur ein ununterbrochenes Sehnen
0158und Schmachten nach diesem alten Ballet gewesen. „Paqueretta“
0159heißt es und sehr langweilig ist es. Gleich der erste Art ge-
0160währt einen beängstigenden Ausblick auf die absolute Hand-
0161lungslosigkeit des Ganzen. Man feiert ein „ländliches Fest“
0162von unendlicher Länge; voran hüpfen die Tänzerinnen mit
0163Strohbündeln herum, im Hintergrund stehen auf einem roth-
0164gedeckten Tisch vier Damen (wahrscheinlich die Jahreszeiten)
0165und über ihnen ein alter Capuziner. Unergründlich, aber wahr.
0166Es folgt eine Recrutirung, bei welcher Paqueretta’s Geliebter
0167Handgeld nimmt, um einem verschuldeten Bauer aufzuhelfen.
0168Paqueretta dringt in Männerkleidung in die Kaserne und hilft
0169ihrem ritterlichen Bräutigam zur Flucht. Auf dieser noblen
0170Unternehmung begriffen, findet er Gelegenheit, die Frau seines
0171Obersten aus Räuberhänden zu retten, und erhält dafür Par-
0172don und Heiratsbewilligung. Abermals ländliches Fest, bis
0173zum letzten Herabfallen des Vorhangs während. Die schäbige
0174Ländlichkeit und Häuslichkeit, welche dies ganze Ballet ununter-
0175brochen beherrscht, erinnert uns an den Wahlspruch des Freiherrn
0176Gaudy: „Häuslich — scheußlich, Ländlich — schändlich.“


0177So anziehend, effectvoll und charakteristisch einzelne Tanz-
0178scenen in der Oper wirken — das selbstständige große Ballet
0179bleibt im Grunde doch immer eine Schmarotzerpflanze. Als
0180solche kann es eine relative Berechtigung doch nur in der Ent-
0181faltung großer, geschmackvoller Pracht finden: in glänzenden
0182Costüms und Decorationen, überraschender Maschinerie, im-
0183posanten Massen, bei stets reicher, wechselvoller Handlung und
0184schönem, künstlerisch ausgebildeten Material. Für so lang-
0185weilige Genügsamkeiten, wie diese „Paqueretta“, ist die Zeit
0186vorüber. Weder Handlung noch Ausstattung, weder poetische
0187noch komische Wirkung, jeder Schritt, jede Gruppe tausendmal
0188gesehen, und zu alledem das Geleier einer trivialen, zopfigen
0189Musik — „in Mozart’schem Styl“, wie die Ballettänzer
0190sagen. Das Publicum langweilte sich bis tief in den vierten Act
0191hinein, wo Fräulein Couqui und Herr Frappart ein un-
0192garisches Pas de deux ebenso charakteristisch als graciös [3]
0193tanzten. Wie erquickend frisch und realistisch wirkte das na-
0194tionale Element inmitten der grauen Allgemeinheit eines sol-
0195chen „idealen“ Ballets! Noch ein hübsches Stück bemerkten
0196wir: den militärischen Tanz der Marketenderin, zu welchem
0197unter Trommelschlag die Soldaten (wie das Orchester bei
0198einem Concertstück) die Begleitung und Tutti-Ritornells tan-
0199zen. Dabei muß allerdings die Tänzerin durch charakteri-
0200stische Mimik, durch kräftige Anmuth und Schönheit glänzen,
0201nicht blos durch Magerkeit rühren. Wir dachten unwillkürlich
0202an Kathinka Friedberg, die freilich auf ihrem Grafenschloß
0203in Westfalen jetzt andere Dinge zu thun hat. Fräulein Cou-
0204qui
und Herr Frappart sind Künstler ersten Ranges, aber
0205sie allein können nicht hindern, daß eine aufgewärmte Albern-
0206heit wie „Paqueretta“ spurlos vorübergehe.


