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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 9525. Wien, Dienstag, den 3. März 1891

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Concerte.


0002Ed. H. Nur selten wagt sich ein Clavier-Virtuose an
0003Brahms’ D-moll-Concert, das wir nach langer Zeit wieder
0004einmal bei den Philharmonikern zu hören bekamen. Die
0005Schwierigkeiten dieses Werkes, äußere und innere, geben nicht
0006dem Spieler allein, sondern auch dem Hörer zu schaffen. Ich
0007gestehe, daß mir das D-moll-Concert trotz seiner unverkenn-
0008baren Genialität anfangs weit mehr abwehrend als anziehend
0009gegenüberstand. Seine gewitterschwüle, versengende Leiden-
0010schaft und Trotzgewalt scheint das Gemüth des Hörers wie
0011ein Dämon des Pessimismus zu bedrohen, während unser
0012musikalisches Denken sich gleichzeitig an der Lösung seiner
0013contrapunktischen Geheimnisse abarbeitet. Man muß dieses
0014mächtige Tonstück wiederholt hören und gut hören, um seine
0015eigenartige herbe Schönheit ganz zu erfassen und zu genießen.
0016Zu Brahms’ zweitem Concert, das nur zu erklingen braucht,
0017um zu siegen, verhält sich dieses erste ungefähr wie seine
0018erste Symphonie zur zweiten. Nicht nur in ihrem finsteren,
0019wilden Schmerzgefühl, auch in den Anklängen an Beet-
0020hoven’s „Neunte“ berühren sich Brahms’ D-moll-Concert 
0021und die zwanzig Jahre spätere C-moll-Symphonie. Nie
0022zuvor war ein Clavierconcert mit so ernster, strenger Rede
0023aufgetreten, so durchaus symphonisch und aller blos glänzen-
0024den Wirkung abgewendet. Wie merkwürdig, daß Brahms 
0025das D-moll-Concert, ein Werk gereifter Mannheit und
0026Meisterschaft, als Jüngling geschrieben und vor mehr als
0027dreißig Jahren schon in Leipzig öffentlich gespielt hat! Wer
0028das Stück von Brahms selbst oder von Bülow einmal
0029gehört, der mochte an dem Vortrage des Herrn Leonard
0030Borwick gar Vieles vermissen. Es fehlt dem jungen Manne
0031noch an ausreichender Kraft, geistiger wie physischer, gerade
0032für diese Aufgabe. Herr Borwick zieht wenig Ton aus dem
0033Clavier; sein Anschlag ist flach in den Gesangstellen, hart
0034und doch unausgiebig im Forte. Correct war Alles wieder-
0035gegeben — was allerdings schon eine bedeutende Technik
0036beweist — aber die Tiefe und Leidenschaft, die brennenden
0037Farben fehlten. In dieser kühlen, reinlichen, unanstößigen
0038Vortragsweise kam mir Herr Borwick beinahe vor wie ein
0039englischer Gentleman, was er auch wirklich ist.


0040Goldmark’sLändliche Hochzeit“ ist dem Publicum
0041als eine der freundlichsten Compositionen dieses Autors bekannt.
0042Sie hat auch diesmal sehr gefallen und könnte es mit Hilfe 
0043einiger bescheidener Kürzungen noch mehr. Der erste Satz,
0044für sich schon ein langes Stück, freilich ein sehr interessantes,
0045hat ein Gefolge von noch vier anderen; kein Wunder, wenn
0046uns das Finale etwas ermüdet findet. Wie schon die Ueber-
0047schriften des Ganzen und der einzelnen Theile darthun, ist
0048die „Ländliche Hochzeit“ eine Art Programm-Musik, ohne
0049Zweifel unter dem Einflusse von Beethoven’s „Pastorale“
0050und der A-dur-Symphonie entstanden, aus welcher man ja
0051gleichfalls eine ländliche Hochzeit herauszuhören liebt. Um so
0052rühmlicher, daß Goldmark hier — wie im Großen und
0053Ganzen überall — sich von Nachahmung fernhält und seiner
0054Eigenart treu bleibt. Wer wollte es Goldmark verübeln, daß
0055er aus einer ländlichen Hochzeit Anderes heraushört, als
0056Haydn, Mozart, Beethoven? Sehen doch Auerbach oder
0057Keller dieselbe Landschaft, dieselbe Scene mit anderen Augen
0058an, als es Geßner oder Jean Paul gethan. Goldmark ist
0059durchaus modern, immer lebhaft erregt, oft nervös und
0060überreizt — aber der Musiker in ihm läßt doch nie den
0061Poeten vermissen und der Poet selten den guten Musiker.


