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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 11121. Wien, Sonntag, den 11. August 1895

[1]

Neue Bücher über Musik. II.

(Spitta. F. Pfohl. Moszkowski.)


0003Ed. H. Rasch nacheinander mußten wir jetzt zwei
0004Männer verlieren, welche, jeder von einem anderen End-
0005punkte vordringend, die musikalischen Kenntnisse der Gegen-
0006wart rühmlichst vermehrt und vertieft haben: Helmholtz 
0007und Spitta. Schwerlich dürfte heute unter den Ueber-
0008lebenden sich Jemand zutrauen wollen, Ersatz zu bieten für
0009einen dieser beiden Forscher. Helmholtz war die genialere
0010Natur; nicht blos ein Erleuchter, sondern ein Entdecker,
0011ein Schöpfer. Als Naturforscher beherrschte er ein ganz
0012erstaunlich weites Reich, in welchem die Musik nur eine
0013Provinz bedeutete neben der Optik, der Nervenphysiologie
0014und anderen Wissenschaften. Gegen diese universelle Thätig-
0015keit erscheint Spitta’s Arbeitsfeld enger begrenzt; neben
0016Helmholtz’ sprühendem Feuergeiste leuchtet Spitta’s Licht in
0017bescheidenerem, milderem Scheine. Für die Musikwissen-
0018schaft hatte Helmholtz mit seinem grundlegenden epoche-
0019machenden Werke über die Tonempfindungen abgeschlossen:
0020die Arbeit seiner letzten dreißig Jahre gehörte anderen
0021Zweigen der Naturwissenschaft. Spitta hingegen ist bis zum
0022letzten Athemzug für die Tonkunst, und nur für diese,
0023thätig geblieben; sein letztes Buch erschien wenige Tage nach
0024seinem Tode. Es heißt „Musikgeschichtliche Aufsätze
0025und bildet eine Art Fortsetzung seines im vorigen Jahre
0026hier besprochenen Sammelwerkes: „Zur Musik“. Die
0027zwölf Essais in diesem Buche gehören zu dem Gediegensten,
0028auch in der Form Vollkommensten, was wir Spitta verdanken.
0029Für einen großen Leserkreis und auf sensationelle Wirkung
0030sind sie nicht berechnet: aber was immer Spitta schreiben
0031mochte, wir legen es mit dem dankbaren Glücksgefühl aus
0032der Hand, etwas gelernt zu haben. Und gerade das ist in
0033der heutigen Musik-Schriftstellerei äußerst selten. Vielen
0034Lesern wird dieses Buch sogar sympathischer sein, als
0035Spitta’s berühmte zweibändige Bach-Biographie, die wir
0036(zumal gegen Jahn’s „Mozart“ gehalten) mehr ein un-
0037fehlbares Nachschlagebuch nennen möchten, als eine fesselnde 
0038Lectüre. So ungewöhnliche Breite und Ausführlichkeit
0039mußte ohne Frage einem Buche gestattet sein, das seinen
0040Gegenstand nach allen Seiten hin vollständig erledigt und
0041durchgehends auf eigener mühevoller Forschung beruht. Trotz-
0042dem mochte diese Breite im Zusammenhang mit noch einem
0043andern charakteristischen Zug ihm manchen Leser stellenweise
0044entfremden. Ich meine das stark ausgesprochene protestantisch-
0045religiöse Pathos, das mitunter das rein Musikalische über-
0046tönt. Spitta ist nicht umsonst der Sohn eines geistlichen
0047Liederdichters, des frommen Sängers von „Psalter und
0048Harfe“. Pries er doch in der Vorrede zu seiner Bach-
0049Biographie als einen Charakterzug unserer Zeit, daß sie
0050„von neuem festeren kirchlichen Formen zustrebt“. Die
0051„Zeitigung der Keime, aus denen die Musik neuen
0052Idealen entgegenwächst“, erwartet er nur von der Reli-
0053gion
. Ja, er geht, auf die deutschen Siege von 1870 an-
0054spielend, so weit, zu behaupten, daß „mehr noch als jene
0055glänzenden politischen Errungenschaften die mächtigen
0056religiösen Bewegungen, welche das tiefste Wesen unseres
0057Volkes aufwühlen, das Herannahen einer neuen großen Zeit
0058verkündigen“ — eine Anschauungsweise, in die wir uns
0059nicht einzuleben vermögen. Daß Spitta noch zwanzig
0060Jahre später nicht nachgelassen hat in emsiger Erforschung
0061Bach’s, bezeugen auch drei „Bachiana“ überschriebene Auf-
0062sätze in dem neuen Buche. Darin ist unter Anderm erzählt,
0063wie Bach eine für den Fürsten von Anhalt componirte
0064dramatische Neujahrs-Serenade später zu einer Kirchen-
0065Cantate („Ein Herz, das seinen Jesum lebend weiß“) um-
0066gestaltet hat — eines der sehr vielen Beispiele, welche in
0067einseitiger Hervorhebung des religiösen Ausdrucks bei
0068Bach und Händel zur Vorsicht mahnen. Das Studium
0069Bach’s lenkte Spitta’s Forschungen überwiegend zu der
0070Musik des 17. und 18. Jahrhunderts. Brahms aus-
0071genommen, dem er (1892) eine gründliche liebevolle Studie
0072gewidmet hat, bezeichnen Spohr, Loewe und Schumann so
0073ziemlich die Grenze, bis zu welcher Spitta’s Betrachtungen
0074an die Gegenwart hinanreichen. Die neuesten Strömungen
0075der Musik ließ er beiseite und vermied es, über Wagner 
0076und die Zukunftsmusik, die ihm unsympathisch waren, sich
0077öffentlich auszusprechen. Eine ruhige Gelehrtennatur,
0078hat Spitta daran wohlgethan, seine ernste productive Arbeit
0079sich nicht durch kleinliche Guerillakriege unterbrechen zu
0080lassen. Die Wagnerianer, welche durch einen ihrer Vorreiter
0081das letzte Buch Spitta’s beiseite schieben ließen, weil der 
0082Name Wagner nur vier- bis fünfmal darin vorkam, werden
0083sich von dem neuen Werke noch viel mehr „gelangweilt“
0084fühlen, denn nur ein einzigesmal (in dem Schumann-Artikel)
0085wird Wagner als Schriftsteller flüchtig erwähnt.


