Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 13787. Wien, Dienstag, den 13. Januar 1903
[1]Musik.
Fünftes Philharmonisches Concert. — Briefwechsel zwischen Robert und Clara Schumann.
0003Ed. H. Volkmann’s Ouvertüre zu Shakespeare’s
0004„Richard III.“ ist durch wiederholte Aufführungen in den
0005Philharmonischen Concerten bekannt. Das eng, fast ängst-
0006lich dem Verlauf der Tragödie sich anschließende Werk
0007würde nach meiner Empfindung als Ouvertüre vor einer
0008wirklichen Bühnenaufführung viel kräftiger und verständ-
0009licher wirken. Als Concertstück macht es trotz geistvoller
0010Einzelheiten doch den Eindruck des Fremdartigen, Un-
0011zusammenhängenden. Obendrein lastet der trübe, schwere
0012Nebel dieser Harmonien lange und empfindlich auf dem
0013Zuhörer, besonders während des durch 20 Tacte in gleichen
0014halben Noten dahinschleichenden „Andante sostenuto“.
0015Wenn dann urplötzlich mit Trommeln und Querpfeifen
0016das lustige Kriegslied in D-dur erklingt, so begrüßt man
0017es fast wie eine Erlösung — freilich nicht ohne den Neben-
0018gedanken, daß dies Bühnenmusik sei... Einen freundlich
0019milden, fast zu harmlosen Gegensatz zu dem wilden
0020Richard III. bot eine Novität unseres Ignaz Brüll:
0021„Andante und Allegro, Concertstück für Clavier und
0022Orchester.“ Viel Neues, Ueberraschendes bringt uns das
0023Stück nicht, am wenigsten in dem allzu gleichmäßig
0024rhythmisirten Andante. Frischer und glänzender klingt das
0025Allegro, schon durch den häufigeren Tactwechsel und das
0026lebendig einströmende Passagenwerk des Claviers. Man
0027kennt Brüll als unvergleichlichen Claviervirtuosen im
0028edelsten Sinne dieses Wortes. Der vortreffliche
0029Concertflügel von Ehrbar (dessen Namen sowol der
0030Concertzettel als das Handprogramm auffallenderweise ver-
0031schwieg) kam dem ebenso kräftigen wie gesangvollen
0032Anschlag Brüll’s ganz besonders zu statten. Vom Publicum
0033herzlich empfangen, wurde Brüll, der Componist der
0034Novität und Liebling der Wiener vom „Goldenen Kreuz“
0035her, wiederholt stürmisch gerufen. ... Den Beschluß des
0036Concertes machte R. Schumann’s oft gehörte Es-dur-
0037Symphonie, unter Hellmesberger’s sorgfältiger Leitung.
0038Nur mit halber Aufmerksamkeit, offen gestanden, bin
0039ich der Aufführung der Symphonie gefolgt — die andere
0040Hälfte hielt Schumann selbst gefangen. Eben vertieft
0041in das von B. Litzmann herausgegebene köstliche
0042Buch „Clara Schumann“, mußte ich während der
0043Symphonie unausgesetzt an Robert und Clara denken.
0044Das Bild dieser beiden unvergeßlichen Künstler, mit
0045denen mir wiederholt herzlicher Verkehr vergönnt ge-
0046wesen, spiegelte sich mir leuchtend auf den Tonwellen der
0047Symphonie. Die Leser der „Neuen Freien Presse“ kennen
0048den herrlichen Aufsatz Victor Widmann’s über „Clara
0049Schumann’s Mädchenjahre“. Weder auf dem Titelblatt
0050der Biographie noch in dieser selbst erwähnt, scheint
0051mir Widmann dennoch nicht ganz ohne Einfluß darauf
0052geblieben. Als vertrauter Freund Brahms’, dem er
0053ein schönes literarisches Denkmal gesetzt,*)
stand Widmann
0056auch der Schumann’schen Familie nahe. Soeben sendet er
0057mir eine Photographie der von Clara’s Töchtern Marie
0058und Eugenie Schumann bewohnten Villa in Interlaken.
