Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 12171. Wien, Dienstag, den 12. Juli 1898
[1]W. J. v. Wasielewski’s Lebenserinnerungen.
0002Ed. H.*)
Vom Selbstbiographen erwarten wir, daß er
0006entweder Bedeutendes geschaffen oder daß er Bedeutendes
0007erlebt habe; am liebsten Beides. Wollte man diesen An-
0008spruch mit äußerster Strenge erheben, so gingen uns freilich
0009zahlreiche Autobiographien verloren, welche in bescheidenen
0010Grenzen viel Lehrreiches und Anziehendes bringen. Ins-
0011besondere Musiker-Biographien und speciell auch die uns vor-
0012liegende von Wasielewski. Derselbe hat als tüchtiger
0013Geiger und Orchester-Dirigent durch nahezu 40 Jahre im
0014deutschen Musikleben verdienstvoll gewirkt, nebstbei als Schrift-
0015steller einige Arbeiten von anerkanntem Werth geliefert.
0016Seine fleißig zusammengestellte „Geschichte der Violine und
0017des Violinspiels“ verdient schon als die erste ausführliche
0018Behandlung dieses Gegenstandes den Dank aller Musik-
0019freunde. Der einige Jahre später nachgeschickte schwächere
0020Band, „Geschichte des Violoncells“, hätte sich wol besser in
0021den Zusammenhang seines ersten eingefügt. Die Entwicklung
0022des Violoncellbaues geht ja mit jener der Geige parallel,
0023und die berühmtesten Geigenbauer haben auch die besten
0024Violoncelle verfertigt. Endlich ist die Zahl der hervorragenden
0025Violoncell-Virtuosen und der ausschließlich für dieses Instru-
0026ment thätigen Componisten kaum groß genug, um einen
0027eigenen Band zu füllen. Wasielewski’s bekanntestes und
0028wichtigstes Buch ist seine Schumann-Biographie, auf die
0029wir später zurückkommen.
0030W. J. v. Wasielewski (geboren 1822 bei Danzig,
0031gestorben 1897 in Sondershausen) hat seine vorliegenden
0032„Erinnerungen“ in späteren Jahren niedergeschrieben. Er
0033entgeht dabei nicht ganz der gewöhnlichen Versuchung, aus-
0034führlich eine Menge Dinge zu erzählen, welche ihn und
0035seine Familie, keineswegs aber einen größeren Leserkreis
0036interessiren. Wenn wir da nach einer historischen Einleitung
0037über die Stadt Danzig ausführlich zu lesen bekommen, wie der
0038kleine Wasielewski sich mit Wolfsmilch das Gesichtchen verbrannt
0039hat, wie er beim Baden einmal fast ertrunken wäre, wie ein
0040andermal ihm ein loser Fensterflügel auf den Kopf fiel und
0041dergleichen, so blättern wir ungeduldig weiter. Dergleichen
0042erzählt man gelegentlich seinen Angehörigen, aber drucken
0043läßt man’s nicht. Aehnlich verfährt der Verfasser mit den
0044Schilderungen seiner Erholungsreisen nach Rom, Neapel,
0045Brüssel, London, Paris. Wer heute von den Merkwürdig-
0046keiten dieser Städte nichts Neues, Eigenes zu berichten hat,
0047mag uns beruhigt der Führung Bädeker’s überlassen. Nur
0048dem Fachmann in Musik, Architektur, Malerei, Volkswirth-
0049schaft, oder dem Poeten hören wir heute noch zu, wenn er
0050von Italien oder Frankreich erzählt.
0051Lebhaftes Interesse gewährt uns hingegen der breite
0052mittlere Theil des Buches, worin Wasielewski seine musi-
0053kalischen Lehr- und Wanderjahre schildert, und den Ver-
0054kehr mit so vielen bedeutenden Tonkünstlern. Zuerst die
0055Leipziger Zeit. „Es gibt in Deutschland, vielleicht in der
0056Welt keinen besseren Ort für einen jungen Musiker als
0057Leipzig,“ schrieb Robert Schumann im Jahre 1846.