0207Noch haben wir mit einigen Worten des theatralischen
0208Ereignisses an der Wien zu gedenken, der „schönen Helena“
0209von Offenbach. Nachdem wir in einer kurzen Notiz bereits
0210bemerkten, daß das Stück mit all’ seiner Frivolität und seiner
0211grotesken Possenhaftigkeit zu den geschicktest angelegten und im
0212Detail ergötzlichsten Arbeiten dieses Genre’s gehört, und daß
0213wir die Musik zu den gelungensten Erzeugnissen Offenbach’s
0214zählen, so bleibt uns eigentlich nichts Wesentliches mehr zu
0215sagen übrig. Der charakteristische Typus der Offenbach’schen
0216Musik ist den Wienern längst bekannt; ein Publicum, das den
0217Orpheus“ nach unzähligen Wiederholungen noch stets mit
0218Vergnügen hört und erst kürzlich die „schönen Georgierinnen“
0219mit Enthusiasmus aufgenommen hat, muß sich bei der „He-
0220lena
“ nothwendig aufs beste amüsiren. Die Musik zum „Or-
0221pheus“ überragt die zur „Helena“ an Frische und ausgelasse-
0222ner Lustigkeit, obendrein wirkte jene durch den vollen Reiz
0223einer Neuheit, die bei so fabelhaft fruchtbaren Componisten
0224wie Offenbach unmöglich Jahre hindurch unverringert Stand
0225halten kann. Die „Georgierinnen“ hingegen können sich, 
0226wenn man etwa von dem Pascha-Terzett absicht, mit der
0227Helena“ nicht messen, weder dramatisch, noch weniger musika-
0228lisch. Man wird in der „schönen Helena“ vieles ganz Unbe-
0229deutende und Triviale finden, auch manche Reminiscenzen an
0230frühere Melodien Offenbach’s, was bei einem Componisten,
0231der binnen zehn Jahren gegen achtzig Singspiele componirt
0232hat, nur zu begreiflich ist. Hingegen hat „Helena“ auch wie-
0233der Musikstücke aufzuweisen, die an graciöser Leichtigkeit, an
0234derber, melodiöser Frische und an komischem Effect Offenbach’s
0235besten Einfällen nicht nachstehen. Wir erinnern an die anmu-
0236thige Erzählung des Paris im 1. Act, an die hochkomischen
0237Couplets mit Chor-Refrain, womit die griechischen Könige auf-
0238treten und sich einzeln vorstellen, an die pikanten Couplets der
0239Helena im 2. Act, an einzelne sehr gelungene Stellen des be-
0240denklichen Traumduetts und des zweiten Finales. Im 3. Act
0241begegnen wir zwei Nummern von echt komischer Wirkung:
0242dem „patriotischen Terzett“ und dem Auftreten des falschen
0243Oberpriesters von Cythere.


0244In dem Terzett reden Kalchas und Agamemnon 
0245dem König Menelaus scharf zu Gemüthe, er möge seine
0246Privatgefühle dem Wohl des Landes opfern. Die schlagende
0247Aehnlichkeit der Situation mit jener im dritten Act des „Wil-
0248helm Tell“ hebt Offenbach witzig hervor, indem er sein Trio
0249mit den Anfangstacten des Rossini’schen Terzetts beginnen
0250läßt. Im Verlaufe, als Agamemnon die zunehmende Sitten-
0251losigkeit Griechenlands schildert, die sich bis auf den Tanz er-
0252streckt, erklingt (schnell und discret vorübergehend) als Citat
0253der Galopp-Cancan aus „Orpheus“. Von ergötzlichster Wir-
0254kung ist hierauf das Erscheinen des Paris (als falscher Ober-
0255priester), der den feierlichen Hymnus der Bewohner von Nauplia 
0256mit einem ins hohe cis hinaufjodelnden „Schnaderhüpfel“ beant-
0257wortet, das sofort magisch auf die Mienen und die Füße des
0258versammelten Volkes wirkt.


0259Was die Wirkung der Novität am ersten Abende empfind-
0260lich beeinträchtigte, war die allzugroße Länge derselben. Nach-
0261dem der erste Act vollständig reussirt und auch noch der zweite
0262gefallen hatte, war das Publicum zu ermüdet, um noch an
0263dem dritten Vergnügen zu finden. Wir kommen mit unserm
0264Rath, das Stück um drei Viertelstunden zu kürzen, schon zu
0265spät, wie wir mit Vergnügen vernehmen; hoffentlich hat das
0266kritische Messer zunächst die lästig ausgesponnene Räthsel-
0267scene und das alberne „Gänsespiel“ getroffen, viele Längen im
0268Dialog jedes der drei Acte, einige ganz werthlose Chorcouplets und
0269die äußerst unangenehme Ouverture. Die „schöne Helena“ soll in
0270den letzten bereits sehr abgekürzten Vorstellungen weit ent-
0271schiedener als das erstemal gefallen haben. Die glänzende
0272Ausstattung, treffliche Scenirung und die gute Besetzung der
0273Hauptrollen dürfen sich einen großen Theil dieses Erfolges
0274zuschreiben. Fräulein Geistinger sang die „Helena“ sehr
0275hübsch und spielte mit vollendeter Noblesse. Ihre Stimme,
0276in der Höhe etwas angegriffen, ist in den mittleren, noch mehr
0277in den tiefen Tönen voll und schön, noch wohltönender klingt
0278ihr Organ im Sprechen. Herr Swoboda gab den Paris 
0279in ebenso ergötzlicher als liebenswürdiger Weise. Die nicht
0280geringen Schwierigkeiten seiner anstrengenden Gesangspartie
0281überwindet er überaus gewandt; hoffentlich ist auch die in
0282Folge der vielen Proben eingetretene Ermüdung seines Organs
0283seit der ersten Vorstellung behoben. Die Herren Rott,
0284Blasel und Friese, für den Gesang nicht ganz ausreichend,
0285spielten mit unwiderstehlicher Komik. Um die kleineren Rollen
0286machten sich besonders Fräulein Klang, Frau Blasel, die
0287Herren Stein und Kaschke (das classische Ajax-Paar) ver-
0288dient; um die Uebersetzung ins Deutsche die Herren Zell und
0289J. Hopp. Herr Offenbach, der die drei ersten Vor-
0290stellungen selbst dirigirte, wurde mit Applaus empfangen und
0291wiederholt gerufen.