Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 10521. Wien, Dienstag, den 5. December 1893
[1]Concerte.
0002Ed. H. Die tastengewaltige Dame aus Chicago, Fanny
0003Bloomfield-Zeisler, ist nun auch in Wien mit
0004glänzendem Erfolge aufgetreten. Im großen Musikvereins-
0005saale spielte sie zwei der schwierigsten Clavierconcerte von
0006Chopin und Rubinstein, beide mit souveräner Beherrschung,
0007viel Temperament und einer bis ins kleinste Detail ausge-
0008feilten Technik. Es ist erstaunlich, wie weit es heutzutage
0009die Damen in der Clavier-Virtuosität gebracht haben; nichts
0010ist ihnen zu schwer, nichts zu anstrengend. Schon aus rein
0011physischen Gründen erschienen uns die Productionen der
0012schwächlichen kleinen Frau Bloomfield merkwürdig; in dem
0013Finale von Rubinstein’s D-moll-Concert, wo sie in gewal-
0014tigsten Accordsprüngen die Claviatur hinauf- und herab-
0015stürmt, beinahe unheimlich. Dabei besitzt sie ebenso viel
0016Zartheit in den feinsten Verzierungen wie packende
0017Energie in den Kraftstellen. Virtuosität, selbstbewußte
0018hochgesteigerte Technik ist jedenfalls das Entscheidende,
0019um nicht zu sagen, das Wesentliche in ihrem Spiel.
0020Daß Frau Bloomfield durch tiefes musikalisches Mit-
0021empfinden uns gerührt, durch Originalität der Auf-
0022fassung uns überrascht hätte, läßt sich nicht behaupten. Mit
0023den meisten modernen Virtuosen theilt sie die Gewohnheit
0024des Uebertreibens aller schnellen Tempi. Rubinstein selbst,
0025dieser rasende Roland der Allegro-Sätze, spielte das Finale
0026seines D-moll-Concertes weniger stürmisch. Dem Naturell
0027der Bloomfield scheint Rubinstein noch näher verwandt, als
0028Chopin. In seinen beiden Concerten entfesselt Chopin nicht
0029den ganzen Zauber seiner Poesie. Er muß allein sein, ohne
0030Orchester, allein am Flügel sinnen, träumen, fabuliren,
0031damit sein Ich unverhüllt sich offenbare. Groß in allen
0032kleinen Formen, bewegt er sich befangen, eingeengt in den
0033großen. In dem F-moll-Concert birgt das zarte, liebeswunde
0034Larghetto am meisten Chopin’sche Poesie. Wie die neuesten
0035Chopin-Forschungen des Engländers Niecks ergeben, ist
0036dies „zweite“ Concert früher geschrieben als das erste in E-moll.
0037Chopin hat das F-moll-Concert bereits im März 1830 in
0038Warschau gespielt. Er schwärmte damals für die Sängerin
0039Constantia Gladkowska, und „in Gedanken bei diesem holden
0040Wesen“ componirte er das Adagio. Der Vortrag gerade
0041dieses Liebesgedichtes läßt eine wärmere Empfindung zu, als
0042Frau Bloomfield hineingelegt hat. Sehr charakteristisch und
0043packend spielte sie übrigens die Recitativstelle über dem
0044Tremolo der Geigen.
0045So aufrichtig auch unsere Bewunderung für die Vir-
0046tuosität der Bloomfield — größer und reiner war der
0047Genuß, mit dem wir dem Spiele Emil Sauer’s
0048lauschten. Dieser treffliche Künstler hat sich seit seinem letzten
0049Wiener Besuch (December 1891) noch vervollkommt; er ist
0050ruhiger geworden, ohne an hinreißender Wirkung einzubüßen.
0051Von seiner früheren Nervosität hat er gerade so viel beibe-
0052halten, als nothwendig ist, um das Fluidum musikalischer
0053Erregung in die Hörer überströmen zu machen. Auch sein
0054Ton scheint mir noch wärmer und weicher geworden, sein
0055Anschlag noch mannigfaltiger nuancirt. Das zeigte sich am
0056deutlichsten in der As-dur-Ballade von Chopin und in
0057Schubert’s Andantino varié (über ein französisches
0058Thema). An imposanter Kraft ließ es Sauer nicht fehlen:
0059wie ein Hagel prasselte Chopin’s A-moll-Etude herab, und
0060prächtige Gewitter entluden sich in dessen F-moll-Phantasie.
