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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 10265. Wien, Dienstag, den 21. März 1893

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Concerte.


0002Ed. H. Die „Wiener Sing-Akademie“ war auf die
0003glückliche Idee verfallen, Anton Rubinstein als Diri-
0004genten seines Oratoriums „Das verlorene Paradies“ nach
0005Wien einzuladen. An Ueberfüllung ihrer Concerte sonst nicht
0006gewöhnt, erzielte sie diesmal einen gedrängt vollen Saal,
0007indem der Anschlagzettel den Anblick Rubinstein’s verhieß.
0008Nur den Anblick. Denn ohne die Gegenwart des Meisters
0009wäre sein „Verlorenes Paradies“ sicherlich „Verlorene
0010Liebesmüh“ gewesen. In den einundzwanzig Jahren, die
0011seit der Aufführung dieses Oratoriums in Wien verflossen
0012sind, hat sich nicht der leiseste Wunsch nach einer Wieder-
0013holung desselben geregt, trotz der so geringen Auswahl an
0014modernen Oratorien. Allein: Rubinstein in eigener Person
0015wird dirigiren! Verhieß uns der Abend auch nur ein ein-
0016ziges Clavierstück von ihm, wir hätten den Zulauf begriffen.
0017Aber dem Publicum genügt es thatsächlich, wenn der trotzige
0018Russenkopf seine Mähne schüttelt. Seit dem Tode Liszt’s,
0019der allein einen ähnlichen, für mein Gefühl noch viel sym-
0020pathischeren Zauber ausgeübt hat, steht Rubinstein als Per-
0021sönlichkeits-Hypnotiseur ohne Rivalen da. Liszt und
0022Rubinstein — zwei geniale Clavier-Virtuosen, ange-
0023betet und angewundert auch ohne Clavierspiel! Vielleicht
0024um ihrer Compositionen willen? Rubinstein hielt sehr wenig
0025von den Werken Liszt’s und Liszt nicht viel von jenen Rubin-
0026stein’s. Beide Männer verstehen etwas von der Sache; ihr
0027Urtheil ist zu respectiren. Den Componisten Rubinstein 
0028hieße es jedoch unterschätzen, taxirte man sein Talent nach
0029dem „Verlorenen Paradies“. In diesem Werke steckt nichts
0030von dem echten, originellen Rubinstein; es ist seiner gar
0031nicht würdig. Man vergleiche nur damit sein zweites Ora-
0032torium: „Der Thurm zu Babel“, das wir vor zwanzig
0033Jahren hier gehört. Welche packende Gewalt in den Chor-
0034massen, welche Kraft und Anschaulichkeit in der Tonmalerei
0035der Gewitterscene mit dem einstürzenden Thurm! Vollends
0036die Gesänge der drei auswandernden Völkerstämme —
0037originelle Bilder, wie sie nur Rubinstein’s Talent für natio-
0038nale Charakteristik schaffen konnte! Wo findet sich Aehnliches
0039im „Verlorenen Paradies?“ Unglücklich von Haus aus ist
0040dieser Stoff für einen modernen Componisten. Der Text (frei
0041nach Milton) schildert in seinem ersten Theile den Kampf des
0042Satans und seiner Höllengeister gegen Gott und die himmlischen
0043Heerschaaren. Den zweiten füllt die Schöpfungsgeschichte,
0044vom Chaos bis zum Entstehen der lebenden Wesen und
0045den schließlich auftretenden Adam und Eva. Der dritte Theil
0046behandelt den Sündenfall und die Vertreibung aus dem
0047Paradies. Der Satan, der im ersten Theil den Himmlischen
0048unterliegen mußte, triumphirt im letzten. Ueber die zweite
0049Abtheilung wollen wir am liebsten ganz schweigen. Nach 
0050Haydn die Wunder der sechs Schöpfungstage nochmals zu
0051schildern, war von Rubinstein — um keinen stärkeren Aus-