0058Mendelssohn, Schumann und dessen Gattin, Moriz Haupt-
0059mann, Ferdinand David, Hiller, Gade und Moscheles
0060wirkten dort; neben ihnen belebten in den Gewandhaus-
0061Concerten immer neue fremde Künstler und Künstlerinnen
0062das öffentliche Musiktreiben. Der 21jährige Wasielewski, der
0063schon als Knabe im väterlichen Haus sich als talentvoller
0064Geiger bewährt hatte, trat nun als Schüler ins Leipziger
0065Conservatorium. Unvergeßlich sind ihm Mendelssohn’s
0066Lectionen in der Composition und im Ensemblespiel. Von
0067Mendelssohn glaubt Wasielewski das Beste gelernt zu haben,
0068was im Conservatorium überhaupt zu lernen war. Mendels-
0069sohn besaß eine seltenste Gabe, sich ohne Umschweife über
0070alle beim Unterricht in Frage kommenden Punkte kurz, klar
0071und bestimmt auszusprechen. Der geläuterteste Geschmack
0072verband sich bei ihm mit stets zutreffendem Urtheil.
0073Auf die Frage eines rathlosen Schülers, wie es anzufangen
0074sei, einen Quartettsatz zu componiren, antwortete Mendels-
0075sohn: „Nehmen Sie ein Quartett von Haydn vor und
0076bilden Sie die Form nach. So hat es auch mein Lehrer
0077Zelter mit mir gehalten.“ Im Gewandhausconcert wirkte
0078Mendelssohn nicht blos durch seine eminente Directionsgabe,
0079sondern auch durch das geistige Uebergewicht seiner liebens-
0080würdigen Persönlichkeit. Alle Mitwirkenden fühlten den hin-
0081gebenden Ernst und die Pflichttreue dieses Mannes, Alle
0082unterordneten sich ihm gern und unbedingt. Man that
0083nicht blos seine Schuldigkeit, sondern war mit Lust und
0084Liebe bei der Sache. Im Gegensatze zu Mendelssohn lebte
0085R. Schumann in merklicher Zurückhaltung von der
0086Oeffentlichkeit. Bekanntlich verhielt er sich in Gesellschaft
0087Anderer sehr schweigsam und in sich versunken. Aber ein
0088hübsches Scherzwort weiß Wasielewski doch von ihm zu er-
0089zählen. Der als Concertmeister hochgeschätzte Ferdinand
0090David, der gern auch als Componist sich bemerkbar ge-
0091macht hätte, spielte eines Tages zum erstenmale Mendels-
0092sohn’s schönes Violin-Concert. „Siehst du, lieber David,“
0093sagte Schumann, ihm freundlich auf die Schulter klopfend,
0094„das ist so ein Concert, wie du immer com-
0095poniren wolltest.“ Mit schrankenloser, gefühlter Ver-
0096ehrung spricht Wasielewski an den verschiedensten Stellen
0097seines Buches von Frau Clara Schumann. „Wie
0098eine Priesterin,“ schreibt er, „waltet sie ihres Be-
0099rufes. Sie gehört zu der Aristokratie ihrer Auserwählten,
0100welche, ohne es zu wollen, Herrschaft über die Gemüther ausüben.“
0101In liebevoll charakterisirenden Schilderungen ziehen auch alle
0102übrigen hervorragenden Musiker des damaligen Leipzig an
0103uns vorüber: Der geistvolle, schweigsame Theoretiker Moriz
0104Hauptmann, der rührige Concertmeister David, der
0105würdige Altmeister Ignaz Moscheles, der rasch beliebte,
0106blondgelockte Däne Niels Gade, der sarkastische Capell-
0107meister Julius Rietz, der rücksichtslose Kritiker Hirsch-
0108bach und Andere. Auch von den berühmtesten Virtuosen
0109und Sängerinnen, welche als Gäste im Gewandhaus glänzten,
0110gibt uns der Verfasser anziehende Porträts oder doch scharf-
0111gezeichnete Silhouetten. Am eingehendsten und liebevollsten
0112beschäftigt er sich mit Joseph Joachim, der, erst zwölf-
0113jährig, mit einer vollendet durchgebildeten Geigentechnik nach
0114Leipzig kam und in einem von der Viardot-Garcia veran-
0115stalteten Abendconcert gleich die größte Aufmerksamkeit er-
0116regte. Es folgen die Geiger Ernst, Bazzini, H. Léo-
0117nard, Lipinski, die Schwestern Milanollo, die
0118Claviervirtuosen Liszt, Dreyschock, Charles Mayer,
0119Mortier, Reinecke; die Cellisten Servais und
0120Romberg, der Harfenspieler Parish-Alvars und [2]
0121Andere. Diese Künstlerporträts, deren Reihe mit der
0122Schröder-Devrient und Jenny Lind abschließt,
0123machen Wasielewski’s „Erinnerungen“ zu einer anziehenden
0124Lectüre und nicht unwichtigen Illustration der deutschen
0125Musikgeschichte in dem Decennium 1840 bis 1850.
