Wörter einzeln suchen

Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 8539. Wien, Sonntag, den 3. Juni 1888

[1]

Grillparzer als Musiker.

(Neue Beiträge.)


0003Ed. H. Als im Jahre 1872 die erste Gesammt-Aus-
0004gabe von Grillparzer’s Werken erschien, war weder ein voll-
0005ständiger, noch ein durchweg fehlerfreier Text zu erzielen.
0006Manches werthvolle Manuscript, wie die Fortsetzung der
0007Esther“, zahlreiche Tagebuchblätter, Epigramme u. A. schien
0008den ersten Herausgebern nicht vorgelegen zu sein. War schon
0009die zweite und dritte Auflage durch größere Reinheit und
0010Treue des Textes ausgezeichnet, so hat uns jetzt die
0011Cotta’sche Verlagsbuchhandlung mit der jüngsten, wesent-
0012lich verbesserten und vermehrten vierten Auflage (1887)
0013vollends auf das angenehmste überrascht. Dieselbe füllt sech-
0014zehn Bände, während die erste nur deren zehn enthielt. Es
0015steht so vieles Neue in dieser vierten Auflage, daß sie wol
0016unentbehrlich heißen darf für jeden Verehrer Grillparzer’s.
0017Mit der Herausgabe hat die Verlagsbuchhandlung den Pro-
0018fessor der deutschen Literatur an der Prager Universität,
0019Herrn August Sauer, betraut, der in einer ausführlichen
0020vortrefflichen Einleitung uns das Leben des Dichters und die
0021Geschichte seiner einzelnen Werke erzählt.


0022Die erste Gesammt-Ausgabe, durch welche wir eigentlich
0023den Menschen Grillparzer erst wahrhaft kennen und lieben
0024gelernt, hat in zahlreichen Gedichten und ästhetischen Aufsätzen
0025auch dessen ungewöhnliche musikalische Bildung und bis ins
0026höchste Alter nachhaltende Liebe zur Tonkunst verrathen. In
0027einem längeren Essay: „Grillparzer und die Musik“,*) habe
0030ich vor mehreren Jahren diese Seite von Grillparzer’s Wesen
0031zu beleuchten versucht. Nun bringt uns die jüngste, sechzehn-
0032bändige Gesammt-Ausgabe zum erstenmal verschiedene so inter-
0033essante Gedichte und Aufsätze über Musik, daß ich eine Art
0034Verpflichtung fühle, auf sie hinzuweisen und jenen ersten 
0035Aufsatz über Grillparzer als Musiker damit zu vervollstän-
0036digen. Ich bin in der angenehmen Lage, hiebei nicht einmal
0037auf das in der neuen Ausgabe zum erstenmal Veröffentlichte
0038beschränkt zu sein, sondern außerdem manches bisher unge-
0039druckte und in die neue Ausgabe nicht aufge-
0040nommene
Blatt von Grillparzer benützen zu können.
0041Professor Sauer hatte ohne Zweifel gute Gründe für die
0042Ausschließung einiger kleinerer Gedichte und Aufsätze; doch
0043glaube ich, daß diese für Grillparzer’s musikalische An-
0044schauungen charakteristischen Flugblätter darum nicht unwieder-
0045bringlich verloren gehen, sondern wenigstens in Journalform
0046vor gänzlichem Vergessen geschützt werden sollten.


0047Grillparzer’s musikalisches Ideal war bekanntlich Mo-
0048zart
. Die neue Ausgabe enthält ein schönes Gedicht auf
0049ihn in Form eines Trinkspruches. „Ihm, der sich am
0050Dasein freute“, möge man „kein leblos Todtenopfer bringen,
0051sondern ein Glas leeren, wie er’s selbst geliebt“, und
0052dazu sprechen:


0053„Dem großen Meister in dem Reich der Töne, /
0054Der nie zu wenig that und nie zu viel, /
0055Der stets erreicht, nie überschritt sein Ziel, /
0056Das mit ihm eins und einig war: das Schöne!“ /


0057Die leeren Logen bei einer Aufführung der „Zauber-
0058flöte“ (welche damals noch mit tanzenden Affen und Bären
0059ausstaffirt war) reizen Grillparzer zu folgendem Epigramm:


0060„Daß euch die Oper nicht gefällt, /
0061Es wundert uns fürwahr im Ganzen: /
0062Wir seh’n doch eures Gleichen drei /
0063Froh zu Tamino’s Flöte tanzen.“ /


