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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 641 Wien, Mittwoch den 13. Juni 1866

[1]

Patriotische Concerte in Wien.

(Ein geschichtliches Erinnerungsblatt.)


0003Ed. H. Die ersten fünfzehn Jahre unseres Jahrhun-
0004derts widerhallten von Waffenlärm. Von Bonaparteʼs erstem
0005Eindringen in Deutschland und Italien bis zum Wiener Con-
0006greß zog sich durch alle Lebenszustände und Thätigkeiten Wiens
0007ein blutrother Faden: der Krieg mit Frankreich. Bald stärker,
0008bald schwächer, je nach der Nähe der unmittelbaren Gefahr oder
0009dem Gewichte erlittenen Verlustes, durchzitterte der politische
0010Sturm alle Kreise der Wiener Bevölkerung. Kein Wunder,
0011daß auch Theater und öffentliche Musik-Aufführungen unter
0012diesem Einflusse standen. Insbesondere bildeten die Wohlthä-
0013tigkeits-Concerte und „Akademien“ einen musikalischen Reso-
0014nanzboden, den alle großen Erschütterungen des Landes, leid-
0015und freudvolle, vibriren machten. Die Concertprogramme aus
0016solchen Zeiten höchster politischer Erregung sind interessante
0017Documente; es ließen sich aus einer chronologisch gereihten
0018Auswahl derselben die Geschicke Oesterreichs von der franzö-
0019sischen Revolution bis zum Sturze Napoleonʼs in ihren
0020Hauptpunkten ablesen.


0021Die erste Gelegenheitsmusik politischen Inhalts finden
0022wir im Jahre 1794, wo am 21. Januar (dem Jahrestage
0023der Enthauptung Louisʼ XVI.) im Burgtheater eine von
0024Fräulein Therese von Paradis (der berühmten blinden
0025Virtuosin) componirte Trauercantate unter dem Titel:
0026Deutsches Monument Ludwigʼs des Unglück-
0027lichen
“, nebst einer „großen Trauermusik“ für die Witwen
0028und Waisen der vor dem Feinde gebliebenen österreichischen Sol-
0029daten ausgeführt wurde. In den nächstfolgenden Jahren war
0030es die Bildung der Freicorps in Oesterreich, was den patriot-
0031schen Enthusiasmus zumeist erregte und auch musikalischen Wider-
0032hall fand. Zahlreiche Gelegenheits-Compositionen tauchten auf.
0033Eine Cantate von Süßmayer: „Der Retter in der
0034Noth
“, wurde 1796 zweimal im großen Redoutensaale zum
0035Besten des neuen Freicorps gegeben. Dichtung und Composition,
0036Gesang und Orchesterspiel, Alles wurde unentgeltlich auf dem 
0037Altar des Vaterlandes geopfert.*) Im National-Theater gab
0052man zum gleichen Zweck ein Gelegenheitsstück: „Die Frei-
0053willigen
“, von Stephanie (Musik von Süßmayer),
0054und „Das Dorf im Gebirge“, Singspiel von Kotzebue,
0055mit Musik von Weigl; im Leopoldstädter Theater ein ähn-
0056liches: „Oesterreich über Alles.“ Den Schlußchor sang
0057Alles mit. Die Tonkünstler-Societät wiederholte den
0058Retter in der Noth“ in ihrem Weihnachtsconcerte 1796.
0059Am 12. Februar 1797 wurde in allen Theatern zum er-
0060stenmale die Volkshymne: „Gott erhalte Franz den Kaiser“
0061(gedichtet von L. Haschka, componirt von Joseph Haydn 
0062gesungen.


0063Als durch die feindliche Besitznahme von Graz die Ge-
0064fahr dringender wurde, bildeten Graf Saurau und Herzog
0065Ferdinand von Würtemberg das „Wiener Aufgebot“, zu wel-
0066chem mit einer Begeisterung ohnegleichen Freiwillige aus
0067allen Ständen eilten und das 40.000 Mann stark, unter dem
0068Jubel von ganz Wien, nach Steiermark ausmarschirte. Die-
0069ses „Wiener Aufgebot“ vom Jahre 1797 hat viel schlechte
0070Compositionen auf dem Gewissen; die umfangreichste und po-
0071pulärste war eine malende Symphonie von Ferdinand Kauer,
0072dem Componisten des „Donauweibchen“, der vor der musika-
0073lischen Schilderung auch des geringsten Details nicht zurück-
0074schreckte. Einen kleineren, jedenfalls edleren Beitrag gab
0075Beethoven mit seinem „Kriegslied der Oester-
0076reicher vor Friedelberg
“ (für eine Singstimme 
0077mit Clavierbegleitung). Wien bei Artaria, ohne Opuszahl,
00781797. — Das Jahr 1799 brachte eine von Ratschky gedichtete,
0079von Salieri componirte Cantate: „Der Tiroler
0080Landsturm
“, welche im Burgtheater zum Besten der durch
0081die Kriegsverheerung verunglückten Tiroler aufgeführt wurde.


