Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 8394. Wien, Sonntag, den 8. Januar 1888
[1]Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt.
0002Ed. H. Der Briefwechsel zwischen Liszt und Wagner
0003liegt in zwei starken Bänden Härtel’schen Verlags vor
0004uns. Er umfaßt in 316 Briefen einen Zeitraum von zwanzig
0005Jahren (1841—1861). Bedarf es erst der Versicherung, daß
0006diese Sammlung so überaus charakteristischer Briefe das
0007höchste Interesse hervorruft? Die langjährige intime
0008Correspondenz zweier genialer Künstler, welche einer denk-
0009würdigen Periode unseres Musiklebens ihre Signatur auf-
0010gedrückt haben, ist eine Erscheinung von hoher biographischer
0011und künstlerischer Wichtigkeit. So hoch versteigen wir uns
0012allerdings nicht, sie dem Briefwechsel zwischen Goethe und
0013Schiller an die Seite zu stellen, wie dies einige Journal-
0014Anzeigen ohneweiters gethan. Für uns hat diese Zusammen-
0015stellung, offen gesagt, etwas Verletzendes. Wir wissen wohl,
0016daß es Leute gibt, die Liszt und Wagner ohneweiters neben
0017Schiller und Goethe stellen, wo nicht gar darüber; mit
0018ihnen werden wir uns schwerlich verständigen. Vielleicht hat
0019Wagner selbst Anlaß gegeben zu diesem schmeichelnden Ver-
0020gleich, indem er an Liszt schreibt: „Goethe’s und
0021Schiller’s Briefwechsel brachte mir unser Verhältniß sehr
0022nahe und zeigte mir köstliche Früchte, die unter glücklicheren
0023Umständen unserem Zusammenwirken entsprießen könnten.“
0024Aber was die beiden Musiker einander schreiben, erreicht
0025nicht entfernt die Höhe und Weite des Gedankenkreises, die
0026Tiefe des künstlerischen Gehalts, welcher den Briefwechsel
0027unserer beiden Dichter durchdringt. Das rein Persönliche,
0028mit seinem häuslichen und finanziellen Kleinkram, verschwin-
0029det hier fast gänzlich vor den höchsten Anliegen der Kunst
0030und der Menschheit. Im Liszt-Wagner’schen Briefwechsel ist
0031das Umgekehrte der Fall. Auch wo Schiller und Goethe
0032einander ihre Arbeiten zusenden, begnügt sich keiner von
0033ihnen mit enthusiastischen Lobeserhebungen; ihre freudige
0034Anerkennung ist stets von werthvollen Bemerkungen, Fragen
0035und Rathschlägen begleitet. „Sie legen mir meine Träume
0036aus,“ schreibt Goethe an Schiller nach dessen tief und liebe-
0037voll eingehender Beurtheilung des Wilhelm Meister; „fahren
0038Sie fort, mich mit meinem eigenen Werke bekannt zu
0039machen.“ Nichts dergleichen bei Liszt und Wagner. Mit
0040einer einzigen Ausnahme, wo Liszt eine Aenderung in
0041Wagner’s noch ungedruckter Faust-Ouvertüre vorschlägt, er-
0042gehen sich die beiden Freunde nur in ekstatischer Bewunderung
0043ihrer gegenseitigen Werke. Wollten die Heerrufer der „Zu-
0044kunftsmusik“ ihre kühne Parallele ausführen, so müßte
0045Wagner, welcher gegen Liszt als der Subjectivere, Leiden-
0046schaftlichere erscheint, mit der Rolle Schiller’s beehrt wer-
0047den, während Liszt, der Maßvollere, Abgeklärtere in dem
0048ganzen Briefwechsel, als Goethe figurirte. Gegenüber der
0049rasenden Leidenschaftlichkeit Wagner’s wird es in Wahrheit
0050Liszt nicht allzu schwer, olympisch wie Goethe zu erscheinen.