0059Dort ist der Plan zur Veröffentlichung des Briefwechsels
0060zwischen Robert und Clara zur Reife gediehen. Die musi-
0061kalische Welt, ja auch die nichtmusikalische, dankt es den
0062Töchtern Schumann’s, daß sie diesen lang gehüteten Schatz
0063jetzt freigegeben haben. Weder Robert noch Clara konnten
0064ahnen, daß ihre intimen, nur für einander bestimmten
0065Briefe je einem Dritten zu Gesicht kommen
0066würden; so echt und rückhaltlos sprechen sie
0067sich darin aus, wie sie es im Leben gegen die
0068besten Freunde nicht gethan. Beide zeigen sich uns da von
0069neuen Seiten. Zunächst Robert Schumann, der Schweig-
0070same, Nachdenkliche. Von seiner überquellenden Wärme und
0071Beredtsamkeit gewinnt man erst aus diesen Briefen eine
0072Vorstellung. Im Leben mußte man oft seinen so freund-
0073lichen Blick und langen Händedruck für seine stockende
0074Rede hinnehmen. Schreibt doch Clara selbst in ihrem
0075Tagebuche von 1840: „Den 4. April ging ich mit Robert
0076nach Connewitz. Mir ist doch nie so wohl, so heimisch,
0077als wenn ich mit ihm gehe! Er braucht gar nicht zu
0078reden — ich mag ihn so gern nur sinnend, und möchte
0079ihm jeden Gedanken ablauschen! Und wenn er mir leise
0080einmal die Hand drückt, dann bin ich ganz beglückt im
0081Innersten — ich fühle dann so ganz, daß ich sein
0082Liebstes bin.“
0083Clara vollends rückt durch ihre Briefe in ein neues
0084verklärendes Licht. Im täglichen Verkehr hatte ihr Wesen,
0085namentlich ihre Sprache, für meine Empfindung, etwas
0086vorherrschend Verständiges, ja mitunter Kaltes, Scharfes,
0087das mit nervöser Aufgeregtheit wechselte. Ihren Robert
0088schrankenlos bewundernd, als Menschen und Künstler, ver-
0089mochte sie nicht das leiseste, achtungsvollste Bedenken gegen
0090ihn zu ertragen. Von meiner schwärmerischen Verehrung
0091für ihn durch jahrelange Proben überzeugt, nahm sie es
0092mir doch sehr übel, daß ich in seinen letzten Compositionen
0093eine Schwächung seiner Erfindungskraft, eine Ermüdung
0094seiner Phantasie wahrnahm — worüber heute wol kein
0095Streit mehr besteht. „Die Düsseldorfer Werke meines Mannes,“
0096wiederholte sie nachdrücklich, „sind durchaus nicht schwächer
0097als die früheren, sie sind nur anders.“ Schlimmer [2]
0098noch nahm sie meinen Artikel über Wasielewsky’s Schu-
0099mann-Biographie auf, aus welcher ich die Stelle citirte,
0100Schumann sei in Folge seiner anhaltenden Krankheit von
0101der Düsseldorfer Musikgesellschaft seiner Dirigentenstelle
0102enthoben worden. Clara war gewiß im Recht, wenn sie
0103diese Nachricht für falsch erklärte; aber nicht mich, sondern
0104Wasielewsky trifft die Schuld. „Wasielewsky,“ eiferte sie,
0105„hatte gar keine Ahnung von dem Charakter und der Be-
0106deutung meines Mannes; sein Buch steckt voller Falsch-
0107heit und Irrthum.“ Natürlich äußerte ich den Wunsch,
0108Clara möchte das Buch, das sie gar nicht angesehen, doch
0109lesen: jede von ihr kommende Widerlegung würde ja als
0110alleinige Wahrheit für immer entscheidend sein und bleiben.
0111Dieser Vorschlag machte sie aber vollends böse. Nichts
0112wolle sie lesen, nichts hören, was nur den geringsten
0113Zweifel an Schumann enthalten könnte.