0086Der erste, zugleich längste der „Musikgeschichtlichen Auf-
0087sätze“ handelt von Heinrich Schütz. Bekanntlich hat
0088Spitta dessen Tonwerke in 16 Bänden herausgegeben und
0089sich damit ein unvergängliches Verdienst geschaffen. In der
0090vorliegenden Abhandlung weist er nach, wie H. Schütz, dessen
0091eigene Kunst tief in die italienische eingewurzelt war, durch
0092seine concertmäßigen Compositionen wol eigentlich den deut-
0093schen Musikstyl des 17. Jahrhunderts bestimmt hat. Als
0094Vermittler zweier Kunstperioden von fundamentaler Gegen-
0095sätzlichkeit, hat Schütz einen schweren Stand gegenüber dem
0096Verständniß unserer Zeit; dennoch hofft Spitta, das nächste
0097Jahrhundert werde das Genie dieses Meisters vollständig
0098erkennen und innerlich ganz sich wieder aneignen. Eine un-
0099schätzbare Quelle des Studiums ist uns in Schütz erschlossen;
0100ob auch eine Musik von unmittelbarer, allgemeiner Wirkung,
0101möchten wir bezweifeln. Diesem Großen stehen zwei Größere
0102im Wege: seine Nachfolger Händel und Bach. Vortreffliche,
0103mehr für einen engeren, gelehrten Leserkreis berechnete
0104Aufsätze behandeln „Die Anfänge der madrigalischen
0105Dichtung in Deutschland“, „Die Musikalische Societät zu
0106Mühlhausen im 17. Jahrhundert“ und drei kleinere
0107Beiträge zur Bach-Biographie. In dem Aufsatze über
0108Hunold wird anschaulich gezeigt, wie die Poesie sich
0109damals im Schlepptau der Musik befand und selbst
0110in der kleinsten Form, im Liede, abhängig von dieser.
0111Es ist ein überraschend wahrer und geistreicher Aus-
0112spruch Spitta’s, daß es einer gründlich unmusikalischen 
0113Person bedurft hat, um die Poesie endlich aus den Banden
0114der Musik zu befreien. Gottsched war eine solche, und
0115unter seinen Verdiensten um das Gedeihen einer selbst-
0116ständigen deutschen Poesie ist diese negative Eigenschaft keines
0117der geringsten, daß er gegen den in der Verbindung von
0118Tonkunst und Dichtkunst liegenden Reiz ganz unempfindlich
0119war. Werthvolle Aufschlüsse enthält der Aufsatz über Ri-
0120naldo von Capua
und dessen Oper „Die Zigeunerin“.
0121Fast alle Compositionen dieses vielgenannten Meisters
0122scheinen aus der Welt verschwunden; trotz seiner wahrschein-
0123lich nahen Beziehungen zu Wien besitzt unsere Hofbibliothek
0124kein Werk von ihm. Darum ist doppelt interessant, was wir
0125hier von Rinaldo’s Intermezzo, „La Zingara“, erfahren, [2]
0126das 1752 von einer italienischen Truppe in Paris gegeben
0127wurde. Darin befindet sich die allbekannte Ariette „Tre
0128giorni“, welche Pergolose zugeschrieben wird, aber nach
0129Spitta’s Nachweis von Rinaldo ist. Einen werthvollen Ein-
0130blick in den deutschen Hausgesang im 18. Jahrhundert er-
0131öffnet uns der Aufsatz: Sperontes, „Singende Muse an der
