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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 11614. Wien, Dienstag, den 22. December 1896

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Concerte.


0002Ed. H. Den Mittelpunkt unserer musikalischen Genüsse
0003bildet gegenwärtig Edward Grieg. Das eigenartige, vor-
0004nehme Talent und die sympathische Persönlichkeit des nor-
0005wegischen Meisters drängen für den Augenblick jedes andere
0006Interesse in Schatten. Drei Abende nacheinander waren ihm
0007gewidmet — ein vierter steht noch bevor. Jüngst machte die
0008Sängerin Gulbranson — leider ohne die versprochene Mit-
0009wirkung des Componisten — uns mit einer Auswahl Grieg-
0010scher Lieder bekannt, denen zum erwünschten Erfolg nichts
0011gefehlt hat, als eine deutsche Uebersetzung. Darauf folgte
0012ein Kammermusikabend und endlich ein großes (nur allzu
0013großes) Grieg-Concert mit Chor und Orchester im Musik-
0014vereinssaal. Edward Grieg ist nicht als ein Fremder bei
0015uns eingezogen; waren doch die meisten seiner jetzt
0016vorgeführten Compositionen uns aus früheren Auf-
0017führungen längst bekannt. So die Concert-Ouvertüre
0018Im Herbst“, welche durch trübes, stürmisches October-
0019wetter uns zum Jagdvergnügen und schließlich zu einem
0020Bauerntanz ins Wirthshaus führt. Wie fast alle groß an-
0021gelegten Compositionen Grieg’s, wirkt auch die Herbst-
0022ouvertüre mehr durch poetische Momente als durch zusammen-
0023gefaßte einheitliche Kraft des Ganzen. Grieg’s Talent offen-
0024bart sich am originellsten und liebenswürdigsten in kleineren
0025Formen. Das beweist, nach der reizvollen ersten Peer-
0026Gynt-Suite, am schönsten die jetzt wieder gehörte Holberg-
0027Suite. Das zarte „Air“ in G-moll und das humoristisch
0028abschließende Tanzstück „Rigaudon“ finden jedesmal den leb-
0029haftesten Anklang. Auch das von Herrn F. Busoni mit
0030beispiellosem Erfolg vorgetragene Clavierconcert in A-moll
0031gehört zu den bekanntesten und beliebtesten Compositionen
0032Grieg’s. Wir haben es in den letzten Jahren von drei Vir-
0033tuosinnen gehört: von Frau Stepanoff, von Therese  
0034Careño und Dagmar Walle-Hansen. „Vor der
0035Klosterpforte
“ ist ganz eigentlich eine dramatische Scene und
0036dürfte auf der Bühne lebendiger wirken als im Concertsaal. Hier
0037ermüdet uns das übermäßig ausgedehnte Orchestervorspiel und
0038am Schlusse der gleichfalls zu lange, monotone Chorgesang
0039der Nonnen. Zwei uns bisher unbekannte junge Sängerinnen
0040theilten sich in den Wechselgesang zwischen der Pilgerin und
0041der Aebtissin. Fräulein Olga Vandero sang die Sopran-
0042partie mit zarter, sympathischer Stimme, tadelloser Technik
0043und warmer Empfindung. Ihr secundirte in der nur wenige
0044Tacte umfassenden Rolle der Aebtissin Fräulein Marianne
0045Geyer
mit einer gesunden kräftigen Altstimme, welcher
0046künftig wol größere Aufgaben zufallen werden. Viel Beifall
0047erntete Herr Sistermans für den Vortrag Grieg’scher
0048Lieder. Bei aller Anerkennung für die Mehrzahl dieser
0049zarten, fein empfundenen Stücke, hätte man sich doch mit ge-
0050ringeren Quantitäten begnügt. Ohnehin senkt sich auf ein
0051langes, blos aus Grieg’schen Compositionen bestehendes Concert
0052doch schließlich ein Schleier norwegischer Nebellandschaft.