0062Zur Eröffnungsnummer des letzten „Gesellschafts-
0063concerts“ hatte Herr Gericke Mozart’s Chöre und Zwischen-
0064actmusik zu Gebler’s Drama „König Thamos“ gewählt.
0065Bei aller Verehrung für Mozart — die Wahl war nicht
0066glücklich. Immer wieder, von Zeit zu Zeit, versucht man es
0067im Concertsaal mit diesem König Thamos, um sich zu über-
0068zeugen, daß er uns mit jedem Jahr fremder und gleichgiltiger
0069geworden ist. Nach einer Aufführung des Gebler’schen
0070Dramas in Wien (1783) schreibt Mozart selbst an seinen
0071Vater: „Das Stück ist hier, weil es nicht gefiel, unter die
0072verworfenen Stücke gesetzt, welche nicht mehr aufgeführt
0073werden. Es müßte nur blos wegen der Musik aufgeführt
0074werden, und das wird wol schwerlich gehen.“ Nun könnte
0075uns freilich der Schlag treffen, wenn wir heute die entsetzliche
0076egyptische Comödie mit in den Kauf nehmen sollten zu
0077Mozart’s Bühnenmusik — andererseits ist aber nicht zu
0078leugnen, daß diese Musik, vom Drama losgetrennt, theils
0079unverständlich, theils wirkungslos bleibt. Das Beste darin, die
0080feierlichen, klangvollen Chöre, hat Mozart durch Unterlegung
0081eines lateinischen Textes in die Kirche hinüber gerettet, wo sie
0082heute noch eine gedeihliche und erbauliche Existenz führen.
0083Unser Interesse an der Thamos-Musik ist überwiegend histo-
0084rischer Art, indem wir deutliche Keime der späteren „Zauber-
0085flöte“ darin wahrnehmen. An einem solchen historischen
0086Interesse vermag sich aber kein Publicum zu erwärmen, wie
0087dies auch die letzte Aufführung im „Gesellschaftsconcert“ 
0088zweifellos dargethan hat. Es folgte Robert Volkmann’s 
0089originelle, schwärmerische „Serenade“ für Solo-Violoncell
0090und Orchester und hierauf Goldmark’sFrühlingshymne“.
0091Die Hauptwirkung dieser Composition birgt ihr Einleitungs-
0092satz, welcher in der Schilderung der im Lenz zusammen-
0093strömenden Quellen und Bäche ein Cabinetsstück musikalischer
0094Malerei liefert. Was sich dann in Form eines Alt-Solos
0095daran knüpft, ist als moralisirende Betrachtung wenig geeig-
0096net, die Quellen musikalischer Erfindung sprudeln zu machen.
0097Frau Gisela Körner sang das Alt-Solo mit guter
0098Wirkung. Beethoven’sPhantasie für Clavier, Or-
0099chester und Chor“ (op. 80) haben wir nach langer
0100Zeit wieder gern gehört. Unter Beethoven’s großen Werken
0101prangt sie gewiß nicht in vorderster Reihe; steht doch
0102das Aufgebot so reicher Mittel kaum im Verhältniß zu dem
0103leichten Inhalt des Chors, der uns im Grunde nur als ein
0104Vorausklang des Freudenhymnus in der Neunten Symphonie 
0105interessirt. Beethoven schien förmlich verliebt in diese kleine
0106Melodie, die einem seiner geringfügigsten Lieder, „Seufzer
0107eines Ungeliebten“, entnommen ist, nebenbei auch an sein
0108Glück der Freundschaft“ (op. 88) erinnert. Wie unbe-
0109rechenbar ist die Macht eines großen Genius! Die an sich
0110ganz physiognomielose Melodie hat durch Beethoven nicht
0111nur Physiognomie, sondern Ruhm und Bedeutung erlangt.