0114Diese standhafte innige Pietät für ihren Mann kommt
0115vollständig erst in den neu veröffentlichten Briefen zu ent-
0116zückendem, ja großartigem Ausdruck. Jetzt erst lernen wir
0117diese seltene Frau ganz kennen und lieben. Jetzt erst erfahren
0118wir, mit welch beispielloser Härte und Ungerechtigkeit der
0119alte Wieck die beiden Liebenden verfolgt und zu trennen
0120versucht hat. Fast noch ein Kind lernte Clara ihren
0121Robert Schumann kennen und lieben. Niemals hat sie, die
0122Vielgefeierte, für irgend einen andern Mann ein leb-
0123hafteres Interesse empfunden. Still und heimlich ver-
0124lobte sich die Fünfzehnjährige mit Schumann. Die
0125Beiden hielten fest zu einander, nachdem Clara’s
0126Vater sie grausam getrennt und Robert das Haus
0127verboten hatte. Während einer Ewigkeit von drei Jahren
0128sahen sie einander nur flüchtig für zwei bis drei Tage: in
0129Leipzig, Berlin, Zwickau. Es blieb ihnen allein der fleißige
0130Briefwechsel; der denkbar innigste, dabei reinste, un-
0131schuldigste. Robert, dessen Temperament ohnehin zur
0132Melancholie neigte, konnte schmerzlichen Ahnungen und
0133Sorgen nicht wehren; immer ist es Clara, die ihn be-
0134ruhigt, ermuntert, aufrichtet. Immer schmerzlicher, immer
0135gefährlicher wird die lange Trennung mit der steigenden
0136Erbitterung von Clara’s Vater, der sogar ihr durch
0137Concertreisen erworbenes ganzes Vermögen sich aneignen
0138wollte als Entschädigung für die ihr ertheilten tausend
0139Unterrichtsstunden! Im Herbst 1838 schreibt sie an Robert:
0140„Schwer wird mir die Trennung vom Vater werden, viel
0141werd’ ich kämpfen müssen, doch die Liebe gibt mir
0142Kraft zu Allem. Ist die Zeit da, dann auch
0143ich! ... Nun wir wollen recht viel an einander denken,
0144und gleich jetzt geb’ ich dir die Hand auf Erneuerung unserer
0145Verlobung. Auch dein Ring blieb rein und nur berührt
0146von deinen Küssen. Wie doch die Zeit vergeht! Also ein
0147Jahr sind wir nun bald verlobt? ... Wie macht einem
0148die Liebe auch so empfänglich für alles Schöne; die
0149Musik ist jetzt ein ganz anders Ding für mich, als ehe-
0150mals. Wie selig, wie sehnsüchtig stimmt sie; es ist un-
0151beschreiblich. Ich könnte mich aber jetzt zuweilen aufreiben
0152am Clavier; mein Herz macht sich Luft in den Tönen.
0153Ach, wie schön ist doch die Musik, so oft mein Trost,
0154wenn ich weinen möcht’.“ Und ein Jahr später, am Syl-
0155vesterabend 1839: „Den Neujahrskuß lass’ dir geben, mein
0156geliebter Robert! Mit welchen Gefühlen ich das neue Jahr
0157betrete, kann ich dir nicht sagen; es sind freudige, aber
0158auch ernste. Ich soll dir nun bald ganz angehören, das
0159erregt mich freudig, mein ganzes Lebensglück liegt dann
0160aber auch in deiner Hand. Ein unbegrenztes Vertrauen
0161hab’ ich zu dir, du wirst mich ganz beglücken, aber auch
0162ich will dir immer von ganzer Seele ergeben sein; mein
0163ganzes Sinnen und Trachten ist ja dein Glück. Gib mir
0164deine Hand, mein Robert, treu will ich mit dir durchs
0165Leben gehen, Alles mit dir theilen, und kann ich es, dir
0166auch eine gute Hausfrau sein. ... Ach, ich liebe dich ja so
0167innig, so ganz unendlich! Bald dein glückliches Weib, deine
0168Clara.“
0169Würden die Briefe blos von Sehnsucht und Liebe sprechen,
0170sie könnten bei aller Innigkeit vielleicht doch bald ermüden.
