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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 9181. Wien, Sonntag, den 16. März 1890

[1]

Concerte.

(Requiem von Berlioz. Concerte von Frau Frankl-Joël, Fräulein M. Weiß, den Herrn Labor, Prohaska und Rosenthal.)


0003Ed. H. Einer der ersten und feurigsten Anhänger von
0004Berlioz war der unglückliche Dr. Alfred Becher in Wien.
0005In einem langen Essay verherrlichte er (1846) Berlioz als
0006das musikalische Genie, welches alle Geistes- und Gemüths-
0007kräfte in höchster Fülle vereinige. Nur ein einziger Mangel
0008sei ihm an Berlioz aufgefallen. „Ich glaube,“ sagt Becher,
0009„es fehlt ihm das religiöse Gefühl. Zwar vermag
0010Berlioz die Frömmigkeit in Anderen täuschend wiederzugeben,
0011aber sie klingt nicht wie selbstempfunden. Auch weicht er ihr
0012oft aus, wo doch der poetische Gedankenzwang sie fast noth-
0013wendig bedingte.“ Dieses von Becher zuerst und allein er-
0014hobene Bedenken, „der Mangel an religiösem Gefühl“, ist
0015sehr bemerkenswerth. Hätte Dr. Becher das Requiem ge-
0016kannt und die Veröffentlichung der Memoiren erlebt, es
0017würden ihm aus beiden Quellen neue Beweisgründe
0018für seine Ansicht zugeflossen sein. In den Me-
0019moiren erzählt Berlioz selbst, daß er trüben Jugend-
0020erlebnissen einen bleibenden tiefen Widerwillen gegen
0021alles Kirchliche verdanke. Sein Requiem aber zeigt unter
0022allen bekannten Tonwerken dieses Namens die allergeringste
0023Spur von religiösem Sinn. Mit souveräner Willkür und
0024Weltlichkeit verarbeitet Berlioz den altehrwürdigen Kirchentext
0025zu einer Art phantastischem Drama. Was er darin nicht
0026zu unerhörten Klangeffecten verwenden kann, das läßt ihn
0027gleichgiltig und gelangweilt; er behandelt es auch gleichgiltig
0028und langweilig. Lassen wir jedoch die religiöse Frage völlig
0029beiseite und stellen uns ganz auf den Standpunkt des freien
0030Künstlers. Mag ihn in der „Todtenmesse“ immerhin nur
0031die starke, allgemein menschliche Lyrik und vor Allem das
0032dramatische Element angelockt haben. Aber gerade vom musika-
0033lischen Standpunkt erscheint mir dieses angebliche Meisterwerk
0034des Franzosen als dessen unzulänglichste und bedenklichste Arbeit.
0035Der Leser kennt meine Bewunderung für die zahlreichen 
0036hohen Schönheiten der „Sinfonie fantastique“, der „Romeo“-
0037und der „Harald“-Symphonie; habe ich doch das Publicum
0038schon in jener Urzeit dafür zu gewinnen versucht, als man
0039noch häufig Berlioz mit Bériot verwechselte. An eine
0040Kritik des Requiems jedoch gehe ich nur mit peinvollen
0041Empfindungen. Es gähnt darin eine trostlose Leere und
0042Ideenarmuth, welche durch eine Armee von Lärminstrumenten
0043ebensowenig verdeckt werden kann, wie die große technische
0044Unbeholfenheit des Componisten. Das Requiem gehört zu
0045Berlioz’ Jugendwerken; die Kunst des musikalischen Satzes
0046im weitesten Sinn, die zeitlebens seine schwache Seite ge-
0047blieben — sie steckt hier noch in den Kinderschuhen. Schwer-
0048lich stößt man in irgend einer großen geistlichen Composition
0049auf ähnliche Unfähigkeit, ein Thema zu entwickeln, einen vier-
0050stimmigen Chorsatz zu führen, ein Motiv contrapunktisch zu ver-
0051werthen und was sonst noch den Musiker macht. Jeden Augen-
0052blick muß, wie in einer italienischen Oper, der Nothbehelf des
0053Unisono-Singens herhalten; jeden Augenblick zerbröckelt die
0054Form, stolpert und überschlägt sich der melodische Fortgang.