0051Mit dem Charakter Schiller’s hingegen zeigt Wagner in
0052seinen Briefen keinerlei Verwandtschaft. „Der heilige Mann!“
0053schreibt einmal Hebbel. „Immer hat das Schicksal geflucht
0054und immer hat Schiller gesegnet!“ Auch dem Componisten
0055des Lohengrin hat das Schicksal lange geflucht; er selbst aber
0056fluchte immer noch stärker. Am zutreffendsten für den Brief-
0057wechsel wäre vielleicht die Wendung: Wagner flucht und
0058Liszt segnet. Wahrlich, diese Correspondenz ist das schönste
0059Denkmal, das man Liszt setzen konnte. Sie zeigt ihn durch
0060die ganzen zwanzig Jahre, da Wagner (vor der Berufung
0061nach München) die Hilfe Liszt’s nach allen Richtungen un-
0062unterbrochen in Anspruch nahm, als das Vorbild eines
0063opferwillig hingebenden und besonnenen Freundes, als das
0064Muster eines warmherzigen, neidlosen Künstlers. Niemals
0065wird er ungeduldig über die maßlosen Anforderungen und
0066unaufhörlichen Klagen Wagner’s; immer ist er beschwich-
0067tigend mit tröstenden oder anfeuernd mit enthusiastischen
0068Worten zur Hand. Der erbittertste Gegner müßte Liszt nach
0069dieser Lectüre bewundern und liebgewinnen.
0070Die Correspondenz fließt anfangs sehr spärlich. Wagner’s
0071erster Brief (mit der Anrede: „Sehr geehrter Herr!“) ist
0072aus Paris vom 24. März 1841 und enthält mit Berufung
0073auf H. Laube nur den Wunsch nach einer persönlichen An-
0074näherung. Erst vier Jahre später schreibt Wagner, der in-
0075zwischen Hofcapellmeister in Dresden geworden, wieder an
0076Liszt in Angelegenheit des Weber-Monuments. Abermals
0077nach Jahresfrist (1846) erbittet sich Wagner die Vermittlung
0078Liszt’s bei dem Wiener Theater-Director Pokorny wegen
0079einer Aufführung des „Rienzi“. Weiter folgen noch aus
0080Dresden neun Briefe Wagner’s mit nur zwei kurzen Ant-
0081worten Liszt’s. Im Juni 1848 schien es Wagner in
0082Dresden nicht mehr geheuer; er wünscht, Liszt möchte ihm
0083das Eigenthumsrecht seiner drei ersten Opern für 5000
0084Thaler abkaufen oder ihm von jemand Anderem das Geld
0085verschaffen. Inständig bittet er Liszt, in dieser Angelegen-
0086heit selbst nach Dresden zu kommen, „aber sehr bald!“
0087Wegen Theilnahme am Hochverrath steckbrieflich verfolgt,
0088flüchtet Wagner im Mai 1849 über Zürich nach Paris mit
0089Hilfe Liszt’s, der ihn mit einem auf den Namen Dr. Wid-
0090mann lautenden Paß und mit dem nöthigen Reisegeld ver-
0091sieht. Inzwischen hat Liszt eifrig für Wagner gewirkt, den
0092Tannhäuser in Weimar einstudirt und aufgeführt, auch
0093im Journal des Débats einen begeisterten Artikel darüber
0094veröffentlicht. Wagner fühlt sich in Paris höchst unbehaglich.