0126Eine bedeutungsvolle Wendung in der Laufbahn Wasie-
0127lewski’s tritt mit dem Jahre 1850 ein. Im Herbst dieses
0128Jahres hatte Schumann die Stelle eines städtischen
0129Musikdirectors in Düsseldorf angenommen und dort
0130das Engagement Wasielewski’s als Primspieler im
0131Orchester durchgesetzt. „Die Direction der Concerte,“ schreibt
0132er an diesen, „wird Alles thun, daß wir Sie hieher bekom-
0133men, und wie es uns, mich und meine Frau, freuen würde,
0134brauchen wir Ihnen nicht zu sagen.“ Die Düsseldorfer Ge-
0135selligkeit, insbesondere in den Malerkreisen, bot viel An-
0136regendes. Aber „die innerlich befriedigendsten und werthvollsten
0137Erlebnisse“ knüpften sich für Wasielewski an den regen Verkehr
0138mit dem Schumann’schen Künstlerpaar. Schumann sah
0139es gern, wenn Wasielewski täglich gegen 12 Uhr bei ihm vor-
0140sprach, um ihn zu einem Spaziergang abzuholen. Wenn
0141Wasielewski Vormittags verhindert war, so holte er das Ver-
0142säumnis zwischen 5 und 6 Uhr nach, bis zu welcher Zeit
0143Schumann zu arbeiten pflegte, und blieb dann ein
0144Stündchen bei ihm. Bei einer Cigarre theilte Schumann
0145dem jüngeren Genossen Mancherlei aus seinem Leben mit.
0146Der tägliche intime Verkehr im Schumann’schen Hause brachte
0147Wasielewski auch Frau Clara persönlich näher. Er preist sie
0148als eine „außerordentliche Erscheinung, nicht nur als
0149Künstlerin, sondern auch als sorgende Gattin, Mutter und
0150musterhafte Repräsentantin ihrer Häuslichkeit“. Der Enthu-
0151siasmus, den ihre Leistungen jederzeit hervorriefen, erfreute
0152sie wol, gewährte ihr aber an sich allein keine wirkliche Be-
0153friedigung. Es gab für sie noch eine höhere Instanz, und
0154diese Instanz war ihr Gatte. Erst wenn derselbe nach be-
0155endigtem Vortrage ihr freundlich zunickte oder zu ihr kam,
0156empfand sie volle Genugthuung. Verhielt sich Schumann
0157aber einmal passiv, so bemächtigte sich ihrer große Nieder-
0158geschlagenheit und sie konnte dann Thränen vergießen. Im
0159Jahre 1852 folgte Wasielewski einem Rufe nach Bonn, wo er
0160einen größeren Wirkungskreis, namentlich als Dirigent, vorfand.
0161Schumann verlor ihn sehr ungern. Auch von Frau Clara erhielt
0162Wasielewski einen sehr freundlichen Brief, worin sie ihr und
0163ihres Gatten Bedauern über seine Abreise aussprach. Sie
0164fügte hinzu, daß sie um Schumann’s willen gerne auch
0165Düsseldorf verlassen möchte, denn schon war dem Meister der
0166Aufenthalt dort verleidet. Er sah sich bereits um eine andere
0167Stellung um und erkundigte sich brieflich bei dem Capell-
0168meister Hermann in Sondershausen nach den dortigen Ver-
0169hältnissen. Gleichzeitig schrieb er an Bruyck: „Nach Wien
0170möchte ich gern, wenn sich dort irgendwie ein Dirigenten-
0171Wirkungskreis vorfände.“ Schumann blieb indessen in
0172Düsseldorf, da sich ihm keine Aussicht auf eine andere Stel-
0173lung eröffnete. War es doch nur zu bald bekannt geworden,
0174daß Schumann’s stilles, träumerisches Wesen nicht zum
0175Dirigenten taugt. Obendrein steigerte sein Nervenleiden sich
0176in so beängstigendem Grade, daß Schumann in die Heil-
0177anstalt zu Endenich gebracht werden mußte. Von dort kam
0178uns die erschütternde Trauerkunde von seinem Dahinscheiden
0179am 26. Juli 1856.