0055Berlioz muß nie zuvor ein Chorwerk von Bach studirt haben,
0056geschweige denn von Palestrina, dessen Ruhm er ja einen
0057schlechten Spaß nennt. Das sind aber die ehernen Funda-
0058mente aller geistlichen Musik. Wo nicht seine oft blendend
0059geistreichen, oft auch nur wunderlich barocken Klangeffecte
0060unser Interesse erregen, erschlafft dieses; denn nirgends ent-
0061zückt, nirgends erhebt uns die Schönheit eines ausgereiften
0062musikalischen Gedankens. Wie matt und stockend beginnt
0063nicht das „Dies irae“, wo der Componist doch mit ganzer,
0064erschütternder Kraft einzusetzen hat! Dieser „Tag des Zornes“
0065scheint für Berlioz ein Tag wie jeder andere zu sein. Aber
0066das ist nur eine diplomatische Finte. Berlioz will sich den
0067Contrast einer urplötzlich hereinbrechenden gewaltigen Erup-
0068tion für das „Tuba mirum“ offen halten, und dieser
0069colossale Schalleffect ist’s im Grunde, was sein Requiem 
0070berühmt gemacht hat. Vierundzwanzig Posaunen, zwölf
0071Hörner und zwölf Trompeten stürzen sich gleichzeitig mit
0072dröhnendem Fortissimo auf uns, dazu lärmen Becken, Tam-
0073tam, große Trommel und sechzehn Pauken! Ist es ein
0074Wunder, daß der Zuhörer förmlich niedergeworfen wird?
0075Ist es eine Kunst, mit so brutalen Mitteln eine
0076beängstigend erschütternde Wirkung zu erzielen? Zur 
0077Zeit freilich, als Berlioz diesen musikalischen Massenmord
0078ausführte, gehörte der Muth eines Titanen dazu; heute
0079macht das ein geschickter Regiments-Capellmeister. Berlioz hat
0080bekanntlich über Mozart gespottet, der das „Tuba mirum“
0081von Einer (!) Posaune intoniren läßt. Das war fürs erste
0082ganz correct, da der kirchliche Text nur von Einer „tuba“
0083spricht; sodann aber gab Mozart dieser Einen ein großartig
0084einfaches Motiv, das uns zwar nicht im buchstäblichen Sinne
0085zu Boden schleudert, wie Berlioz’ Posaunenchor, aber un-
0086vergleichlich tiefer ergreift. Bei Mozart: ästhetische Wirkung,
0087bei Berlioz: physische Gewalt. Der Klang der Posaune ist
0088an sich schauerlich, markerschütternd, wie kein anderer; der
0089junge Mozart fiel dabei in Ohnmacht. Unsere Zuhörer be-
0090wiesen stärkere Nerven; sie brachen nach dem ersten Schreck
0091in nicht endenwollenden Jubel aus. Wahrscheinlich waren
0092keine Mozarts unter ihnen. Mit dem „Tuba mirum“
0093und dem „Rex tremendae majestatis“ sind bei Berlioz 
0094gleichsam alle Feuergarben des Vulcans ausgeschüttet; es
0095folgt wieder musikalische Asche und Dunkelheit. Gibt
0096es etwas Kläglicheres, als den Chor „Quid sum
0097miser“ oder das Offertorium in D-moll, wo die Stimmen
0098der Verdammten im Fegefeuer von Anfang bis zu Ende auf
0099zwei Tönen, a und b, winseln? Und der Chor „Quaerens
0100me“ mit seiner abschreckenden Stimmführung — ist er
0101nicht ein Musterbeispiel für angehende Componisten, wie
0102man nicht „a capella“ schreiben soll? Schließlich die zum
0103Ueberdruß wiederholte Melodie „Lacrymosa“, im Unisono
0104von Sopran und Tenor — wirkt sie nicht erheiternd? Sie
0105erinnert so hübsch an italienische Opern, speciell an die Stelle
0106aus Donizetti’s „Lucia“, wo der (zum Ausgelachtwerden)
0107„bestimmte Bräutigam“ sich den Cavalieren und Damen des
0108Schlosses vorstellt. Wenn man diese Trivialität hört, so
0109möchte man Rossini gleich Alles abbitten, was man je
0110gegen seine Kirchenmusik eingewendet hat. Rossini’s Welt-
0111lichkeit war doch stets in Schönheit getaucht, aus seinem
0112Schönheitsbedürfniß geboren. Wo findet man aber in Berlioz’
0113Requiem eine sangbare Melodie, die nicht ganz ordinär
0114wäre?