0053Am bedeutendsten erschien uns „Henrik Wergeland“; ein
0054Gesang, mehr Opernscene als Lied, welcher durch die
0055begleitende Harfe einen eigenthümlich poetischen Reiz
0056empfängt. Da Henrik Wergeland, der norwegische Dichter
0057und Patriot, uns eine völlig fremde Persönlichkeit ist, konnte
0058leider nur der einseitig musikalische Reiz dieser Elegie auf
0059das Publicum wirken. Das zweite Lied „Ein Schwan“
0060(Text von Ibsen) ist in der ungefügen deutschen Ueber-
0061setzung schwer verständlich, ein Uebelstand, dem die sehr
0062pathetische Musik keineswegs abhilft. Ueberhaupt können wir
0063einen Stoßseufzer über das schlechte Deutsch der
0064Uebersetzungen fast aller Grieg’schen Lieder nicht
0065unterdrücken. Wie erquickend wirkte in dieser ver-
0066mummten Gesellschaft das einzige original-deutsche Gedicht
0067Dereinst, o Gedanke mein!“ von Geibel. Wer denkt
0068dabei nicht an Schumann’s ergreifende Composition als
0069Frauenduett im „Spanischen Liederspiel“ (op. 74), und wer
0070beklagt nicht mit uns die Nacht ewiger Vergessenheit, welche
0071in Wien diesen schönen Liedercyklus bedeckt! Das Opernhaus
0072oder der große Musikvereinssaal sind freilich keine Stätte 
0073dafür, so wenig wie für Brahms’ gleichfalls halbvergessene
0074Zigeunerlieder. Ein neues, größeres Werk von Grieg be-
0075kamen wir leider nicht zu hören. Eines der merkwürdigsten
0076ist „Bergliot“, ein gesprochener Frauenmonolog mit
0077Orchester-Begleitung, welche aber niemals die Declamation
0078deckt oder durchkreuzt, sondern nur in charakteristischen
0079Zwischenspielen sie ausmalt und belebt. Vielleicht er-
0080innert man sich bei einer künftigen Gelegenheit dieser un-
0081gemein dramatischen, einer nordischen Legende entnommenen
0082Erzählung. Grieg’s Bestes, Eigenthümliches ist intime
0083Musik. Wir fühlten uns darum dem Componisten noch
0084näher gerückt in dem Kammermusik-Abend des „Böhmischen
0085Quartetts“, als im großen Musikvereinssaal. Freilich, nach
0086dem G-moll-Quartett, op. 27, quälte uns keine besondere
0087Sehnsucht; wir haben es vor einigen Jahren bei
0088Rosé gehört und namentlich dem ersten Satz eine
0089leicht gruselnde Erinnerung bewahrt. Wie viel ab-
0090sichtlich Mißklingendes paradirt in diesem endlosen
0091Satz, mit auffallendem Haschen nach melodisch und harmo-
0092nisch Bizarrem, nach verrenkten Rhythmen und falschen
0093Contrasten! Gleich einer duftigen Blume erhebt sich aus
0094diesem versengten Boden die „Romanze“, ein Gesang im
0095lieblichsten Volkston, dessen Poesie uns sogar mit dem un-
0096motivirt wilden Mittelsatz versöhnen kann. Aufrichtige
0097Freude hat uns dagegen die Violin-Sonate in C-moll be-
0098reitet, welche Grieg mit dem Primarius des Böhmi-
0099schen Quartetts, Joseph Hoffmann, hinreißend
0100spielte. Von seinen drei Violin-Sonaten schätzen wir
0101die in C-moll zuhöchst, ja als das vollkommenste
0102Kammermusikstück, das wir von Grieg kennen. Von
0103dem Componisten Edward Grieg hatten wir Alle viel
0104gelesen, nicht aber von dem Clavierspieler; so sah man
0105denn mit hochgespannter Neugierde seinen Solovorträgen
0106entgegen. Grieg wählte eine Anzahl seiner wohlbekannten
0107Lyrischen Stücke“; anspruchslose, sinnige Genrebilder,
0108theils sentimentalen Inhalts („In der Heimat“, „Einsamer
0109Wanderer“, „Erotik“, „Frühling“), theils voll graziöser
0110Heiterkeit, wie „Schmetterling“, „Vöglein“, „Norwegischer
0111Brautzug“. Sein Clavierspiel ist von bezaubernder Weich[2]-
0112heit und Anmuth, dabei ganz individuell. Er spielt wie ein
0113bedeutender Tondichter, der mit dem Clavier vollkommen
0114vertraut, weder dessen Tyrann noch Sklave ist — nicht
0115wie ein reisender Virtuose, welcher nebenbei componirt.
