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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 385. Wien, Sonntag den 24. September 1865

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Der österreichische Adel und die Musik. I.

[2]


0002Ed. H. In der älteren Musikgeschichte Oesterreichs bil-
0003den die Privatcapellen der reichen Aristokraten einen ungemein
0004wichtigen, bisher kaum nach Gebühr gewürdigten Factor.
0005Obwol die aristokratischen Musik-Productionen ihrer Natur
0006nach die Oeffentlichkeit ausschlossen, wirkten sie dennoch mit-
0007telbar auf das Allgemeine, weil sie gewissermaßen das noch
0008fehlende öffentliche Concertleben vertraten und das sich ent-
0009wickelnde stark beeinflußten.


0010Die reichsten, angesehensten Cavaliere Oesterreichs, die
0011Schwarzenberg, Lichtenstein, Thun, Lobkowitz, Kinsky, Gras-
0012salkowitz, Eszterhazy u. s. w., hielten ehedem Privatkapellen,
0013d. h. Musiker, die vollständig in ihren Diensten standen, 
0014fürstliche Angestellte oder Hausbeamten waren. Den Winter
0015meist in Wien, den Sommer auf ihren Gütern verbringend,
0016waren diese Edelleute hier wie dort von ihren Musikkapellen
0017gefolgt.


0018Der Besitz einer vorzüglichen Privatcapelle war ein Ge-
0019genstand aristokratischen Ehrgeizes, und jedenfalls nicht der
0020schlechteste. Wer sich desselben rühmen konnte, producirte ihn
0021gern in Wien zum Vergnügen der geladenen vornehmen Ge-
0022sellschaft. Es waren Privat-Aufführungen, Genüsse der
0023Privilegirten, trotzdem drang ihr Ruhm mitunter weit
0024ins Land.


0025Eine der berühmtesten Privatcapellen war die des Feldmar-
0026schalls Joseph Friedrich Prinz von Sachsen-Hildburghau-
0027sen
(geb. 1702, † 1787). Dieser leidenschaftliche Musikfreund,
0028ein Liebling Maria Theresia’s, gab in seinem Palais (dem
0029jetzt Fürst Auersperg’schen am Josephstädter Glacis) dem
0030hohen Adel allwöchentlich Akademien. Hofcapellmeister Bonno 
0031war gegen einen jährlichen Ehrensold mit der Leitung dieser
0032großen, den ganzen Winter hindurch an Freitag-Abenden statt-
0033findenden Concerte engagirt. Als Gluck 1751 aus Italien 
0034zurückkam, wurde er gleichfalls dafür gewonnen und dirigirte
0035meist bei der ersten Violine. Am Abend vor dem Concert
0036wurde jedesmal Probe gehalten und die Capelle durch eine
0037Anzahl der besten Orchesterspieler Wiens (sie hatten an Frei-
0038tagen kein Theater) verstärkt. An der Spitze dieser Capelle
0039stand Dittersdorf (damals noch unadeliger „Ditters“)
0040als Primgeiger. Kam ein ausgezeichneter Virtuose nach Wien,
0041so mußte Bonno zuvor wegen des Honorars mit ihm unterhandeln
0042und ihn dann zur Mitwirkung einladen. Als der Prinz im
0043Jahre 1759 Wien verließ, übernahm das kaiserliche Hof-
0044theater Dittersdorf und die vorzüglichsten Mitglieder der
0045Capelle.


0046Die Vorzüglichkeit der Fürst Eszterhazy’schen Capelle
0047in Eisenstadt und ihre musikgeschichtliche Bedeutung ist be-
0048kannt, im Winter folgte sie dem Fürsten nach Wien. Für sie
0049hat Haydn seine meisten Instrumentalwerke, ja sogar Opern 
0050gesetzt, nachdem er früher im Dienste des böhmischen Grafen
0051Morzin, also ebenfalls für eine Privatcapelle, seine erste
0052Symphonie geschrieben hatte. Capellen wie die Hildburg-
0053hausen’s
, Eszterhazy’s, Lobkowitz’, Schwarzen-
0054berg’s
wurden zu den integrirenden Bestandtheilen des
0055Wiener Musiklebens gezählt; die Stadt war stolz darauf,
0056wenn sie auch wenig oder nichts davon genoß. Als letztes
0057Glied dieser musikalischen Kette kann man das berühmte
0058Rasumowski’sche Quartett“ betrachten, das für Beetho-
0059ven und durch Beethoven so große Bedeutung erlangte. Es
0060ist der Schlußring, kleiner, aber kaum weniger werthvoll als
0061die übrigen.*)