0115Befremdend wie das ganze Requiem war mir auch
0116die jubelnde Bereitwilligkeit, mit welcher das Wiener Publi-
0117cum sich diesem Blendwerke hingab. Dasselbe Publicum, [2]
0118das so oft erhoben, entzückt dem „Requiem“ von Mozart,
0119von Cherubini, von Brahms gelauscht hat! Selbst
0120Verdi’s Requiem wächst, gegen das Berlioz’sche gehalten,
0121zu einem musikalischen Meisterstück. Und noch an ein an-
0122deres, bescheideneres Werk dieser Gattung möchte ich erin-
0123nern: an Schumann’s Requiem. Aus dem Spätherbste
0124des Meisters stammend, steht es ziemlich unbeachtet im
0125Schatten seiner früheren Werke. Und trotzdem, wie wahr
0126und gesammelt, wie menschlich schön spricht es zu uns!
0127Daß ein Werk von der Berühmtheit des Berlioz’schen Re-
0128quiems den Wienern nicht vorenthalten bleiben durfte, steht
0129außer Frage. Daß seine geistreichen Einzelheiten den Hörer
0130interessiren, seine unerhörten Klangcombinationen überraschen
0131und blenden müssen, ist ebenso begreiflich. Aber die Ernüch-
0132terung, dachten wir, würde schnell auf den Rausch folgen,
0133so schnell, daß ein allgemeines Bedürfniß nach einer zweiten
0134und dritten Aufführung kaum zur Sprache käme. Und doch
0135lesen wir, daß bereits eine vierte, obendrein mit noch ver-
0136stärktem Orchester, geplant sei. Es wäre traurig, wenn die
0137„Gesellschaft der Musikfreunde“, dieses einzige Asyl großer
0138classischer Musik in Wien, das Berlioz’sche Spectakelstück in
0139ihre regelmäßig wiederkehrenden Aufführungen einreihen
0140wollte. Der Concertcyklus der „Gesellschaft“ ist eng begrenzt
0141und jeder Fußbreit dieser schmalen Area kostbar. Wir haben
0142Berlioz’ Requiem vor seiner ersten Aufführung als einen
0143interessanten berühmten Fremdling gastfreundlich begrüßt,
0144daß aber dieser „todte Gast“ sich bleibend hier ansiedle,
0145können wir im Interesse des ästhetischen Geschmacks und
0146des musikalisch guten Rufes der Wiener unmöglich wünschen.
0147Die Aufführung des Requiems, ein gar mühsames und
0148schwieriges Unternehmen, ist am 9. d. M. überraschend gut
0149geglückt. Dem Componisten konnten wir kein Loblied singen,
0150aber auf den Dirigenten Hanns Richter wenden wir mit
0151voller Ueberzeugung die Worte des Requiems an: Te decet
0152hymnus
!


0153Wir stecken mitten in den Aequinoctialstürmen der
0154Saison, die Tag für Tag ein Concert ans Land werfen.
0155Obenauf schwimmen natürlich die Pianistinnen. Sie sind
0156längst in der Majorität gegen ihre männlichen Collegen. 
0157Auf Fräulein Hopekirk und Fräulein Pancera — um
0158nur die Besten zu nennen — folgte Frau Frankl-Joël,
0159deren ehrenvoller Platz im Wiener Concertleben längst ge-
0160sichert ist. In ihrem Programm glänzte die selten gehörte
0161und selten gut gespielte G-moll-Sonate von Schumann.