0082Die ersten Jahre des neunzehnten Jahrhunderts verbrachte
0083Wien äußerlich ruhig, aber in ängstlich gedrückter Stimmung.
0084Im Jahre 1805 entbrannte der Krieg mit Frankreich neuer-
0085dings, um bekanntlich für Oesterreich sehr unheilvoll zu enden.
0086Die französischen Sieger zogen am 13. November 1805 in
0087Wien ein, um es — nach 62tägiger Besetzung — erst am
008813. Januar 1806 wieder vollständig zu räumen. Der Einzug
0089des Kaisers Franz (nach dem unglücklichen Frieden von Preß-
0090burg) wurde durch eine Gelegenheits-Cantate von Seyfried,
0091Die Rückkehr des Vaters“, gefeiert, welche noch häufig zu wieder-
0092holen die späteren Jahre hinreichenden Anlaß boten. Im December
0093feierte eine Cantate von Seyfried, „Oesterreichs Jubeltag“,
0094den Frieden und die innige Verbindung Oesterreichs mit
0095Baiern. Sophie Schröder sprach den declamatorischen Theil
0096der Cantate. Nach tiefer Demüthigung raffte sich Oesterreich 
0097im Jahre 1808 neuerdings auf und begann Rüstungen gegen
0098Frankreich vorzubereiten. Am 10. Januar 1809 fand der
0099Ausmarsch der Wiener Landwehr statt; der patriotische
0100Enthusiasmus, der sich theils in activer Betheiligung am Kriege,
0101theils in großartigen Sammlungen kundgab, überstieg, den
0102Zeugnissen der Chronisten zufolge, alles Frühere. Es er-
0103klangen (25. und 26. März 1809) die berühmten patriotischen
0104Lieder von Collin und Weigl zum erstenmale im Burg-
0105theater. Am Ostersonntag fand im großen Redouten-
0106saale eine Wohlthätigkeits-Akademie statt (für die Wit-
0107wen und Waisen der Landwehrmänner), „wobei Col-
0108linʼs
 Landwehrlieder und einige andere dem Zeitgeist an-
0109gemessene Lieder“ auf dem Programm standen. Der Erfolg
0110dieser Gesänge war abermals ungeheuer, die Refrains: „Wir
0111schwören!“ „Doch es bleibt mein!“ und andere wurden von
0112dem Publicum enthusiastisch mitgerufen und mitgesungen.
0113„Ich habe nie eine größere Sensation erlebt,“ schreibt der
0114Berliner Capellmeister J. Fr. Reichardt, der eines die-
0115ser Concerte in seinen „Vertrauten Briefen“, schildert.

[2]


0116Der bald darauf (1811) erfolgte Tod des patriotischen
0117Dichters H. v. Collin wurde öffentlich betrauert. Trauer-
0118vorstellungen (wozu Graf Moriz Dietrichstein und
0119Mosel Musikstücke componirten) fanden im Burgtheater
0120und in der Aula statt; der Ertrag derselben wurde für das
0121Denkmal Collinʼs in der Karlskirche bestimmt. Der Dichter
0122war durch die wenigen patriotischen Lieder der Nation bekann-
0123ter und theurer geworden, als durch seine großen Tragödien
0124aus der römischen und griechischen Geschichte.