0132Pleiße“. Der weltliche Hausgesang vom Beginn des 18. Jahr-
0133hunderts ist ein fast unbekanntes Gebiet; wir wissen viel
0134mehr von dem Haus- und Gesellschaftsgesang des 16. Jahr-
0135hunderts. Eines der beliebtesten Gesangbücher war das oben-
0136genannte von Sperontes, das, 1736 in Leipzig erschienen,
0137100 Oden enthielt. Dies sind Gedichte, welche zu
0138bereits vorhandenen Musikstücken gemacht oder ange-
0139paßt waren. Wer der pseudonyme Dichter „Spe-
0140rontes“ eigentlich gewesen, war bis heute unbekannt oder
0141streitig. Nach Spitta’s sehr genauer Beweisführung hieß der
0142Mann Johann Sigismund Scholze und ist als Advocaten-
0143schreiber 1750 in Dürftigkeit gestorben. Die culturgeschicht-
0144liche Bedeutung seiner „Singenden Muse“ liegt darin, daß
0145sie uns über 200 kleine Musikstücke aufbehalten hat, welche
0146in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts für Leipzig und
0147Mitteldeutschland dasjenige waren, was man vor 50 Jahren
0148bei uns „Favoritstücke“ zu nennen pflegte. Anknüpfend an
0149Elben’s bekanntes Buch, gibt Spitta einen kurzen Abriß der
0150Geschichte des Männergesanges in Deutschland.
0151Er leugnet mit Recht jeden Zusammenhang desselben mit
0152dem Minne- und Meistergesang. Unsere heutigen Männer-
0153gesang-Vereine wurzeln vollständig in dem neuen Aufschwunge,
0154welcher am Ende des vorigen Jahrhunderts Wissenschaft,
0155Kunst und Nationalbewußtsein in Deutschland nahmen.
0156Spitta lobt die Studenten-Gesangvereine, welche ihrem
0157Sang bis heute einen besonderen Charakter von Frische und
0158Ursprünglichkeit bewahrt haben, und will nichts wissen von
0159den Männer-Massengesängen. Das Lied bleibt die
0160Grundform des Männergesangs. „Ein Unding nennt
0161es Spitta, für den Vortrag solch kleiner Kunst-
0162gebilde einen großartigen Apparat aufzustellen.“ Zwei
0163biographisch-kritische Aufsätze beschäftigen sich mit dem
0164französischen Musikschriftsteller George Kastner und dem
0165Schweizer Componisten Schnyder v. Wartensee. Ein
0166noch allgemeineres Interesse dürften die beiden letzten Ab-
0167handlungen erregen, welche übrigens aus Rodenberg’s
0168Deutscher Rundschau“ bereits einem größeren Leserkreis 
0169bekannt sind: „Die Ballade“ und „Robert Schumann’s
0170Schriften“. Mit der gewissenhaften Vollständigkeit, die den
0171Verfasser überall auszeichnet, verbindet er in seiner Würdi-
0172gung des Balladen-Componisten Karl Loewe und des
0173Schriftstellers Robert Schumann eine besonders wohl-
0174thuende, nicht gewöhnliche Wärme des Ausdrucks. Ich nehme
0175Abschied von Spitta’s reichhaltigem letzten Buche, dankbar,
0176aber zugleich schmerzlich bewegt. Wie Schönes und Großes
0177dürften wir von dem Manne noch erwarten, den in der
0178Blüthe männlicher Kraft, auf der Höhe seines Schaffens der
0179Tod ereilt hat!