0068Die Blüthezeit dieser fürstlichen Capellen breitete sich
0069um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aus, gegen Ende dessel-
0070ben verstummten sie allmälig. Das „Jahrbuch der Tonkunst“
0071vom Jahre 1795 gibt an, daß in Wien „außer der fürstlich
0072Schwarzenberg’schen Capelle fast keine mehr existirt“. Fürst
0073Grassalkowitz hatte seine Capelle auf Harmoniemusik reducirt,
0074außerdem hielt Baron Braun eine Harmonie als Tafel-
0075musik. In Prag bestand zur selben Zeit (1795) außer der
0076gräflich Pachta’schen Harmoniemusik keine Capelle mehr.
0077Und doch war die Zahl derselben zweifellos am größten eben
0078in Böhmen gewesen, wo das musikalische Talent der Nation
0079und die bis in die letzte Volksschichte verbreitete Geschicklich-
0080keit auf einem oder dem andern Instrument die Sitte der
0081Privatcapellen so ungemein unterstützte. Die böhmischen Ca-
0082valiere brauchten nicht theure Musiker blos der Musik halber
0083zu engagiren, sie forderten einfach von ihren Beamten und
0084Bedienten musikalische Kenntnisse. Die Büchsenspanner in
0085adeligen Häusern durften nicht eher die Livree anziehen, als [3]
0086bis sie das Waldhorn vollkommen blasen konnten.**) Gyro-
0091wetz
erzählt in seiner Selbstbiographie, wie er beim Grafen
0092Fünfkirchen in Chlumetz Symphonien und Serenaden zu com-
0093poniren anfing, „weil damals die ganze Dienerschaft,
0094alle Beamten und auch die geistlichen Herren
0095sämmtlich musikalisch sein mußten
“. Solche Privat-
0096capellen zogen verborgene Talente aus dem Dunkel und mach-
0097ten die Ausgebildeten — bei Gelegenheit von Tafelmusiken,
0098Serenaden, Concerten — schnell bekannt. Die Rolle, welche
0099Böhmen, als musikalischer Werbbezirk von ganz Deutschland,
0100zur Zeit der fürstlichen Privatcapellen spielte, war bedeutend.
0101Zur Zeit des größten Glanzes der italienischen Capelle und
0102Oper in Dresden zog man eine große Anzahl böhmischer
0103Künstler dahin. Viele warteten diesen Ruf gar nicht ab,
0104denn da sie von ihrer Herrschaft häufig nur als Bediente
0105behandelt und bezahlt wurden, entwischten die Geschickterern
0106bei günstiger Gelegenheit und zogen, ihr Instrument unter
0107dem Arm, in die weite Welt.


0108In der Sitte der Privatcapelle lag ein musikalisches
0109Culturmoment von großer Tragweite. Wer ein solches Haus-
0110orchester besaß, wünschte natürlich auch möglichst viel neue
0111und effectvolle Compositionen für dasselbe. Sie muß-
0112ten von dem Componisten geliefert werden, der als solcher
0113„in Diensten“ stand, oder wurden bei einem anderen be-
0114liebten Tonsetzer bestellt. Die Folge war eine große Anre-
0115gung zum musikalischen Schaffen. Dem sich immer erneuern-
0116den Verbrauch und Begehr entsprach eine sich immer er-
0117neuernde Production. Ein Haydn, Gyrowetz, Dit-
0118tersdorf
entbehrten nie der künstlerischen Anregung, sie
0119brauchten für ein Orchester, für ein Publicum, für einen
0120Verleger nicht zu sorgen. Indem diese Tondichter Instru-
0121mental- und Gesangskräfte, die sie genau kannten, jeden Mo-
0122ment zur Verfügung hatten, gewannen sie spielend die Tech-
0123nik ihrer Kunst, sie lernten praktisch setzen und mit kleinen
0124Mitteln effectuiren.