0125Man überbot sich nun in „Akademien“ für die Landwehr
0126und konnte die patriotischen Chöre von Weigl und Gyro-
0127wetz
nicht oft genug hören. Die Freude sollte nicht lange
0128dauern. Die Franzosen drangen am 10. Mai 1809 in Schön-
0129brunn und der Mariahilfer Vorstadt ein und nahmen, nach
0130vorhergegangenen Bombardement, am 13. Mai Besitz von
0131Wien. Französische Officiere hatten vier Jahre zuvor als
0132Herren der Stadt der ersten Vorstellung von Beethovenʼs 
0133Fidelio“ im Theater an der Wien beigewohnt; französische
0134Officiere gaben nun, abermals als Herren der Stadt, der
0135Leiche Haydnʼs das letzte ehrende Geleite. — Wien blieb
0136bis zum 20. November 1809 in Händen der Franzosen: eine
0137lange Saison, während welcher die besten Wiener Künstler
0138gar häufig vor Kaiser Napoleon in Schönbrunn singen und
0139spielen mußten. Wir übergehen die Vermälung Napoleonʼs
0140mit der österreichischen Erzherzogin Maria Louise (11. März 
01411810) und die Fest-Redoute im großen Redoutensaale, dessen
0142Wände nun ebenso viel französische Tricoloren als österrei-
0143chische Fahnen schmückten. Es war derselbe Saal, welchen kurz
0144vorher Collinʼs franzosenfeindliche Lieder jubelnd erschüttert
0145hatten und in dem jetzt die beglückende französische Hochzeit zum
0146Ueberfluß auch noch durch eine Cantate: „Sieg der Eintracht“,
0147von Castelli und Weigl, (matt genug) gefeiert wurde.


0148Wir eilen zu den Befreiungskriegen. Die Zahl
0149der Gelegenheits-Compositionen und der „politischen“ Theater-
0150und Concert-Aufführungen in den Jahren 1813, 1814, 1815 
0151ist kaum zu übersehen. Charakteristisch ist, daß diesmal selbst
0152Tondichter ersten Ranges mit umfangreichen Compositionen
0153sich an der Politik betheiligten. BeethovenʼsSchlacht bei  
0154Vittoria“ war jedenfalls das gefeiertste dieser Stück. Die
0155erste Aufführung dieser Schlacht-Symphonie fand am 8. De-
0156cember 1813 im großen Universitätssaale statt und war vom
0157Mechanicus Mälzel (der dabei auch seinen „mechanischen
0158Trompeter“ producirte) zum Besten der in der Schlacht bei
0159Hanau verwundeten Oesterreicher und Baiern veranstaltet.
0160Beethoven dirigirte selbst diese denkwürdige Aufführung,
0161bei welcher alle vorzüglichen Kräfte Wiens, unter Anderen
0162Spohr und Mayseder bei der Violine, Hummel bei
0163der großen Trommel, Salieri als Dirigent der Lärmsignale
0164mitwirkten.


0165Die „Schlacht bei Vittoria“ wurde am 12. December
0166wiederholt und im Laufe der nächsten Jahre sehr häufig ge-
0167geben. Ihr kräftiger, höchst populärer Realismus sicherte
0168ihr, so lange die Nachwirkung des Freiheitskampfes selbst
0169noch frisch war, unfehlbare Wirkung. Von ernsteren Richtern
0170freilich fiel manch strenges Wort über diese Composition, die
0171zu Beethovenʼs größten Erfolgen zählt, aber in seinem Lorbeer-
0172kranz nur ein unansehnliches Blättchen bildet. „Nun wissen die
0173Weiber auf ein Haar, wie es in einer Schlacht hergeht, wenn
0174auch schon lange Niemand mehr begreift, was Musik ist,“
0175schrieb Zelter an Goethe.


0176In Prag wurde die „Schlacht bei Vittoria“ zweimal
0177gegeben und hat, wie C. M. Weber an Rochlitz schreibt,
0178beinahʼ mißfallen“. „Wahrscheinlich,“ fügt er bei, „weil
0179die Erwartung zu hoch gespannt war und es mit dem
0180Die-wirkliche-Schlacht-darstellen-wollen immer eine mißliche,
0181ja unwürdige Sache ist.“


