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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 586. Wien, Mittwoch den 18. April 1866

[1]

Musik.

(Italienische Oper. — Mozart-Concert.)


0003Ed. H. Die Abwechslung deutscher mit italienischen
0004Opernvorstellungen in derselben Saison erweist sich als eine
0005glückliche Idee. Eine neue ist sie keineswegs; im Gegentheil
0006war diese Form italienischen Gastspiels am Hofoperntheater
0007herrschend, bevor die regelmäßigen, ausschließlich italienischen
0008Stagiones zu drei oder zwei Monaten hier eingeführt wur-
0009den. In der Geschichte des Hofoperntheaters bildet das wech-
0010selnde Verhältniß der italienischen zur deutschen Oper eines
0011der interessantesten Capitel voll fruchtbarer Anregungen für
0012historische und ästhetische Betrachtung. Ein Feuilleton darf sich
0013mit diesem reichen Stoff freilich nicht einlassen, umsoweniger
0014als anscheinend äußerliche und geringfügige Details dabei von
0015Wichtigkeit und nicht wohl zu übergehen sind. Nur
0016mit wenigen Strichen möchte ich hier die historische Erinne-
0017rung an jenes wechselvolle Verhältniß skizziren. Es scheint
0018mir in vier Perioden sich natürlich zu gliedern. Anfangs die
0019alleinige Herrschaft der italienischen Oper. Sodann, nach er-
0020folgter Entwicklung und Anerkennung der deutschen Oper,
0021das gleichzeitige feste Engagement einer italienischen und 
0022einer deutschen Truppe. (Einzelne Mitglieder der letzteren
0023wurden, wie jetzt noch, auch in den italienischen Vorstellun-
0024gen verwendet.) Je nachdem der Zeitgeschmack und die Gunst
0025des Hofes sich mehr der einen oder der anderen Gattung zu-
0026wendete und man bald mit der einen, bald der anderen Ge-
0027sellschaft unzufrieden war, entschloß man sich, im Kärntner-
0028thor-Theater nur eine italienische oder nur eine deutsche
0029Truppe zu halten (dritte Periode). So wurde z. B. im
0030Jahre 1787 die deutsche Oper entlassen und herrschte durch
0031acht Jahre die italienische allein; im Jahre 1795 sehen wir
0032wieder italienische Sänger neben den deutschen eingeführt;
0033endlich (1806) die italienische Oper definitiv aufgelöst. Von
0034diesem Zeitpunkte (vierte Periode) sind die Deutschen die
0035alleinigen, ansässigen Herren im Hause; die Italiener er-
0036scheinen nur mehr zeitweilig als Gäste. So wurde im Herbst
00371816 die zuvor auf dem Münchener Theater gastirende ita-
0038lienische Gesellschaft nach Wien eingeladen, um für die Man-
0039gelhaftigkeit der deutschen Oper einigermaßen zu entschädigen. 
0040Diese Truppe konnte sich mit den früher in Wien gehörten
0041kaum messen, doch besaß sie einzelne gute Kräfte und ein ge-
0042rundetes Ensemble; sie war es endlich, durch welche Wien 
0043zuerst Rossiniʼsche Opern („Inganno“, „Tancredi“) ken-
0044nen lernte. Die Erinnerung daran wirkte durch die nächst-
0045folgenden Jahre nach; überdies brachten die restaurirten po-
0046litischen Verhältnisse Oesterreich wieder Italien näher, und
0047so bereitete sich jene glänzendste Vertretung italienischen Ge-
0048sanges in Wien vor, die im Frühling 1822 unter Bar-
0049baja
ihren Anfang nahm. Barbaja, der das Hofopern-
0050theater vom December 1821 bis zum 1. Mai 1828 als
0051Pächter leitete, beobachtete das eben jetzt wieder eingeführte
0052System, deutsche und italienische Opernvorstellungen mit
0053einander wechseln zu lassen. Die Abwechslung gestaltete sich
0054damals ungleich reicher, indem die italienische Truppe nicht
0055auf die Opera buffa beschränkt war, sondern (gleich der
0056deutschen) sowol tragische als komische Opern spielte. Das
0057Personal beider Gesellschaften war vorzüglich, und so konnte
0058man heute eine Mozartʼsche, Cherubiniʼsche oder Weberʼsche
0059Oper mit der Schröder, Sonntag, Ungher, Grün-
0060baum
, morgen eine Rossiniʼsche mit der Colbrand, Fodor,
0061mit David, Donzelli, Rubini, Lablache und am drit-
0062ten Abend ein Ballet mit der Elsler oder Taglioni 
0063sehen. In Abwesenheit der Italiener, ja manchmal schon
0064neben ihnen, rivalisirten die Deutschen sogar auf deren
0065eigenstem Gebiet, wie denn Rossini selbst im Früh-
0066ling 1822 die deutsche Aufführung seiner „Cenerentola“
0067hier mit Rath und That unterstützte. Erst unter Duport 
0068(1830) begann die seither beibehaltene Uebung einer drei-
0069monatlichen ausschließlich italienischen Opernsaison,
0070während welcher die deutschen Sänger beurlaubt waren.*)