0116Dabei ist seine Technik tadellos, gepflegt und gerundet.
0117Grieg dürfte es wol mit manchem Virtuosen noch auf-
0118nehmen; aber er begnügt sich mit dem vollendeten Vortrag
0119„lyrischer Stücke“ und läßt sich keine Paradepferde auf-
0120zäumen. Unwillkürlich mußte ich an einen Brief von
0121R. Schumann denken, der im Jahre 1839 von Mendels-
0122sohn
und Benett schreibt: „Wie spielen sie Beide Clavier!
0123Wie Engel, fast anspruchslos wie Kinder.“ Ueberhaupt, wie
0124oft mußte ich Schumann’s gedenken bei Grieg’s „Lyrischen
0125Stücken“. Den „Chopin des Nordens“ nannte ihn Bülow, und
0126einige verwandte Züge (zum Beispiel in dem Passagenwerk
0127des Concerts) sind nicht zu übersehen, aber der Zusammen-
0128hang mit Schumann ist der ungleich stärkere. In keinen
0129anderen Tondichter hat Grieg sich so tief und innig einge-
0130lebt, wie in Schumann. Das thut seiner Originalität keinen
0131Abbruch. Niels Gade, ehedem das Oberhaupt der skandi-
0132navischen Musik, wie heute Grieg, hat überwiegend
0133Mendelssohn’sche Elemente in sich aufgenommen; Grieg dankt
0134die stärksten Anregungen den Compositionen Schumann’s.


0135Für seine tiefe Kenntniß und Verehrung Schumann’s
0136spricht auch ein literarisches Document, das sehr anziehend
0137und wenig bekannt ist: ein Essay Grieg’s über Schumann 
0138in einer amerikanischen Zeitschrift „The ninetinth century“.
0139Grieg knüpft seine Bemerkungen an die Thatsache, daß die
0140Verehrer Schumann’s immer nur Einzelne waren, nie zu
0141einer Phalanx, wie die Wagnerianer, sich zusammengeschlossen
0142haben. Schumann hatte keine andere Propaganda, als die in
0143seinen Werken steckte. Er war ein Komet ohne Schweif,
0144demungeachtet einer der merkwürdigsten am Firmament der
0145Kunst. Der Einfluß Schumann’s auf die moderne Musik
0146sei gar nicht hoch genug anzuschlagen. In Verbindung mit
0147Chopin und Liszt beherrscht er gegenwärtig die gesammte
0148Clavier-Literatur, während die früher auf Unkosten Schu-
0149mann’s hochgepriesenen Clavierstücke Mendelssohn’s von den
0150Concertprogrammen zu verschwinden beginnen. Mendelssohn 
0151habe bei Lebzeiten mehr als die gebührende Bewunderung im 
0152vorhinein empfangen; Schumann weniger als ihm ge-
0153bührte. Die Nachwelt gleicht jetzt diese Rechnungen aus.
0154Grieg verwahrt sich ausdrücklich gegen jede Unterschätzung
0155Mendelssohn’s; nur in der Claviermusik und im Liede sei
0156dieser unterlegen gegen Schumann. Als Orchester-Componist
0157behauptet Mendelssohn seinen alten Platz, mit Schumann 
0158als Ebenbürtigem an seiner Seite. Grieg ist empört über
0159die Anmaßung der Wagnerianer, welche Schumann als
0160Orchester-Componisten von oben herab behandeln. Muthig
0161bekämpft er diese „von maßlosem Selbstgefühl aufgeblähten
0162Enthusiasten, welche Alles herabdrücken, was nach ihrer
0163Meinung der Alleinherrschaft ihres Bayreuther Meisters sich in
0164den Weg stellt“. Diese Verschwörung der Wagnerianer gegen
0165Schumann datire von dem berüchtigten Artikel in den
0166Bayreuther Blättern“, welcher von Joseph Rubinstein 
0167unterzeichnet, aber ganz unzweifelhaft von R. Wagner 
0168inspirirt „und wahrscheinlich mehr als blos inspirirt“ war.