0180Ich hätte darauf verzichten müssen, Spitta’s neues Buch 
0181unseren Lesern zu beschreiben und zu empfehlen, wenn es
0182dem gelehrten Verfasser beigefallen wäre, Jedem, der nicht
0183Musiker von Fach ist, ein Urtheil darüber abzusprechen. Eine
0184solche Verwahrung hat meines Wissens auch noch kein
0185Musikschriftsteller an die Spitze seines Buches gestellt. Es
0186war Herrn Ferdinand Pfohl vorbehalten, vor seine Kritiken-
0187sammlung „Die moderne Oper“ (Leipzig, 1894) die Warnungs-
0188tafel aufzustecken: Nichtmusikern ist hier der Eintritt ver-
0189boten! Er erhebt im Vorwort sehr nachdrücklich den An-
0190spruch, es sollen sein Buch „die sämmtlichen deutschen
0191Nichtmusiker zwar lesen, aber nur die Musiker
0192darüber sprechen
, darüber richten“. Daß nur musikalische
0193Kenntnisse — je mehr und tiefer, desto besser — zum Ur-
0194theil über Musik und Musikliteratur berechtigen, ist so selbst-
0195verständlich, daß es Herrn Pfohl gewiß nicht einfallen konnte,
0196dies in Form einer ausdrücklichen Verwahrung eigens her-
0197vorzuheben. Was er sagen will und auch meint, ist offen-
0198bar dies, daß nur Fachmusikern im engeren Sinne,
0199schaffenden oder ausübenden Tonkünstlern über seine
0200Opernkritiken ein Urtheil zusteht. Da mir leider
0201mein Beruf nur die Feder in die Hand gedrückt,
0202nicht aber ein Clarinett in den Mund gesteckt oder ein
0203Violoncell zwischen die Beine geklemmt hat, so darf ich, ohne
0204Auflehnung gegen Herrn Pfohl’s Verbot, hier nichts über
0205sein Buch sagen. Und doch muß dasselbe, nach jener stolzen
0206Verwahrung zu schließen, offenbar wichtige Entdeckungen
0207technisch-musikalischer Natur und nur den Eingeweihten zu-
0208gängliche Formgeheimnisse enthüllen, die man den Lesern
0209nicht unterschlagen darf. So schickte ich denn das Buch ver-
0210schiedenen Fachmusikern mit der Bitte um ihr Votum zu.
0211Zuerst einem unserer ersten Capellmeister. Er antwortete, 
0212daß das Buch keinerlei Aufklärung über die Zusammen-
0213stellung und Leitung eines Orchesters, über die Technik der
0214einzelnen Instrumente, über streitige Tempi oder Vortrags-
0215zeichen, überhaupt nichts enthalte, was speciell an die Kennt-
0216nisse oder Erfahrungen eines Orchester-Dirigenten appellirt.
0217Mit ganz analogen Antworten erhielt ich das Buch zurück
0218von einem Primgeiger, einem Flötisten, einem Clavier-
0219virtuosen, einem Orgelspieler. Ich wendete mich nun an
0220einen berühmten Sänger und Gesanglehrer. Er bedauerte,
0221von Herrn Pfohl nichts über Stimmbildung und Vortrag
0222gelernt zu haben, könne aber die Vermuthung nicht unter-
0223drücken, daß ein so schrankenlos für Wagner schwärmender
0224Autor nicht viel vom Gesang verstehen dürfte. Jetzt blieb
0225mir als letzte Instanz nur noch ein hochgeschätzter
0226Componist meiner Bekanntschaft. Seine Antwort klang
0227etwas gereizt: ich könne es ohneweiters meinen
0228Lesern zu beurtheilen überlassen, ob Pfohl’s „Moderne
0229Oper“ ein wirklich eminent musikwissenschaftliches, an tech-
0230nische Kenntniß appellirendes Werk sei oder nicht, vielmehr
0231eine für junge Wagnerianerinnen bestimmte Blüthensamm-
0232lung? Ich möge nur einige beliebige Stellen daraus
0233citiren, zum Beispiel folgende aus dem Vorwort: „Licht-
0234strahlen aus fernem, räthselhaftem Aether zaubern auf unsere
0235Netzhaut das flimmernde Bild eines Sternes hervor, obwol
0236der Lichtborn, dem sie entquollen, längst versiegt und der
0237Fixstern, der sie einst in den unendlichen Weltraum ent-
0238sendet, seit Aeonen erloschen ist. Ist die moderne Oper
0239nicht ein Märchen, jenen Sternen zu vergleichen, jenen schönen
0240optischen Täuschungen, die uns eine Gegenwart glauben
0241machen wollen, während hinter ihren Lichtstrahlen, diesen
0242letzten Zuckungen einer sterbenden Welt, die öde Leere des
0243ungeheuren Nichts gähnt und das „Es war einmal“ der
0244Vergangenheit sich verbirgt? ... Das Alpha und das
0245Omega der modernen dramatischen Musik im Sinne der
0246eindringlichsten Ausdrucksfähigkeit, des tiefsten, wahrsten und
0247innerlichsten, von aller Convention losgelösten Empfindens
0248unserer Zeit, im Sinne einer vollständig ursprünglichen,
0249lediglich aus ihrem Inhalt herausbestimmten Formengebung
0250ist das Musikdrama R. Wagner’s. Es existirt in der
0251gesammten Kunst des neunzehnten Jahr-
0252hunderts
(Goethe’s „Faust“ ausgenommen) kein Werk
0253großen Styls, das mit seinen der wunderbar innigen Ver-
0254einigung des großen Dichters, des großen Musikers und des [3]
0255tiefen Denkers entstammenden Accenten in ähnlicher Weise
0256den innersten Lebensnerv unserer Zeit berührt, wie Wagner’s
0257Nibelungen“, dieses gigantische, erschütternde, eine Welt in
0258Trümmer schlagende und eine neue Welt gebärende Werk.“