0162Frau Frankl erwies sich den starken technischen Anforderungen
0163dieses Stückes vollkommen gewachsen und blieb auch dem
0164Vortrag weder Kraft noch Zartheit schuldig. Von Brahms 
0165spielte sie merkwürdigerweise ein „Intermezzo“ aus Op. 76 und
0166nicht die G-moll-Rhapsodie! Oft genug haben wir Brahms 
0167gebeten, endlich einmal neue Clavierstücke zu schreiben; es
0168muß ihn doch selbst langweilen, zwanzigmal in jeder Saison
0169immer nur seine G-moll-Rhapsodie wenn auch nicht zu
0170hören, doch auf den Anschlagszetteln zu lesen. Auch daß Frau
0171Frankl die F-dur-Variationen von Beethoven und mehrere der
0172weniger abgedroschenen Präludien von Chopin gespielt und
0173gut gespielt hat, gereicht ihr zum Lobe. Nicht der leiseste
0174Zweifel an ihrem guten Geschmack wäre aufgekommen, hätte
0175sie nicht selbst ihr Concert mit einer Improvisation (?) über
0176Strauß’ Methusalem-Walzer beschlossen. Es wäre die
0177schlimmste Pedanterie, heitere Musik aus den Virtuosen-
0178Concerten ausschließen zu wollen; im Gegentheil, wir brauchen
0179lustige Stücke für unsere täglich gelehrter und tragischer aus-
0180sehenden Programme — nur muß es gute Musik sein. Wie
0181manches reizende Tanzstück findet sich in Schubert, Weber,
0182Chopin, Liszt („Soirées de Vienne“), Dvořak und Anderen!
0183Und was unsern Johann Strauß betrifft, so wäre uns sein
0184Methusalem-Walzer pur et simple noch immer viel lieber
0185gewesen, als eingewickelt in einen Wust wohlfeiler Passagen.
0186Neben Frau Frankl wurde auch Frau Bertha Gut-
0187mann
nach dem Vortrage der Fidelio-Arie und mehrerer
0188Lieder mit Beifall überschüttet. — Mit günstigstem Erfolg
0189ist eine junge Sängerin, Fräulein Malvine Weiß, zum
0190erstenmale vor das Publicum getreten. In der großen Arie
0191der „Sonnambula“ überraschte sie durch das Metall ihrer
0192hohen Töne, durch eine schon bemerkenswerth entwickelte
0193Coloratur und die geschmackvolle Vortragsweise, welche
0194sie der Schule Victor Rokitansky’s verdankt. —
0195Am 11. März gab Herr Joseph Labor ein Orgelconcert 
0196im großen Musikvereinsaal. Labor gehört zu den wenigen
0197Auserwählten, welche die Orgel wirklich künstlerisch zu be-
0198handeln verstehen. Er ist nicht blos Virtuose auf diesem
0199Instrument, er ist auch ein Künstler von tiefem Verständniß
0200und gesunder musikalischer Empfindung. Als solcher hat er
0201sich namentlich in seinem unablässigen Bemühen um die
0202Verbreitung der Kenntniß Bach’scher Orgelwerke stets ge-
0203zeigt. Zum Unterschiede von den meisten Orgelvirtuosen ist
0204Labor auch ein vortrefflicher Clavierspieler von schönem,
0205seelenvollem Anschlag. — Der Pianist Herr Karl Pro-
0206haska
hat uns schon im vorigen Jahr durch seinen fein
0207empfundenen Vortrag, namentlich classischer Compositionen,
0208aufrichtig befriedigt. In seinem diesjährigen Concert zeigte
0209sich sein Anschlag gekräftigt und seine Technik fort-
0210geschritten. Daß er unter Anderem die „Davidsbündler-
0211Tänze“ von Schumann vorzüglich gespielt hat, bietet einen
0212Maßstab zur Beurtheilung seines Könnens. — Schließlich
0213hat Herr Moriz Rosenthal nach seinem glücklich
0214beendigten Triumphzug in Amerika hier ein Concert unter
0215stürmischem Andrang des Publicums gegeben. Herr Rosen-
0216thal, den wir schon bei seinem ersten Auftreten (1884) einen
0217Virtuosen ersten Ranges nennen mußten, dürfte gegenwärtig
0218an technischem Können die meisten seiner berühmten Collegen
0219übertreffen. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß er die
0220Besten auch in allen übrigen Vorzügen erreiche und an
0221Tiefe der musikalischen Empfindung, an Wärme und
0222Adel des Vortrages nichts zu wünschen lasse. Rosen-
0223thal’s Spiel hat bisher seine blendendste und voll-
0224ständigste Wirkung im Vortrag Liszt’scher Compo-
0225sitionen gefunden. Wahrscheinlich wollte er sich dies-
0226mal von einer neuen Seite zeigen, indem er seinem
0227langen Programm ein einziges Stück von Liszt, obendrein
0228ein Arrangement, einfügte: die Wilhelm Tell-Ouvertüre.