0095Er schreibt an Liszt, den er fortan Du nennt: „Dieses
0096gräuliche Paris liegt centnerschwer auf mir; bei allem Muth
0097bin ich oft die erbärmlichste Memme. Trotz deiner groß-
0098herzigen Anerbietungen sehe ich oft mit einer wahren
0099Todesangst auf das Schmelzen meiner Barschaft. In
0100Paris und ohne Häuslichkeit — ich will sagen Herzens-
0101ruhe, kann ich nichts arbeiten... Mache es möglich,
0102mir schnell Geld zukommen zu lassen, damit ich
0103hier fortgehen, nach Zürich reisen und dort so lange
0104leben kann, bis ich den gewünschten Gehalt beziehe.“ [2]
0105Er hatte Liszt gebeten, ihm vom weimar’schen Hof ein
0106Jahresgehalt zu erwirken, zu welchem vielleicht der Herzog
0107von Coburg und die Prinzessin von Preußen etwas hinzu-
0108fügen möchten. Dieser Wunsch blieb unerfüllt, obgleich Wagner
0109versichert, seine „durch unbemäntelte Sympathie mit dem
0110Dresdener Aufstande kundgegebene Gesinnung sei weit ent-
0111fernt von jenem lächerlich fanatischen Charakter, der in jedem
0112Fürsten einen verabscheuungswürdigen Gegenstand erblickt“.
0113Liszt’s Antwort (mit 300 Francs Reisegeld) gibt uns
0114ein Beispiel aus unzähligen, wie liebevoll, besonnen, ja
0115väterlich er seinen ungestümen Freund allzeit berathen und
0116aufgerichtet hat: „Vorderhand wäre es nicht sehr diploma-
0117tisch, an eingebrochenen Thüren anzuklopfen; späterhin, wenn
0118du als ein ebenso gemachter Kerl dastehst, wie du ein
0119geschaffener bist, werden sich die Protectoren finden
0120lassen, und sollte ich dir als vermittelndes bequemes Werk-
0121zeug dabei dienen können, so stehe ich dir mit ganzem Herzen und
0122einiger sicherer Gewandtheit zu vollem Gebrauch. Deine Ueber-
0123gangs-Periode kannst du aber nicht übergehen; und Paris ist dir
0124zu Allem und vor allem Anderen eine dringende Nothwen-
0125digkeit. Trachte es möglich zu machen, deinen Rienzi (mit
0126einigen für das Pariser Publicum nothwendigen Modifica-
0127tionen) im Laufe künftigen Winters aufzuführen. Mache
0128Roger und Madame Viardot etwas deine Cour. Ver-
0129nachlässige auch nicht J. Janin, der dir gewiß freund-
0130schaftlich an die Hand gehen wird und die baldige Aufführung
0131deiner Oper in Paris durch seinen Einfluß in der Presse
0132hervorrufen kann. Mit Einem Wort, theuerster und großer
0133Freund, mache dich unter den Bedingungen des Möglichen
0134möglich, und der Erfolg wird dir gewiß nicht fehlen.
0135Vaëz und A. Royer werden dir vortrefflich dazu helfen,
0136sowol den Rienzi umzuarbeiten und zu übertragen, als deine
0137neue Unternehmung ins Werk zu setzen. Verbinde und ver-
0138ständige dich streng mit ihnen, um folgenden Plan zu ver-
0139wirklichen, von welchem dann nicht mehr abgewichen werden
0140darf: 1. Aufführung des Rienzi im Laufe des Winters an
0141der Pariser Oper... 2. Ein neues Werk für den Winter
01421859 in Mitarbeiterschaft von Vaëz und A. Royer, welche
0143die Fäden des Gelingens vollständig kennen. In der Zwischen-
0144zeit kannst du nicht besser thun, als eine gute Stelle in der
0145musikalischen Presse einzunehmen; aber verzeih’ mir die
0146Empfehlung, richte dich nicht so ein, daß du nothwendiger-
0147weise in Feindseligkeit mit Dingen und Menschen geräthst,
0148welche dir den Weg deiner Erfolge und deines Ruhmes
0149sperren. Weg also mit den politischen Gemeinplätzen, dem
0150socialistischen Gallimathias und den persönlichen Zänkereien.