0052druck zu brauchen — ein sehr überflüssiges Beginnen. Es
0053straft sich von selbst. Was aber den Inhalt des ersten und
0054des dritten Theiles bildet, so kann heute diesen symbolisch-
0055mystischen Vorgängen kaum Jemand ein lebhaft mitfühlen-
0056des Interesse schenken. Der Componist müßte ein Michel-
0057angelo sein, um diese übermenschlichen Gestalten und Evolutionen
0058so zu malen, daß sie uns überzeugen und niederzwingen. Den
0059größten Theil von Rubinstein’s Oratorium füllen die Chöre
0060aus. Daß sie stimmgemäß, chorgemäß gesetzt sind, ist das
0061Beste daran. Sie wirken demnach bei genügender Besetzung
0062durch die elementarische Gewalt des Vollklangs. Aber auch
0063gegen diesen werden wir bald abgestumpft durch die un-
0064mäßige Orchestration; das anhaltende Getöse der Po-
0065saunen, Trompeten und Pauken betäubt den Hörer, der mit
0066Kopfschmerzen nach Hause geht. Zwischen diesen Teufelslärm
0067(den auch die Engel machen) schiebt als Ruhepunkte „Eine
0068Stimme“ (nämlich der Herr) zahlreiche recitatorische Strophen,
0069deren gravitätische Langweiligkeit dadurch nicht gemindert
0070wird, daß nur die Orgel sie begleitet. Rubinstein nimmt hier
0071den entgegengesetzten Weg von Heinrich Schütz, in dessen
0072Sieben Worten“ einzig der Gesang des Heilands von Geigen
0073getragen ist, während zu sämmtlichen Chören die Orgel
0074erklingt. Neben den Chören, die wenigstens eine Klang-
0075wirkung erzielen, fallen die jeder Charakteristik entbehrenden
0076Sologesänge vollständig ab. Satan’s Fluch: „Alles sei zer-
0077stört“, klingt wie aus dem Munde eines Oberpriesters, und 
0078die Schilderung des Menschen: „Ein Wesen, nicht ge-
0079beugt“, könnte ein sentimentales Gretchen singen. Vergebens
0080forschen wir nach einem einzigen Stück, das uns aus dem
0081ganzen langen Oratorium als bedeutend, originell und reiz-
0082voll in beglückender Erinnerung geblieben wäre. Die ganze
0083melodische Erfindung leidet an einer Blutarmuth ohne-
0084gleichen. Das Grundübel des Werkes ist aber seine rhythmische
0085Monotonie. Immer derselbe Pendelschlag des Vierviertel-
0086Tactes, dasselbe metronomgleiche Scandiren des Versmaßes
0087— es wird nachgerade zur Pein. Was solcher rhythmischen
0088Monotonie aufhelfen könnte, originelle Themen, geistreiche
0089Contrapunktik und modulatorische Farbenpracht, fehlt bei-
0090nahe durchgehends. Einzelne Stellen, die ein freieres musika-
0091lisches Aufblühen zu versprechen scheinen, verhauchen schnell
0092und spurlos. Mit Einem Wort: Capellmeister-Musik —
0093und nicht einmal russische.


0094Rubinstein nennt sein „Verlorenes Paradies“ eine
0095Geistliche Oper. Merkwürdig, wie zähe er an der
0096fixen Idee festhält, seine Oratorien seien wirkliche Opern
0097und gehörten aufs Theater. Daß dies in Bezug auf das
0098Verlorene Paradies“ ein Wahn ist, bedarf keiner näheren
0099Beleuchtung. Die scenische Darstellung dieser Vorgänge ist
0100theils gar nicht möglich, theils nur so ungenügend, daß sie
0101unausbleiblichem Gelächter verfiele. Warum man biblische
0102Stoffe ausschließen wolle? fragt Rubinstein und verweist
0103auf Méhul’s „Joseph“. Diese Oper, eine rührende Familien-
0104geschichte, enthält eben nur rein menschliche, gemüthliche
0105Vorgänge, ohne Wunder oder mythologische Figuren.