0064Neu aufgenommen ist eine Cantate: „Weihgesang“,
0065welche, mit Musik von Franz Lachner, zur Eröffnung des
0066neuen Musikvereinssaales Unter den Tuchlauben am 4. No-
0067vember 1831 gesungen wurde, und ein Gedicht zur Grund-
0068steinlegung dieses Gebäudes. Ein kleines Gedicht ist dem
0069Beethoven-Denkmal in Heiligenstadt gewidmet; es
0070schließt mit den Worten:


0071„Nur arm der Platz, kaum schön zur Ruhestatt, /
0072Und wer sind wir, die wir ihn weihten! /
0073Der Ort, den je ein edler Mann betrat /
0074Er ist geweiht für alle Zeiten.“ /


0075Der schönste von den erst jetzt veröffentlichten musikalischen
0076Aufsätzen Grillparzer’s ist seine zweite Rede an Beethoven’s 
0077Grab. Die erste, bekannte, hatte Grillparzer für das Leichen-
0078begängniß Beethoven’s verfaßt, wo sie auch am 29. März
00791827 von Anschütz gesprochen worden ist. Als im Herbst
0080desselben Jahres Beethoven’s Grab mit einem Denkstein
0081geschmückt wurde, schrieb Grillparzer abermals eine Rede für
0082diese Feierlichkeit. Seine tiefen und innigen Worte, welche,
0083wie es scheint, bei der Denkmals-Errichtung nicht gesprochen
0084worden und bisher unbekannt geblieben sind, mögen hier
0085vollständig Platz finden: „Sechs Monden sind’s, da standen
0086wir hier an demselben Orte; klagend, weinend: denn wir
0087begruben einen Freund. Nun wir wieder versammelt sind,
0088laßt uns gefaßt sein und muthig; denn wir feiern einen
0089Sieger. Hinabgetragen hat ihn der Strom des Vergänglichen
0090in der Ewigkeit unbesegeltes Meer. Ausgezogen, was sterblich
0091war, glänzt er ein Sternbild am Himmel der Nacht. Er
0092gehört von nun an der Geschichte. Nicht von ihm sei unsere
0093Rede, sondern von uns. — Wir haben einen Stein setzen
0094lassen. Etwa ihm zum Denkmal? Uns zum Wahrzeichen!
0095Damit noch unsere Enkel wissen, wo sie hin zu knieen haben
0096und die Hände zu falten und die Erde zu küssen, die sein
0097Gebein deckt. Einfach ist der Stein, wie er selbst war im Leben,
0098nicht groß; um je größer, um so spöttischer wäre ja doch
0099der Abstand gegen des Mannes Werth. Der Name Beet-
0100hoven steht darauf, und somit der herrlichste Wappenschild,
0101purpurner Herzogsmantel zugleich und Fürstenhut. Und
0102somit nehmen wir auf immer Abschied von dem Menschen,
0103der gewesen, und treten an die Erbschaft des Geistes, der
0104ist und bleiben wird. — Selten sind sie, die Augenblicke der
0105Begeisterung in dieser geistesarmen Zeit. Ihr, die ihr ver-
0106sammelt seid an dieser Stätte, tretet näher an dies Grab.
0107Heftet eure Blicke auf den Grund, richtet alle eure Sinne
0108gesammelt auf das, was euch wissend ist von diesem Manne,
0109und so laßt, wie die Fröste dieser späten Jahreszeit, die
0110Schauder der Sammlung ziehen durch euer Gebein; wie ein
0111Fieber tragt es hin in euer Haus, wie ein wohlthätiges,
0112rettendes Fieber, und hegt’s und bewahrt’s! Selten sind sie,
0113die Augenblicke der Begeisterung, in dieser geistesarmen Zeit.
0114Heiliget euch! Der hier liegt, war an Begeisterter. Nach [2]
0115Einem trachtend, um Eines sorgend, für Eines duldend.
0116Alles hingebend für Eines, so ging dieser Mann durch das
0117Leben. Nicht Gattin hat er gekannt, noch Kind; kaum
0118Freude, wenig Genuß; ärgerte ihn ein Auge, er riß es aus
0119und ging fort, fort, fort bis ans Ziel. Wenn noch Sinn
0120für Ganzheit in uns ist in dieser zersplitterten Zeit, so laßt
0121uns sammeln an seinem Grab. Darum sind ja von jeher
0122Dichter gewesen und Helden, Sänger und Gotterleuchtete,
0123daß an ihnen die armen zerrütteten Menschen sich aufrichten,
0124ihres Ursprungs gedenken und ihres Zieles.“ —


