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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 9169. Wien, Dienstag, den 4. März 1890

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Concerte.


0002Ed. H. Ein wahres Buß- und Fastenprogramm das
0003des letzten Gesellschaftsconcertes! Zu Anfang heißt uns
0004Mendelssohn den Gott der Juden anflehen um Segen
0005für das Haus Israel und das Haus Aaron, dann zer-
0006schmettern uns in Brahms’Parzenlied“ die grausamen
0007Götter der Heiden, zuletzt wird uns in Bach’s Motette
0008Komm’ Jesu, komm’“ das protestantische Lieblingsthema,
0009das Vergnügen am Sterben, eingeprägt und die Sehnsucht,
0010aus dieser Sündenwelt so bald als möglich fortzukommen.
0011Nach diesen drei unmittelbar auf einander folgenden Chor-
0012werken waren die Gemüther der Zuhörer so erweicht und
0013zerschlagen, daß Einige auf der Stelle beichten gehen wollten,
0014Andere wieder nach irgend einem Begräbniß ausspähten,
0015dem sie als Leidtragende auf den Kirchhof folgen könnten.
0016Jedes dieser drei Meisterwerke für sich würde man andächtig
0017und dankbar aufgenommen haben, ihre ununterbrochene
0018Reihenfolge brachte aber eine solche Summe niederdrückender
0019Empfindungen zuwege, daß uns gar fromm und elend
0020zu Muth wurde. Für den Concertsaal heißt es nicht
0021blos: die rechten Werke finden, sondern auch ihnen den
0022rechten Platz bereiten. Mendelssohn’s 115. Psalm war
0023seltsamerweise in Wien nie zuvor aufgeführt. Zwischen einem
0024kräftigen, lebhaft figurirten Eingangschor und einem mächtigen
0025Schlußchor, welcher das erste Thema in veränderter Tactart
0026wieder aufnimmt, hören wir ein Duett und ein Arioso für
0027Bariton — wohlklingende, doch etwas weichliche Gesänge.
0028An musikalischer Kunst steht dieser Psalm hinter den übrigen
0029des Meisters kaum zurück, wol aber an Originalität und
0030Frische der Farben. Die so oft gehörten Mendelssohn’schen
0031Melodien- und Harmoniefolgen klingen heute den Hörern
0032schon allzu bekannt, auch erweckt der Text nicht so lebhafte
0033Theilnahme, wie die übrigen von Mendelssohn componirten
0034Psalmen. So ließ denn das Stück im Ganzen kühl, und nur
0035das von Herrn Grienauer mit klangvoller Stimme vor-
0036getragene Es-dur-Arioso fand stärkeren Anklang. Brahms’ 
0037Gesang der Parzen“ bewundern wir als ein Kunstwerk von
0038großartiger Conception und einschneidender Gewalt des Aus-
0039drucks. Vollkommen verständlich wird es einem größeren
0040Publicum selten, geschweige denn sympathisch. Das Gedicht
0041will in Musik nicht rein aufgehen und blickt uns, aus dem
0042Goethe’schen Drama herausgerissen, mit den räthselhaft
0043drohenden Augen einer Sphinx an. Bach’s zweichörige
0044Motette „Komm’ Jesu, komm’“ (mit dem Choral am Ende)
0045bietet dem Musiker ein unerschöpfliches Studium und den von
0046keiner Begleitung unterstützten Sängern eine dreifache Feuerprobe
0047für die reine Intonation, den präcisen Einsatz und die
0048Kehlenfertigkeit. Ganz anders als im Concertsaale müßte die
0049Motette in der Kirche wirken, wo eine zerknirschte Gemeinde
0050in dem wonnevollen Gedanken an ein baldiges Ableben über-
0051einstimmt. Als Gegensatz zu dem vielgetadelten „Leben und
0052Lebenlassen“ unserer katholischen Componisten könnte man
0053über Bach’s Kirchenmusiken das Motto setzen: Sterben und
0054Sterbenlassen. Die Motette „Komm’ Jesu“ gehört zu den
0055bewundernswürdigsten Meisterstücken harmonischer und contra-
0056punktischer Kunst. Eine glücklichere Wahl wäre jedoch
0057Bach’s Kirchencantate „Du wahrer Gott und David’s
0058Sohn“ gewesen, jene herrliche, jedes Gemüth ergreifende
0059Tondichtung, welche wir in Wien nur in der sehr unge-
0060nügenden Production eines andern Vereins kennen gelernt
0061haben. Beethoven’sRuinen von Athen“ beschlossen das
0062Concert. Dieses Gelegenheits-Festspiel enthält bekanntlich
0063zwei herrliche Nummern: den Derwisch-Chor und den Fest-
0064marsch; wir hören sie lieber allein, als in minderwerthiger
0065Nachbarschaft und als Bestandtheile eines Ganzen, das uns
0066ja stofflich kaum mehr interessiren kann.