0112Zu einem vollständigen Bilde von Beethoven ist die
0113Chorphantasie unentbehrlich. Man kennt Beethoven un-
0114vollkommen, wenn man ihn nur von seiner großen patheti-
0115schen Seite kennt, nicht auch in seinen heiteren, frei spielen-
0116den Momenten. Und in der ersten Hälfte dieser Phantasie,
0117vor Eintritt des Chors, fesseln uns so viele geniale, echt
0118Beethoven’sche Züge, sowol in dem Clavier-Solo, wie in den
0119Orchester-Variationen, daß man des Hörens gar nicht satt
0120wird. In dem Beethoven’schen Werk hat Herr Ferdinand
0121Löwe, in der Volkmann’schen Serenade Herr Ferdinand
0122Hellmesberger sich als Solospieler ausgezeichnet.


0123Von allen fremden Pianisten ist in dieser Saison Herrn
0124Emil Sauer der größte Erfolg zugefallen. In vier Con-
0125certen hat er ein überaus vielseitiges Programm allein be-
0126wältigt und sich als Künstler ersten Ranges bewährt.
0127Glänzend und kraftvoll in allen Aufgaben energischer Bravour,
0128wirkte er doch am schönsten in den zarten, sinnigen Poesien
0129von Schumann und Chopin. Da ist Sauer ein wahrer
0130Troubadour des Claviers. In bescheidenem Abstand von
0131Sauer haben zwei jüngere einheimische Pianisten sich lebhaften
0132und verdienten Beifall errungen: Fräulein Olga v. Hueber [2]
0133und Herr Theodor Pollak. Der große Erfolg von Alfred
0134Grünfeld’s alljährlichem Concert ist bekannt; er erreichte
0135heuer den höchsten Gipfel der „Sensation“, indem mehrere
0136Zuhörer vor Hitze und Gedränge ohnmächtig wurden. Mehr
0137kann ein Virtuose in dieser concertfeindlichen Zeit unmöglich
0138verlangen. Nicht so glücklich war der Violinspieler Herr
0139Waldemar Meyer; in seinem Concerte konnte jeder Zuhörer
0140sich im Saale sehr frei und ausgiebig bewegen. Herr
0141W. Meyer gab — wie bereits in seinem ersten Concerte —
0142schätzenswerthe Beweise einer sehr entwickelten Technik; man
0143applaudirte ihm nach Verdienst, mehr achtungsvoll als
0144enthusiastisch. Die größte Virtuosenkunst erringt keine Herr-
0145schaft über die Gemüther, wenn ihr das individuelle Gepräge
0146fehlt. Die bedeutendste Leistung in diesem Concert war
0147Ignaz Brüll’s Vortrag der selten gehörten Claviersonate 
0148op. 58 von Chopin.


0149Nachdem unser einheimischer Meistersänger Gustav
0150Walter uns mit einem zweiten Concert erfreut hatte, er-
0151schien die hehre Meisterin aus der Fremde: Alice Barbi.
