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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 12161. Wien, Samstag, den 2. Juli 1898

[1]

Mit Unger.

(Persönliche Erinnerungen.)


0003Ed. H. Es war im Frühling des Revolutionsjahres,
0004als ich in sanften Rigorosumsschmerzen den Professor Hye 
0005aufsuchte. Er geleitete eben mit auffallend respectvoller Wärme
0006einen blutjungen, blonden, schmächtigen Studenten durch den
0007ganzen Vorsaal bis zur Thür. „Wer war das?“ fragte
0008ich. „Ja, kennen Sie denn den genialen Unger nicht?“
0009rief Hye in seinem begeisterten Ungestüm; „unseren Joseph
0010Unger?“ Ich mußte verschämt verneinen und kam mir wie
0011jener biblische König vor, „der nichts wußte von Joseph“.
0012Aber lange sollte meine Ignoranz nicht dauern. Ich beeilte
0013mich, einer Sitzung des vielgenannten Studenten-Comités bei-
0014zuwohnen, das mit seinen Petitionen und Resolutionen so
0015geräuschvolles Wesen trieb im Frühling 1848. Was haben
0016da die jungen Leute und auch ältere in enthusiastischem
0017Eifer nicht Alles debattirt und resolvirt! Sie Alle wollten das
0018Wort haben und Jeder das erste, womöglich auch das letzte. Aber
0019sobald der kaum zwanzigjährige Unger gesprochen hatte, redete
0020Keiner mehr. Da war Alles erledigt und schlechterdings nichts
0021weiter zu sagen. Und keine berauschende Phrase hatte Unger 
0022ins Feld geführt — nein, nur klare, scharfe Gedanken in
0023präcisester Fassung. Sein in bestechendsten Einfällen funkeln-
0024der Geist ruhte auf der Basis reichen Wissens und einer
0025unüberwindlichen Logik. Am bewunderungswürdigsten ist mir
0026stets Unger’s Schlagfertigkeit erschienen, das Augenblickliche
0027seiner witzigen Replik. Die glänzende Rednergabe des
0028Studenten Unger wuchs zusehends mit ihren größeren Auf-
0029gaben. Sie hat seine parlamentarische Laufbahn mit ununter-
0030brochenen Triumphen geschmückt. Und doch besaß der Redner
0031an seinem schwachen, etwas hochgestimmten Organ keine aus-
0032giebige Hilfe. Seine Rede vermochte niemals einen Erfolg
0033melodisch zu erschmeicheln oder gar zu erdonnern; gefesselt
0034und überzeugt hat sie aber jederzeit. Unger konnte sich den
0035Ehrentitel eines „Sprechministers“ gefallen lassen; er, der
0036Denkminister.


0037Noch nicht dreißigjährig, war er ordentlicher Pro-
0038fessor an der Prager, dann an der Wiener Universität.
0039Nicht viel später Minister und Führer der liberalen Partei
0040im Herrenhause. Fremde, welche ihn in dieser Stellung auf-
0041suchten, argwöhnten anfangs einen Irrthum in der Person,
0042wenn sie die jugendlich schlanke, bewegliche Figur, mit dem
0043von langem dichten Blondhaar eingerahmten zarten Gesicht
0044erblickten.