0125Hingegen führte das Verhältniß auch manche Nachtheile
0126mit sich. Fürs erste das Schnell- und Vielschreiben der
0127Componisten. Sie mußten einem enormen Hör- und Spiel-
0128bedürfnisse begegnen, das mehr auf angenehme Abwechslung
0129und unterhaltende Beschäftigung, als auf Tiefe und Größe
0130des Gebotenen ausging. Die Componisten folgten in der
0131Regel nicht ihrer Inspiration, sondern dem Befehle des eige-
0132nen, der Bestellung des fremden „Herrn“. Da sie nicht
0133für ein großes, selbstständiges Publicum, sondern stets nur
0134für einige kleine Kreise schrieben, so durften sie sich’s leicht
0135machen, sich ungestraft wiederholen. Man schrieb und be-
0136stellte immer gleich sechs Symphonien, zwölf Trios, zwölf
0137Quartette u. s. w. Diese massenhafte Production hin-
0138derte die Vertiefung des einzelnen Werkes und ist schuld,
0139daß zahllose Instrumental-Compositionen Haydn’s und
0140Mozart’s — von Dittersdorf und Gyrowetz nicht zu reden
0141— vom Strome der Zeit rasch und rettungslos weggespült
0142worden sind. Beethoven, der keinem Herrn diente und
0143keine Privatcapelle zu versorgen hatte, war der erste Instru-
0144mental-Componist, der nicht, wie seine Vorgänger, massenhaft
0145componirt hat.


0146Die persönliche Stellung des Componisten oder Kammer-
0147musicus zu seinem hochgeborenen Herrn hatte ferner etwas
0148nach unsern Begriffen Unangemessenes, mitunter Unwürdiges.
0149Das „Patriarchalische“ hat stets zwei Seiten: die gemüthliche
0150einer väterlichen Fürsorge und die unwürdige einer hoch-
0151müthigen Bevormundung. Ohne Zweifel lag in jenem sub-
0152ordinirten Verhältniß der Künstler zu ihrem Dienstherrn und
0153Beschützer manches gemüthliche Element, ganz so wie auch die
0154Regierung Friedrich’s des Großen oder des Herzogs Karl von
0155Würtemberg nicht ohne patriarchalischen Reiz war. Die künst-
0156lerischen, insbesondere die musikalischen Zustände des 18. Jahr-
0157hunderts bis in den Anfang des 19. waren dicht verflochten
0158mit den politischen und socialen Lebensformen jener Zeit;
0159wir vermögen für unser Theil weder das Eine noch das
0160Andere zurückzuwünschen. Der fürstliche Herr pflegte nicht
0161blos die Kunst, sondern auch die Person des Künstlers zu
0162bevormunden. Mozart mußte die Erlaubnis seines Erz-
0163bischofs haben, wenn er in einer öffentlichen oder Privat-
0164Akademie spielen wollte, und klagte oft bitter über deren bös-
0165willige Verweigerung, die ihn an seiner künstlerischen Repu-
0166tation wie an seinem Einkommen empfindlich schmälerte.
0167Hingegen wurde Mozart vom Erzbischof auch in fremde ade-
0168lige Häuser, heute hierhin, morgen dorthin zum Musikmachen
0169„befohlen“. Ja mitunter übten nicht souveräne große Herren
0170ungenirt eine ganz selbstständige Strafgerichtsbarkeit über ihre
0171Kammer-Virtuosen, wie denn Prinz Hildburghausen den flüch-
0172tig gewordenen Dittersdorf nicht nur in Prag aufheben
0173und nach Wien zurückbringen ließ, sondern ihm hier aus
0174eigener Macht vierzehn Tage Arrest, jeder vierte Tag bei
0175Wasser und Brot
, dictirte. Die bedientenhafte Abhängig-
0176keit von einem hochmüthigen Magnaten erzeugt nur zu leicht
0177unwürdige Demuth. Als Dittersdorf Capellmeister und
0178Kammercomponist des Bischofs von Großwardein wurde, war
0179seine erste Bitte, der Bischof möge ihn „du“ nennen. Er
0180war es von seinen früheren Herren nicht anders gewohnt.
0181Man weiß, wie viel Mozart sich mußte gefallen lassen und
0182gefallen ließ, ehe er den „patriarchalischen“ Käfig endlich
0183durchbrach.