0061Aber so barbarisches Toben, wie es Sauer damals in der
0062Tannhäuser-Ouvertüre und in Liszt’s Lucrezia-Phantasie zum
0063Besten gab, haben wir von ihm nicht mehr zu gewärtigen.
0064Auch vermissen wir jetzt mit Befriedigung diese Stücke in
0065seinem Programm. Von Beethoven’s C-dur-Sonate (aus
0066op. 2) schien mir der erste Satz zu schnell und zu flüchtig genommen,
0067Sauer spielt das Thema fast tonlos, tändelnd, wie eine
0068Couperin’sche Galanterie. Nun steht das Stück freilich noch
0069weit ab von der Leidenschaft der „Appassionata“ oder der
0070„Pathétique“ — aber es ist doch Beethoven, der spricht.
0071Reizend klang das Scherzo, das Sauer gegen den Schluß
0072mit gutem Effect im Tempo beschleunigte, und unübertrefflich
0073das (nicht überhetzte) Finale. Mit einem „Echo de Vienne“
0074eigener Composition, dessen Walzerthema stark an Strauß
0075erinnert, brachte Sauer den Wienern eine Huldigung dar,
0076welche dankbar angenommen und mit endlosem Applaus
0077erwidert wurde. ... Nicht blos der Reim führt uns
0078unmittelbar von Sauer auf Pauer. Beide Vir-
0079tuosen concertiren eben gleichzeitig in Wien. Max
0080Pauer haben wir im vorigen Jahre nach Verdienst
0081gewürdigt und namentlich seinen Vortrag der C-dur-Sonate
0082op. 1, von Brahms als eine großartige Leistung hervor-
0083gehoben. Pauer und Sauer, sie stehen Beide auf der Höhe
0084moderner Virtuosität und sind Beide gute Musiker. Sauer
0085ist poetischer, nervöser, subjectiver: Pauer ruhiger, objectiver,
0086weniger erregt und darum auch weniger lebhaft erregend.
0087Etwas von seinem Lehrerberuf scheint auf Pauer’s Spiel
0088abzufärben: ganz wie bei seinem trefflichen Vater, der, gleich
0089ausgezeichnet als Pianist wie als Lehrer, doch auch in seinem
0090Vortrag jenen akademischen Ernst einhielt, welcher im Hörer
0091vor Allem das Gefühl unfehlbarer Sicherheit verbreitet,
0092ohne Feuersgefahr. Nicht nur das große Talent, auch
0093der specielle Charakter dieses Talentes hat sich vom Vater
0094auf den Sohn vererbt, der natürlich die neuesten technischen
0095Errungenschaften den ererbten hinzufügt.
0096Tactvoll und feinfühlig hat Gericke gehandelt, indem
0097er das zweite „Gesellschaftsconcert“ mit einer Composition
0098von Gade, nämlich der Ossian-Ouvertüre, einleitete. Sehr spät
0099kommt allerdings diese Erinnerung an den im December
01001890 verstorbenen dänischen Meister, dessen Werke ehedem
0101zu den unentbehrlichen, beliebtesten Stücken unserer Concert-
0102programme gehörten. Eigentlich wäre es Sache der Phil-
0103harmoniker gewesen, rechtzeitig dem Antheil Wiens an der
0104allgemeinen Trauer um Gade Ausdruck zu verleihen. Seine erste
0105oder vierte Symphonie hätten eine würdige Erinnerungs-
0106feier gegeben. Aber die Pietät gehört nicht zu den starken
0107Seiten der Philharmoniker; sie hatten im Winter 1890/91
0108zu viel zu thun mit Bruckner, Liszt, Tschaikowsky und im
0109folgenden wieder mit Bruckner, Liszt, Richard Strauß und
0110— Pirani. So blieb denn Wien von allen Musikstädten
0111Deutschlands die einzige, welche nicht die geringste Notiz
0112genommen von Gade’s Tod. Die „Nachklänge von Ossian“
0113wirken heute nicht mehr mit dem Zauber ihres ersten Er-
0114klingens; eine merkwürdige Erscheinung in der musikali-
0115schen Romantik jener Vierziger-Jahre bleiben sie immerhin.