0075Zu Gunsten der gegenwärtig wieder aufgenommenen
0076Form sprechen — für jetzt wenigstens — mancherlei Gründe.
0077Die auffallend spärliche und erfolglose Productivität der ita-
0078lienischen Componisten macht derzeit eine ausschließliche italie-
0079nische Saison zu einer Saison ohne Novitäten, also zu einem
0080höchst ermüdenden Theaterabschnitt. Mit dem Mangel an
0081guten Novitäten verbindet sich die zunehmende Noth an be-
0082deutenden Gesangskünstlern aus Italien. Zum Glück sind
0083gerade für die Opera buffa und semiseria ausgezeichnete
0084Sänger noch immer zahlreicher und leichter zu beschaffen, als
0085für die große Oper, die in Darstellung und Composition seit
0086langer Zeit mit jener nicht mehr wetteifern kann. So ist es
0087möglich, mit einem auserlesenen Sängerquartett, wie Artôt,
0088Calzolari, Everardi und Zucchini, eine Reihe kleinerer
0089Muster-Vorstellungen zu geben, während die Zusammenstellung
0090einer gleich vortrefflichen Gesellschaft für tragische Opern alleror-
0091ten mit den größten Schwierigkeiten kämpft. Indem die Italiener
0092bei dieser dramatischen Wechselwirthschaft das heitere Fach culti-
0093viren, fällt die ernste Oper naturgemäß den deutschen Sän-
0094gern anheim, welche darin ihrerseits wieder ungleich stärker
0095sind, als in der komischen und der Spiel-Oper. Auf diese
0096Art wird gegenwärtig dem Publicum ohne Frage viel und
0097Interessantes geboten; stünde auch das (uns jedenfalls gleich-
0098giltigere) Ballet auf derselben Höhe, so dürfte die Direc-
0099tion sich aller drei Fächer mit einiger Genugthuung rühmen.
0100Das Einzige, worauf wir, allem Anscheine nach, verzichten
0101müssen, sind Novitäten — weder die deutsche noch die italie-
0102nische Oper machen irgendwie Miene dazu. Es wäre eine
0103falsche Entschuldigung, wollte man die Gleichzeitigkeit zweier
0104Opern-Gesellschaften als Hinderniß für die Vorbereitung
0105neuer Opern geltend machen. Gerade in diesem Punkte leistete
0106die Direction Barbajaʼs Außerordentliches, und es ist gut,
0107wenn wir — als Mittel gegen Hochmuth — uns die That-
0108sache zu Gemüth führen, daß Barbaja in dem Zeitraume von
0109drei Jahren und vier Monaten 79 neue Vorstellungen, näm-
0110lich 23 deutsche Opern und Singspiele, 29 italienische Opern
0111und 27 Ballette auf die Bühne brachte.