0067Das Quartett Rosé hat uns in seiner letzten Pro-
0068duction mit einer ganz merkwürdigen Novität überrascht:
0069einer alten Composition von Brahms, die doch ganz und
0070gar eine neue geworden. Ich meine das Claviertrio op. 8,
0071das den Componisten nun an die dreißig Jahre lang wie ein
0072boshafter Kobold verfolgte, ihm zuraunend: Lieber Papa, du
0073hättest was Besseres aus mir machen können! Das Publi-
0074cum war niemals so schlecht darauf zu sprechen, wie Brahms 
0075selbst; es hat das Trio bei der ersten Aufführung durch
0076Door (1870) außerordentlich warm aufgenommen. „Brahms,“
0077so schrieb ich nach jener Première, „hat seither sein Talent
0078geklärt, seine Kunst verfeinert, vielleicht urtheilt er jetzt selbst
0079strenge über dieses Product unausgereifter Künstlerschaft —
0080es bleibt trotzdem ein lebensvolles, durch und durch poetisches 
0081Tonwerk.“ Es steckte eben Jugend darin, und Jugend ist
0082ein schönes Ding. Nun hat Brahms, den Inspirationen seiner
0083Jünglingszeit liebevoll anhängend und doch gleichzeitig ge-
0084ärgert von deren technischen Mängeln, das Trio mit Bei-
0085behalt der Themen so vollständig umgearbeitet, daß es als
0086ein einheitliches neues Werk dasteht. Auch das schärfste Auge
0087wird keine Spur von Flickarbeit daran bemerken. Nach-
0088dem der erste Satz sein leuchtendes Hauptthema hinge-
0089stellt, bringt er ein ganz neues Seitenthema, breitet sich
0090in großartiger Durchführung aus und nimmt erst in
0091den allerletzten Tacten den Rückweg zum Original.
0092Das Fugato, von dem ich damals sagte, es wirke wie ein
0093lateinisches Schulcitat in einem Liebesgedicht, ist verschwun-
0094den, und manche leere Stelle dazu. Am wenigsten Ver-
0095änderung hat das Scherzo erfahren, dessen einheitlicher knapper
0096Bau einer Nachhilfe nicht bedurfte. Doch auch hier über-
0097rascht uns ein neuer Schluß von glänzenderer Wirkung. Vom
0098Adagio sind nur die ersten Tacte geblieben, nichts weiter.
0099Das ursprüngliche zweite Thema, das an Schubert’s „Am
0100Meere“ erinnerte, hat einem andern Motiv Platz gemacht;
0101kein Allegro unterbricht mehr den edlen Fluß dieses Satzes,
0102der nun ebenso weihevoll schließt, als er angefangen. Das
0103Finale hat ein ganz neues, energisches Seitenthema in D-dur
0104erhalten, von dessen Eintritt alles Folgende neu erfunden ist
0105bis zum Schluß. Wie viel Feuer und Leidenschaft braust jetzt
0106in diesem Finale! Von den kleinen Details, die Brahms 
0107geändert oder zugefügt hat, kann hier nicht erzählt werden;
0108sie sind für den Musiker kaum minder interessant,
0109als die Neubildungen im Großen. Junge Com-
0110ponisten mögen eine Vergleichung des Original-Trios
0111op. 8 mit der neuen Redaction nicht versäumen.
0112Man lernt daraus, wie ein Meister niemals aufhört, zu
0113lernen. Das Trio hat außerordentlichen Beifall gefunden.