0169Obwol Grieg in jenen Angriffen auf Schumann nur eine
0170armselige Witzelei (a poor witticism) erblickt, geht er dem
0171Herausforderer doch sehr gründlich und glücklich zu Leibe.
0172Diese Aufwallung edlen Zornes, wir möchten sie in dem
0173schönen, nur von Liebe und Verehrung für Schumann 
0174dictirten Aufsatz nicht missen. Grieg beweist, daß er für
0175seinen Lieblingscomponisten nicht blos zu schwärmen, sondern
0176auch zu kämpfen weiß. Sein Aufsatz über Schumann ge-
0177hört nothwendig zur Charakteristik Grieg’s, des Menschen
0178und Künstlers, und macht ihm nicht weniger Ehre als
0179manches „lyrische Stück“.


0180Rühmende Erwähnung verdient das erste Concerte
0181des Conservatoriums
vom 15. d. M. Diese Produc-
0182tionen, welche ehedem nur das Interesse für die Fortschritte
0183der Schüler befriedigten, sind jetzt auch in ihren Programmen
0184gewählter und bedeutender geworden, seit unser trefflicher
0185J. N. Fuchs das Conservatorium leitet. Da erfreute
0186uns gleich als erste Nummer die seit Jahren nicht gehörte
0187D-dur-Serenade für großes Orchester von Brahms.
0188Freilich, wie ist Brahms seither gewachsen als Orchester-
0189Componist! Aber wie wir nach Beethoven’s Symphonien
0190zeitweilig gar gerne sein Septett hören (das auch auf die
0191Serenadenform zurückweist), so haben wir auch mit Brahms’ 
0192D-dur-Serenade ein fröhliches Wiedersehen gefeiert und
0193wünschen uns ein gleiches mit seiner kleinen Serenade in
0194A-dur. Es waltet darin so viel friedliches Genügen und
0195verliebte Gartenstimmung, wie wir sie in den mächtigeren
0196Schöpfungen aus Brahms’ späterer Zeit nur selten und
0197schnell vorübergehend antreffen. Für das jugendliche
0198Zöglingsorchester war die Serenade, in welcher die Blas-
0199instrumente so bedeutend hervortreten, eine schwierige
0200Probe. Sie ward glänzend bestanden. Auch die Solo-
0201vorträge (Gesang, Violine, Clavier) fanden lebhaften Beifall.


