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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 1157. Wien, Dienstag den 19. November 1867

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Musik.

(„Lucrezia Borgia.“ — Concerte von Joachim, Brahms, Labor. — Quartett-Soirée.)


0003Ed. H. Die jüngste Reprise von Donizetti’sLucrezia
0004Borgia“ im Hofoperntheater erinnert uns an einige seltsame
0005Fährlichkeiten, welche die Oper bei ihrem ersten Ausflug aus
0006Italien zu bestehen hatte. Als man sie nämlich im Jahre
00071840 in Paris aufführen wollte, erhob Victor Hugo, des-
0008sen gleichnamigem Trauerspiele die „Lucrezia Borgia“ von
0009Donizetti getreu nachgebildet ist, Protest gegen die Vorstellung.
0010In Sachen des literarischen Eigenthums verstehen die Fran-
0011zosen bekanntlich keinen Spaß; Hugo drang mit seiner Klage
0012durch, und Donizetti’s Libretto mußte sich eine schmähliche
0013Umarbeitung gefallen lassen. Aus „Lucrezia Borgia“ machte
0014man „La Renegata“ und aus den Edelleuten am päpstlichen
0015Hofe Alexander’s VI. lauter Türken. Nicht lange darauf er-
0016schien Verdi’s „Ernani“ — gleiche Sehnsucht des Pariser
0017Opernpublicums, gleicher Protest des erzürnten Victor Hugo.
0018Zum Ueberfluß rührten sich, durch Hugo’s Erfolge ermuthigt,
0019gleichzeitig noch mehrere andere Poeten, welche von italienischen
0020Librettisten, diesen Piraten der Poesie, beraubt worden waren
0021und nun auf diese musikalisch wieder importirte Beute Verbot
0022legten. Man mußte den Rechtsanspruch dieser Poeten anerken-
0023nen, billigerweise aber auch die Bedrängniß der Opern-Directoren,
0024welche auf diesem Wege sich bald vis-à-vis de rien gesehen hätten.
0025Es wurde ein gütliches Abkommen getroffen, in Folge dessen
0026die beanständeten Opern gegen eine Entschädigung V. Hugo’s 
0027und seiner Genossen in Paris aufgeführt werden durfte. Die
0028italienischen Raubstaaten zahlen von jeder Beute bestimmte
0029Tantièmen, und der Sultan der französischen Romantik läßt
0030sie gewähren. Aus privatrechtlichem Gesichtspunkte handelte
0031V. Hugo ganz sachgemäß, er wehrte sich um ein wichtiges
0032Recht. Wäre Schiller in Frankreich geboren, seine Erben
0033hätten heute einen unverhofften Entschädigungsanspruch an die
0034Große Oper wegen Verdi’sDon Carlos“, wie denn das
0035Théâtre Lyrique in jüngster Zeit noch die Erben
0036Beaumarchais’ befriedigen mußte, bevor es die „Hochzeit
0037des Figaro“ von Mozart aufführte. Ob der ästhetischen
0038Vergewaltigung durch die Maestri Donizetti und Verdi hatte
0039aber Hugo kaum Ursache, großes Geschrei zu erheben. Wer
0040seine Stücke heutzutage unbefangen ansieht, dem erscheinen sie
0041weniger als Tragödien, an welchen die Musik gefrevelt, denn
0042als Opern-Librettos, zu denen die Composition noch fehlt. In 
0043dem Trauerspiele „Hernani“, das wir im Théâtre Français
0044unleidlich grell und unnatürlich declamiren hörten, kamen uns
0045der Titelheld, seine Geliebte, König Karl und vollends der
0046alte Hornbläser Silva noch viel unvernünftiger vor, als ihre
0047singenden Doppelgänger bei Verdi. Wenn manche musikalische
0048Züge in Donizetti’s „Lucrezia“ schon auf Verdi vorausdeuten
0049(z. B. der Männerchor im zweiten Act), so thut dies noch
0050auffallender die Wahl des Stoffes. Wie mag sich Verdi ge-
0051kränkt haben, daß Donizetti ihm diese sechsfache Vergiftung
0052vorweggenommen! Donizetti mußte seinerzeit manchen Tadel
0053ob dieses Stoffes erfahren. Indeß, die Zeit schreitet vorwärts,
0054und Verdi’s Nachfolgern erscheint jetzt die Hugo’sche „Lu-
0055crezia“ noch zu mild. Der jüngste Mailänder Componist,
0056Strigelli mit Namen, ließ kürzlich an der Scala eine
0057Oper: „I figli di Borgia“, aufführen, welche die verbrecherische
0058Liebe zweier Brüder Borgia zu ihrer Schwester Lucrezia 
0059schildert. Dieser jugendliche Maestro ist auf der rechten Höhe
0060und dürfte dem Wappen der Borgias (bekanntlich ein blut-
0061rother Ochs) alle Ehre machen.