0114Brahms, der den Clavierpart entzückend spielte, wurde bei
0115seinem Erscheinen stürmisch begrüßt. Noch sei die treffliche
0116Aufführung von Mendelssohn’s Octett erwähnt, worin
0117der Rosé’sche Quartettverein mit dem Kreuzinger’schen
0118zusammenwirkte. Wie haben wir uns wieder an diesem
0119jugendfrischen, dabei so klaren und formvollendeten Werk er-
0120freut, dessen erster Satz mit seinem weitausgreifenden präch-
0121tigen Thema zu Mendelssohn’s genialsten Eingebungen ge-
0122hört. Und das hat ein Zwanzigjähriger gemacht! Das [2]
0123Rosé’sche Quartett darf den Abend zu seinen erfolgreichsten
0124zählen. Es folgt nur einem allgemein geäußerten Wunsche,
0125indem es noch eine Extra-Production für den 20. März an-
0126kündigt, in welcher nur Beethoven’sche Compositionen, dar-
0127unter das unverwüstliche Septett, zur Aufführung kommen.


0128Das sechste Philharmonische Concert brachte
0129uns eine Wiederholung von Brahms’ C-moll-Symphonie,
0130dieser großartigen, von tragischer Leidenschaft erglühenden
0131Tondichtung, deren mächtige Wirkung nur durch ihre Länge,
0132insbesondere der Coda des letzten Satzes abgeschwächt wird.
0133Außerdem erschien als Novität ein „Variirtes Originalthema“
0134von Johann Hager. Das Originalthema ist so dürftig,
0135daß die Variationen, um dafür zu entschädigen, ganz außer-
0136ordentlich interessant sein müßten. Sie sind es aber gar nicht.
0137Große Wirkung machte hingegen eine zweite Novität, Sme-
0138tana’s
symphonische Dichtung „Vltava“. So nennt sie
0139der Anschlagzettel. Ich hatte geglaubt, daß wir in Wien noch
0140Deutsch sprechen und hier Niemand verpflichtet sei, zu wissen,
0141daß „Vltava“ die Moldau bedeutet. Wahrscheinlich war Hof-
0142capellmeister Richter gleich vielen seiner Zuhörer der Mei-
0143nung, „Vltava“ sei der Name irgend eines unbekannten großen
0144Helden czechischer Nation. Die erste Schuld trifft den Musik-
0145verleger, der auf der Partitur zwar den Gesammttitel und sogar
0146alle Vortragsbezeichnungen in deutscher Uebersetzung beifügt,
0147nur die für das Verständniß entscheidende Aufschrift „Vltava“
0148nicht. Und doch wollen die Czechen Smetana’s Werke auch
0149in ganz Deutschland verbreitet wissen. Warum also auf dem
0150Titelblatte den Namen „Moldau“ verschweigen, den ebenso
0151viele Millionen Menschen kennen, als etwa Hunderte das
0152Wort „Vltava“. Mit solchen „patriotischen“ Kindereien haben
0153czechische Verleger ihren Musik-Heroen schon mehr, als sie
0154glauben, geschadet.*) Die Composition selbst ist das Werk
0161eines echten und glänzenden Talentes. In erster Linie Natur-
0162schilderung, gehört sie zu jenen Programm-Musiken, welche
0163im Grunde keiner gedruckten Gebrauchsanweisung bedürfen
0164und nirgends über die Grenzen des musikalisch Verständlichen
0165oder Zulässigen hinausgehen. Von Liszt’s Symphonischen
0166Dichtungen angeregt und beeinflußt, ist Smetana’s „Moldau“
0167doch viel einheitlicher gedacht und natürlicher entwickelt.
0168Ein Hauptgedanke, Eine Grundstimmung, beinahe Eine Be-
0169gleitungsfigur beherrscht das ganze Stück. Der Anfang ist
0170reizend. Wir stehen am Ursprung der Moldau, die im
0171Böhmerwald aus zwei Quellen entspringt. Eine einzelne
0172Flöte meldet sich mit einer raschen, schüchternen Wellenfigur;
0173versprengte Pizzicato-Töne der Geige und Harfe blitzen wie
0174Sonnenstrahlen darein. Das Wässerchen schwillt an: zwei
0175Flöten bringen das Wellenmotiv in Sexten, die Clarinetten
0176in Terzen, endlich nimmt auch das Streichquartett es auf.