0116Mit dieser Ouvertüre ist der dreiundzwanzigjährige Gade
0117gleich als eine fertige Persönlichkeit in die Oeffentlichkeit ge-
0118treten. Ursprünglich für das Tischlerhandwerk bestimmt,
0119hatte er in seinen Mußestunden sich zum tüchtigen Violin-
0120spieler ausgebildet und ruhte nicht, bis seine Eltern ihm er[2]-
0121laubten, sich ganz der Musik zu widmen. Er nahm sich
0122vor, „etwas Großes zu werden“, und obendrein noch vor
0123dem fünfundzwanzigsten Jahre. Zur steten Erinnerung daran
0124nagelte er ein Placat über sein Bett mit der Aufschrift:
0125„25 Jahre!“ Noch vor diesem Termine hatte er sein Vor-
0126haben durchgesetzt und seinen Namen durch die Ossian-
0127Ouvertüre berühmt gemacht. Einen großen Fortschritt bedeu-
0128tete gleich seine Erste Symphonie, deren Aufführung 1843
0129im Leipziger Gewandhause Mendelssohn leitete. Der Brief,
0130mit welchem Mendelssohn den ihm gänzlich unbekannten
0131jungen Componisten beglückwünschte, gehört zu jenen
0132unvergänglich schönen Zeugnissen werkthätigen Wohl-
0133wollens, an denen Mendelssohn’s Leben so reich ist.
0134Gade’s Mutter fand ihn, den Brief in der Hand, mit
0135Thränen in den Augen, in großer Bewegung stammelnd:
0136„Da muß Jemand dahinter stecken, der mich zum Besten
0137haben will!“ Erst als man ihn überzeugt hatte, daß der
0138so herzlich anerkennende Brief wirklich von Mendelssohn sei,
0139brach der Jubel los. Gade’s Jugendzeit und ganze künst-
0140lerische Entwicklung liegt jetzt in der treuesten Schilderung
0141vor uns: in seinen eigenen Aufzeichnungen und Briefen.*)
0145Dieses Buch, aus welchem Gade’s warmes, fröhliches Ge-
0146müth und edles Kunststreben so unmittelbar wie aus per-
0147sönlichem Verkehr uns entgegentritt, wird jeden an dem
0148dänischen Meister und seiner Umgebung Theilnehmenden
0149lebhaft befriedigen. Es sei bei diesem Anlaß an zwei „Lust-
0150spiel-Ouvertüren“ (in A- und F-dur) von Gade erinnert,
0151die, in Wien gänzlich unbekannt, eine Aufführung wohl
0152verdienten. Sie verhalten sich zur Ossian- oder zur Hoch-
0153lands-Ouvertüre beiläufig wie die B-dur-Symphonie zu der
0154berühmten Ersten: nicht groß oder gewaltig, aber fein und
0155liebenswürdig.
