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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 1928. Wien, Dienstag, den 11. Januar 1870

[1]

Concerte.

(Gesellschaftsconcert im neuen Musikvereinssaale. — Clara Schumann. Florentiner Quartett. Philharmonisches Concert.)


0003Ed. H. Das bedeutendste musikalische Ereigniß — nicht
0004blos des Tages oder der Woche — ist die Eröffnung des
0005neuen Musikvereins-Gebäude nächst der Ringstraße. Nachdem
0006am 5. Januar die feierliche Schlußsteinlegung begangen war,
0007trat schon am folgenden Tage das neue Gebäude in Activität
0008mit dem ersten „Gesellschaftsconcerte“. Welch erhebendes Musik-
0009fest! Die Befriedigung künstlerischen und patriotischen Stolzes
0010flog leuchtend über alle Mienen, hier ausbrechend im Froh-
0011gefühle lauter Bewunderung, dort nicht schwächer, nur milder
0012in dankbarer Rührung. Der Tag wird jedem der Anwesenden
0013unvergeßlich bleiben, und es schadet dieser Erinnerung nicht,
0014daß man sich diesmal mehr dem Schauen hingab, als dem
0015Hören. Die wundervolle Harmonie der Architektur übte an
0016dem Tage noch größere Macht über die Versammlung, als
0017die Harmonie der Musik. „Wie schön, wie prachtvoll!“ hörte
0018man ringsum, und jeder Nachbar wurde zum Echo dieses
0019Ausrufes. Die Schönheiten des neuen Gebäudes von Innen
0020und Außen sind bereits von kundigerer Hand beschrieben. Ich
0021bin zu sehr Laie in der Architektur, als daß ich mich unter-
0022stehen sollte, Meister Hansen zu rühmen; mein Lob wäre
0023kaum ein Sandkorn zu dem stolzen Ruhmeshügel, den das
0024Urtheil der Kenner wie der Genießenden dem gefeierten Bau-
0025künstler errichtet hat. Der Gedanke, daß hingegen auch ein
0026mir aufsteigendes Bedenken nur das gleiche unschädliche Ge-
0027wicht habe, ermuthigt mich zur unbefangensten Aussprache rein
0028subjectiven Eindruckes. Prachtvoll und blendend ist der neue
0029Saal wie kein zweiter; der glänzendste in Wien und wol weit
0030darüber hinaus. Ob er jedoch nicht zu glänzend und pracht-
0031voll sei für einen Concertsaal, darüber konnte ich mich 
0032nicht ganz beruhigen. Von allen Seiten quellen uns Gold und
0033Farben entgegen; das Auge, in unsteter Bewunderung all die-
0034ser bunten Gemälde, reichen Ornamente, goldenen Figuren
0035u. s. w., vermißt den ernsten, ruhigen Grundton. Der Ein-
0036druck ist überwiegend der eines pompösen Ballsaales, einer
0037Arena des Tanzes und der rauschenden Fröhlichkeit. Eine
0038Stätte classischer Musik, dem Cultus des geistigsten, abstrac-
0039testen aller Sinne geweiht, sollte die musikalische Einkehr des
0040Hörers, dieses gesammelte, innerlich mitarbeitende Genießen
0041nicht allzusehr zerstreuen durch luxuriöse Pracht der Wände.