0062Frau Wilt sang die Lucrezia zum erstenmale und mit
0063dem entschiedensten Erfolg. Auch diesmal nahm ihr üppiges,
0064glockenreines und umfangreiches Organ gleich mit den ersten
0065Tacten das Publicum günstig ein. Im Verlaufe der Rolle
0066bewährte ihr Vortrag die tüchtigste musikalische Schulung und
0067Sicherheit; Einzelheiten wie der lange gleiche Triller im ersten,
0068die Passagen im dritten Acte durften glänzend heißen. Die
0069großen musikalischen Vorzüge der Leistung fanden allerdings
0070in dem dramatischen Talente der Darstellerin keine hinreichende
0071Unterstützung; ihr Spiel war theils zu kühl und passiv, theils
0072zu derb. An die charaktervoll stylisirten, mit geistreichstem De-
0073tail belebten Gestalten einer La Grua und Anderer durfte
0074man nicht denken. Auch glauben wir nicht, daß die Gluth der
0075Leidenschaft, daß Anmuth und Würde der Bewegung sich ein-
0076fach erlernen lassen. Aber was sich im Laufe der Theater-
0077praxis erlernen läßt, das ist die Kenntniß der Bühnen-Effecte,
0078und bei den großen Fortschritten, welche Frau Wilt in ihrer
0079so kurzen Theaterlaufbahn bereits bewiesen, läßt sich eine wei-
0080tere Vervollkommnung nach dieser Richtung mit Zuversicht hof-
0081fen. Vorzüge, wie sie Frau Wilt besitzt, sind heutzutage sel-
0082ten; sie reichen hin, diese Künstlerin zu einer guten Acquisi-
0083tion für unsere Oper zu stempeln. Man kennt die überströ-
0084mende Kraft, mit welcher Herr Beck den Herzog von Ferrara
0085ausstattet und unwiderstehlich macht. Seine Leistung ist so
0086glänzend, daß wir sie von einem einzelnen leichten Fleck gerne
0087frei wüßten: das zweimal angebrachte Ueberschlagen des Ge-
0088sanges in den Sprechton. Diese vermeintlich höchste Steige-
0089rung ist an und für sich ein falscher Effect; denn man kann
0090das Singen als ein gesteigertes Sprechen auffassen, aber
0091nicht umgekehrt. Am wenigsten jedoch paßt er in die
0092italienische Oper, welche selbst in leidenschaftlichen Mo-
0093menten die formale Schönheit, den Wohllaut des Gesanges
0094gewahrt wissen will. Der etwas behäbige Gennaro des Herrn
0095Walter stand diesmal nicht unter dem glücklichsten Stern.
0096Nur Einzelnes, namentlich im ersten Acte, kam zur vollen
0097Geltung: nicht ebenso die Hauptscenen des zweiten Actes. Einen
0098Theil der Schuld trägt die zunehmende Neigung Herrn Wal-
0099ter’s
, zusammenhängende Perioden in einzelne Töne zu zer-
0100bröckeln, was dem Vortrage etwas Schwerfälliges, Gehacktes
0101gibt. An Beifall fehlte es dem beliebten Künstler natürlich
0102nicht. Die vierte der dankbaren Rollen in „Lucrezia“ ist
0103Maffio Orsini. Sie enthält nur drei Nummern, deren
0104eine, das Freundschafts-Duett mit Gennaro, überdies wegen
0105strafwürdiger Trivialität hier zum Wohle der Menschheit ge-
0106strichen ist. Dafür bieten die schöne erste Romanze und das
0107Trinklied der Sängerin sehr günstige Aufgaben. Fräulein Gin-
0108dele
hat ihnen, wie wir leider nicht verhehlen können, nur
0109nothdürftig genügt. Was hübsches Aussehen und lebhaftes
0110Spiel ihr an Sympathien errangen, ging beinahe durch den
0111Gesang wieder verloren. Fräulein Gindele producirte wenig
0112Stimme, und das Wenige war nicht immer ganz rein.