0184Aber auch noch viel später sehen wir die Künstler frei-
0185willig die Livree ihrer Herrschaft vor dem großen Publicum
0186tragen. Sie ließen als reisende Virtuosen, auf öffentlichen
0187Anschlagzetteln den Titel: „Kammermusicus des Herrn Grafen
0188N. N.“ oder „in Diensten Sr. bischöflichen Gnaden X. Y.“
0189um keinen Preis weg. Durch dieses vornehme Halsband
0190fühlten sie sich hoch über ihre frei einhergehenden Collegen
0191erhoben. Noch in den Zwanziger-Jahren schrieben sich
0192Schuppanzigh, Linke und Weiß stets „in Diensten Sr. [4]
0193Excellenz des Herrn Grafen v. Rasumowski“, Moscheles 
0194concertirte als „fürstlich Eszterhazy’scher Kammer-Virtuos“,
0195ja selbst der Componist Tomaschek in Prag legte, nachdem
0196er seit Decennien außer jeglichem Dienstverhältniß stand, auf
0197den bloßen Titel: „Compositeur des Herrn Grafen Bouquoi“
0198hinlänglichen Werth, um ihn seinem Namen auf jedem Noten-
0199blatt beizusetzen.


0200Die Sitte der Großen des vorigen Jahrhunderts, be-
0201rühmte Componisten oder Virtuosen in ihren Diensten zu
0202haben, trug am meisten dazu bei, die unterthänige Stellung
0203des Künstlers auch noch länger hinaus festzuhalten. Noch
0204Spohr wurde es 1805 zugemuthet, sich am Stuttgarter
0205Hofe hören zu lassen, während die hohe Gesellschaft Karten
0206spielte. Man kann sagen, daß Beethoven zuerst diesen
0207Bann der Unterthänigkeit gebrochen und dem Musiker die
0208volle, freie Manneswürde zurückgegeben habe. Obwol durch
0209vielfache Bande an die höchste Aristokratie gefesselt, ihr be-
0210freundet und verpflichtet, bewahrte Beethoven doch sein stolzes
0211Künstlerbewußtsein, benahm sich als ihresgleichen und ließ
0212in seinen Handlungen sich so wenig von ihr beeinflussen, als
0213in seinen musikalischen Ideen. Wir ersehen aus manchen
0214Beispielen, wie die Willkür, das Unredlich-Patriarchalische
0215dieses musikalischen ancien régime sich auch in dem Leicht-
0216sinn und der laxen Moral äußerte, womit hochgeborne Musik-
0217freunde die verschiedensten Aemter und Anstellungen verliehen,
0218blos um die musikalischen Talente des Angestellten sich nutz-
0219bar zu machen. Der Fürstbischof von Breslau, welchem
0220Dittersdorf als Componist und Violinspieler unentbehr-
0221lich geworden war, den er aber doch nicht in dieser Eigen-
0222schaft theuer bezahlen wollte, gab ihm erst die Stelle eines
0223Forstmeisters, dann die eines Amtshauptmannes und Regie-
0224rungsrathes in Freiwaldau, wo er „Politica, Publica et Judi-
0225cialia“ zu amtiren hatte. Dittersdorf hielt sich beständig bei
0226seinem Herrn in Johannisberg auf, und ein „Verweser“ be-
0227sorgte seine Amtsgeschäfte in Freiwaldau. Da überdies die-
0228ses Amt stets an Adelige verliehen worden war, verschaffte 
0229der Fürstbischof dem melodienreichen Amtshauptmann auch
0230den Adel. Als man Gyrowetz, der des musikalischen
0231Umherzigeunerns müde war, in Wien nicht gleich einen Capell-
0232meisterposten geben konnte, machte man ihn zum k. k. Hof-
0233concipisten und verwendete ihn bei der Hauptarmee, wo er
0234mitunter die wichtigsten Courierdienste verrichtete. Mit
0235Depeschen aus dem Hauptquartier nach Wien geschickt, erhielt
0236Gyrowetz von Baron Braun den Antrag, Capellmeister am
0237Hofoperntheater zu werden, was natürlich ebenso schnell an-
0238genommen wurde. Von C. M. Weber’s Thätigkeit als
0239Secretär des Herzogs von Würtemberg weiß die von seinem
0240Sohn verfaßte Biographie merkwürdige Dinge zu berichten.
0241Wir glauben, wenn Mozart (im Jahre 1781) seine Rück-
0242kehr zum erzbischöflichen Hof davon abhängig gemacht hätte,
0243beim Consistorium in Salzburg angestellt zu werden, man
0244wäre vielleicht auch darauf eingegangen.