0125Grillparzer war als Musiker gründlich gebildet. In
0126seiner Selbstbiographie erzählt er uns, wie seine leidenschaft-
0127lich der Musik ergebene Mutter ihm Clavier-Unterricht gab,
0128ehe er noch „den vollkommenen Gebrauch seiner Gliedmaßen
0129hatte“. Wie er dann bei dem Componisten Johann Mede-
0130ritsch (genannt Gallus) das Clavierspiel fortsetzte, später bei
0131Sechter Unterricht im Contrapunkt nahm und selbst Einiges
0132componirte. Mit Netti Fröhlich hat er (wie diese mir mit-
0133theilte) fast täglich vierhändig gespielt, auch bei ihr Gesangs-
0134unterricht genommen, und zwar, wie er ausdrücklich forderte,
0135„gründlich“. Um recht fest zu werden im A-vista-Lesen, sang
0136Grillparzer durch lange Zeit allsonntäglich in der Augustiner-
0137Kirche, wo der ihm persönlich befreundete Pieringer die
0138Kirchenmusik leitete. Als dort eines Tages ein alter Chorist
0139zu Grillparzer äußerte: „Sie singen ja jetzt ganz prächtig
0140vom Blatt!“, da freute sich Grillparzer, wie er versicherte,
0141mehr, als wenn man seine Stücke gepriesen hätte. Auf sei-
0142nem alten engbrüstigen Clavier (Firma: Ignaz Bösendorfer,
0143vormals Brodmann, Wien, Josephstadt) pflegte Grillparzer 
0144in der Dämmerung zu phantasiren und, dazu singend, zu
0145improvisiren, am liebsten Verse aus der Iliade oder von Horaz.
0146Auf einem (nicht in der neuen Ausgabe enthaltenen) Tage-
0147buchblatt aus dem Jahre 1822 verzeichnet Grillparzer fol-
0148gende musikalische Erinnerung aus seiner Kindheit: „Mein
0149Musiklehrer, der bekannte Gallus, hatte einige Clavier-
0150Sonaten mit Begleitung der Violine geschrieben und mir
0151zu spielen gegeben. Zu derselben Zeit, als ich sie einübte, las
0152ich einen gräßlichen Ritter-Roman „Der schwarze Ritter“
0153mit Gespenstern, sprechenden Todtengerippen u. dgl., der
0154einen großen Eindruck auf mich machte. Die gleichzeitige Be-
0155schäftigung mit beiden Werken verwebte die Eindrücke in
0156meiner Phantasie so sehr mit einander, daß ich zuletzt nicht
0157mehr die Sonate spielen konnte, ohne die Begebenheiten des
0158Romans vor mir zu sehen, noch den Roman lesen, ohne
0159dabei die Melodien jener Sonaten zu hören. Die Sonaten
0160selbst waren aber nichts weniger als düster oder heftig, viel-
0161mehr sehr lieblich; demungeachtet ergriff mich beim Spielen
0162ein Schauder nach dem andern. Vorzüglich war dies der
0163Fall bei jenen Stellen, wo die Melodie von der (bei mir
0164fehlenden) Violinstimme aufgegriffen wurde und das Clavier
0165blos die Begleitung in arpeggirten Accorden hatte. Hier
0166hatte die Phantasie den freiesten Spielraum und ersetzte das
0167Fehlende halb mit Tönen und halb mit Bildern. Hier hatte
0168ich schon Gelegenheit, zu bemerken, daß, was mich in der
0169Musik vorzüglich ansprach, eigentlich der Ton, der Klang
0170war, der als Nervenreiz Gemüth und Phantasie aufregt,
0171wäre es auch nur, um sie dann dem Spiel mit ihren eige-
0172nen Bildern zu überlassen. Ebenso magisch, wie der Ton an
0173sich, wirkte von jeher auf mich die Verbindung der Töne
0174nach ihrem eigenen Gesetze, d. h. nicht nach der Be-
0175stimmung eines von Außen hinzugekommenen, als eines
0176Textes, der gegebenen Aufgabe des Ausdruckes dieser oder
0177jener Empfindung oder Leidenschaft. Für mich hat die Musik
0178als solche, blos den Gesetzen ihrer Wesenheit und den Ein-
0179flüssen einer begrifflichen Begeisterung gehorchend, immer
0180etwas unendlich Heiliges, Ueberirdisches gehabt. Ich ziehe
0181daher auch die Instrumental-Musik eigentlich jeder andern
0182vor und würde es noch mehr thun, wenn nicht der Zauber
0183der Menschenstimme so sehr für gesungene Musik spräche.
0184Aus eben dieser Ursache verzeihe ich einem Componisten in
0185letzterer Gattung nichts leichter, als wenn er seinem Texte
0186untreu wird, vorausgesetzt, daß er seinen Text blos der
0187organischen Entwicklung und Gestaltung des musikalischen
0188Theiles aufopfert, und nichts ist mir unerträglicher, als ein
0189Opern-Compositeur, der den Worten seines Textes nachläuft
0190und ihm deßhalb eine zerstückelte, nicht-melodische, nicht
0191organisch ausgebildete und abgerundete Musik unterlegt.“
0192Diese Anschauung von der ureigenen, selbstständigen
0193Schönheit der Musik blieb für Grillparzer zeitlebens ein
0194ästhetisches Dogma, das er in Versen und Prosa zu predigen 
0195nicht müde wurde. Im Zusammenhange damit stehen fol-
0196gende zwei Apperçus von Grillparzer aus dem Jahre 1820 
0197welche in die neue Ausgabe nicht aufgenommen sind:
01981. „Vergißt man denn immer bei Vergleichung der Poesie
0199mit Worten und mit Tönen (Dichtkunst und Musik), daß
0200das Wort blos Zeichen, der Ton aber, nebstdem daß er ein
0201Zeichen, auch eine Sache ist?“ 2. „Die Poesie will den
0202Geist verkörpern, die Musik das Sinnliche vergeistigen.
0203Darin liegt beider Wesen und der Grund ihrer Verschiedenheit.
0204Seiner Basis aber kann nichts Fortschreitendes ungestraft
0205untreu werden, darum auch nie die Poesie dem Begriff
0206und die Musik nie dem Sinne.“