0045Im Allgemeinen liebe ich es nicht sehr, wenn meine
0046besten Freunde Minister werden. Glückwünschend, bewun-
0047dernd folgen unsere Blicke dem kerzengerade aufsteigenden
0048Luftschiffer. Aber je rascher und höher er steigt, desto weiter
0049entfernt er sich von uns, und je länger er oben verweilt,
0050desto mehr verschwimmen ihm die Züge der Untenstehenden.
0051Das ist so selbstverständlich und einleuchtend. Ueber einen
0052Naturproceß wird Niemand klagen, wenn auch das Körnchen
0053Egoismus, das jeder Liebe anhängt, sich nicht gleich ab-
0054schütteln läßt. Als Minister hat sich Unger nicht verändert
0055in seiner freundschaftlichen Gesinnung und Umgangsform.
0056Auch ist er bei dem guten Geschmack geblieben, die Er-
0057hebung in den Adelsstand abzulehnen. Wie seine Collegen
0058Glaser, Herbst, Hasner, Brestel, Berger, Billroth, Dumba 
0059mochte er den Tropfen demokratischen Oels, mit dem er in
0060die Welt getreten, sich nicht mit einer Freiherrnkrone weg-
0061wischen lassen. Ich habe Unger immer gleich herzlich und
0062aufrichtig gefunden, so oft wir irgendwo zusammentrafen;
0063nur die Gelegenheit, sich zu treffen, wurde immer seltener.
0064Wer bleibend eintritt in die höchsten officiellen, gesellschaft-
0065lichen und höfischen Kreise, muß durch neue Pflichten und
0066Rechte allmälig abgedrängt werden von seinem früheren
0067Verkehr. So tauchen denn heute, da ich im Geiste inniger
0068als je den alten Freund umarme, meine Erinnerungen am
0069liebsten zurück zu den Tagen unserer gemeinsamen Jugend.
0070Mein erster längerer Verkehr mit Unger entwickelte
0071sich auf einer gemeinschaftlichen Reise nach Berlin im
0072Sommer 1855. Da hatte ich zum ersten- und einzigen-
0073male in meinem Leben den Jungberühmten, um den sich
0074gleicherweise junge Damen und alte Gelehrte stritten, vier-
0075zehn Tage lang ganz für mich allein und genoß ihn von
0076seiner nicht allgemein bekannten gemüthlichen Seite. Vor 
0077Jahren habe ich bereits an anderer Stelle davon erzählt;
0078doch darf ich am heutigen Festtage mir einige Reminiscen-
0079zen wol vergönnen. Wir Beide wohnten in Berlin in
0080Einem Zimmer des „Hôtel de Petersbourg“ und besuchten
0081gemeinschaftlich alle Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. Nur
0082unsere Besuche führten uns verschiedene Wege: ihn nach
0083der juristischen, mich nach der musikalischen Seite. Da gab
0084es manche lustige Neckerei, wenn gleichzeitig vor unserem
0085Hotel für Unger die Equipage des Ministers
0086Savigny und für mich die Meyerbeer’s vorfuhr.
0087Berlin, das wir Beide sehr neugierig zum erstenmale
0088sahen, hat uns damals wenig entzückt. Gegen die
0089heutige, so riesig gewachsene und belebte Kaiser-Residenz er-
0090schien das Berlin von 1855 wie eine behäbig schlummernde
0091Provinzialstadt. Welche Oede in diesen langen, langen
0092breiten Straßen! Nirgends drängendes Leben; weder Luxus