0112Die beiden italienischen Vorstellungen, welche dem
0113Barbiere“ folgten, waren RossiniʼsCenerentola“ und
0114DonizettiʼsElisir dʼamore“. Wir brauchen hier nur
0115einfach jenes seltene vierblätterige Kleeblatt wieder zu nennen,
0116um uns die Versicherung der Vortrefflichkeit beider Vorstel-
0117lungen zu ersparen. Hat die „Cenerentola“ trotzdem etwas
0118weniger gezündet, als der „Barbiere“, so liegt der Grund
0119in dem Werke selbst, das durch seine stillstehende Handlung
0120ermüdet und in der glänzenden Aeußerlichkeit seiner Musik
0121bereits etwas vergilbt ist. Trotzdem die „Cenerentola“ den
0122Vortheil größerer Ensemblestücke und außerdem einige blen-
0123dende Nummern für sich hat, bleibt ihre Wirkung hinter der [2]
0124größeren Frische und Wahrheit des „Barbier“ zurück. Zu unab-
0125lässig übergießt sie den Hörer mit Trillern und Rouladen; alle
0126singenden Personen theilen sich gleichmäßig darein, sind Colora-
0127turfürsten von Haus aus und wiegen sich mit breitem Be-
0128hagen auf dem goldgestickten, schwellenden Kissen ihrer Ueppig-
0129keit. Dieser übermäßige und theilweise veraltete Luxus gibt
0130der Musik zur „Cenerentola“ unleugbar einen Rococco-
0131Charakter. Aus der stark parfümirten Atmosphäre dieses
0132Prunksaales treten wir in einen kleinen Garten voll Blu-
0133men, Wiesengeruch und frischer Luft: das ist der „Liebes-
0134trank“. Was an der italienischen Musik eigenthümlich und
0135liebenswerth ist, tritt uns hier unbeirrt entgegen. Wie süß,
0136ungesucht und in der Hauptsache auch immer dramatisch sind
0137diese Melodien! Ein natürliches Ebenmaß, wie es nur der
0138italienischen Kunst eigen, verbindet sich hier mit reizender
0139Frische und einer genial zu nennenden Leichtigkeit. Wie hübsch
0140contrastirt das idyllische Element gegen das soldatische, und
0141beide wieder gegen ihre gemeinsame köstliche Folie, den medi-
0142cinischen Charlatan! Die Musik ist anmuthig, leicht, melodiös
0143— somit alles das, was die Pedanten verachten.


0144Ein Freund Mendelssohnʼs, Chorley, erzählte einmal
0145im „Musical World“, wie eines Tages in London ein Kreis
0146von „gelehrten“ Componisten und Musikkennern den „Liebes-
0147trank“ in gründlicher Entrüstung verurtheilte; wie Men-
0148delssohn
anfangs stumm und unruhig sich auf seinem
0149Sessel hin- und herbewegte und schließlich, um sein Votum
0150gedrängt, ausrief: „Ich weiß nur, meine gelehrten Herren,
0151daß ich sehr froh wäre, hätte ich den „Liebestrank“ componirt!“
0152Wir kennen eine große Anzahl kleiner deutscher Componisten
0153die sich durch ein solches Geständniß heute noch grenzenlos
0154entehrt fühlen würden.


0155Kaum erinnert man sich einer so vorzüglichen Auffüh-
0156rung des „Elisir“, als es die gegenwärtige im Hofopern-
0157theater ist. Dies einheitliche, schlagfertige Zusammenwirken
0158von vier so eminenten Künstlern (Artôt, Calzolari, Everardi 
0159und Zucchini) gewährt einen seltenen Genuß. Wie glänzend
0160und zierlich Fräulein Artôt die Adina singt, hat sie in meh-
0161reren Bruchstücken aus dem „Liebestrank“ bereits bei ihrem
0162ersten Gastspiele im Kaitheater gezeigt; das Ganze hielt, was
0163jene Hälfte versprach. Ihrer ganzen Persönlichkeit entspre-
0164chend, welche, vorwiegend französisch, sich mehr dem Elegan-
0165ten, Feinen und Pikanten zuneigt, als der beherzten, natur-
0166frischen Naivetät, hat Fräulein Artôt auch die Pächte-
0167rin Adina um eine Stufe höher und vornehmer ge-
0168nommen, als wir sie uns denken. Allerdings mochte ne-
0169ben Calzolariʼs äußerst realistischem Nemorino diese
0170Verfeinerung der Adina auffallender hervortreten, als
0171sie beabsichtigt war, wie wir denn auch wahrzunehmen glaub-
0172ten, daß eine momentane Ermüdung Fräulein Artôt an
0173jenem Abende hinderte, im Gesange kräftigere Farben anzu-
0174wenden. An dem Duette mit Dulcamara hing vielleicht der
0175Coloraturschmuck allzu reichlich, die Meisterschaft der Ausfüh-
0176rung müßte aber selbst die griesgrämigste Kritik entwaffnen.
0177Fräulein Artôt erntete nach jeder Nummer stürmischen
0178Beifall. Einen außerordentlichen Erfolg hatte Herr Calzo-
0179lari
als Nemorino. So viel Treffliches wir auch von die-
0180sem Künstler gewärtigen durften, er hat unsere Erwartungen
0181nach zwei Seiten hin noch übertroffen. Einmal durch seinen
0182wahrhaft seelenvollen Vortrag der einfachen Cantilenen, wel-
0183cher Calzolari, ganz abgesehen von seiner erstaunlichen und
0184ihm dennoch entbehrlichen Coloratur, als vollendeten Sänger
0185kennzeichnet; sodann durch sein äußerst lebendiges und charak-
0186teristisches Spiel. Die Darstellung war, wie gesagt, entschie-
0187den realistisch, kein idealer Schäferjüngling, sondern ein
0188Bauernbursche, wie wir deren auf Tritt und Schritt in der
0189Lombardei begegnen, stand vor uns, gutmüthig, beschränkt,
0190von Liebe und Aberglauben doppelt confus gemacht. Vom
0191Gehen und Stehen an, vom Lachen und Weinen, bis zu dem
0192bunten wollenen Sacktuche und der abwechselnd im Munde
0193oder in der Hand herumgedrehten Kornähre, war Alles in
0194dieser Figur dem Leben abgelauscht. Mitunter ging Calzolari 
0195in seinem Realismus zu weit (z. B. mit dem lauten Heu-
0196len im ersten Finale), derlei Licenzen verschwanden aber vor
0197dem Eindrucke des ganzen so entschieden gefaßten und
0198meisterhaft ausgeführten Bildes. Zucchiniʼs Dulcamara 
0199übertrifft noch den Doctor Bartolo und Don Magni-
0200fico. Etwas Ergötzlicheres als seine erste Arie vom Char-
0201latankarren herab kann man auf der Bühne kaum mehr
0202hören. Welchʼ ein „Charlatan“, dieser Künstler! möchte man
0203ausrufen, oder umgekehrt.