0151Aber guten Muth, kräftige Geduld und arbeiten mit Händen
0152und Füßen, was dir nicht schwer sein wird bei dem
0153Vulcan, den du in deinem Gehirn besitzest.“ Den
0154freundschaftlichen Wink artigen Entgegenkommens oder dank-
0155baren Erwiderns wiederholt Liszt, der Wagner’s Manier
0156kannte, unermüdlich bei jeder ähnlichen Gelegenheit. Er
0157empfiehlt ihm, dem Verfasser einer begeisterten Lohengrin-
0158Kritik (im „Frankfurter Conversationsblatt“) einige Zeilen
0159zu schreiben, deren Vermittlung Liszt selbst übernimmt.
0160Desgleichen an den Musikdirector Langer, welcher „das
0161Liebesmal der Apostel“ vortrefflich zur Aufführung gebracht.
0162„Wenn du Apt (Director des Cäcilien-Vereins in Prag)
0163ein paar Zeilen schreiben willst, so wirst du ihn sehr er-
0164freuen. Ebenfalls, wenn du die Freundlichkeit hättest, an
0165Louis Köhler in Königsberg ein Exemplar deiner Nibe-
0166lungen (Text) zu schicken.“ „Sei so freundlich und
0167beantworte das Schreiben Dingelstedt’s mit einiger
0168Höflichkeit und lasse dir diese Bemerkung nicht ver-
0169drießlich sein.“ In dieser Weise ist Liszt durch die ganzen
017020 Jahre des Briefwechsels dafür besorgt, Wagner in
0171möglichst gutem Einvernehmen mit allen für in dessen
0172Carrière eingreifenden Persönlichkeiten zu erhalten. Ob es
0173ihm immer gelang, ist zweifelhaft. „Was mir das komisch
0174vorkommt,“ antwortet Wagner, „daß ich mit Dingelstedt für
0175Weimar zu unterhandeln habe, kann ich dir gar nicht sagen.
0176Ich hätte Lust, ihm zu sagen, er solle sich mit
0177meiner Oper gar nicht zu thun machen.“ Liszt’s
0178Plan, „von dem nicht mehr abgewichen werden darf“,
0179hat Wagner nicht befolgt. Er eilt ungeduldig von Paris
0180wieder fort, macht weder die Umarbeitung des Rienzi, noch
0181eine neue Oper für Paris, componirt überhaupt volle vier
0182Jahre keine Note, sondern zieht es vor, theoretische Werke
0183(„Die Kunst und die Revolution“, „Das Kunstwerk der
0184Zukunft“, „Oper und Drama“) zu schreiben. Anfangs Juli
01851849 läßt sich Wagner definitiv in Zürich nieder und läßt
0186seine Frau mit deren Schwester aus Dresden nachkommen.
0187„Schicke ihr so viel Geld,“ schreibt er an Liszt, „als dir
0188nur irgend erschwinglich ist!“ Liszt sendet ihr augenblick-
0189lich hundert Thaler. Bis hieher mußten wir glauben (und
0190Wagner glaubte es vielleicht auch), daß Liszt förmlich in
0191Geld schwimme. Ein Brief Liszt’s vom 28. October 1849,
0192als Antwort auf eine neue Geldforderung Wagner’s, belehrt
0193uns eines Besseren: „Suche doch, lieber Freund, wie du es
0194kannst, bis zu Weihnachten dich zu behelfen, denn mein
0195Beutel ist augenblicklich völlig leer, und es ist dir überdies
0196nicht unbekannt, daß das Vermögen der Fürstin (Wittgen-
0197stein) seit einem Jahre ohne Verwalter ist und daß sie täg-
0198lich von einer vollständigen Confiscation bedroht ist. Gegen
0199Ende des Jahres rechne ich auf einige Geldeinnahmen, und
0200ich werde gewiß nicht ermangeln, dir so viel davon zukommen
0201zu lassen, als es mir meine sehr beschränkten Mittel er-
0202möglichen; denn du weißt, welch schwere Verpflich-
0203tungen auf mir lasten. Ehe ich an meine eigene Person
0204denke, müssen meine Mutter und meine drei Kinder,
0205welche in Paris sind, anständig versorgt sein. Die Concert-
0206laufbahn ist, wie du weißt, seit mehr als zwei Jahren für
0207mich geschlossen, und ich kann sie nicht unvorsichtig wieder
0208betreten, ohne meine jetzige Stellung und besonders meine
0209Zukunft schwer zu beschädigen.“ Trotzdem schickt er Wag-
0210ner schon am 14. Januar 1850 eine Anweisung auf 500
0211Francs. Später verlangt Wagner, Liszt möge ihm eine
0212fixe jährliche Subvention von 1000 Francs zusichern. Liszt
0213antwortet: „Liebster Richard! Endlich kann ich dir
0214melden, daß Anfangs Mai du 1000 Francs erhalten wirst.