0182Beethoven hat sich mit noch zwei Gelegenheits-Com-
0183positionen an der Feier des Befreiungskrieges betheiligt. Die
0184erste war eine Musik zu dem patriotischen Drama von
0185Dunker: „Leonore Prochaska“ (Kriegerchor, Romanze und
0186Melodram; ungedruckt). Auch instrumentirte er den Trauer-
0187marsch aus der As-dur-Sonate op. 26 zum Gebrauche bei
0188der Aufführung dieses Dramas. Die andere, größere Arbeit
0189Beethovenʼs war die Cantate: „Der glorreiche Augen-
0190blick
“, von dem Salzburger Professor A. Weißenbach.
0191Dies Gelegenheitstück, welches (erst nach Beethovenʼs Tode 
0192gedruckt) auf dem Original-Manuscript „Der heilige Augen-
0193blick“ heißt, kam in Beethovenʼs Akademie am 29. November
01941814 Mittags vor allʼ den Souveränen, großen Herren und
0195Damen des Wiener Congresses zur Aufführung und wurde
0196am 2. December wiederholt. Wenn Castelli in seinen
0197Memoiren“ den kaiserlichen Rath und Professor der Chirur-
0198gie, Dr. Weißenbach, einen „ausgezeichneten Dichter“ und
0199dessen patriotische Dichtungen „echte Perlen“ nennt, so ist
0200dies mehr als freundschaftlich geurtheilt. Indeß war es nicht
0201der Text allein, was an Beethovenʼs Cantate sterblich
0202war. Fr. Rochlitz hat der Musik einen anderen, besseren
0203Text, „Der erste Ton“, unterlegt, ohne dadurch die Compo-
0204sition dauernd retten zu können. Endlich lieferte Beethoven 
0205zwei kleinere musikalische Beiträge zu den Festspielen: „Gute
0206Nachricht“ (1814) und „Die Ehrenpforte“ (1815). Wenige
0207Tage nach Beethovenʼs „Schlacht bei Vittoria“ erschien
0208eine Cantate: „Die Schlacht bei Leipzig“, von Paul Ma-
0209schek
, in dem Weihnachtsconcerte der Tonkünstler-Societät,
0210„ein Ungeheuer von schlechter Declamation, Lärm und Tri-
0211vialität“, wie C. M. Weber sie bezeichnet.


0212Eine andere musikalische „Schlacht bei Leipzig“ führte
0213der Regiments-Capellmeister Friedrich Starke zweimal
0214im großen Redoutensaale auf (1816), und zwar mit 5 Regi-
0215mentsbanden, 30 Trompeten, 30 Trommeln, Schnarren, Ka-
0216nonenschlägen etc. etc.


0217Nach der Schlacht bei Leipzig gab es Festspiele und
0218Cantaten ins Unabsehbare. Caroline Pichler lieferte
0219für Spohr den Text zu einer Cantate: „Die Befreiung
0220Deutschlands“. Die Composition war im März 1814 be-
0221endet, konnte aber nicht aufgeführt werden, da man den gro-
0222ßen Redoutensaal dafür nicht bewilligte und ein zweites gro-
0223ßes Concertlocale seit der Zerstörung des Apollosaales in
0224Wien nicht existirte. Erst 1815 hörte Spohr seine Cantate
0225beim Musikfeste in Frankenhausen; in Wien wurde sie im
0226Jahre 1819 aufgeführt.


0227Die Nachricht vom Einzug der Alliirten in Paris 
0228(4. April 1814) kam am 11. April nach Wien und setzte Alles
0229in freudige Aufregung, Fr. Treitschke hatte für dies frohe [3]
0230Ereigniß ein einactiges Singspiel: „Gute Nachricht“, geschrie-
0231ben und schon früher einstudiren lassen. Mit diesem Gelegen-
0232heitsstück, dem gelungensten, das in dieser merkwürdigen
0233Epoche erschien, wurde das Publicum des Kärntnerthor-Thea-
0234ters an dem Tage überrascht, der die Nachricht der Einnahme
0235von Paris brachte. Die Musikstücke dazu (theils adaptirt,
0236theils eigens dafür componirt) waren von Mozart, Beet-
0237hoven
, Weigl, Hummel, Gyrowetz und Kanne.
0238Die Rückkehr des Kaisers nach Wien wurde durch allerlei
0239Gelegenheitsstücke gefeiert. Im Kärntnerthor-Theater gab man
0240(18. Juni 1814): „Die Weihe der Zukunft“ (Dichtung von
0241Sonnleithner, Musik von Weigl), im Theater an der
0242Wien: „Die Rückfahrt des Kaisers“, Singspiel von
0243Dr. Emanuel Veith (dem nachmals berühmten Kanzelred-
0244ner), mit Musik von Hummel. Das letztgenannte Theater
0245war auch äußerst rührig mit Akademien „für die Angehörigen
0246des Regiments Deutschmeister“, „für die bei Kulm Verwun-
0247deten“ etc. etc. Patriotische Declamationsstücke und Lieder von
0248Emanuel Veith, Castelli, Weißenbach, Caroline Pich-
0249ler
, mit Musik von Weigl, Salieri, Gyrowetz u. A.,
0250auch „Patriotische Tableaux“ mit erklärenden Sonetten von
0251Fr. Treitschke („Louise Prochaska“, natürlich als wesent-
0252licher Bestandtheil) waren an der Tagesordnung.