0204Die Rolle des „Belcore“, in der Oper etwas spärlich
0205bedacht, rückte durch Everardiʼs maßvolle und liebenswür-
0206dige Darstellung dicht an die Seite der Hauptrollen. Zu dem
0207trefflichen Ensemble der (vom Capellmeister Dessoff diri-
0208girten) Oper trug endlich noch Frl. Dillner als „Gia-
0209netta“ ihr bescheidenes Theil bei. Ungünstig schien uns
0210nur, daß man die Oper mit der eingelegten Arie Adinaʼs
0211(von Beriot) schließen läßt. Nach dem Original und
0212der früheren hiesigen Einrichtung besteigt zum Schlusse Dul-
0213camara noch einmal seinen Wagen und nimmt, vom Chor-
0214refrain begleitet, mit einigen witzigen Couplets (über das
0215Barcarolenthema) Abschied. Das gibt der Schlußscene ungleich
0216mehr Farbe und Leben.


0217Gerne möchten wir hier noch gegen einige Vorstellungen
0218der deutschen Oper, namentlich das mit vielem Beifall fort-
0219gesetzte Gastspiel Frl. Stehleʼs unsere kritische Schuldig-
0220keit thun. Für heute reicht der Raum nur eben hin, um
0221dem großartigen Mozart-Festconcert vom letzten Sonn-
0222tag gerecht zu werden. Es entsprach vollkommen den allge-
0223mein gehegten Erwartungen. Das colossale (etwa 120 Streich-
0224Instrumente und doppelte Harmonie enthaltende) Orchester
0225erzielte unter Herbeckʼs energischer Führung, insbesondere mit
0226der Egmont-Ouverture eine Wirkung, wie sie kaum mehr zu
0227überbieten ist. Auch Mozartʼs C-dur-Symphonie mit der
0228Fuge wurde, in etwas bedächtigen Zeitmaßen zwar, aber um
0229so stylvoller und durchsichtiger zu Gehör gebracht. Es spen-
0230deten sodann der Männergesang-Verein mit Schu-
0231bertʼs „Widerspruch“, der Singverein mit Mozartʼs „Ave
0232verum“ und dem altdeutschen „Jägerlied“ Perlen ihres Re-
0233pertoirs. Alle Vocal- und Instrumentalkräfte vereinigten sich
0234endlich in der Schlußnummer (Marsch und Chor aus den
0235Ruinen von Athen“) zu festlichem Pomp. Das Quintett
0236aus dem ersten Acte von Mozartʼs „Così fan tutte“ vor-
0237getragen von Frl. Stehle, Frau Leeder, den Herren Cal-
0238zolari
, Everardi und Rokitansky) verfehlte auch dies-
0239mal seine einschmeichelnde Wirkung nicht, obgleich die etwas
0240schwere Tonbildung und nachdrückliche Gesangsweise Frl.
0241Stehleʼs sich gerade für diese Composition nicht sonderlich eignet.
0242Frl. Artôtʼs Vortrag der F-dur-Arie (Susanne) aus „Fi-
0243garoʼs Hochzeit“ war ein Muster vollendeter Gesangskunst
0244und edelsten Vortrags; wer auch nichts Anderes als dieses
0245einfache Andante von der Artôt gehört, müßte in ihr die
0246Sängerin allerersten Ranges sofort erkennen und bewundern. [3]
0247Eine besondere Zierde ward dem Mozart-Concert durch die
0248beiden vielgenannten, noch ungedruckten Compositionen von
0249Rossini: „Titanengesang“ und „Weihnacht“. Können wir
0250sie auch nicht im eminenten Sinne „bedeutend“ nennen —
0251der bescheidene Meister selbst ist der Letzte, der dies thun
0252würde — so bewundern wir doch die Kraft und Frische,
0253welche hier Rossini in seinem hohen Alter noch an den
0254Tag legt.