0215Jetzt bin ich noch nicht in der Lage, eine jährliche Ver-
0216pflichtung zu übernehmen. Es ist für mich immer ein Herze-
0217leid, dir eine unangenehme Mittheilung zu machen, und
0218daher wartete ich den günstigen Moment ab, wo ich dir an[3]-
0219zeigen konnte, daß dir die bewußte Summe zugeschickt wird.
0220Ich habe dir mehrmals von meinen schwierigen pecuniären
0221Verhältnissen gesprochen, die sich einfach so gestellt
0222haben, daß meine Mutter und meine drei Kinder von
0223meinen früheren Ersparnissen anständig versorgt sind und
0224ich mit meinem Capellmeister-Gehalt, 1000 Thaler jährlich und
0225300 Thaler als Präsent für die Hofconcerte, auskommen
0226muß.“ Man sollte glauben, es würden nach diesen über-
0227raschenden Aufschlüssen Liszt’s und seinen bereits so groß-
0228müthig gebrachten Opfern die Forderungen Wagner’s seltener
0229werden. Nichts weniger. Es geht so fort durch den gan-
0230zen Briefwechsel. Anfangs Januar 1851 schreibt Wagner:
0231„Ich gedenke für jetzt nach Paris zu gehen. Meiner Frau
0232Hauskasse ist im letzten Schwinden; sehnlich erwartet sie
0233durch mich Geld zur Bezahlung der starken Neujahrsrech-
0234nungen. Ich bedarf demnach bestimmt 1000 Francs, um
0235fort zu können ... Nun sieh’ doch, von wem und wie du
0236mir das Geld schaffst.“ „In Weimar,“ antwortet Liszt,
0237„ist es mir unmöglich, zehn Thaler aufzutreiben — ich habe
0238aber sogleich nach Wien geschrieben, und in acht Tagen soll
0239dir die benannte Summe (1000 Francs) durch meinen
0240Schwiegersohn Ollivier eingehändigt werden.“
0241Aber nicht blos mit Geldforderungen tritt Wagner un-
0242aufhörlich an Liszt heran; dieser ist obendrein sein Com-
0243missionär für Alles und Jedes. Liszt soll sich nach London
0244wegen einer Aufführung des Lohengrin verwenden; Liszt soll
0245den Großherzog von Weimar zu Schritten für Wagner’s
0246Amnestirung bewegen; Liszt soll deßhalb selbst nach Dresden
0247reisen; Liszt soll mit Härtel in Leipzig einen vortheilhaften
0248Verlagscontract über den Lohengrin (später auch die Nibe-
0249lungen) abschließen; Liszt soll nach Berlin gehen, den
0250Tannhäuser zu dirigiren; Liszt soll vom Polizei-Director
0251in Prag die Rücknahme eines Censurverbotes (Tannhäuser)
0252erwirken; Liszt soll ihm ein Clavier von Erard verschaffen;
0253Liszt soll sich sogar „als polizeilicher Agent praktisch zeigen“,
0254das heißt einen nach Jena geflüchteten Zimmerkellner auf-
0255spüren, welcher dem Wagner etwas gestohlen hat; Liszt soll
0256— ja, was soll er nicht Alles! Und er thut auch Alles.