0106Rubinstein’s zweite „geistliche Oper“, der Thurm von
0107Babel, ist nicht in demselben strengen Sinne theatralisch
0108unmöglich, wie das „Verlorene Paradies“; denn hier
0109handeln Menschen, nicht wie dort lauter Engel und Teufel
0110neben einem einzigen Menschenpaar, das noch schwieriger
0111als Engel und Teufel zu costümiren wäre. Aber auch im
0112Thurm zu Babel“ drängen sich scenische Vorgänge, die
0113besser der Phantasie des Zuschauers überlassen bleiben, als
0114den bedenklichen Künsten des Regisseurs; wie der Zusammen-
0115sturz des himmelhohen Thurmes, das Hervortreten des ge-
0116bratenen und dennoch unversehrten Abram aus dem feurigen
0117Ofen u. dgl. Sowie der Inhalt von Milton’s „Paradies“ [2]
0118und von Klopstock’s „Messias“ in der Dichtkunst dem Epos
0119zugehört und nicht dem Drama, so fällt seine musikalische
0120Behandlung nur in die Machtsphäre des Oratoriums, nicht
0121der Oper. Wie die (mir noch unbekannte) dritte geistliche
0122Oper Rubinstein’s, „Moses“, sich zur Bühne verhalten
0123wird, ist abzuwarten. Bekanntlich will das Brünner Theater
0124demnächst den interessanten Versuch wagen, den „Moses“
0125an zwei aufeinanderfolgenden Abenden (jedesmal vier Acte)
0126scenisch darzustellen.


0127Mit der Aufführung des „Verlorenen Paradieses“
0128konnte der Componist vollauf zufrieden sein. Die „Sing-
0129Akademie“ stellte vereint mit dem stimmkräftigen „Schubert-
0130bund“ einen sehr tüchtigen Chor; die Solopartien wurden
0131von Frau Gutmann, den Herren Walter, Ritter 
0132und Reichenberg vorzüglich ausgeführt. Rubinstein,
0133der mit sicheren, maßvollen Bewegungen dirigirte, wurde
0134laut begrüßt und wiederholt gerufen. Daß sein „Verlorenes
0135Paradies“ über diesen Abend hinaus „wiedergewonnen“ sei
0136für unser Musikleben, ist sehr zu bezweifeln. Das Oratorium
0137endet damit, daß die Pforte des Paradieses sich hinter der
0138Menschheit donnernd schließt. Ich fürchte, das Thor zu
0139Rubinstein’s „Paradies“ werde sich nicht so bald wieder
0140aufthun.


0141Den letzten Rosé-Abend eröffnete das B-dur Quartett 
0142von Brahms, ein für Spieler und Hörer nicht leichtes,
0143darum auch seltener gehörtes Stück, dessen sorgfältige Auf-
0144führung Dank verdient. An Wärme und Klangschönheit hat
0145sie die Leistung von Joachim’s Quartett (1890) freilich nicht
0146erreicht. Ein mit diesem Quartett nicht näher vertrautes
0147Publicum wird sich in jedem Satze von herrlichen Einzel-
0148heiten bewegt fühlen, aber leicht den Faden des Zusammen-
0149hanges verlieren. Dieser Gefahr ist das Clavier-Quintett in
0150C-moll von H. Goetz nicht ausgesetzt. Da läuft Alles so
0151glatt und regelmäßig ab, daß der Hörer ohne die
0152mindeste Anstrengung folgt. Er wünscht im Gegentheile,
0153der Componist möchte ihm etwas mehr zumuthen. Das
0154Werk stammt aus dem Nachlasse des früh verstorbenen
0155Tondichters, welcher durch seine „Bezähmte Widerspenstige“
0156Aufsehen erregt hat. Sein Quintett scheint eine Jugendarbeit
0157zu sein. Keine von den stürmisch überschäumenden, welcher 
0158jede Form zu eng, jede Harmonie zu alltäglich ist, nein
0159eine von den soliden, deren Componist noch Freude daran
0160hat, sein Studium classischer Meister und einige in guter
0161Schule erworbene kleine Kunstfertigkeiten zu zeigen, wie
0162z. B. im Scherzo eine Canon all’ ottava zwischen Violoncell
0163und Clavier. Von Originalität keine Spur; ein Thema