0177Auf dieser gleichmäßig auf- und niederwogenden Begleitung
0178erhebt sich in den Holzbläsern das eigentliche Thema, eine
0179volksthümliche, ruhige Liedweise in E-moll. Da ertönen
0180Waldhörner; eine Jagd zieht vorüber, während die Wellen-
0181begleitung unter glitzernden Triangelklängen ruhig weiter-
0182fluthet. Allmälig verhallen die Hörner, die Jagd ent-
0183fernt sich; ihr folgt, zwischen Marsch und Polka schwebend,
0184eine ländliche Hochzeitsmusik. Nach dem Verschwinden der
0185Bauernhochzeit taucht die wogende Begleitungsfigur wieder
0186auf, diesmal blos in den Flöten und Clarinetten.
0187Die Geigen, mit Sordinen, führen dazu eine sanfte,
0188getragene Melodie, deren Abschnitte kurze Harfen-Arpeggien
0189markiren. „Mondschein, Nymphenreigen“ heißt es in der
0190Partitur — ein gleichmäßig die Malerei wie die Poesie strei-
0191fender Vorwurf, der hier mit echt musikalischen Mitteln rei-
0192zend ausgeführt ist. Allmälig beschleunigt sich der Wogentanz,
0193immer lauter und wilder schäumen die Wässer: wir sind
0194in die „St. Johannis-Stromschnellen“ gerathen. Das ganze
0195Orchester mit Becken und großer Trommel geräth in Auf-
0196ruhr und vollführt ein patriotisch übertreibendes Getöse, das
0197den Moldau-Wirbel für einen zweiten Niagarafall ausgeben
0198möchte. Durch die Stromschnellen gelangen wir in die brei-
0199teste Strömung des Moldauflusses, der nun majestätisch am
0200Fuße des Wyschehrad dahinfließt. Das erste Thema ertönt 
0201nun in hellem E-dur, die Begleitungsfigur wird ruhiger,
0202mächtiger, und das Ganze schließt in stolzer, vielleicht nur
0203zu lärmender Pracht. Smetana’s „Moldau“ wurde von den
0204Philharmonikern mit vollendeter Virtuosität gespielt und vom
0205Publicum überaus günstig aufgenommen. Es ist ein schön
0206gedachtes, einheitlich und doch ohne Monotonie durchgeführtes
0207Stück, das ein originelles Talent und in der Instrumen-
0208tirung einen der eminentesten Schüler Liszt’s und Berlioz’
0209verräth. Auf einen tiefen musikalischen Ideengehalt, auf
0210polyphone und contrapunktische Kunst in Verarbeitung der
0211Motive macht es keinen Anspruch; es wirkt durch liedmäßige
0212(nicht „unendliche“) Melodie, durch klare, symmetrische Form
0213und reizvollen Klang. Als Naturschilderung hat Smetana’s
0214Moldau“ den Vorzug, der Phantasie nur ganz typische
0215Bilder vorzuzaubern, die keines detaillirten Programms be-
0216dürfen und den Componisten nirgends zu geschmackloser
0217Grenzüberschreitung nöthigen.