0152Der überfüllte Concertsaal verrieth die freudige Erwartung,
0153mit welcher man der Wiederkehr dieser Sängerin entgegen-
0154sah. Sie hatte bei ihrem ersten Besuch, im März 1889, alle
0155Herzen gewonnen; im vorigen Jahre fand sie die Sympa-
0156thien noch gesteigert, und jetzt macht sie die gleiche, für uns
0157selbst ebenso erfreuliche Wahrnehmung. Die Barbi zu hören,
0158treibt uns nicht etwa „Mode“, sondern das tiefe Bedürfniß
0159nach dem Wahren und Schönen. Der geplagteste Kritiker,
0160der sonst nur seufzend die Ankündigungen von wieder einem
0161Halbdutzend „Liederabenden“ liest, freut sich (wenn ich nach
0162mir urtheilen darf) auf jedes Auftreten der Barbi und
0163möchte keines verabsäumen. Seit der Jenny Lind, die
0164freilich nebenbei als vollendetste Coloratursängerin glänzte,
0165hat kein Liedervortrag mich in dem Grade erfreut und lange
0166nachklingend erfüllt, wie der von Alice Barbi. So ver-
0167schieden die Beiden auch waren in Aussehen und Tem-
0168perament — verschieden wie eben schwedische und italie-
0169nische Landschaft — sie glichen einander in der Verschmelzung
0170von edelster Gesangstechnik mit unmittelbar seelenvollem,
0171geistigem Ausdruck. Der kleinste Vortrag der Barbi beweist,
0172daß tiefes Studium ihm vorausgegangen, ein Versenken und
0173Einleben in die Stimmung des Ganzen, dann in jede Einzel-
0174heit des Gedichtes, wie der Composition. Ohne ernste Arbeit
0175sind solche Leistungen, auch die scheinbar leichtesten, nicht
0176möglich. Aber die Spur dieser Arbeit und jeder Hauch von
0177Absichtlichkeit ist verschwunden, sobald das Lied, wie ein
0178eigenes Erlebniß, aus der Brust der Sängerin strömt. In 
0179ihrem ersten Concert klang die Stimme der Barbi etwas
0180ermüdet, in den energisch nach der Höhe drängenden Stellen
0181angestrengt. Hoffentlich nur in Folge der eben überstandenen
0182Concertreisen, vor deren gehetztem Tempo wir die Künstlerin
0183gerne in ihrem wie in unserem Interesse gewarnt wissen
0184möchten. Was sie diesmal aus dem vergrabenen Schatz
0185älterer italienischer Musik gewählt hatte (Arien von Carissimi,
0186Scarlatti, Fesch), stand nicht auf der Höhe dieser Meister,
0187noch des vorjährigen italienischen Programms der Barbi. An
0188ihren deutschen Vorträgen bewunderten wir wieder die schöne
0189Deutlichkeit der Aussprache; ihre deutschen Colleginnen können
0190auch hierin von der Italienerin lernen. Schubert’s 
0191Doppelgänger“ eignet sich schon durch den Inhalt nicht
0192recht für eine Frauenstimme; daß die Sängerin, lebhaftem
0193Beifalle nachgebend, das Lied obendrein wiederholte, stimmt
0194noch weniger mit meiner Empfindung. Die gespenstisch be-
0195klemmende Tragik dieses Stückes verträgt keine Wiederholung.
0196Ueberhaupt pflegt jedes Da capo den ersten Eindruck nicht
0197sowol zu steigern, als abzuschwächen. Die stärkste, nach-
0198haltigste Wirkung erzielte Alice Barbi mit sechs Liedern von
0199Brahms. „Immer leiser wird mein Schlummer“ ist wol
0200noch nie so ergreifend und bei aller schmerzlichen Innigkeit
0201zugleich so einfach gesungen worden.


0202Der Wiener Männergesang-Verein, der sonst
0203gerne in fröhlichen oder empfindsamen Liedchen schwelgt,
0204brachte in seinem letzten Concert nur vier vom ganzen
0205Orchester begleitete, sehr ernste Compositionen. Unser vor-
0206trefflicher Kremser erschien gleichsam mit „großen Conduct“.