0257Was Wagner von ihm verlangt, leistet Liszt ohne Aufschub,
0258ohne ein Zeichen von Ungeduld — wenn es überhaupt nur
0259möglich ist.
0260Wagner’s Briefe sind äußerst charakteristisch. In ihrer
0261betäubenden Exaltation werfen sie zugleich ein erklärendes
0262Streiflicht auf seine Musik, die sich ja auch mit Vorliebe in
0263der äußersten elektrischen Spannung bewegt. Was er an
0264Liszt schreibt, liest sich wie siedendes Wasser, wie flammen-
0265des Pech. Fast in jedem seiner Briefe sehen wir neben ein-
0266ander zwei rauchende Flammensäulen aufsteigen: die eine, die
0267ihm Ehre macht, ist der Enthusiasmus für Franz Liszt; die
0268andere, die uns weniger gefällt, sein maßloses Wüthen und
0269Jammern über sein Geschick. Diese beiden stolzen Feuergarben
0270prasseln schließlich immer zu dem kläglichen Aschenhäuflein
0271zusammen: „Schick’ mir Geld!“ Wagner empfand mit
0272innigem Dankgefühle, was er seinem großmüthigen Freunde
0273schuldete. Er liebkost ihn, vergöttert ihn, preßt ihn mit krampf-
0274hafter Heftigkeit an sich. „Wenn ich dir mein Liebesverhältniß
0275zu dir beschreiben könnte! Da gibt es keine Marter, aber
0276auch keine Wonne, die in dieser Liebe nicht bebte! Heute quält
0277mich Eifersucht, Furcht vor dem mir Fremdartigen in deiner beson-
0278deren Natur; da empfinde ich Angst, Sorge — ja Zweifel —
0279und dann wieder lodert es wie ein Waldbrand in mir auf,
0280und Alles verzehrt sich in diesem Brande, daß es ein Feuer
0281gibt, das nur der Strom der wonnigsten Thränen endlich
0282zu löschen vermag. Du bist ein wunderbarer Mensch, und
0283wunderbar ist unsere Liebe! Ohne uns so zu lieben, hätten
0284wir uns nur furchtbar hassen können.“ Ein anderesmal
0285schreibt er:
0286„Wo hat je ein Künstler, ein Freund — für den an-
0287dern das gethan, was du für mich thatest! Wahrlich, wenn
0288ich an der ganzen Welt verzweifeln möchte, hält mich ein
0289einziger Blick wieder hoch, hoch empor, erfüllt mich mit
0290Glauben und Hoffnung. Ich begreife nicht, was ich seit vier
0291Jahren ohne dich geworden wäre; und was hast du aus mir
0292gemacht!“ Und später:
0293„Wenn du wüßtest, welche Gottesspuren du hier hinter-
0294lassen! Lebewohl, mein Franz, mein heiliger Franz!“
0295Neben dieser edlen Flamme begeisterter Freundschaft
0296schlängelt sich, wie gesagt, in jedem Briefe Wagner’s ein
0297anderes düster qualmendes Feuer, das ihn zu verzehren
0298droht: der wüthende Zorn über seine Verbannung,
0299über seine schmalen und unsicheren Einkünfte, über
0300die „Lauheit, Schlaffheit, Niederträchtigkeit“ des Publi-
0301cums, der Künstler, der Machthaber, der ganzen Welt.
0302Nur einige wenige Proben. „Mein ganzer Tag ist eine Ent-
0303sagungsöde. Das ist mein Leben! Ich bin verflucht, in
0304Leder und Dumpfheit zu Grunde zu gehen! Könnte man
0305nicht das Alles lassen und ein ganz anderes Leben beginnen?