0180Wasielewski war schon früher mit dem Gedanken um-
0181gegangen, eine Biographie Schumann’s zu schreiben. Zwei
0182von Schumann eigenhändig geschriebene Hefte mit biogra-
0183phischen Aufzeichnungen hat er von diesem selbst empfangen.
0184Von Schumann’s Verwandten, Jugend- und Studienfreunden
0185erhielt er nun auch eine große Anzahl von Briefen Schu-
0186mann’s und sonstiges Material. So konnte er denn bald
0187diesen reichlich angesammelten Stoff zu seiner Schumann-
0188Biographie verarbeiten, welche rasch drei Auflagen erlebte.
0189Sie ist die erste gewesen und bis heute unentbehrlich geblieben
0190zur Kenntniß Schumann’s.
0191Bald nach dem Erscheinen von Wasielewiki’s Buch schrieb
0192ich darüber zwei Feuilletons und erhielt von Frau Schu-
0193mann, die inzwischen in Wien eingetroffen war, nachstehen-
0194des vom 15. Januar 1859 datirtes Billet: „Geehrter Herr
0195Doctor! Wollen Sie freundlich entschuldigen, wenn ich Sie
0196hiedurch bitte, mir einige Ihrer schönen Artikel über meinen
0197Mann, von denen man mir so viel erzählt, zukommen zu
0198lassen. Es würde mir eine Freude sein, sie zu lesen, und
0199weiß ich auf andere Weise nicht, sie zu bekommen, als durch
0200Sie selbst. Herr v. Holtei in Graz versicherte mich, daß
0201Sie meine Bitte nicht unbescheiden finden würden. Ich
0202wohne in der „Kaiserin Elisabeth“, Weihburggasse und bleibe
0203noch bis 18. oder 20. hier. Mit freundlichem Gruß ver-
0204bleibe ich Ihre ergebene Clara Schumann.“
0205Ich beeilte mich, ihr die beiden Feuilletons zu über-
0206reichen, nicht ahnend, daß sie in mein Verhältniß zu der ver-
0207ehrten großen Künstlerin einen Mißton bringen würden,
0208welcher lange nachzitterte. Niemals hatte ich an die Möglich-
0209keit gedacht, sie zu verletzen. Ist mir doch häufig zu viel
0210Enthusiasmus für Schumann vorgeworfen worden, niemals
0211zu wenig. Auch jene Artikel waren mit unverhohlener Liebe
0212geschrieben. In den thatsächlichen Angaben freilich mußte
0213ich mich gewissenhaft an Wasielewski halten, der ja so genau
0214mit Schumann’s letzter Periode und mit den Düsseldorfer
0215Verhältnissen vertraut war. So citirte ich denn wörtlich den
0216Satz, daß mit Rücksicht auf Schumann’s jede Dirigenten-
0217Thätigkeit lähmendes Nervenleiden seine Enthebung von der
0218Concert-Direction im Herbste 1853 beschlossen worden war.
0219Frau Schumann schrieb mir darüber (aus Brünn 19. Januar
02201859) folgenden Brief:
0221„Geehrter Herr Doctor! Sie wundern sich ge-
0222wiß, von hier aus diese Zeilen von mir zu erhalten; da ich
0223jedoch in Wien auch nicht so bald Gelegenheit finden dürfte,
0224Sie zu sprechen, so will ich so schnell wie möglich mein
0225Herz erleichtern.
0226Ich habe Ihren Aufsatz über meinen Mann gelesen,
0227dem man die freundliche Gesinnung für den Verewigten
0228wohl anfühlen kann, umsomehr aber erfüllte es mich mit
0229Schmerz, eine Unwahrheit darin zu finden, die Sie aller-
0230dings nicht wissen konnten, jedoch als Freund des Theuern
0231nicht hätten wiedergeben sollen, bevor Sie nicht genauere
0232Erkundigungen darüber eingezogen. Ich meine die Stelle,
0233wo Sie von der Wirksamkeit desselben als Dirigent sprechen
0234und damit schließen, daß man ihn seiner Stelle enthoben.