0207Zuerst der „Germanenzug“ mit der Leiche des Gothenkönigs,
0208eine Composition von Franz Krinninger, die uns nichts
0209Neues offenbart, sich aber recht wirksam, wohlklingend im
0210gebräuchlichen Liedertafelstyl bewegt. Hierauf Brahms’ 
0211tief ergreifende „Rhapsodie“, das Alt-Solo von Marianne
0212Brandt
in großem Styl, mit leider etwas angegriffener
0213Stimme gesungen. Sodann das Schubert’sche Lied „Grenzen
0214der Menschheit“, von Richard Heuberger mit künstlerischer
0215Bescheidenheit wirkungsvoll für Männerchor und Orchester ge-
0216setzt. Endlich als vierte, letzte und umfangreichste Nummer eine
0217Das Meer“ betitelte Symphonie-Ode für Männerchor,
0218Orchester und Orgel von Jean Louis Nicodé in sieben
0219Sätzen. Durch ihre Bezeichnung als „Symphonie-Ode“, durch
0220ihren tonmalerischen Stoff und die Abwechslung von rein in-
0221strumentalen mit Chorsätzen erinnert Nicodé’s „Meer“ an die
0222Wüste“ von Felicien David, ohne jedoch — um dies gleich
0223zu sagen — deren liebenswürdige Frische und Natürlichkeit
0224zu erreichen. Wir haben Herrn Nicodé vor zwei Jahren zum 
0225erstenmal als Componisten von zwölf „Symphonischen Varia-
0226tionen“ kennen gelernt, in welchen die virtuose Mache aller-
0227dings den eigentlich schöpferischen Kern überwog, immerhin
0228aber Züge eines feinen und sicheren musikalischen Talentes
0229aufwies. Das neue Werk zeigt uns den Dresdener Com-
0230ponisten noch weiter vorgeschritten in der Bereitung aller
0231erdenklichen Klangeffecte, aber ebensosehr zurückgegangen in
0232dem substanziellen musikalischen Gehalt, in der originellen
0233Erfindung. Mit Ausnahme zweier reflectirender Stellen, die
0234etwas gewaltsam in die Naturschilderung hineingepreßt und
0235vom Componisten zu ganz unverhältnißmäßiger Breite aus-
0236gedehnt sind — den Schlußvers von „Ebbe und Fluth“
0237und das Extempore „Das ist die Liebe!“ — geht die ganze
0238Composition in Tonmalerei auf. Dafür erscheinen die Dimen-
0239sionen der Partitur viel zu groß. Man kann mit Vergnügen
0240sieben Stunden zur See aushalten, nicht aber sieben
0241lange Sätze musikalischer Seemalerei. Die Gefahr der Mo-
0242notonie sucht Nicodé durch einen Aufwand blendender Klang-
0243effecte und durch einen complicirten Instrumenten-Apparat
0244zu besiegen, wie er in solcher Masse und Aufdringlichkeit im
0245Concertsaal noch nicht erlebt worden ist. In dem unge-
0246wöhnlich stark besetzten Orchester arbeiten unter Anderm
02474 Posaunen und 5 Tuben, 2 Paar Pauken, Triangel,
0248Becken, Tamtam, große Trommel, ein Glockenspiel, dazu Harfe
0249und die große Orgel! Was da für abenteuerliche Effecte ein-
0250ander jagen, ist nicht zu beschreiben: gestopfte Trompeten-
0251töne, chromatische Sextenläufe der Holzbläser, Geigenpizzicatos,
0252anhaltender Theaterdonner auf der großen Trommel, Geklirre
0253der Becken mittelst Schlägel, Sängerchor hinter der Scene,
0254Posaunenchor aus der Ferne, einmal „bei geschlossener“,
0255dann bei „offener Thür“ (Partitur Seite 79, 117) und
0256so weiter. Dies Alles ließe sich noch entschuldigen, wenn
0257unter diesem aufgehäuften musikalischen Indianerschmuck ein
0258wohlgebildetes, lebendiges Geschöpfchen steckte, ein gesunder
0259musikalischer Organismus. Davon ist aber kaum etwas zu
0260entdecken. All der blinkende, blendende Putz täuscht Nieman-
0261den über die Dürftigkeit der Erfindung, die Armuth an
0262ausgereiften musikalischen Ideen, den Mangel an innerer,
0263nicht blos durch das „Programm“ angetäuschter Logik. Die
0264schwindelnde Höhe, welche die Instrumentirungskunst seit
0265Berlioz, Liszt und Wagner erreicht hat, sie ist mir nie zuvor
0266in so grauenhaft bedrohlicher Gestalt erschienen, wie in
0267Nicodé’s „Meer“. Diese Kunst ist ein Vampyr geworden,
0268welcher der schöpferischen Kraft unserer Tondichter das Blut
0269aussagt.