0229Sie war der Glanzpunkt des ganzen Abends und bis auf
0230den sehr unsauber gespielten Schluß eine erstaunliche Bravour-
0231leistung. Die Ueberwindung technischer Schwierigkeiten scheint
0232Herrn Rosenthal auch in solchen Tondichtungen zumeist an-
0233zulocken, die neben der Bravour noch etwas ganz Anderes,
0234Höheres verlangen. Wo die Finger nicht vollauf zu thun[3]
0235 finden, da wird Rosenthal entweder gleichgiltig, kühl, oder er
0236sucht die innere Theilnahmslosigkeit durch Häufung senti-
0237mentaler Ausdrucksmittel, wo sie nicht hingehören, zu ver-
0238decken. Das virtuose Element, wo es ihm dankbar entgegen-
0239kommt, übertreibt er wiederum gern in Zeitmaß und Kraft-
0240aufwand. Die A-moll-Orgelfuge von Bach war gut be-
0241gonnen, gerieth aber gegen den Schluß in Tobsucht. Die
0242Scarlatti’sche Gigue in G-dur und die (in Terzen
0243gespielte) Gis-moll-Etude von Chopin flogen fast
0244ohne rhythmische Accentuirung so blitzschnell dahin, daß
0245man die Stücke genau kennen mußte, um daraus klug
0246zu werden. Rosenthal’s Vortrag der kindlich einfachen
0247A-moll-Mazurka (op. 67) und der schwärmerischen
0248Des-dur-Nocturne (op. 27) von Chopin zeigten uns
0249die fatalsten Manieren der Lisztschule wie im Hohlspiegel:
0250hysterisches Tempo rubato, grelles Beleuchten einzelner
0251Tacte, neben welchen das Uebrige nebelhaft verschwamm,
0252willkürliches Verzerren des Rhythmus, Zertrennen der ge-
0253bundenen Melodie in einzelne Noten — und was solcher
0254Wundersalben mehr sind. Der Mangel an seelischer
0255Wärme und eminent musikalischem Geist berührte uns am
0256empfindlichsten in Schumann’s C-dur-Phantasie, einer
0257der höchsten — nicht blos der schwierigsten — Aufgaben für
0258den reproducirenden Künstler. Der breit hinfluthende große
0259Zug des ersten Satzes zerbröckelte unter Rosenthal’s Händen
0260in virtuosenhaftes Stückwerk; weggewischt war der unbe-
0261schreiblich zarte, träumerische Hauch über den langsamen
0262Sätzen, verhetzt und verpaukt der energische Mittelsatz in
0263Es-dur. Uns ward zu Muthe, als sähen wir Schumann’s
0264Geist auf der Flucht vor dem ihn verfolgenden Virtuosen
0265Schumann wird nur von Jenen gut gespielt, die, auf ihre
0266Virtuosenglorie vergessend, sich mit Liebe und reifem Ver-
0267ständniß in ihn eingelebt haben. Ich weiß nicht, ob das,
0268was Herrn Rosenthal dazu fehlt, sich nachträglich noch er-
0269werben lasse. Glücklicherweise hat Herr Rosenthal ein Feld,
0270auf dem er souverän waltet: das große Gebiet der Vir-
0271tuosität par excellence. Insbesondere als Lisztspieler wird
0272Rosenthal überall ehrliche Triumphe feiern und jedes Pu-
0273blicum entzücken.