0042Der Musikvereinssaal wirkt durch Aufgebot von Gold und
0043Farben blendender als der Zuschauerraum des neuen Opern-
0044hauses, in welchem der decorative Schmuck sich auf viel grö-
0045ßere Dimensionen vertheilt und dessen künstlerische Bestimmung
0046überdies eine buntere, luxuriösere Ausschmückung als die eines
0047Concertsaales rechtfertigen würde. Der Engländer verwendet
0048selbst in seinen stattlichsten Concertsälen sehr wenig auf deco-
0049rativen Luxus, um so mehr auf die Größe der Dimensionen,
0050welche auch unbemittelten Hörern den Genuß guter Musik er-
0051möglicht. Man denke an St. James-Hall und Exeter-Hall in
0052London. Durch die goldenen Hermen zu beiden Seiten des
0053Parterres geht viel Raum verloren und erscheint der Saal
0054überdies kleiner, als er thatsächlich ist. Eine vollständig um
0055den Saal laufende zweite Galerie wäre vom prak-
0056tischen Gesichtspunkte um so wünschenswerther, als das
0057„Stehparterre“ eine sehr geringe Zuhörerzahl faßt. (Ein
0058Stehparterre ist, nebenbei gesagt, an und für sich eine
0059Barbarei, im Concerte wie in der Oper.) Im allgemeinen
0060Interesse mußte man wünschen, daß noch ein billigerer Platz
0061als zu Einem Gulden in diesem Prachtsaale angebracht wäre,
0062was bei der gegenwärtigen Disposition nicht thunlich ist. Man
0063schien eben äußere Schönheit und Eleganz vor Allem anzu-
0064streben, und diese Vorzüge besitzt Hansen’s Saal in hohem
0065Grade. Er besitzt noch einen anderen, musikalisch wichtigeren:
0066eine gute Akustik. Obwol man an jede fremde Akustik sich im-
0067mer erst einigermaßen gewöhnen muß, fand die Klangwirkung
0068des ersten Concertes allgemeines Lob. Das ist ein gutes Zei-
0069chen. Der Saal gibt den Ton mit großer Kraft ohne Echo
0070zurück; man wird, besondere Anlässe ausgenommen, keine allzu
0071starke Orchester-Besetzung nöthig haben. Am schönsten entfaltete
0072sich der Klang der Singstimmen, er wirkte bezaubernd in dem
0073Schubert’schen Chore: „Der Friede sei mit euch.“ Im Orchester
0074läßt der Ton der Violinen wie der Bläser kaum etwas zu wünschen;
0075nur die Celli und Bässe wurden in den tieferen Lagen und
0076in figurirten Stellen nicht recht deutlich, womit keineswegs
0077der dreimalige Bajonnet-Angriff der Contrabässe in dem
0078Scherzo der C-moll-Symphonie gemeint sein soll — eine Stelle,
0079die, von zwölf Bässen gespielt, in keinem Saale der Welt
0080deutlich werden kann. Da muß von jeher die Einbildungs-
0081kraft und das mitsingende Gedächtniß im Hörer ein wenig
0082nachhelfen. Akustische Vortheile sind überwiegend Sache der
0083Erfahrung und des Experimentes, man wird ohne Zweifel
0084auch im neuen Saale noch auf manche Verbesserung gerathen
0085durch Versuche mit veränderter Aufstellung u. dgl. Jedenfalls
0086wünschten wir aber eine höhere Stellung des Orchesters und
0087der Sänger, nicht blos im (wahrscheinlichen) Interesse des
0088Klanges, sondern ebensosehr des Anblickes, der ganzen äuße-
0089ren Erscheinung. Das Orchester präsentirt sich auf seiner ge-
0090genwärtigen mäßigen Erhöhung zu wenig getrennt vom Audi-
0091torium, zu wenig emporragend. Im Concertsaale soll das
0092Orchester förmlich die Bühne repräsentiren — eine Bühne, auf
0093welcher auch die entfernter Sitzenden die ganze Figur wenig-
0094stens der Solospieler und Sänger sehen können. In der Oper
0095gestaltet sich das Verhältniß ganz anders; da ist der scenische
0096Vorgang so sehr das Wichtigste, daß der Anblick all der bla-
0097senden und geigenden Orchesterspieler nur störend wirkt; so
0098störend, daß lediglich die Gewohnheit ihn erträglich macht
0099und er dies zu sein aufhört, sobald wir den richtigen Gegen-
0100satz aus eigener Anschauung kennen gelernt haben, wie in der
0101Münchener Oper. Mit der Tieferlegung des Opern-Orchesters [2]
0102hat die Münchener Theater-Direction eine so echt künstlerische
0103Idee durchgeführt, ein so preiswürdiges Beispiel gegeben,
0104daß ihr alle „ Rheingold“-Sünden dafür verziehen sind.
0105Das „Rheingold“ ist vergangen, aber das vertiefte Orchester
0106ist geblieben, nicht blos im Dienste Wagner’scher Musik, son-
0107dern zum höchsten Vortheil aller dramatischen Werke. Nur
0108im Münchener Opernhause wird dem Zuschauer die volle
0109Illusion, weil er über die unsichtbaren Orchesterspieler hinweg
0110ungestört die ganze Bühne überblickt; nur dort wird dem
0111Sänger der ihm in der Oper gebührende Vorrang vor dem
0112Orchester, der Sieg über den modernen Instrumentenlärm.