0218Friedrich Smetana ist 1824 in Leitomischl geboren. Er
0219leitete anfangs eine Musikschule in Prag, folgte dann einem
0220Ruf nach Gothenburg in Schweden als Musikdirector, kehrte
0221nach zehn Jahren in seine Heimat zurück und übernahm
0222daselbst 1866 die Capellmeisterstelle am czechischen National-
0223Theater. Er hatte das Unglück, die letzten zehn Jahre seines
0224Lebens in vollständiger Taubheit zu verbringen und schließlich
0225in Wahnsinn zu verfallen. Smetana ist 1884 im Prager
0226Irrenhause gestorben. Näheres über seine Werke und die
0227aller übrigen großen und kleinen Sterne des Prager Musik-
0228himmels erfahren wir aus einer bei Urbanek in Prag er-
0229schienenen Broschüre: „Ein Vierteljahrhundert böhmischer
0230Musik.“ Verfasser derselben ist der geschätzte Prager
0231Musik-Kritiker Emanuel Chvala. Nachdem derselbe
0232mit liebenswürdiger Aufrichtigkeit selbst gesteht, daß
0233„unter dem Eindruck der frischen Thaten ein oder das an-
0234dere Ergebniß überschätzt werden konnte“, so erscheint es
0235rathsam, Chvala’s enthusiastische Urtheile wie den Part
0236einer S-Clarinette, nämlich um einen ganzen Ton tiefer, zu
0237lesen. Chvala datirt die böhmische Musik erst „von dem
0238raschen Aufblühen des nationalen Geistes nach dem Erscheinen
0239des October-Diploms“. Nach dieser, aber auch nur dieser [3]
0240Zeitrechnung darf er allerdings Smetana den „ersten böh-
0241mischen Tonkünstler und Begründer der böhmischen Musik“
0242nennen. Ein Bewunderer von Smetana’s Symphonischen
0243Dichtungen, stellt Chvala doch zuhöchst dessen Opern und
0244bezeichnet überhaupt die dramatische Musik als dasjenige
0245Gebiet, in welchem seine Landsleute „auf der Höhe der zeit-
0246genössischen Kunst“ stehen. Meinestheils finde ich die besten
0247Erzeugnisse der czechischen Musik weit mehr in der Instru-
0248mental-Musik, als in der Oper. Allerdings verrathen zwei
0249kleinere komische Opern aus Smetana’s früherer Zeit —
0250Der Kuß“ und „Die verkaufte Braut“ — ein echtes, melo-
0251diöses und charakteristisches Talent, das sich glücklich mit
0252dem Geist der Volksweisen befruchtet hat. In diesen
0253Singspielen war Smetana noch naiv, melodiös und national.
0254Sie entzücken heute noch die czechische Bevölkerung Prags.
0255Auf fremden Bühnen dürften sie aber ebenso wenig heimisch
0256werden, als Dvořak’s in ähnlichem Styl gehaltene
0257komische Singspiele „Der Bauer als Schelm“ und „Dick-
0258schädel“. Später hat Smetana als Operncomponist Richard
0259Wagner nachgestrebt. In seiner großen tragischen Oper
0260Libussa“ (die ich in Prag gehört) vermißte ich die frühere
0261Naivetät und Natürlichkeit Smetana’s und fand ihn, seiner
0262besten Eigenart beraubt, als Adepten des spätwagnerischen
0263Styls. Die gerühmten dramatischen und declamatorischen
0264Feinheiten in der „Libussa“ vermag natürlich nur ein ge-
0265nauer Kenner des czechischen Idioms zu würdigen; rein
0266musikalisch machte mir die Oper, wie alle Wagner-Nachbil-
0267dungen, den Eindruck des Ungesunden, Ergrübelten und
0268peinlich Ermüdenden. Sie reicht, meines Erachtens, an
0269Smetana’s „Moldau“, an sein Streichquartett und seine
0270Lustspiel-Ouvertüre“ ebensowenig hinan, als Dvořak’s 
0271große Opern „Dmitri“ und „Jakobin“, an dessen Orchester- und
0272Kammer-Compositionen. Aus Smetana und Dvořak können
0273unsere Philharmoniker noch manches sehr wirksame und interessante
0274Stück für ihr Repertoire gewinnen. In Bezug auf die
0275Titel wünschen wir dann nicht schlechter behandelt zu sein,
0276als die Ober-Landesgerichtsräthe in Prag, die nach dem
0277neuesten Ausgleich auch nicht mehr alle Czechisch zu ver-
0278stehen brauchen.

Fußnoten
  • *)-Das von den Philharmonikern gespielte Stück ist die zweite
    von sechs Symphonischen Dichtungen, welche Smetana unter dem Ge-
    sammttitel „Mein Vaterland“ veröffentlicht hat. Ihre Auf-
    schriften lauten: 1. Wyschehrad. 2. Die Moldau. 3. Scharka (Name
    der Amazonen-Führerin und eines Thales bei Prag). 4. Aus Böhmens
    Flur und Hain. 5. Tabor 6. Blanik.