0113Die Oper war mit ebensoviel Sorgfalt als Bühnenverstand
0114neu scenirt. Der erste Act spielt nicht mehr unter freiem
0115Himmel, wo der edle Gennaro allzu demokratisch seine Schlaf-
0116stätte aufzuschlagen pflegte, sondern unter einer gedeckten Halle
0117mit der Aussicht auf die Piazzetta. Von da strömt das fest-
0118liche Maskengewimmel nach dem Vordergrund. Noch wirk-
0119samer renovirt ist der dritte Act, dessen schauerliche Schluß-
0120moral durch eine sich plötzlich im Hintergrunde öffnende
0121„chapelle ardente“ sehr nachdrücklich illustrirt wird. Neu
0122war schließlich die bessere Besetzung zweier kleinerer Rollen, de-
0123ren Wichtigkeit bei guter Darstellung nicht auffällt, desto mehr aber,
0124wenn sie schlecht gesungen und weilweise ausgelacht werden. Die
0125Herren Hrabanek und Prott haben sich durch die Aus-
0126führung dieser beiden Rollen verdient gemacht. Das Princip,
0127auch Nebenrollen durch tüchtige Künstler zu besetzen, hat zum
0128großen Theil die Trefflichkeit und den Ruhm des Burgtheaters
0129begründet; die Direction des Operntheaters thut sehr wohl,
0130diesem Beispiele zu folgen und von ihrem stattlichen Personale
0131jenen Gebrauch zu machen, der im Interesse eines guten En-
0132sembles gefordert erscheint.

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0133Die Concertsaison fliegt mit vollen Segeln und kostbarer
0134Ladung. Unmittelbar nach Rubinstein hat sie uns Joachim 
0135und Brahms gebracht. Joseph Joachim, dem selbst der
0136Neid den allerersten Platz unter den Violinspielern nicht be-
0137streitet, ist für uns die Verkörperung der außerordentlichsten
0138und zugleich künstlerisch verklärtesten Virtuosität. Technisch
0139kommt er der absoluten Vollkommenheit so nahe, daß unser
0140Auge diese letzte, unmerkliche Distanz nicht mehr wahrnimmt.
0141Dabei tritt der Adel künstlerischer Weihe und Ueberzeugung bei
0142Joachim mit solcher Macht auf, daß man erst hinterher an
0143die Würdigung seiner großartigen Technik denkt. Wie süß und
0144mühelos genießt sich das Vollkommene, wie schwer beschreibt es
0145sich! Der entzückendste Ton, der süßeste und stolzeste zugleich,
0146der je einer Geige entströmte; eine wunderbare und doch nie-
0147mals wundersüchtige Technik; ein Vortrag voll Adel, Geist und
0148Empfindung — das wären ungefähr die Grundzüge dieser
0149musikalischen Erscheinung. Charakteristisch für Joachim scheint
0150mir vor Allem der ausgeprägte Zug von ruhiger Größe, der
0151jede seiner Productionen durchzieht, die Strenge und Reinheit
0152des Styls, welche die üppigen Reize der Virtuosi-
0153tät eher zu verschleiern als vorzudrängen trachtet. Es
0154ist nicht möglich, Größeres einfacher hervorzubringen.