0171Aber dem ist nicht so; Hand in Hand mit der Herzens-
0172neigung Clara’s und Robert’s geht ein zweiter Cultus:
0173die Musik. Sie, „die holde Kunst“, hat die Beiden zu-
0174erst einander genähert, verbunden, und hält sie fest ver-
0175eint durchs ganze Leben. Von musikalischen Erlebnissen ist,
0176wenn auch oft nur flüchtig, in fast allen Briefen die
0177Rede; insbesondere in jenen Clara’s, die auf ihren Kunst-
0178reisen so viel Musik und Musiker kennen lernte. Von
0179Liszt (der auch Schumann’s Herz in Leipzig erobert)
0180schreibt sie aus Berlin: „Als ich Liszt das erstemal in
0181Wien hörte, da konnte ich’s nicht mehr aushalten, da habe
0182ich (bei Graf war es) laut geschluchzt, so hatte es mich
0183erschüttert. Kommt es dir nicht auch vor, als wollte er am
0184Clavier untergehen, und dann wieder, wenn er zart
0185spielt, ist es himmlisch. Ach ja, sein Spiel steht noch
0186ganz lebhaft vor meiner Seele. Gegen Liszt kommen
0187mir doch alle Virtuosen so klein vor, selbst Thalberg, und
0188mich — mich sehe ich gar nicht mehr. Nun, ich bin doch
0189glücklich, ich verstehe doch alle Musik — das ist mir mehr
0190werth, als all mein Spiel, und in dir, in deiner Musik,
0191bin ich selig.“ Dann vertraut sie in Leipzig ihrem Tage-
0192buch: „Liszt ist so liebenswürdig, daß ihn Jeder lieb ge-
0193winnen muß. Seine Unterhaltung ist voll Geist und Leben,
0194auch ist er wohl kokett, das vergißt man aber ganz und
0195gar. Ich mußte ihm auch Einiges spielen, ich that’s aber
0196mit wahrer Seelenangst. Im Uebrigen fühlte ich mich gar
0197nicht befangen in seiner Nähe, wie ich vorher befürchtet
0198hatte; er selbst bewegt sich so ungenirt, daß sich Jeder in
0199seiner Gesellschaft wohl fühlen muß. Lange aber könnt’ ich
0200nicht um ihn sein; diese Unruhe, dies Unstete, diese große
0201Lebhaftigkeit, das Alles spannt Einen sehr ab.“ In Berlin
0202genoß Clara das wiederholte Zusammensein mit
0203Mendelssohn. Lange hatte sie ihn nicht gehört
0204und stand nun aufs neue ganz beglückt und doch
0205zugleich bedrückt unterm Banne seiner unvergleich-
0206lichen Meisterschaft: „Seit ich Bach’s Cis-moll-Fuge
0207neulich von Mendelssohn gehört, ist mir ein neues Licht
0208aufgegangen. Mendelssohn spielte sein Trio und das G-moll-
0209Quartett von Mozart. Er spielte meisterhaft und so feurig,
0210daß ich mich wirklich in einigen Momenten nicht der
0211Thränen enthalten konnte. Er ist mir doch der liebste
0212Spieler unter Allen!“ Nach der Lectüre von Schumann’s
0213Aufsatz über die Siebente Symphonie von Schubert
0214ruft sie aus: „Leben wir doch noch! Es erfüllt Einem so [3]
0215mit Wehmuth, daß er es nicht erlebte, so anerkannt zu
0216werden wie jetzt. Ich kann sagen, mich hat doch ein ganz
0217eigenes Gefühl übermannt, als ich an seinem und Beet-
0218hoven’s Grabe stand. Wie innige Freunde müßtet ihr
0219sein! ...“ In Leipzig feierte die schöne und kokette Clavier-
0220Virtuosin Camilla Pleyel große Triumphe; man machte
0221Clara Angst vor dieser Rivalin. Da schreibt Clara in ihr
0222Tagebuch: „Ich lebe nur für Einen, und möge ihm nur die
0223Welt Gerechtigkeit widerfahren lassen — das sollte meine
0224höchste Freude sein. Daß ich in der Welt nie ein großes
0225Glück machen kann, ist mir klar geworden. Ich besitze nicht
0226die Persönlichkeit, die dazu gehört, will sie aber auch nicht
0227besitzen. Ich habe recht lange für mich geweint heute, ich sehne mich
0228gar zu sehr nach Robert und nach Ruhe.“ Ganz glücklich
0229macht sie die Zusendung der „Novelletten“ von Schumann.