0207Diese Anschauungen entwickelt Grillparzer auch in einer
0208Kritik des „Freischützen“, welche ich zuerst in jenem
0209früher erwähnten Essay mitgetheilt habe und die jetzt in die
0210neue Ausgabe aufgenommen ist. Unserem Dichter widerstrebte
0211an Weber’s Musik deren überwiegend dramatisches, charakteri-
0212sirendes Wesen; immerhin schreibt er über den Freischütz 
0213in ruhigem Ton, und hauptsächlich um seine eigenen ästhe-
0214tischen Grundsätze daran zu prüfen und zu vertheidigen.
0215Aber wie grausam verfährt er mit der armen „Euryanthe“!
0216Wir können heute dieses Tagebuchblatt nur mit sehr ge-
0217mischten Empfindungen lesen. Es heißt darin: „Was ich
0218schon bei Erscheinung des Freischützen geahnt hatte, scheint
0219sich nunmehr zu bestätigen. Weber ist allerdings ein poetischer
0220Kopf, aber kein Musiker. Keine Spur von Melodie;
0221abgerissene Gedanken, blos durch den Text zusammengehalten
0222und ohne innere (musikalische) Consequenz. Der romantisch-
0223leichte Stoff beschwert und herabgezogen, daß man sich bang
0224und ängstlich fühlen muß. Kein lichter Moment ausgespart,
0225das Ganze in Einem Tone düster und trübselig gehalten.
0226Ich sehe in diesem Compositeur einen musikalischen Adolph
0227Müllner
. Beide treten glänzend auf, indem sie, erst im
0228späteren Mannesalter beginnend, die kärgliche Poesie ihres
0229ganzen früheren Lebens durch einen treibenden Stoff gehoben,
0230in Einer knallenden Feuerwerkfronte abbrannten („Die Schuld“,
0231Der Freischütz“.) Beide Männer von scharfem Verstande,
0232mit mannigfachen Talenten, beide Theorie-Männer und daher
0233auch Un-Künstler, Beide sich hinneigend zur Kritik. Kritik wird
0234das Ende Weber’s sein, wie es Müllner’s Ende war.“

[3]


0235Noch ungleich schärfer, ja geradezu empört klingt ein
0236zweites Tagebuchblatt über Euryanthe, das mir vorliegt, aber
0237nicht in der neuen Ausgabe erscheint. Der Wunsch, dem Ton-
0238setzer nicht Unrecht zu thun, treibt Grillparzer ein zweites-
0239mal in die Euryanthe, und da findet er diese Musik „scheuß-
0240lich“ und „polizeiwidrig“: „Dieses Umkehren des Wohl-
0241lautes, dieses Nothzüchtigen des Schönen würde in den
0242guten Zeiten Griechenlands mit Strafen von Seite des
0243Staates belegt worden sein.“ So Vieles wir auch an der
0244Euryanthe zu beklagen haben, in der Weber offenbar sein
0245liebenswürdiges Talent überspannt und vergewaltigt hat —
0246die flammende Entrüstung Grillparzer’s muß uns heute doch
0247sehr befremden. Vergessen wir aber nicht, daß wir es hier
0248mit einem begeisterten Mozartianer zu thun haben, dessen
0249prophetischer Instinct in der Euryanthe einen entscheidenden,
0250von Mozart schroff ablenkenden und zu gefährlicher Nach-
0251eiferung verleitenden Wendepunkt der Opernmusik ahnte. Ver-
0252gessen wir auch nicht, daß damals noch ganz andere Leute sich
0253von der Euryanthe abgestoßen fühlten: Beethoven und Schubert!