0164physiognomieloser als das andere. Am bezeichnendsten erschei-
0165nen in dieser Hinsicht die beiden Allegrosätze (I und IV);
0166die Erfindung ist ganz gewöhnlich, der Bau symmetrisch wie nach
0167dem Lineal; nirgends trachtet der Componist, durch über-
0168raschende Modulationen, wechselnden Rhythmus oder frei ein-
0169tretende Episoden (die er so gut bei Beethoven lernen konnte)
0170das gerade Einerlei zu durchbrechen. Zahllose Wiederholungen
0171einer und derselben Figur und die Gewöhnlichkeit der Clavier-
0172passagen machen uns ungeduldig. Etwas gefälliger sprechen
0173die mittleren Sätze an: das Andante, ein hübscher,
0174serenadenartiger Gesang des Violoncells über einfach wiegen-
0175den Clavier-Accorden, später zum Duett zwischen Bratsche
0176und Violoncell sich ausbreitend, und das Menuett in C-moll,
0177mit dem bewegteren, freundlichen C-dur-Trio, das sich den
0178früher erwähnten Canon vergönnt. In Summa also: rein-
0179liche Alltagsmusik in bescheidener Ebene, ohne Spitzen, ohne
0180Fernsicht. Seine günstige Aufnahme verdankt das Goetz’sche
0181Quintett der vorzüglichen Aufführung, insbesondere von
0182Seite Alfred Grünfeld’s. Sein saftiger, klangvoller An-
0183schlag, seine beherzte Rhythmik haben dem Werke neues Leben
0184eingehaucht; gleich das erste „Allegro con fuoco“ mußte
0185Herrn Grünfeld um das vorgeschriebene Feuer bitten und
0186hat es von ihm auch reichlich erhalten.


0187Unter den Concertgebern der letzten Woche begrüßten
0188wir mit besonderer Genugthuung den Münchener Kammer-
0189sänger Eugen Gura, dessen unübertrefflicher Vortrag
0190Löwe’scher Balladen die Hörer nicht weniger erfreut und
0191gepackt hat, als im vorigen Jahre. In seinem Concerte
0192producirte sich auch mit vielem Beifalle die junge Violin-
0193spielerin Fräulein Mietzi Muck. Gleichzeitig mit Rubin-
0194stein’s „Paradies“ hat das Concert des bekannten Wunder-
0195knaben Raoul Koczalski stattgefunden und, wie wir
0196hören, außerordentlichen Erfolg gehabt. Auch der folgende
0197Abend (Freitag) war musikalisch doppelt besetzt: durch 
0198das Winkler’sche Quartett, welches mit Brahms’ 
0199G-dur-Sextett seinen diesjährigen Cyklus rühmlich be-
0200schloß, und durch das Abschiedsconcert des Violin-
0201Virtuosen César Thomson. Wenn die Schilderungen
0202zutreffend sind, welche wir von Paganini’s Kunst und
0203Eigenart besitzen, so ist dem großen Genueser wol kein zweiter
0204Virtuose so ganz nahe gekommen, wie der Belgier Thomson.
0205Er verrichtet auf seiner Geige Wunderdinge, welche geradezu
0206verblüffen und die wir gerne im nächsten Jahre neuerdings
0207anstaunen würden. Mit bestem Erfolg wirkte neben Thomson 
0208eine junge Sängerin, Fräulein Hedwig Salter, deren
0209wohlklingende Sopranstimme, gute Schule und ausdrucksvoller
0210Vortrag ihr eine günstige Zukunft versprechen. ... Alice
0211Barbi
hat ihr zweites Concert abermals bei vollem Saal ge-
0212geben, unter immensem Beifall. In den ersten Gesangstücken von
0213Händel und Garat, deren pathetischer Charakter zu
0214stärkerer Tongebung zwingt, klang die Stimme der Sängerin
0215etwas umflort und ermüdet, befreite sich jedoch merklich im
0216Verlaufe des Abends. Großes Entzücken erregte sie wieder
0217mit den Schubert’schen Liedern: „Lachen und Weinen“,
0218Wohin“ und „Die Post“; letztere vom Begleiter zur sechs-
0219spännigen Eilpost beschleunigt. Eine interessante Novität war