0306Ekel erfaßt mich, was ich auch immer ergreife! Ich mag
0307das Leben nicht länger tragen! ... Ich wollte, wir Beide
0308machten uns von hier aus stricte auf, um in die weite Welt
0309zu gehen! Lass doch auch du diese deutschen Philister und
0310Juden: hast du was Anderes um dir? Nimm noch Jesuiten
0311dazu, so bist du gewiß fertig! Philister, Juden und
0312Jesuiten — das ist’s; aber keine Menschen! Dumm-
0313köpfe!“ „Recht schwer fällt es mir, mir einzureden, es
0314müsse nun einmal so fortgehen, und sei nicht eigentlich
0315moralischer, diesem scandalösen Leben ein Ende zu machen.
0316Wüste, Oede, Trostlosigkeit von Früh bis zum Abend!“ „Um
0317meinen Stolz ist’s gethan, und jetzt heißt’s, mit Demuth
0318den Nacken beugen unter das Joch der Juden und Philister!
0319Ich bleibe aber auch noch ein Bettler, wie ich war! Lieber
0320Franz, keines meiner letzten Lebensjahre ist an mir vorüber-
0321gegangen, ohne daß ich nicht einmal darin am äußersten
0322Ende des Entschlusses gestanden hätte, meinem Leben ein
0323Ende zu machen. Es ist Alles darin so verfahren, so ver-
0324loren! ... Ich kann nicht wie ein Hund leben, ich kann
0325mich nicht auf Stroh betten und mich in Fusel erquicken;
0326ich muß irgendwie mich geschmeichelt fühlen, wenn meinem
0327Geiste das blutig schwere Werk der Bildung einer unvor-
0328handenen Welt gelingen soll ... Und diese Qual, Noth
0329und Sorge für ein Leben, das ich hasse, das ich verfluche!
0330Höre, mein Franz! Du mußt jetzt helfen! Es steht schlecht,
0331sehr schlecht mit mir ... Vor Allem muß ich Geld
0332haben; Härtels sind sehr flott gewesen; aber was [4]
0333helfen mir Hunderte, wenn Tausende nöthig sind!“ „Wel-
0334chem Philister soll ich zumuthen, sich in dies Ueberschwäng-
0335liche meiner Natur zu versetzen, die mich unter diesen
0336Lebensstimmungen trieb, einem ungeheuren, inneren Verlan-
0337gen äußerlich auf eine Weise abzuhelfen, die ihm bedenklich,
0338ja verstimmend erscheinen muß? Keiner weiß ja, was Unser-
0339einem noththut; muß ich mich selbst doch darüber wundern,
0340so viel „Unnützes“ oft für unentbehrlich zu halten. Ich kann
0341es nur dir sagen, wie peinlich ich jetzt daran bin und wie
0342nöthig mir schnelle Hilfe ist. Vor meinem ungeheuer
0343empfindlichen Gefühle in dieser Sache bleibt mir sonst nichts
0344übrig, als — da ich mir um solcher Frivolität willen
0345nicht das Leben nehmen will — mich schnurstracks
0346aufzumachen und nach Amerika durchzugehen.“ Die ver-
0347zweifelten Klagen Wagner’s stammen nicht etwa blos aus
0348seiner ersten Züricher Zeit, wo Einsamkeit und materielle
0349Sorge ihn bedrückten; sie wiederholen sich noch stärker in
0350der Mitte und gegen Ausgang dieser Periode, bei günstiger
0351gestalteten Verhältnissen; ja ganz zu Ende des Briefwechsels,
0352da ihm bereits die Rückkehr nach Deutschland offen stand
0353(September 1860), finden wir ähnliche Ausbrüche. Es bleibe
0354dahingestellt, ob Wagner’s Nothschreie über seine „elende
0355Existenz“ immer einen thatsächlich hinreichenden Grund hatten
0356— eingebildete Leiden thun ja nicht minder weh — befremden
0357muß es dennoch, daß er niemals daran denkt, seinem edlen,
0358gewiß nicht minder weich empfindenden Freunde etwas davon
0359zu ersparen. Es liegt etwas geradezu Unmännliches, Unwür-
0360diges in der wollüstigen Gier, mit der Wagner an seiner
0361eigenen Verzagtheit und Verzweiflung saugt; noch mehr aber
0362in der Art, wie er jede böse Laune, jede momentane Trostlosigkeit
0363gleich mit tausend Stacheln in das Herz seines Freundes abdrückt.