0253Die Feste des Wiener Congresses hielten mehr die
0254Virtuosen als die Componisten in Athem, die Zahl der neuen
0255Gelegenheits-Compositionen war gering, man behalf sich mit den
0256bewährten früheren. Ein patriotisches Singspiel von Fr.
0257Treitschke: „Die Ehrenpforte“, aufgeführt im Kärntner-
0258thor-Theater am 15., 16. und 23. Juli 1815, dann mit „an-
0259gemessenen Veränderungen“ am 3. und 4. October zum Na-
0260menstag des Kaisers, war mit Musikstücken von Hummel,
0261B. A. Weber, Seyfried, Weigl und Beethoven aus-
0262gestattet. (Von Letzterem war der Schlußgesang.)


0263Das einzige namhafte Musikwerk, das direct die An-
0264wesenheit der Monarchen feierte, war BeethovenʼsGlor-
0265reicher Augenblick“, welcher in dem demokratischen Lebenslauf
0266des Schöpfers der „Eroica“ einen wunderlichen „Augenblick“
0267bildet. Eine bedeutende Zeitcomposition, C. M. Weberʼs 
0268Cantate „Kampf und Sieg“, auf welche der Componist selbst
0269besonderen Werth legte, kam in Wien unseres Wissens nicht
0270zur Aufführung, mit großem Erfolge hingegen im Jahre 1816 
0271in Prag. Ein Jahr vorher veröffentlichte Weber im Intel-
0272ligenzblatt der Leipziger Allgemeinen Musikzeitung folgende
0273Anzeige: „Auf Veranlassung der Schlacht bei Belle-Alliance
0274habe ich die Composition einer Cantate unter dem Titel
0275Kampf und Sieg“ zur Feier der Vernichtung des Fein-
0276des im Jahre 1815 unternommen, — welches ich, um unan-
0277genehmes Zusammentreffen
zu verhindern, hiemit
0278anzuzeigen für nöthig erachte.“


0279Er hatte demnach seine Collegen ob ihrer patriotischen
0280Fruchtbarkeit stark im Verdacht, und das mit Grund. Denn
0281endlos war die Reihe der damals erschienenen musikalischen
0282Schilderungen. Steibelt schrieb eine große Clavier-Phan-
0283tasie, „Die Zerstörung von Moskwa“, worin das Marlbo-
0284rough-Lied, „God save the king“ und allerlei National-
0285märsche vorkommen, die Flucht des Heeres geschildert wird etc.
0286Gläser publicirte eine „Schlacht bei Belle-Alliance“ (Text
0287von Pustkuchen) für Gesang und Clavierbegleitung, Hey-
0288denreich
ein Orchestergemälde, betitelt: „Die Schlacht bei
0289Aspern“ etc.


0290Die berühmteste und nachhaltigste Gabe der Tonkunst
0291an den Volksgeist jener Zeit waren C. M. WeberʼsCom-
0292positionen von Th. KörnerʼsLeier und Schwert“ (1814 
0293componirt). Das war keine gemachte Begeisterung, sondern
0294quellendes, sprühendes Feuer, das überall erwärmte, überall
0295zündete. Diese Lieder waren eine köstliche musikalische Blüthe
0296zugleich und eine politische Macht; sie sind eigentlich das Ein-
0297zige, was sich von den Gelegenheits-Musiken jener Zeit bis
0298auf den heutigen Tag erhalten hat. In Wien ward „Leier
0299und Schwert“ verhältnißmäßig spät bekannt; öffentlich 
0300wurde unseres Wissens erst in den Zwanziger-Jahren Einiges
0301daraus vorgeführt, was um so auffallender erscheint, als der
0302Dichter, Th. Körner, in Wien persönlich so sehr gekannt
0303und geliebt war. Für Körner selbst trat die Kunst nur mit
0304einer sehr bescheidenen Erinnerungsfeier ein, nämlich einer
0305„declamatorischen Unterhaltung als Trauerfeierlichkeit für 
0306Th. Körner“, welche sein Freund Th. v. Sydow am
030714. März 1814 im Saale „zum römischen Kaiser“ gab.