0230Sie findet immer wieder neue Schönheiten darin. „Geist,
0231Gemüth, Humor, größte Zartheit, Alles vereint sich darin;
0232der feinsten Züge sind unendliche darin. Man muß ihn
0233kennen wie ich, und man wird sein ganzes Ich in seinen
0234Compositionen allen finden. Die Zeit wird noch kommen,
0235wo die Welt ihn erkennen wird ..., aber spät wird sie
0236kommen. ...“ In Paris wird ihr die freundlichste Be-
0237grüßung von dem alten Cramer, dem Etuden-Cramer.
0238„Es ist ein sehr liebenswürdiger alter Mann,“ berichtet sie
0239an Robert, „doch sehr wenig mit der neueren Zeit fort-
0240geschritten; über Liszt raisonnirt er schrecklich, nur
0241Beethoven hat ihn entzückt; alles Andere ist nichts in
0242seinen Augen.“ Entzückt ist sie von dem Cellisten
0243Franchomme, hingegen nennt sie Osborne einen
0244„höchst mittelmäßigen“ Pianisten. Baillot, sowie
0245Auber trifft sie nicht zu Hause; „Paër war sehr
0246liebenswürdig; von neuerer Musik versteht er gar
0247nichts. Von Kalkbrenner wurde gestern ein Sextett
0248gespielt, das erbärmlich componirt ist, so arm, so matt und
0249so ohne alle Phantasie. Kalkbrenner saß natürlich, süß
0250lächelnd und höchst zufrieden mit sich selbst und seiner Er-
0251schaffung, in der ersten Reihe. Der Cellist Alexander
0252Batta, der hier von den Damen angebetet wird, hat ein
0253delicates Spiel, aber eine affectirte, eine französische Seele.“
0254In Leipzig hört sie dann Thalberg und Dreyschock.
0255„Thalberg’s Spiel ist schön, Alles vollendet, auch
0256ausdrucksvoll, jedoch die höhere Poesie geht ihm ab. Sein
0257Anschlag ist der schönste, nie mißlingt ihm etwas. Als
0258Spieler steht er groß da; doch über Allen steht
0259Mendelssohn.“ Von Dreyschock schreibt sie, daß
0260er „zwar viel Fingerfertigkeit, aber keinen Geist hat und
0261auf eine schreckliche Weise vorträgt. Thalberg steht
0262hundertmal höher.“
0263Unsere Leser möchten wol auch gern erfahren, wie es
0264den jungen Brautleuten in Wien ergangen ist? Clara
0265über alle Erwartung glänzend — Robert unter aller
0266Erwartung schlecht. Im März 1838 hatte Clara Wieck in
0267Wien mit ungeheurem Erfolg concertirt. Sie wurde zur
0268k. k. Kammervirtuosin ernannt, was ihr noch Tags vorher
0269„wegen des unüberwindlichen Hindernisses der Religion“
0270als unmöglich bezeichnet worden ist. Der Minister Graf
0271Kolowrat versicherte nachträglich, daß das ohne Beispiel
0272sei und vielleicht nie wieder vorkommen würde, weil sie
0273eine Ausländerin, protestantisch und zu jung sei. Aber der
0274Kaiser habe auf den Vortrag gutmüthig erwidert: „Nun
0275wenn es der Clara angenehm ist und sie es ernstlich
0276wünscht, will ich eine Ausnahme machen.“ „Da ich nun
0277auch eine Wienerin geworden,“ schreibt sie an Schumann,
0278„nenne ich dich mein herzallerliebstes Schatzerl!“ Ihre
0279Wiener Erfolge und Schilderungen verstärken in Schumann
0280die alte Sehnsucht, einige Jahre in Wien zu leben, der
0281Stadt Beethoven’s und Schubert’s. „Also, deine
0282Hand,“ ruft er Clara zu, „es ist beschlossen, reiflich
0283von mir bedacht, mein sehnlicher Wunsch, unser Ziel
0284ist Wien.“ Hier will er eine Musikzeitung gründen.