0155In seinem ersten Concert (im Musikvereinssaal) spielte Joa-
0156chim zwei Soli, die zu den höchsten Aufgaben der Violin-
0157Virtuosität gehören, die „Teufelssonate“ von Tartini und
0158Sebastian Bach’s E-moll-Suite. Das erstere Stück glänzte
0159zunächst durch die Meisterschaft des Trillers, der Sprünge und
0160des Staccato; das letztere durch eine bisher unerreichte Rein-
0161heit und Gebundenheit des mehrstimmigen Spieles. Ich be-
0162kenne gern meine geringe Neigung für längere Violin-Soli ohne
0163alle Begleitung, welche das Ohr nach einem stützenden und
0164füllenden Grundbaß schmachten lassen. Die Geige ist einmal
0165ihrer Natur nach kein polyphones Instrument, und so rei-
0166zend sich in einem größeren Violin-Concert einzelne Terzen-
0167und Sextengänge herausheben (wie in dem zweiten Thema
0168von Joachim’sUngarischem Concert“, in Spohr’s Ge-
0169sangsscene u. s. w.), so unbefriedigend wirkt ein anhaltend
0170mehrstimmiges Violinspiel, das in drei- oder vierstimmigen
0171Accorden sich mit Arpeggiren behelfen muß. Wenn unter
0172Joachim’s Bogen derlei Soli ihre gewöhnliche ängstliche und
0173gezwungene Physiognomie verlieren, so danken wir dies eben
0174der ganz unvergleichlichen Ausbildung seines polyphonen
0175Spieles. Joachim gab dies erste Concert gemeinschaft-
0176lich mit Brahms, der mit ihm die Beet-
0177hoven
’sche A-dur-Sonate und Schubert’s lieb-
0178lich blühende „Phantasie in C-dur“ ausführte. Kein 
0179Dritter stand neben oder zwischen den beiden, durch künst-
0180lerische Verwandtschaft wie durch langjährige, innigste Freund-
0181schaft verbundenen Künstlern, welche Deutschland mit Freude
0182zu seinen besten Söhnen zählt. Leider präsentirte sich Brahms 
0183an diesem Abend nicht als Componist und schien als Spieler
0184weniger gut disponirt. Das eigenthümlich Beschauliche und
0185Zurückhaltende, das Nicht-an-die-Oberfläche-wollen seines Spie-
0186les machte sich stärker bemerkbar. Die Furcht vor dem „Vir-
0187tuosenhaften“ scheint sich oft wie ein Schleier dämpfend zwi-
0188schen seine Finger und die Tasten zu legen. Wir kennen
0189Brahms’ Technik als eine enorme, aber es fehlte ihr an
0190diesem Abend mehr als sonst der letzte Schliff und Glanz, sowie
0191der volle, singende Anschlag, der den ganzen Ton gleichsam mit
0192der Wurzel aus dem Instrumente zieht. In diesem Punkte
0193ist Rubinstein mustergiltig und Brahms entschieden über-
0194legen. Seine eigenthümlichen hohen Vorzüge entfaltete Brahms 
0195dafür in dem Vortrag der Schumann’schen Fis-moll-
0196Sonate (op. 11), die, unseres Wissens, noch nirgends öffent-
0197lich gespielt wurde. Kaum dürfte ein zweiter Künstler sie mit so
0198tiefem und feinem Verständniß interpretiren wie Brahms.
0199Diese Dichtung voll jugendlicher Gluth und Genialität, dabei
0200auch von schwärmerischer Excentricität und Ungebundenheit gehört
0201zu den merkwürdigsten Denkmälern aus Schumann’s „Sturm
0202und Drang“. Von dämonischer Anziehungskraft für jeden
0203damit näher Vertrauten, wirkt die Fis-moll-Sonate auf den
0204unvorbereiteten Hörer allerdings etwas unsicher und befremdend.


0205Den großen Redoutensaal mit einem Violin-Concert zu
0206füllen, gehört heutzutage unstreitig zu den größten Virtuosen-
0207stücken. Joachim hat dasselbe Sonntag Mittags ausgeführt,
0208es war kein Sitz leer geblieben. Er begann mit einem Violin-
0209Concert von Viotti (A-moll Nr. 22), das in etwas veral-
0210teter Hülle einen tüchtigen musikalischen Kern und namentlich
0211im Schlußsatz viel Geist und Leben geltend macht. Johann
0212Baptist Viotti (geboren 1753 im Piemontesischen) hat durch
0213sein grandioses Spiel wie durch seine epochemachenden Compo-
0214sitionen einen außerordentlichen Einfluß auf die Entwicklung
0215des Violinspiels geübt. Es bot ein besonderes Interesse, eines
0216seiner Concerte gerade von Joachim vortragen zu hören,
0217dessen Styl in gerader Descendenz von Viotti abstammt.