0235Es ist dies durchaus unwahr. Mein Mann ging damit
0236um, die Stelle freiwillig niederzulegen, als ihn die traurige
0237Krankheit ereilte, aber selbst nach dem stand man in Düssel-
0238dorf lange an, einen andern Dirigenten anzustellen, weil
0239man immer hoffte, er werde wieder genesen und dann fähig
0240sein, wieder seine Functionen zu versehen. Mir zahlte man [3]
0241sogar den Gehalt fort, gewissermaßen um mir zu zeigen,
0242daß man sich seiner durchaus nicht zu entäußern denkt. War
0243es auch wahr, daß sein ganzes Wesen ein zu tief innerliches
0244war, um ein ausgezeichneter Dirigent sein zu können,
0245so würden Sie doch genauere Nachforschungen über
0246seine Wirksamkeit als solcher überzeugen müssen, daß
0247man noch jetzt mit Enthusiasmus vieler Genüsse
0248gedenkt, die seine Begeisterung dem Publicum in den ersten
0249Jahren, wo er noch kräftig und nicht durch gemeinste Intri-
0250guen tief gekränkt, geschaffen. Solche Intriguen aber wurden
0251schon früher gegen Mendelssohn verübt, können also für die
0252Fähigkeiten des Dirigenten keineswegs maßgebend sein. Ich
0253weiß nicht, ob Ihnen diese Irrungen durch Wasielewski
0254gekommen, denn ich las das Buch nie, weil ich der
0255Ueberzeugung bin, daß ein Charakter wie Wasielewski, dem
0256mein geliebter Mann in seiner unaussprechlichen Milde und
0257Güte nur gar zu viel traute, nie auch nur eine Ahnung
0258haben könne von solch herrlichem Gemüthe, noch von seiner
0259schöpferischen Kraft, die zu begreifen er viel zu geringe
0260musikalische Begabung und zu wenig Kenntnisse hat, nicht
0261zu gedenken des mangelnden Gefühles. Ich glaube, so wie
0262ich Sie kenne, keine Fehlbitte zu thun, wenn ich Sie bitte,
0263die Sache in einer Notiz zu berichtigen; ist Ihnen mein
0264Wort nicht genügend, so bin ich bereit, Ihnen schriftliche
0265Beweise von Düsseldorf zu liefern; freilich leidet dann mein
0266Herz länger den schmerzlichen Druck, den theueren Mann
0267mit einer Unehre behaftet zu wissen, die ihm, dem Himmel
0268sei Dank, nie widerfahren. Sie begreifen, daß jede Säum-
0269niß, dies zu lichten, mir schwer auf der Seele lastet und
0270entschuldigen daher mein Drängen.
0271Ueber manches Andere in Ihrem Aufsatze gelegentlich
0272mit Ihnen zu sprechen, wäre mir erwünscht, ich meine, es
0273müßte mir gelingen Sie einiger anderer kleiner Ungerechtig-
0274keiten zu überweisen. Glauben Sie mir, ich war nie blind
0275für meinen Mann als Künstler, was ich wohl am deutlichsten
0276dadurch beweise, daß ich, dem Umfange nach, bedeutende
0277Werke aus dem Nachlasse, trotz allen Drängens der Ver-
0278leger, zurückhalte, dennoch bin ich der Ueberzeugung, daß
0279ihm oft Unrecht geschieht, wenn man seine dritte Schaffens-
0280periode eine herabsinkende nennt — mir scheint sie
0281nur eine hie und da abweichende — doch ich verliere mich
0282zu weit; lieber lassen Sie uns einmal in Ruhe darüber
0283sprechen — richten freilich kann nur die Zeit! Bitte
0284geben Sie mir nur ein paar Worte Antwort betreffs meines
0285Ansuchens und seien Sie freundlich gegrüßt von Ihrer
0286ergebenen Clara Schumann.“
0287Unverzüglich veröffentlichte ich die von Frau Schumann
0288gewünschte Berichtigung, und zwar mit dem Beifügen, daß
0289ich ihre Autorität in allen Schumann betreffenden That-
0290sachen als entscheidend ansehe. Ich konnte die Bemerkung
0291nicht unterdrücken, wie gut es wäre, wenn sie das nur vom
0292Hörensagen ihr bekannte Buch Wasielewski’s zur Hand
0293nehmen und, was unrichtig darin, mir anzeichnen wollte.