0364Sollte man es für möglich halten, daß ein so starker, selbst-
0365wußter Geist, wie Richard Wagner, niemals dahin ge-
0366langte, Widerwärtiges mit sich selbst auszukämpfen, vor-
0367läufig Unabwendbares mit einiger Fassung zu tragen? Sah
0368er doch die zwanzig Jahre hindurch an Liszt das schönste
0369Beispiel, wie ein wahrer, d. h. selbstloser und schonender
0370Freund eigenes Mißgeschick trägt. Liszt hatte als Mensch
0371wie als Künstler viel Bitteres zu erdulden, wie wir zwischen
0372den Zeilen seiner Briefe lesen können. Aber es bleibt zwischen
0373den Zeilen. Wenn Wagner durch solche Andeutungen, durch
0374Kunde von Liszt’s Erkrankung, oder durch Mittheilung
0375dritter Personen, „Liszt sei sehr traurig“ sich zu dringender
0376Anfrage veranlaßt sieht — wie antwortet ihm Liszt? „Wie
0377es mir geht, fragst du? Wo die Noth am größten, ist
0378Gott am nächsten! Beunruhige dich nicht über mein Un-
0379wohlsein — in ein paar Tagen ist es vorüber, und meine
0380Beine haben mich noch fortzutragen. Dein F. L.“ Das ist
0381Alles. Ein andermal: „Oftmals bin ich sehr betrübt um
0382deinetwillen, und meinetwillen habe ich keine Veran-
0383lassung, mich zu erfreuen. Die Hauptangelegenheit und Auf-
0384gabe meiner gesellschaftlichen Existenz nimmt eine sehr ernste
0385und peinliche Wendung. Ich konnte von dieser Seite
0386nicht viel Anderes erwarten und war darauf vor-
0387bereitet; jedoch haben die langwierigen Verwicklun-
0388gen, an welchen ich duldend zehren muß, viel
0389Kümmernisse mit sich gebracht und meine pecuniäre Lage sehr
0390gefährdet — ich kann darüber nicht weiter sprechen. Du
0391wirst mich verstehen und mein Stillschweigen nicht miß-
0392deuten.“ Nur so viel verräth Liszt von einem der
0393schwersten, sich durch Jahre fortschleppenden Kümmernisse
0394seines Lebens. Am wohlthuendsten berührt uns aber folgende
0395Antwort Liszt’s auf eine neuerliche Anfrage Wagner’s:
0396„Leider kann ich dir, nach Außen zu, wenig Rosiges ab-
0397treten, obgleich ich, dem Anschein nach, zu den Glücklichen
0398gezählt werden muß. Auch bin ich glücklich und so glücklich,
0399als es nur ein Erdensohn sein kann; dies kann ich dir ver-
0400trauen, weil du weißt, von welch unendlicher, aufopfernder
0401und unversiegbarer Liebe mein ganzes Leben seit acht Jahren
0402nun getragen ist. Wozu soll mich das übrige Leidwesen außer
0403Fassung bringen? Alles Andere ist ja eben nur die Sühne
0404meines hehren Glücks!“
0405So sehen wir Liszt die ganzen Jahre hindurch zärtlich
0406besorgt, den Freund, den schonungslosen, zu schonen, ihm
0407Klagen und Betrübung zu ersparen. Was immer das Schicksal
0408Schweres über ihn verhängt — Liszt macht es mit sich
0409selber aus.
0410(Ein Schlußartikel folgt.)