0308Bemerkenswerth ist, daß das bedeutendste Musik-Institut
0309der Monarchie, die „Gesellschaft der Musikfreunde“, auch unter
0310der Einwirkung jener patriotischen Tendenzen des Jahres
03111812 entstanden und ganz eigentlich unter den Sonnenstrah-
0312len des Wiener Congresses ihr officielles Lebenslicht gewann.
0313Allerdings hatte die Entwicklung des musikalischen Dilettan-
0314tismus in Wien naturgemäß auf eine Organisirung und
0315Vereinigung dieser Kräfte hingearbeitet und würde diesen
0316Zweck (vielleicht etwas später) auch ohne die Befreiungskriege
0317erreicht haben. Aber thatsächlich war die entscheidende äußere
0318Anregung doch eine patriotsch-politische, die musikalischen
0319Dilettanten Wiens wollten zum Besten der durch den Krieg
0320am härtesten betroffenen Bewohner des Marchfeldes eine
0321großartige Production veranstalten; es war dies die berühmte
0322Aufführung des „Timotheus“ von Händel in der (zum er-
0323stenmal für musikalische Zwecke eingeräumten) „k. k. Win-
0324ter-Reitschule“, am 29. November 1812. Die Einnahme betrug
032519- bis 20,000 fl. W. W., wozu der Kaiser noch 1000 fl. gab.
0326Am 3. December wurde die Aufführung wiederholt und trug
032714,000 fl. ein. Während der Congreßzeit erhielt der Verein
0328die Sanction des Kaisers Franz — wenige Tage nachdem
0329er vor den versammelten Monarchen HändelʼsSamson“
0330aufgeführt hatte. Caroline Pichler, welche bei dieser
0331Production im Chor mitwirkte, erzählt davon in ihren „Denk-
0332würdigkeiten“, daß alle Mitwirkenden festlich gekleidet erschei-
0333nen mußten, die Damen weiß, mit Schmuck, die Herren in
0334schwarzem Frack und Claquehüten. Diese Etikette und die
0335dem Publicum auferlegte Enthaltung von jedem Applaus
0336verbreitete leider eine „erkältende Atmosphäre über die
0337Künstler“.


0338Ein Nachklang dieser politischen Ereignisse war noch die
0339Cantate von F. W. Berner: „Feier des allgemeinen Frie-
0340dens“, welche 1818 im Burgtheater gegeben wurde, und die
0341spätete Aufführung von SpohrʼsBefreitem Deutsch-
0342land“ im Jahre 1819. Von da ab schweigen die politischen
0343Klänge gänzlich bis zum März 1848.

Fußnoten
  • *)Der „Eipeldauer“ schreibt in seinen drolligen und für die
    Sittengeschichte Wiens unschätzbaren „Briefen an seinen Vetter“ dar-
    über:„ZʼMittag um 12 Uhr hat dʼKantati angʼfangen und da sind
    über 3000 Menschen beisammen gʼwesen. ʼs Leggeld ist nur 1 fl.
    gʼwesen, aber dʼmeisten gnädige Herren und Frauʼn haben 1 fl.
    8 fr.(!) zahlt, und Einige haben sogar einʼ Ducaten geben.“ Den
    Schlußchor sang das Publicum mit; Herren stiegen auf die Bänke
    und schrien: „Es lebe der Kaiser!“ und schwenkten die Hüte. „Das
    Rührende laßt sich nicht bʼschreiben!“ (30. Heft, 1796). Im folgen-
    den Hefte heißt es weiter: „Dʼvorige Wochen habenʼs im Redouten-
    saal wieder die berühmte Kantati aufgʼführt, und weilʼs dösmal
    was zʼEssen und zʼTrinken dabei geben hat, so istʼs noch zweimal so
    voll gʼwest als sonst. Dʼpatriotische Kantati hat nur a Stundʼ
    dauert, aberʼs Essen und Trinken ist bis in der Früh fortgangen.“