0255Die Compositionen erinnern keineswegs an den specifisch
0256Rossiniʼschen Opernstyl, sie sind ungleich ernster und gesam-
0257melter im Ausdruck, sorgfältiger in der Ausführung, insbe-
0258sondere der harmonischen. Am meisten verwandt zeigen sie
0259sich zu einigen Nummern im „Tell“: das Weihnachts-
0260lied
mahnt an die Schweizerchöre der Introduction, der Ti-
0261tanengesang
an das Unisono im Rütlischwur. „La nuit
0262de Noël“, ein pastoraler Wechselgesang zwischen einer Baß-
0263stimme und gemischtem Chor, wirkt bei aller Anspruchslosig-
0264keit reizend durch süßen Wohllaut und stimmungsvolle Ruhe.
0265Um so schroffer und energischer hebt das Nachtstück an, das
0266Le chant des Titans“ überschrieben ist — ein wuchtiges
0267Unisono von vier Baßstimmen, zuerst über heftig figuriren-
0268den Contrabässen, dann umstürmt vom ganzen Orchester.
0269Ganz am Schluß, nach dem Ausruf: „Mort à Jupiter!“
0270erdröhnen drei Tamtamschläge, ein theatralischer, aber glück-
0271licher und charakteristischer Effect. Durchaus kräftig und ein-
0272heitlich in der Stimmung, sehr interessant in einigen rhyth-
0273mischen und harmonischen Einzelheiten, scheint uns dieser
0274Bassistensturm bei mäßiger Originalität der Motive, doch
0275unbedingt vornehmer als das ihm musikalisch verwandte Er-
0276leuchtungsgebrüll der Bischöfe in der „Afrikanerin“. Beide
0277Compositionen gefielen sehr — möchte Rossini sich ent-
0278schließen, sie zum Besten unseres Mozart-Denkmals drucken
0279zu lassen! Die Wirkung des „Weihnachtsgesangs“ litt einiger-
0280maßen durch die angegriffene und unsichere Stimme des Solo-
0281sängers und die gegen das Clavier zu starke Chorbesetzung;
0282im „Titanengesang“ hingegen erwies sich die Zahl von vier
0283Sängern zu schwach gegen den Anprall dieses Orchesters.
0284Um den Vortrag der Soli haben die Herren Rokitansky,
0285Hrabanek, Panzer und Lirnberger, um die Beglei-
0286tung die Herren Lorenz und Zellner sich verdient ge-
0287macht. Wie zu erwarten, hatte sich zu dieser imposanten 
0288Aufführung auch ein imposantes Auditorium eingefunden,
0289welches, von dem Gebotenen lebhaft befriedigt, alle Mitwir-
0290kenden, insbesondere den um das Mozart-Concert hochverdien-
0291ten Dirigenten Herbeck, durch stürmischen Beifall aus-
0292zeichnete.

Fußnoten
  • *)Unter Barbaja war die italienische Saison von ver-
    schiedener, meist längerer Dauer; sie währte z. B. im Jahre 1822 
    vom 13. April bis 24. Juli, im Jahre 1823 sogar vom 13. März
    bis 28. September.