0156Von den Chornummern, welche auf die Gade’sche
0157Ouvertüre folgten, war die weitaus umfangreichste eine
0158Cantate: „Sylvesterglocken“, für Soli, Chor und Orchester
0159von Hanns Kößler, Professor am Budapester Conser-
0160vatorium. Der Componist, rühmlich bekannt durch seinen
0161preisgekrönten „46. Psalm“, bezeichnet sein neues Chorwerk
0162als „weltliches Requiem“, eine stolze Benennung, an welche
0163der Dichter schwerlich gedacht hat. In Max Kalbeck’s
0164Gedichtsammlung „Aus alter und neuer Zeit“ finden sich
0165zahlreiche lyrische Gedichte, welche sich unvergleichlich besser zur
0166Composition eignen, ja die Musik geradezu heranlocken — fast
0167selbstverständlich bei Kalbeck, dem vorzugsweise musikalischen
0168Poeten und poetischen Musikschriftsteller. Seine „Sylvester-
0169glocken“ sind ein wehmüthiger Rückblick und Abschiedsgruß
0170an die begrabenen Freunde und die — begrabenen Hoff-
0171nungen. Mehr einen sanften Uebergang als einen con-
0172trastirenden Abschnitt bildet diese Wendung des Gedichtes,
0173das durchaus in einheitlicher, mild schmerzlicher Stim-
0174mung verharrt. Indem der Componist dieses Gedicht
0175zu einer förmlichen Cantate auszudehnen unternahm, sah er
0176sich zu zwei bedenklichen Auskunftsmitteln gedrängt. Fürs erste
0177mußte er die Dichtung durch selbstständige (vier) Unter-
0178abtheilungen und durch ermüdende Satz- und Wortwieder-
0179holungen übermäßig in die Breite ziehen. Sodann war er,
0180zur Vermeidung der Monotonie, gezwungen, contrastirende
0181Gegenbilder und starke Culminationspunkte aus dem Gedichte
0182herauszustöbern, welche für eine unbefangene natürliche Be-
0183trachtung nicht darin liegen. Der erste, kürzeste Abschnitt
0184ergibt sich am natürlichsten, er ist auch der musikalisch ge-
0185lungenste; das von der Harfe imitirte Glockengeläute und
0186die ruhige Führung der Chorstimmen erwecken in uns voll-
0187kommen die beabsichtigte Stimmung. Aber schon in dem
0188folgenden Absatze glaubt der Componist, den Worten „Dahin-
0189gerafft vom Kampfe des Lebens“ durch stürmische Unruhe
0190der Stimmen und des Orchesters entsprechen zu sollen; er
0191hat uns schon ermüdet, bevor er an der Mitte seines Werkes
0192anlangt. Nachdem er in einem warm empfundenen Sopran-
0193Solo uns einen lyrischen Ruhepunkt vergönnt hat, verstrickt
0194er sich abermals in ein complicirtes Gewebe von Wieder-
0195holungen. In der endlosen Rosalienkette („Denn, ach die
0196Wirklichkeit“) glauben wir diese auf ihrem Gipfel an-
0197gelangt, während sie später auf den Worten „Geduld
0198und Entsagung“ dem Hörer noch mehr von diesen
0199Tugenden zumuthen. Um stellenweise doch etwas
0200stärkere Farbe in das monotone Düster zu bringen, greift
0201der Componist zu dem falschen Mittel, einzelne Worte aus
0202ihrem Zusammenhange zu reißen und gleichsam apart zu illu-
0203miniren. In dem Satze: „Von Jahr zu Jahr an Enttäu-
0204schungen reicher, an Freuden ärmer wird sein Gemüth“
0205lebt keine Regung von Freudigkeit; trotzdem packt der Com-
0206ponist das Wort „Freude“ und läßt es hell und hoch auf-
0207jubeln. Der Dichter ergänzt jenen Satz durch die Tröstung:
0208„aber ein Gott verhüllt uns liebreich die künftige Zeit.“
0209Was thut der Componist? Er stellt das „Aber“ drei-
0210bis viermal ganz isolirt hin; dann folgt nach einer General-
0211pause: „ein Gott“; auch dieses „ein Gott“ wird mehr-
0212mals selbstständig wiederholt, bevor das dazugehörige Zeit-
0213wort „verhüllt“ hinzutritt. Durch solche musikalische Aus-
0214malung wird der Sinn gefälscht und die Stimmung zerrissen.
0215Den letzten Abschnitt füllt größtentheils eine Fuge, welche
0216— wie die ganze Composition überhaupt — den erfahrenen
0217Meister des Contrapunktes und des Chorsatzes offenbart.
0218Professor Kößler ist ein gründlich geschulter Kirchen-
0219componist von edelster Richtung; ein echter Künstler, dessen
0220Originalität und Erfindungskraft leider nicht auf der Höhe
0221seiner musikalischen Bildung steht. Mehr als eine schöne
0222Partie seiner „Sylvesterglocken“ spricht laut und günstig für
0223das Werk; aber nur mit Hilfe sehr eindringender Kürzun-
0224gen wird es auf einen nachhaltigen Erfolg hoffen dürfen.