0093noch Lustigkeit. Der regnerische Mai-Anfang machte oben-
0094drein Alles noch verdrießlicher. Ein kühler Sonntag-
0095nachmittag führte uns in einen beliebten öffentlichen Garten;
0096da ruderten einige Handlungscommis langweilig auf einem
0097Teich herum, und mehrere Personen sahen ihnen stumm
0098fröstelnd zu. Die Theater boten wenig Anlockendes. In der
0099Oper sahen wir Taglioni’s neues Ballet „Ballanda“,
0100glänzend ausgestattet und tödtlich langweilig. Den „Wasser-
0101träger“ von Cherubini hob nur die Mitwirkung der treff-
0102lichen Louise Köster über das Niveau des Mittelmäßigen.
0103In Shakespeare’s „Hamlet“ vermochte einzig Döring als
0104Polonius uns stärker zu interessiren. Aber je tiefer die Dar-
0105stellung sank, desto höher flogen die Witzraketen von Unger’s
0106Lippen. Und immer war es der Geist, der da verneinte.
0107Was für ein reizender, gefährlicher Theater-Kritiker wäre
0108Unger geworden! Seine Feuilletons hätten uns den aus-
0109erlesensten Genuß und ihm die fatalsten Duelle verschafft.
0110Auffallend war uns im königlichen Schauspielhaus der
0111schlechte Besuch und die allzu bescheidene Toilette (mitunter
0112Küchen- und Kinderstubenkleidung) der Damen im Parquet.
0113Wie ist das jetzt ganz anders! Unger, von jeher allen Bier-
0114häusern abhold, hatte sich eine besonders feine Restauration
0115empfehlen lassen, in der wir nach dem Theater uns stärken
0116sollten. Da saßen wir denn in einem unheimlich großen [2]
0117eleganten Saal („bei Mäder“) so gut wie allein. „Wer nie
0118sein Brot mit Thränen aß,“ so scherzte Unger jeden Morgen,
0119wenn er, in seinen Plaid gewickelt, beim Frühstück den
0120„Vergnügungsanzeiger“ studirte, in welchem Anpreisungen
0121von schmerzlosen Zahnoperationen u. dgl. den größten Raum
0122einnahmen. Einen gemeinschaftlichen Besuch machten wir
0123dem Schriftsteller Adolph Stahr und seiner Gattin Fanny
0124Lewald. Es fiel uns auf, daß die beiden artigen
0125und geistreichen Leute einander unausgesetzt bewunderten
0126und außerdem jedes auch sich selbst auf eigene Rechnung.
0127Mit großem Interesse hörte Unger auch eine Privat-
0128Production des berühmten Berliner „Domchors“, welche
0129Meyerbeer eigens für uns hatte veranstalten lassen. In den
0130Morgenstunden naschten wir von den Vorlesungen einiger
0131berühmter Professoren an der Universität. Am begierigsten
0132waren wir auf den großen Historiker Ranke, und von
0133ihm am wenigsten erbaut. Denn das war kein Vortrag,
0134sondern ein von mimischen Grimassen begleiteter, gemurmelter,
0135gelispelter, geächzter Monolog, von dem wir immer nur
0136einzelne Worte verstanden. Alexander v. Humboldt be-
0137kamen wir eines Morgens bequem zu sehen bei der feier-
0138lichen Enthüllung der Monumente von Gneisenau und
0139York. Desgleichen den Prinzen von Preußen, nachmaligen
0140Kaiser Wilhelm, an dem historischen Eckfenster seines eben-
0141erdigen Arbeitszimmers.