0113Nach dem Verschwinden des „Rheingold“ vom Münchener Re-
0114pertoire wurde zwar in einige Zeitungen die Nachricht ge-
0115schwärzt, man habe das Orchester wieder „hoch zu Roß“ auf
0116sein ehemaliges Podium erhoben; sie ist, wie mir ein Brief
0117des Capellmeisters Wüllner versichert, vollständig irrig.
0118Wahrscheinlich ging dieser Fühler von selbstgefälligen Orchester-
0119mitgliedern aus, welche um jeden Preis gesehen sein wollen
0120— ein begreifliches, aber keineswegs rühmliches Motiv, wel-
0121ches sich allenthalben dieser trefflichen Reform entgegenstemmt.
0122Wir werden jeden Operndirector beglückwünschen, der hinrei-
0123chende Einsicht und Autorität besitzt, diese kleinliche Opposition
0124zu besiegen. Nur scheinbar sind wir vom neuen Musikver-
0125einssaale abgekommen, in welchem wir dem Orchester, als dem
0126rechtmäßigen Herrn der Situation, auch äußerlich einen her-
0127vorragenden Platz vindiciren möchten.


0128Das Programm des Eröffnungsconcertes ging von dem
0129Grundgedanken einer Repräsentation jener großen Meister aus,
0130welche durch Geburt oder Ansässigkeit ein theurer Besitz Wien’s 
0131geworden: Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert. Nur
0132mit Einer Nummer (Adagio für Violine von Seb. Bach)
0133entfernte man sich, wahrscheinlich Herrn Hellmesberger zu-
0134liebe, von diesem Principe; der Platz hatte an dem Tage
0135jedenfalls Gluck gebührt. Die Ausführung glänzte durch
0136Schwung und Präcision; Hofcapellmeister Herbeck digirite 
0137mit wahrhaft begeisterter Energie die „Egmont“-Ouvertüre 
0138und C-moll-Symphonie von Beethoven. Unter seiner Lei-
0139tung feierte auch der bewährte „Singverein“ der Gesellschaft
0140der Musikfreunde einen Triumph mit dem Vortrage zweier
0141Chöre von Haydn und Schubert. Herr Walter end-
0142lich sang die B-dur-Arie aus Mozart’s „Entführung“ ebenso
0143stylgemäß als seelenvoll. Das Eröffnungsconcert wurde Sonn-
0144tag am 9. Januar mit unverändertem Programme wieder-
0145holt. Eine einzige Nummer war neu hinzugekommen: Or-
0146pheus’ berühmte Arie: „Che farò senza Euridice.“ Eine
0147hier noch unbekannte Sängerin von gutem künstlerischen Rufe,
0148Fräulein Henriette Burenne, sang dieselbe mit schöner,
0149kraftvoller Altstimme, leider jedoch consequent zu hoch. Fräu-
0150lein Burenne soll im nächsten Philharmonie-Concerte mitwirken, wo
0151sie, hoffentlich minder befangen, ein sichereres Urtheil zulassen wird.
0152Die Orpheus-Arie, von Gluck mit „Vivace con disperazione“
0153bezeichnet, wurde im Gesellschaftsconcert entschieden zu lang-
0154sam genommen. Eine neue, manchem Zuhörer noch räthsel-
0155hafte Zierde des Hansen’schen Concertsaales ist der stattliche
0156Orgelkasten, welcher, von goldenen Hermen getragen, mit
0157einem griechischen Tempelgiebel gekrönt, sich hinter dem Orche-
0158ster erhebt. Das malerische Gehäuse harrt noch seines In-
0159haltes: der Orgel. Wenn diese einmal gebaut ist und, wie wir
0160hoffen, mustergiltig, wird sie eine eigenthümliche Lücke in un-
0161serem Musikleben zum erstenmale ausfüllen. Nicht blos durch
0162ihre nächste Bestimmung als Begleitungs- und Füllstimme in
0163den Oratorien von Händel und Bach, sondern auch als Solo-
0164Instrument. Eine Lücke in unserem sonst so reichen Musik-
0165leben nennen wir es, daß Wien keine Orgel-Concerte kennt.