0285Er stellt sich das, an Leipziger Verhältnisse gewöhnt, viel
0286zu leicht vor. Clara hat ein wenig vorgearbeitet, ins-
0287besondere bei Hofrath Vesque v. Püttlingen (J. Hoven)
0288und dem Clavierprofessor Joseph Fischhof. So spricht
0289ihm denn Clara Muth zu: „Fischhof’s Brief hat
0290mich unendlich gefreut; thue nur Alles, was er dir sagt,
0291die Sache wird schon gehen ... nur Geduld! Vesque
0292kann dir allerdings viel nützen, ist auch ein liebenswürdiger
0293Mann. Graf Sedlnitzky war ein Beschützer von mir
0294und scheint mir ein guter Mann, und hat viel Macht.
0295Er kann Alles streichen, was er will,
0296und Alles stehen lassen. Er ist es, der alle
0297Blätter erst durchliest, ehe sie gedruckt werden dürfen.“
0298Der „gute Mann“ (dessen grausamen Rothstift ich selbst
0299noch als jüngster Mitarbeiter von Frankl’s „Sonntags-
0300blättern“ zu kosten bekam), machte Schumann Schwierig-
0301keiten. „Meine Ueberzeugung,“ schreibt Schumann im
0302Februar 1839, „daß hier keine gute Zeitung aufkommen
0303kann, wächst immer mehr, und eine musikalische vollends
0304nicht, da Wien so sehr außer Verbindung mit Mittel-
0305deutschland.“ Bald darauf überzeugte sich Schumann
0306von der völligen Unmöglichkeit, seine Zeitung in einer oder
0307andern Form nach Wien zu verlegen. „Warum willst du in
0308Wien bleiben,“ fragt ihn Clara, „unter Menschen leben, die dir
0309nicht zusagen? Geh’ fort, wieder nach unserem Leipzig, da
0310würden wir doch, glaube ich, am glücklichsten sein. Daß
0311du hier Stunden gibst, ist schön, doch bin ich einmal bei
0312dir, dann darfst du das nicht mehr thun. Das ist dann
0313mein Geschäft!“ Und so geschah es denn. Robert folgte
0314seiner Clara, die wie immer Recht hatte, und kehrte nach
0315Leipzig zurück, wo seine in Wien „unmögliche“ Musik-
0316zeitschrift schnell zu Erfolg und Berühmtheit gedieh.
0317Schlimme Tage sollten den schwergeprüften Brautleuten
0318noch durch den ihrer Heirat feindselig entgegenarbeitenden
0319alten Wieck bevorstehen. Endlich siegte aber doch die Sonne
0320über all das schwarze Gewölk. „Die Liebe wird’s erreichen!“
0321rufen sie mit Fidelio aus. Am 12. September 1840 wurden
0322Robert und Clara in der protestantischen Kirche in Schönfeld
0323bei Leipzig vermält. „Es war ein schöner Tag,“ schreibt
0324Clara in ihr Tagebuch, und selbst die Sonne, die sich seit
0325vielen Tagen versteckt hatte, warf am Morgen, als wir zur
0326Trauung fuhren, ihre milden Strahlen auf uns, als ob sie
0327unseren Bund segnen wollte. Nichts störte uns an diesem
0328Tag, und so sei er denn auch in diesem Buche als
0329der schönste und wichtigste meines Lebens
0330aufgezeichnet.“