0225In der Ausführung der mitunter recht schwierigen Chöre
0226hat der „Singverein“ Rühmliches geleistet; aus den
0227Frauenstimmen klang der schöne Sopran des Fräuleins
0228Sophie Chotek herzerquickend heraus.
0229Unmittelbar nach Kößler’s breit- und schwerflüssigem
0230Requiem machten einige kleinere Vocal-Compositionen einen
0231doppelt freundlichen Eindruck. Hatten die „Sylvesterglocken“
0232dem Zuhörer zu lange geläutet, so fand er Goldmark’s
0233Chor „Wer sich die Musik erkieset“ zu kurz. Dieser volks-
0234thümliche und doch kunstreich gefügte A capella-Satz be-
0235handelt ein sechszeiliges Gedicht von Luther (wir können
0236die Autorschaft nicht verbürgen) und entzückt durch seine
0237ruhige Klangschönheit, wie durch den Ausdruck schlichter
0238frommer Einfalt. Zwei bekannte Frauenchöre von Brahms
0239(aus op. 44) begrüßten wir mit Freuden aufs neue. Das
0240„Minnelied“ mußte auf stürmisches Verlangen wiederholt[3]
0241werden; der „Bräutigam“ entging nur mit Mühe diesem
0242Schicksal. Die Chöre wurden reizend gesungen; das Ohr
0243schwelgte in den reinen silberhellen Klängen dieser Frauen-
0244stimmen. Gar zu gerne hätte man von ihnen noch ein und
0245das andere Brahms’sche Chorlied gehört, die anmuthige
0246„Barcarole“ oder die schelmischen „Fragen“. Unser vortreff-
0247licher „Singverein“ hat übrigens noch andere Schulden an
0248Brahms abzuzahlen. Von den drei „Fest- und Gedenk-
0249sprüchen für achtstimmigen Chor“ (op. 109) und den
0250„Drei Motetten für vier- und achtstimmigen Chor“
0251(op. 110) ist in Wien noch keine Note gehört worden.
0252Es sind sehr ernste und schwierige Stücke, aber
0253Meisterstücke, die schon einige Anstrengung verdienen.
0254Leichter ausführbar, dabei gefälliger und dankbarer sind
0255die sechs Quartette (für Sopran, Alt, Tenor und
0256Baß), op. 112, und die „13 Canons für Frauenstimmen“,
0257op. 113. Die erstgenannten Werke sind bereits vor drei
0258Jahren, die letzteren vor zwei Jahren erschienen. Die Musik-
0259freunde Wiens haben wol den Anspruch, alle Novitäten von
0260Brahms kennen zu lernen, und besitzen in dem „Singverein“
0261die geeignetste Kraft dafür. Wir hoffen demnach — sei es
0262allmälig und zuerst in passender Auswahl — auch den
0263neuesten Vocal-Compositionen des Meisters in den Concerten
0264des „Singvereins“ zu begegnen. Nach den einschmeichelnden
0265Klängen der Brahms’schen Frauenchöre erzielte Schumann’s
0266Doppelchor „Talismane“ mit seinem unruhigen Stimmen-
0267geflecht wenig Wirkung. Schumann hat den Goethe’schen
0268Spruch, den hier die breite Behandlung fast erdrückt, in
0269jüngeren Jahren (op. 25) weit ausdrucksvoller als einfaches
0270Lied componirt. In diesem Liede declamirt er ganz richtig:
0271„Gottes ist der Orient, Gottes ist der Occident“,
0272während durch den ganzen Chor eine unbegreiflich falsche
0273Declamation herrscht; es wird da hartnäckig das zweite Wort
0274„ist“ accentuirt. Nach dem „Singverein“ feierte das Or-
0275chester einen Triumph mit dem virtuosen Vortrag von
0276Moszkowski’s F-dur-Suite, welche das „Gesellschafts-
0277concert“ so gesellig und concertant als möglich abschloß.
0278Das sehr befriedigte Publicum dankte Herrn Director Ge-
0279ricke durch wiederholte Hervorrufe.