0259So habe ich denn, mich selbst versteckend, die von Herrn
0260Pfohl verlangten Fachmusiker und schließlich ihn selbst sprechen
0261lassen. Ich denke, man kann nicht loyaler vorgehen.


0262Sträflicher Undank wäre es, wollte ich eines geist-
0263reichen und liebenswürdigen Musikschriftstellers vergessen,
0264der mich nach so mancher ernster, auch schwerfälliger und
0265langweiliger Lectüre in helle Fröhlichkeit versetzt hat:
0266Moriz Moszkowski. Er hat sich mit zwei neuen
0267Büchlein eingestellt. In „Anton Notenquetschers
0268lustigen Fahrten
“ wechselt Poesie mit Prosa. Unter
0269den musikalischen Gedichten glänzt „Meine Weihnachts-
0270bescheerung“ durch eine fast abenteuerliche Reimvirtuosität;
0271unter den prosaischen Humoresken „Die räthselhafte Pia-
0272nistin“. Höchst ergötzlich sind ferner die „Reichsmusikalischen
0273Zukunftsbilder“ vom Jahre 1910, welche uns die Verstaat-
0274lichung der Musik in allen Zweigen vorführen, und vieles
0275Andere. „Anton Notenquetschers heitere Dich-
0276tungen
“ (so heißt das zweite Buch Moszkowski’s) be-
0277schränken sich durchaus nicht auf musikalische Stoffe; ja
0278unter den nichtmusikalischen finden wir die witzigsten der
0279ganzen Sammlung. Drei kleine Proben aus den „Liedern
0280der Unliebe, frei nach Heine, im Geiste Tolstoi’s“ mögen
0281für die übrigen sprechen:


02821. Auf Flügeln des Gesanges, /
0283Kätinka, jag’ ich dich fort, /
0284Fort nach den Fluthen des Gesanges. /
0285Ich bitte dich, bleibe nur dort! /
0286Und läßt du dich je wieder sehen /
0287Vor meinem strafenden Blick, /
0288So treib’ ich dich mit dem Bambus /
0289Nach Indien zurück. /


02902. Nur Einmal möcht’ ich sie sehen /
0291Und sinken vor ihr aufs Knie /
0292Und sprechen: „Sie glauben gar nicht, /
0293Wie wohl mir ist ohne Sie!“ /


02943. Du bist wie eine Distel, so häßlich, eklig und rauh, /
0295Du bist, mit Einem Worte, das Ideal einer Frau. /
0296Mit ist, als ob ich die Hände aufs Haupt dir legen müßt’, /
0297Betend, daß Gott dich erhalte so unbeliebt wie du bist! /