0254Weber blieb nun fortan die Bête noire Grillparzer’s.
0255Offenbar gegen Weber gerichtet ist ein in der neuen Aus-
0256gabe enthaltener satirischer Aufsatz, der „Avertissement“
0257überschrieben ist und ein neues Mittel anpreist, „wodurch
0258die Musik zu einer wirklichen, nur etwas unbeholfeneren
0259Wortsprache erhoben wird“. Die Erfindung besteht in
0260der Identificirung der Buchstaben des Schriftalphabets mit
0261den Benennungen der Töne, wonach man also zum Beispiel
0262einen Bach musikalisch ganz genau durch die Töne b, a, c, h
0263ausdrücken könnte. Auch der Wahlspruch „Wie Gott will!“
0264unter Weber’s Porträt reizte Grillparzer (nach der Auffüh-
0265rung der Euryanthe 1823) zu einem Spottgedicht, das hier
0266zum erstenmale mitgetheilt werden soll:


0267„Wie Gott will!“ so sprach ein Kutscher, /
0268Hing die Zügel, fuhr vom Fleck, /
0269Wie Gott will! Der Wagen taumelt, /
0270Schlägt sich über, liegt im Dreck. /
0271Und der Herr springt aus dem Wagen, /
0272Schwingt sein Rohr und schlägt d’rauf zu: /
0273„Wie Gott will, so fährt ein Jeder, /
0274Hanns und Jörge, nicht blos du; /  
0275Aber willst du Kutscher heißen, /
0276Triff’ dein Ziel nach eig’ner Richt’, /
0277Wollt’ auch — er verzeih’ die Sünde! — /
0278Unser Herrgott selber nicht.“ /


0279Wir finden in der neuen Grillparzer-Ausgabe noch
0280manchen geistreichen Einfall über Musik, Epigramme auf
0281Liszt und Dr. Alfred Becher, eine eingehende Verglei-
0282chung der Aufführungen von „Robert der Teufel“ im Kärntner-
0283thor- und im Josephstädter Theater, endlich einen satirischen
0284Aufsatz über die Tannhäuser-Ouvertüre. Von Grillparzer’s
0285Auslassungen gegen C. M. Weber mag man ungefähr schlie-
0286ßen, wie unangenehm ihm Richard Wagner gewesen!
0287Er kannte von diesem (außer den theoretischen Schriften)
0288allerdings nur die Ouvertüre zum Tannhäuser, welche —
0289lange vor der Aufführung der ganzen Oper — durch ein
0290Gesellschaftsconcert und durch die Strauß’sche Capelle in
0291Wien bekannt worden war. In dem erwähnten satirischen
0292Aufsatze macht sich Grillparzer vornehmlich über das ge-
0293druckte Programm zur Tannhäuser-Ouvertüre lustig. Als
0294die Oper selbst endlich zur Aufführung kam, schrieb Grill-
0295parzer (1858):


0296„Erscheint Freund Wagner auch denn auf der Bühne? /
0297Ein mag’rer Geist mit einer Crinoline.“ /


0298Zwei besonders boshafte Epigramme datiren aus dem
0299Jahre 1865, der Münchener Periode Wagner’s. Sie sind
0300in die neue Ausgabe nicht aufgenommen und mögen hier,
0301als Schluß unserer kleinen Anthologie, zum erstenmale ge-
0302druckt erscheinen:


03031.
0304„Die Agnes Bernauer, /
0305Eine Baderstochter, /
0306Warfen die Bayern in die Donau, /
0307Weil sie ihren Fürsten bezaubert. /
0308Ein neuer Salbader /
0309Bezaubert euren König, /
0310Werft ihn, ein zürnender Landsturm, /
0311Nicht in die Isar, doch in den Schuldthurm.“ /
03122.
0313„Wäre Richard Wagner ein Alt-Bayer, /
0314Wäre der König in seiner Vorliebe freier, /
0315Doch jetzt in seinem Sturm gegen Altgewohntes, /
0316Ist er für München ein Lolo Montes.“ /

Fußnoten
  • *)Musikalische Stationen.“ Kritiken und Schil-
    derungen von Eduard Hanslick. Berlin, 1876, S. 331 ff.