0294Gewiß werde man dann in strittigen Fällen ihrem Aus-
0295spruch glauben. Alle Verehrer Schumann’s müßten ihr
0296Dank dafür wissen, daß sie dem Andenken ihres Gatten
0297zuliebe ihre Wehleidigkeit überwinde und endlich das Buch
0298selbst durchlese. Diese Zumuthung und der vielleicht unglück-
0299lich gewählte Ausdruck „Wehleidigkeit“ — ich wüßte auch
0300heute keinen anderen — hat leider Frau Schumann in
0301heftige Aufregung versetzt. Das wurde mir von ihren
0302Freunden sehr nachdrücklich mitgetheilt. Der so schmerzlich
0303geprüften edlen Frau eine Ungerechtigkeit aus Liebe verübeln
0304zu wollen — von dieser noch schlimmeren Ungerechtigkeit
0305wußte ich mich frei. Trotzdem durfte ich fürchten, mein
0306Besuch werde ihr jetzt nicht willkommen sein. Nur meine
0307Berichte über ihre gleichzeitig in Wien gegebenen Concerte
0308sollten sie überzeugen, daß ich in der Verehrung für Schu-
0309mann und für sie selbst Niemandem nachstehe. Das mochte
0310sie milder gestimmt und zu nachstehendem Briefe an mich
0311(vom 7. Februar 1859) veranlaßt haben:
0312„Geehrter Herr Doctor! Von Herrn v. Schmuttermeyer
0313erfahre ich heute, daß Mißverständnisse verschiedener Art sich
0314zwischen uns gestellt. Solche auf sich beruhen zu lassen, ist
0315nicht meine Art; ich spreche mich lieber offen aus, wie ich’s
0316meine. Sie haben sich über mein Schreiben von Brünn aus
0317gekränkt — ich glaubte Ihnen durch dasselbe einen Beweis
0318meines Vertrauens zu geben. Ich schrieb Ihnen über
0319Wasielewski, ich zeigte Ihnen mein Herz voll des Schmerzes
0320über die dem Theuren widerfahrene Ungerechtigkeit, und
0321Sie antworten mir — und nannten meine Empfindungen
0322„Wehleidigkeit“. Bei ruhiger Ueberlegung müssen Sie doch
0323zugeben, daß dies verletzend für mich sein mußte und mir
0324höchst unerwartet käme, weil ich mich der Hochschätzung
0325Ihrerseits versichert hielt, wenngleich Sie sich immer ferne
0326hielten, was mir aufrichtig leid that, und umsomehr, als
0327auch mein theurer Mann Sie so hochschätzte. Haben Sie
0328von meiner Seite mehr Aufforderung, mich zu besuchen, er-
0329wartet, so war es sicher nur Zurückhaltung, die man einer
0330Frau wol verzeihen kann. Habe ich mich nicht dankend
0331gegen Sie ausgesprochen, daß Sie sich immer so wohlwollend
0332über mich geäußert, so war auch dies Zurückhaltung, ich
0333hätte Ihnen meine Freude darüber geradezu am dritten
0334Orte aussprechen müssen. Daß ich aber Ihre Gesinnung
0335für mich kannte und werth hielt, bewies ich durch meinen
0336vorigen Brief, und dieser mag Ihnen ein Beweis sein, wie
0337sehr ich überzeugt bin, daß Sie mir nicht haben weh thun
0338wollen. Hätte ich Sie zuweilen bei mir gesehen, was mir
0339eine wahre Freude gewesen wäre, ich glaube, es wäre das
0340Alles nicht so gekommen. Offenbar haben auch Leute sich
0341bemüht, Ihnen eine solche Idee von mir beizubringen, wie
0342es solche ja genug hier gibt. Vielleicht spreche ich Sie
0343einmal in Ruhe, und ich denke, was noch zwischen uns Irr-
0344thümliches waltet, wird dann bald geschlichtet sein. Sie freund-
0345lichst grüßend verbleibe ich Ihre ergebene Clara Schumann.“
0346Dankbar ergriff ich die versöhnend mir gereichte Hand,
0347und habe seither Frau Clara, der zu begegnen mir noch oft
0348vergönnt war, stets gleich freundschaftlich gefunden bis an
0349ihr Ende. Ihre Briefe habe ich hier mitgetheilt, weil sie
0350mir zur Geschichte von Wasielewski’s Buch zu gehören
0351scheinen. Sie können heute, nach fast vierzig Jahren, Nie-
0352manden mehr verletzen. Ebensowenig vermögen sie die an-
0353erkannten Vorzüge der Schumann-Biographie von Wasie-
0354lewski zu tilgen oder zu vermindern. Seine nachgelassenen
0355„Lebenserinnerungen“ enthalten, wie wir gesehen, so viel
0356neue schöne Beweise seiner Pietät und Verehrung für Schu-
0357mann, daß sie wol auch Frau Clara zu Gunsten des Ver-
0358fassers umstimmen könnten, wenn sie das Buch noch er-
0359lebt hätte.