0245Noch mehr als über die Person des Kammermusicus
0246übten jene fürstlichen Beschützer auf die Werke desselben
0247gerne ein anmaßendes Privilegium aus. Wer zum Gebrauch
0248seiner Capelle für sein Geld Compositionen bestellt hatte,
0249wollte sie in der Regel auch für sich allein besitzen. Die Ton-
0250kunst, die frei wie Luft und Wasser alle Menschen erquicken
0251sollte, wurde gräfliches oder fürstliches Privateigenthum. Es
0252bedurfte einer besonderen Großherzigkeit oder Gleichgiltigkeit
0253des hohen Bestellers, oder eines günstigen Zufalls, damit die
0254von ihm erworbenen Tondichtungen auch der ganzen Welt
0255zu statten kommen durften. Die Geschichte der Musik hat uns
0256viele merkwürdige Verhältnisse dieser Art aufgezeichnet, und
0257die meisten ohne Zweifel hat sie nicht aufgezeichnet. So war
0258einer der größten Verehrer Gaßmann’scher Musik Graf
0259Dietrichstein, der dem Componisten für sechs Symphonien
0260oder Quartette immer hundert Ducaten zahlte, wofür er aber
0261verlangte, daß Niemand außer ihm sie erhalten sollte. Gaß-
0262mann erfüllte den Vertrag so genau, daß er diese Compo-
0263sitionen nicht einmal dem Kaiser (Joseph II.) gab, der sie
0264wiederholt zu hören verlangte. Nach Gaßmann’s Tode 
0265wünschte der Kaiser, Dietrichstein möchte die Sachen stechen
0266lassen, dieser that es aber durchaus nicht. Eine Menge Com-
0267positionen von Haydn, Mozart u. A. wurden nie gedruckt,
0268nie bekannt, blos weil sie von ihren Bestellern als Privat-
0269eigenthum gehütet wurden. Ja dies Verhältniß, das uns
0270heutzutage so fremdartig berührt, reicht noch in einzelnen
0271Beispielen bis in die neueste Zeit. So stand Spohr wäh-
0272rend seines Wiener Aufenthaltes in den Jahren 1812 und
02731813 in einem drückenden Abhängigkeits-Verhältniß zu einem
0274reichen Fabrikanten, Namens Tost. Dieser eitle Musikfreund
0275zahlte Spohr ein angemessenes Honorar dafür, daß ihm das
0276Eigenthum aller Compositionen, die Spohr noch schreiben
0277würde — also ein Glückskauf — auf drei Jahre gehöre.
0278Während dieser drei Jahre durften keine dieser Compositionen
0279veröffentlicht oder ohne ausdrückliche Bewilligung und anders
0280als in Gegenwart Tost’s in irgend einer Gesellschaft gespielt
0281werden. Es liegt etwas überaus Engherziges, Eigennütziges in
0282solchem privilegirten Besitz, etwas, das mitunter an die Figur
0283des Geizhalses Don Gregorio in Hebbel’sTrauerspiel in
0284Sicilien“ erinnert, welcher ausruft:
0285„Hei, wenn es mir gefällt, die ganze Ernte /
0286Im Halm zu kaufen und sie steh’n zu lassen, /
0287Für’s Wild und für die Vögel: Kümmert’s wen? /
0288Ich glaube nicht, wenn ich nur zahlen kann! /
0289— — — — — — — Wär’ ich blind, /
0290So kauft’ ich mir die besten Bilder auf /
0291Und hinge sie in einem Saal herum, /
0292Den außer mit kein Mensch betreten dürfte; /
0293Und wär’ ich taub, so setzt’ ich die Capelle /
0294Aus allen großen Virtuosen mir /
0295Zusammen, die mir täglich spielen müßte, /
0296Mir ganz allein und keinem Andern mehr; /
0297Dann hätte Rafael nur für mich gemalt /
0298Und Palestrina nur für mich gesetzt. /
0299— — — — — — — — — — — /
0300Und wenn ich all’ das Zeug verbrennen ließe, /
0301Die heiligen Familien und Messen, /
0302So wär’s vorbei mit der Unsterblichkeit!“ /

Fußnoten
  • *)Ein letzter, spätester Nachhall endlich war das treffliche
    Streichquartett des Fürsten Czartoryski, das — mit Mayse-
    der
    als Primgeiger — allerdings nicht „in fürstlichen Diensten“
    stand, aber einmal wöchentlich viele Jahre hindurch sich in der Woh-
    nung des greisen Fürsten versammelte und für ihn und die wahr-
    haft Musikliebenden seiner Bekanntschaft sich producirte.
  • **)Ein böhmischer Cavalier, Graf Spork, brachte zu Anfang
    des vorigen Jahrhunderts die ersten Waldhornisten aus Frankreich 
    nach Böhmen — von ihnen erlernten die Böhmen dies Instrument,
    auf dem sie es so häufig zur Virtuosität bringen.