0142Nach vierzehn Tagen verließ ich Berlin, um rechtzeitig
0143zum Düsseldorfer Musikfeste einzutreffen. Unger blieb mehrere
0144Tage länger, seiner harrte noch ein großes Diner, mit
0145welchem, auf Savigny’s Anregung, die angesehensten Juristen
0146Berlins den Wiener Kritiker des „Entwurfes eines bürger-
0147lichen Gesetzbuches für Sachsen“ feiern wollten. Wie stolz
0148war ich auf meinen jüngeren Reisekameraden! Erst 26 Jahre
0149alt, zählte Unger damals schon zu den Notabilitäten der
0150deutschen Rechtswissenschaft. Seine außerordentliche geistige
0151Begabung stieg überraschend schnell und glänzend wie ein
0152Meteor in die Höhe — gottlob, nicht um zu erlöschen. Im
0153Gegentheil, sein großes Werk über das Privatrecht und seine
0154parlamentarischen Leistungen kamen jetzt erst an die Reihe.


0155Eine gemeinschaftliche Reise pflegt schneller und fester
0156zu verbinden, als jahrelanges, ununterbrochenes Neben-
0157einandergehen im Gewühle der Großstadt. So wirkte denn
0158unsere Berliner Reisekameradschaft noch jahrelang erfreulich
0159nach. Einige gesellige Mittelpunkte, die über das Wien der
0160Fünfziger- und Sechziger-Jahre ein warmes Licht verbreitet
0161haben, führen uns häufig zusammen. Es geschah dies haupt-
0162sächlich in den Salons der Familien Todesco,
0163Wertheimstein und Ladenburg. Da schaarten sich
0164regelmäßig um Unger Männer wie Leopold v. Hasner,
0165Professor Hlasiwetz, die Rechtsgelehrten Brinz und Adolph
0166Exner, die Maler M. v. Schwind und Engerth, die Dichter
0167Mosenthal und Bauernfeld, die Componisten Dessauer und
0168Esser. (Ich schreite durch eine Allee von Grabsteinen!)
0169Mit einer Art jugendlicher Zärtlichkeit hingen Bauern-
0170feld
und Dessauer — sie konnten seine Großväter
0171sein — an Unger. Dieser junge Professor bezauberte damals
0172Alles und Alle. Selbst seine sarkastischen Bonmots nahm
0173man nicht übel; sie waren gar zu hübsch, zeugten immer
0174für seinen Geist und nie gegen sein Gemüth. Nur einer
0175von den zahllosen köstlichen Einfällen möge, als weniger
0176bekannt, hier ein Plätzchen finden. Es hatte nämlich im
0177Abgeordnetenhause ein heiliger oder scheinheiliger Heiß-
0178sporn den Unterrichtsminister v. C. wegen der Ernennung
0179eines Juden zum Universitäts-Professor scharf interpellirt. Der
0180Minister antwortete unverzüglich, wie der gesunde Menschen-
0181verstand es ihm eingab, daß in solchem Falle die wissen-
0182schaftliche Tüchtigkeit zu entscheiden habe und nicht die Con-
0183fession. Ueberrascht von diesem freisinnigen Worte, brach
0184die gesammte Linke in anhaltenden Beifall aus. Das mag
0185dem erschreckten Unterrichtsminister sofort eine gemessene
0186Zurechtweisung eingetragen haben, denn er beeilte sich, gleich
0187in der nächsten Sitzung zu erklären, er sei offenbar mißver-
0188standen worden, denn bei aller Wichtigkeit der Wissenschaft
0189bleibe doch die Religion immer die Hauptsache u. s. w.
0190„Großartig!“ rief Unger aus. „Ein zweiter Martin Luther!
0191Hier stehe ich, Gott helfe mir, ich kann auch anders,
0192Amen.“


0193Noch eine verborgen blühende Specialität Unger’s
0194fesselte mich an ihm: sein musikalisches Talent. Hat er
0195überhaupt irgend ein Talent nicht besessen, ganz und gar
0196nicht? Ich glaube, Unger wäre ein großer Chemiker oder 
0197Bildhauer, ein berühmter Balletmeister oder Bischof ge-
0198worden, wenn er sich’s vorgenommen und Passion dafür
0199gehabt hätte. Mußte er doch als Knabe sich eines Tages
0200vor Liszt produciren, der ihm eine glänzende Virtuosen-
0201laufbahn in Aussicht stellte. Zu seinem und unserem Glück
0202hat Unger eine andere eingeschlagen. Wir haben manchmal
0203zusammen vierhändig gespielt, und da war es charakteristisch
0204für Unger’s lebhafte und nervöse Natur, daß er im Allegro
0205wie ein feuriger Renner dahinflog, im Adagio hingegen zu
0206keinem tief athmenden Behagen kam, sondern von innerem
0207Drange vorwärts getrieben wurde, gleichsam ungeduldig
0208nach dem, was weiter kommt. Einmal hat er sein sonst be-
0209scheiden rückhaltendes Musiktalent doch herausgekehrt, um mir
0210einen wesentlichen Freundschaftsdienst zu leisten. Es betraf meine
0211Bewerbung um eine außerordentliche Professur für Geschichte
0212und Aesthetik der Musik an der Wiener Universität. Ich hatte
0213durch einige Jahre als Privatdocent mit unbestrittenem Er-
0214folge Vorlesungen über Musikwissenschaft gehalten, so daß ein
0215Bedürfniß nach einer solchen Lehrkanzel, gerade in Wien,
0216der Musikstadt par excellence, kaum abzuleugnen war. Aber
0217die Bureaukraten, insbesondere vom Finanzministerium, er-
0218starrten bei diesem Gedanken. Da erbot sich mir Unger, zu
0219meinen Gunsten beim Unterrichtsminister Thun vorzu-
0220sprechen, dessen Vertrauen er in hohem Grade besaß. Er
0221bediente sich für sein Anliegen einer recht heiteren Ein-
0222kleidung. „Ich komme in einer musikalischen Angelegenheit,“
0223begann er. „So?“ unterbrach ihn ganz erstaunt der
0224Minister. „Ja, Excellenz, aber zuvor sollten Sie eigentlich
0225ein Clavier hieher schaffen lassen, damit ich Ihnen eine
0226Phantasie von Liszt oder Thalberg vorspielen und so meine
0227Vertrautheit mit musikalischen Dingen beweisen kann.“ Dazu
0228hat es glücklicherweise keines Instrumentes bedurft. Unger’s
0229Worte wirkten auf den Minister überzeugender, als das ge-
0230läufigste Clavierspiel.