0202Das vierte Philharmonische Concert hat uns
0203zwischen der Melusinen-Ouvertüre und Beethoven’s A-dur-
0204Symphonie einen neuen Clavier-Virtuosen und eine neue
0205symphonische Dichtung von Dvořak bescheert. Der Clavier-
0206Virtuose, ein junger Russe Namens Ossip Gabrilowitsch,
0207entwickelte in Tschaikowsky’s B-moll-Concert eine staunens-
0208werthe Technik. Seine Finger arbeiteten mit der Kraft und
0209Accuratesse einer vollkommenen, unfehlbaren, unheimlich
0210menschenähnlichen Maschine. Andere musikalische Qualitäten
0211höherer Ordnung, wie unser Russe sie gewiß besitzt, konnten
0212wir aus dieser einzigen Production höchstens ahnen, denn
0213die technische Bewältigung des Tschaikowsky’schen Con-
0214certes ist eine so furchtbare Arbeit, daß sie alle Kräfte des
0215Spielers, geistige und physische, gnadenlos consumirt und
0216höchstens stellenweise ihm ein Wetterleuchten von falschem
0217Geist gestattet. Schade um das unleugbare Talent, das
0218auch in dem wüsten Durcheinander dieses Concertes sich
0219offenbart und in krankhafter Genialitätssucht aufreibt. Herr
0220Gabrilowitsch hatte einen außerordentlichen Erfolg. Wer in
0221den letzten Tagen hintereinander Busoni und Gabrilo-
0222witsch
gehört, der staunt wol, zu welcher Höhe der Technik
0223unsere jungen Virtuosen es gebracht haben. ... Am meisten
0224gespannt war man auf Dvořak’s symphonische Dich-
0225tung „Die Mittagshexe“. Eine Bäuerin sucht ihr
0226schreiendes Kind mit allerhand Spielzeug zu beruhigen;
0227als aber der kleine Schreihals immer ungeberdiger plärrt,
0228droht sie ihm mit der „Mittagshexe“. Diese, ein böses altes
0229Weib, stellt sich auch wirklich ein und bemächtigt sich des
0230Kindes. Der Vater, der von der Feldarbeit guter Dinge
0231nach Hause kommt, findet sein Weib ohnmächtig auf der [3]
0232Erde liegen und das Kind — todt. Also wieder eine
0233idyllisch beginnende und grausig endende Geschichte, wie
0234Dvořak’s jüngst besprochener „Wassermann“. Nur ist der
0235Stoff des letzteren entschieden musikalischer und die Aus-
0236führung unvergleichlich gelungener als in der „Mittags-
0237hexe“. Die Tonmalerei, welche die ganze „Wassermann“-
0238Symphonie durchzieht, schöpft aus musikalisch verwendbaren
0239und bereits oft verwendeten Naturlauten: dem Rauschen
0240des Wassers, das vom leisen Gemurmel bis zur tosenden
0241Brandung einen fast unerschöpflichen Klangreichthum dem
0242Componisten entgegenbringt. Was die „Mittagshexe“ ihm
0243an Naturlauten bietet, das Schreien eines ungezogenen
0244Kindes, ist für reine Instrumentalmusik unbrauchbar und
0245desto abstoßender, je genauer es nachgeahmt wird. Nun hat
0246Dvořak für das greinende Kind, das, zweimal besänftigt,
0247immer wieder zu schreien anhebt, allerdings einige sehr ge-
0248lungene musikalische Witze, wahre Klangbonmots, ersonnen,
0249die als sparsame Würze in einem humoristischen Ganzen
0250uns ergötzen würden. Dem Reiz einer geistreichen Ton-
0251malerei widersteht Niemand, von den kindlich heiteren
0252Klangbildern in Haydn’s „Schöpfung“ und „Jahreszeiten“
0253angefangen bis zu den genialen Tongemälden der Roman-
0254tiker und Wagner’s berückendem Feuerzauber. Aber die
0255Nachahmung des schreienden Kindes ist eine Spielerei, die
0256schon bei der ersten Wiederholung geschmacklos wird und
0257nur als Motiv für ein komisches Genrebild am rechten
0258Platze stünde. Seltsame Passion Dvořak’s, sich jetzt dem
0259Gräßlichen, Widernatürlichen, Gespenstischen hinzugeben,
0260das seinem echt musikalischen Sinne, seiner liebenswürdig
0261menschlichen Natur so wenig entspricht! Im „Wassermann“
0262der Kobold, welcher dem eigenen Kinde den Kopf abhaut
0263und diesen der unglücklichen Mutter zuschleudert, in der
0264Mittagshexe“ ein weibliches Ungeheuer, in dessen Fäusten
0265das unschuldige Kind verathmet. Was wir vom allgemein
0266ästhetischen Standpunkte jüngst gegen Dvořak’s „Wasser-
0267mann“ vorgebracht, gilt auch für die „Mittagshexe“, nur
0268führt dort die geniale, reizvolle Musik ein glänzendes Plai-
0269doyer gegen die Anklage, während uns die „Mittagshexe“
0270eine gleiche künstlerische Entschädigung für die Barbarei der
0271Stoffwahl schuldig bleibt.