0218Ist doch Joachim’s Meister, der treffliche Joseph Böhm,
0219ein Schüler Rode’s, der seinerseits, von Viotti gebildet,
0220der vornehmste Apostel dieser Schule wurde. Viele der cha-
0221rakteristischen Vorzüge Viotti’s, die Größe und Noblesse des
0222Vortrags, die kühne Technik bei Vermeidung aller kleinlichen
0223Effecte finden wir in Joachim auf modernerer Stufe wieder.
0224Joachim’s seelenvoller Vortrag eines Spohr’schen Adagios 
0225(aus dessen neuntem Concert) machte auf die Zuhörer den tief-
0226sten Eindruck. Schöner und überzeugender als Joachim kann
0227man nicht zeigen, daß wahre und tiefe Empfindung nicht
0228des Affectirens und Kokettirens bedarf. Es verstieß leider
0229gegen die musikalische Oekonomie, unmittelbar auf Spohr’s 
0230Adagio einen zweiten langsamen Satz (einen kürzeren und min-
0231der bedeutenden obendrein) folgen zu lassen: das „Abendlied“
0232aus Schumann’s vierhändigen Clavierstücken, op. 85. Die-
0233ses gemüthvolle Lied ohne Worte, von Joachim sehr stim-
0234mungsvoll instrumentirt und seelenvoll vorgetragen, hätte in
0235einer anderen Zusammenstellung weit mehr Wirkung erzielt.
0236Den Beschluß machte Joachim’sConcert in ungarischer
0237Weise“, das wir im Jahre 1861 vom Componisten und später
0238von Laub gehört haben. Das Publicum scheint sich bei jeder
0239Wiederholung mehr mit dieser bedeutenden und glänzenden
0240Composition zu befreunden. Der erste Satz ist von wahrhaft
0241Beethoven’schem Wuchs. Wir zählen darauf, daß Joachim 
0242Wien nicht verlassen werde, ohne uns sein neues, in Berlin 
0243so enthusiastisch aufgenommenes Concert in G-dur vorzuführen.
0244— Fräulein Mathilde Enequist spendete zu Joachim’s Pro-
0245gramm zwei Arien (aus „Semiramide“ und „Nozze di
0246Figaro“), welche ihr lebhaften Beifall eintrugen.


0247Die Eindrücke von Joachim’s Mittagsconcert waren qua-
0248litativ und quantitativ zu groß, als daß man selbst einem
0249Kritiker zumuthen konnte, um 5 Uhr wieder in dem heißen
0250Musikvereinssaale zu sitzen und drei Streichquartette anzuhö-
0251ren. Hoffen wir, daß die Herren Hellmesberger, Doby-
0252hal
, Röver und Kranczewic für ihre Quartette doch ein-
0253mal die Abendstunden gewinnen, welche den Spielern wie den
0254Hörern gleichmäßig zum Vortheile gereichen werden. Von zu-
0255verlässiger Seite erfahren wir, daß in dieser ersten Soirée ein
0256Clavier-Quintett von Hermann Grädener (Sohn) mit
0257großem und verdientem Beifall aufgenommen wurde. Einen
0258sehr ehrenvollen Erfolg errang auch der Pianist Herr Joseph
0259Labor
, Kammervirtuose des Königs von Hannover, in seinem
0260ersten Concerte im Musikvereinssaale. Der Concertgeber fand
0261an Fräulein Gabriele Joël, die wenige Tage zuvor C.
0262M. Weber’s Es-dur-Concert im Hofoperntheater sehr bei-
0263fällig vorgetragen hatte, eine tüchtige Partnerin. Soll unser
0264Feuilleton nicht allzu corpulent werden, so müssen wir eine
0265ausführlichere Besprechung Herrn Labor’s für dessen näch-
0266stes Auftreten versparen. Für heute nur so viel, daß der blinde
0267Künstler, dessen sinniges und in vielem Betracht merkwürdiges
0268Clavierspiel wir vor mehreren Jahren wiederholt würdig-
0269ten, seither nach jeder Richtung bedeutende Fortschritte ge-
0270macht hat.