0231Es steht mir nicht zu, Unger’s wissenschaftliche Leistungen
0232zu rühmen. Doch konnte ich gleichsam im Vorübergehen
0233mitunter einen Atemzug seiner geistigen Arbeit beobachten,
0234welcher so außerordentliche Resultate mir mit erklären half.
0235Zum Durchlesen irgend eines interessanten Buches, das ich
0236ihm lieh, bedurfte Unger kaum so viel Stunden, als ein

[3]


0237anderer Vormittage. Er schien immer zwei Druckseiten auf
0238Einmal zu überfliegen. Es war ein sehr schnelles und doch kein
0239oberflächliches Lesen. Nur durch die Gabe einer so raschen
0240und zugleich energischen Apperception konnte Unger zu seiner
0241unglaublichen Belesenheit gelangen in den verschiedensten
0242Fächern aller Literaturen. Nicht minder erstaunlich als diese
0243Aufnahmsfähigkeit war die spontane Gewalt seines Produ-
0244cirens. Ich besuchte ihn eines Morgens in seiner Jung-
0245gesellenwohnung im Münzamte, als er eben ein Capitel
0246seines epochemachenden Werkes über das Privatrecht dictirte.
0247Jeden Morgen hatte der Copist zur bestimmten Zeit einzu-
0248treffen; ein Stündchen vorher hatte Unger sein Pensum
0249überdacht, und nun dictirte er aus dem Kopf ganze Capitel
0250seines grundlegenden Werkes. Es klang wie eine Improvi-
0251sation und konnte doch sofort in die Druckerei abgehen,
0252nachdem Unger nur noch die bibliographischen Fußnoten mit
0253seiner kleinen nadelspitzen Schrift eigenhändig unter den
0254Text geschrieben. Wie durchschauerte es mich, wenn er Hieb
0255auf Hieb gegen gewisse „verpfuschte“ Partien unseres All-
0256gemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches führte, in dessen gläubiger
0257Verehrung ich auferzogen war.


0258Es ist begreiflich, daß so stürmische Schaffenskraft nicht
0259ewig sich in gleicher Fülle und Stetigkeit ergießen kann.
0260Unger hat in jungen Jahren seinem Genius allzu viel ab-
0261verlangt. Die Vorsicht gebot, den Strom doch allmälig zu
0262stauen. Seit zwanzig Jahren ist Unger mit keiner größeren
0263Arbeit hervorgetreten. Wer aber seine im Herrenhause gehaltenen
0264Reden aus dieser Zeit, wer die geist- und herzvollen, form-
0265vollendeten Nachrufe liest, die Unger seinen vorangegangenen
0266Freunden Julius Glaser und Adolph Exner in der
0267Neuen Freien Presse“ gewidmet, der wird darin die geistige
0268Frische aus Unger’s Jünglingsjahren unversehrt wieder-
0269gefunden haben. Kein Nachlassen der Kräfte, nur eine heil-
0270same Schonung derselben erklärt das langsamere Tempo
0271seiner Productivität in den letzten Jahren. Und daß sein
0272unruhiger Feuergeist diese von der Natur gebotenen Schranken
0273nicht jetzt noch im Schaffensdrang niederwerfe, das verdanken
0274wir der Sorgfalt und Liebe der großen schönen Frau, die
0275ihm der Himmel zur Lebensgefährtin gegeben. Möge sie ihn
0276noch lange behüten und beglücken!