0220Tschaikowsky’s Mignonlied „Nur wer die Sehnsucht
0221kennt“. Es hat den Vorzug, daß es sich schön und ausdrucks-
0222voll dem Goethe’schen Gedicht anschmiegt, ohne bei der ge-
0223fährlichen Stelle: „Es schwindelt mir, es brennt mein Ein-
0224geweide“ den musikalischen Zusammenhang zu zerreißen. Mit
0225leichter, nicht leichtfertiger, Anmuth sang die Barbi beide
0226Venetianische Gondellieder“ von Schumann. Den Eindruck
0227des zweiten („Wenn durch die Piazzetta“) verdarb leider die
0228Derbheit, mit welcher der Begleiter das zarte Nachspiel
0229nach jeder Strophe anpackte, nicht wie ein Gondel-
0230lied, sondern wie einen Kirchweihtanz. Ueberhaupt hatte Herr
0231Liebling keinen lieblichen Abend. Schon in seinem Accom-
0232pagnement der „Post“ störte das heftige Abzwecken der
0233Noten, nach welchem er jedesmal von den Tasten jäh in die
0234Höhe schnellt, wie von rothglühendem Eisen. Für die
0235Händel’sche Fuge und Scarlatti’s A-dur-Allegro besitzt Herr
0236Liebling die nöthige Technik, Kraft und Tactstrenge. Aber
0237wehe, wenn eine Schulmeisternatur sich schwärmerisch und [3]
0238poetisch geben will, wie Herr Liebling in dem Cis-moll-
0239Walzer von Chopin. Das abscheulichste Tempo rubato —
0240angeblicher Chopin-Geist — macht die Sache nur noch
0241schlimmer.


0242Im Philharmonischen Concert brachte Hof-
0243capellmeister Richter eine G-moll-Symphonie von Mozart 
0244aus dem Jahre 1773 zur ersten Aufführung. Sie ist mit
0245der fünf Jahre später componirten, allbekannten G-moll-
0246Symphonie nicht zu verwechseln noch zu vergleichen. Trotz
0247dem ein schönes, harmonisch abfließendes Tonwerk, das — ohne
0248Posaunen und Clarinetten — auch reizvolle Klangwirkungen
0249hat. Otto Jahn hebt ihren „großen, ernsten und düstern Charakter“
0250hervor, und er hat Recht, sofern wir an diese Epitheta den Maß-
0251stab des jungen Mozart anlegen, nicht den Beethoven’schen.
0252Fräulein Frieda Scotta, die liebenswürdige Schwedin,
0253spielte ein Violin-Concert in H-moll von Saint-Saëns 
0254mit unvergleichlich süßem reinen Ton und seelenvollem
0255Vortrag. Die Composition ist trotz manchen pikanten Ein-
0256falles recht unersprießlich im Ganzen, nur das einfach ge-
0257sangvolle Andante, eine Barcarole, klingt etwas wärmer.
0258Die Art, wie Fräulein Scotta es vortrug, stempelt sie zu
0259einer der besten Violinspielerinnen unserer Tage, und das
0260will gewiß nicht wenig heißen. Denn alle musikalischen jungen
0261Damen greifen jetzt zum Bogen; es wird bald (ein schreck-
0262licher Gedanke!) keine Clavierspielerinnen mehr geben. Wien 
0263hat in der laufenden Saison bereits an concertirenden
0264Violinspielerinnen gehört; Fräulein Scotta, Bianca
0265Panteo, Irene v. Brennerberg, Therese Schuster,
0266Gabriele Amann, Fräulein Mollnar, Mietzi Munk,
0267Rosa Hochmann, Fräulein v. Zerdahely, Dora
0268Hönigswald — die Liste ist gewiß noch nicht voll-
0269ständig. Brahms’ große E-moll-Symphonie stand nicht
0270an rechter Stelle, als Schlußnummer eines sehr langen
0271Concertes. Obendrein war das ermüdete Publicum zuvor
0272von der raffinirt-glänzenden und lärmenden Instrumentirung
0273der Liszt’schen Kinder-Comödie „Mazeppa“ hypnotisirt
0274worden. Es ist derselbe Mißgriff bereits vor einigen Jahren
0275vorgekommen und damals wie jetzt allgemein beklagt worden.
0276Liszt’sche Symphonie-Musik kommt in jeglichem Sinne
0277nach Brahms.