0166Eines der kostbarsten Blätter der classischen Musik-Literatur,
0167die Orgel-Compositionen von Bach, Händel, Mendelssohn, ist
0168uns dadurch vollständig entzogen, die Leistungen großer Orgel-
0169Virtuosen sind es gleichfalls. In Norddeutschland, Belgien,
0170Frankreich und der Schweiz stehen Orgel-Concerte in den
0171Kirchen auf der Tagesordnung. Welcher Reisende hätte sich 
0172einen Tag in Bern oder Freiburg aufgehalten, ohne die be-
0173rühmten Orgeln daselbst gehört zu haben, die in regelmäßigen
0174Abend-Productionen gegen ein geringes Eintrittsgeld von den
0175(meistens sehr tüchtigen) Organisten gespielt werden. In die-
0176sen Ländern würde jede mit einer vortrefflichen Orgel ausge-
0177stattete Kirche es für einen Raub an dem kunstsinnigen Pu-
0178blicum ansehen, den Gebrauch dieses Instrumentes auf den
0179rituellen Dienst zu beschränken und ihm jedes Lebenszeichen
0180künstlerischer Selbstständigkeit zu versagen. Vor Kurzem hielt
0181sich der als Organist rühmlich bekannte Heinrich Stiehl 
0182aus Petersburg hier auf; trotz aller Bemühungen gelang es
0183ihm nicht, ein Orgel-Concert in einer der hiesigen katholischen
0184Kirchen veranstalten zu dürfen. In Brünn, Prag, Klagen-
0185furt hat Stiehl hierauf mit großem Beifall in protestantischen
0186Kirchen Orgelvorträge gehalten. An dem Professor des hiesi-
0187gen Conservatoriums, Anton Bruckner, besitzen wir einen
0188der hervorragendsten Orgel-Virtuosen, der bei dem letzten
0189Musikfeste in Nancy, dann in Paris unter dem Zudrange
0190der ganzen musikalischen Elite sich auf den berühmten Orgeln
0191von St. Epore, St. Sulpice und Notredame mit solchem
0192Erfolge producirte, daß er in förmlichem Wettkampf die re-
0193nommirtesten belgischen und französischen Organisten besiegt
0194hat. Nur in Wien ist es unmöglich, Bruckner zu hören; denn
0195ihm, dem k. k. Hof-Organisten, ist die Benützung der Orgeln
0196behufs einer Production oder auch nur der Privatübung bis
0197jetzt nicht gestattet. Die Engherzigkeit unserer katholischen
0198Kirchenvorstände, welche die „Königin der Instrumente“ ent-
0199würdigt glauben, wenn sie in außergottesdienstlichen Stunden
0200auch der ästhetischen Andacht dient, wird freilich durch die
0201bevorstehende Errichtung einer eigenen Concert-Orgel im neuen
0202Musikvereinssaal nicht getilgt oder entschuldigt, allein sie wird
0203wenigstens nicht mehr das letzte und einzige Wort in dieser
0204rein künstlerischen Angelegenheit zu sprechen haben. Das von
0205den „Musikfreunden“ bestellte Werk vermag allerdings nicht
0206die Dimensionen einer großen Kirchenorgel zu erreichen [3]
0207und deren Wirkung ganz zu ersetzen, aber jedenfalls erschließt
0208sie uns ein neues Kunstgebiet, pflegt sie einen bisher in Wien 
0209verwaisten Musikzweig von ältestem und höchstem Adel. Darauf
0210bei dem glänzenden Neubau nicht vergessen zu haben, gehört
0211zu den echtesten Verdiensten unserer „Gesellschaft der Musik-
0212freunde“.


0213Die Eröffnung des neuen Musikvereinssaales und das
0214erste Concert daselbst haben so ziemlich die Aufmerksamkeit
0215von den übrigen Concerten abgelenkt. Der Vollständigkeit hal-
0216ber registriren wir das Wichtigste daraus, zum Theil aus
0217zweiter Hand, da ein unmusikalisches Unwohlsein uns hinderte,
0218überall selbst dabei zu sein. Die glänzendsten Sterne der
0219Saison, Clara Schumann und das Florentiner
0220Quartett
, sind weitergezogen. Frau Schumann, deren vorletzte
0221Production mitunter durch allzu schnelle Tempi und etwas frostig
0222angehauchten Vortrag (C-dur-Sonate von Beethoven, „Carne-
0223val“ von Schumann) an Wirkung einbüßte, gab im kleinen
0224Redoutensaal ihren Concerten einen desto vollendeteren Abschluß.
0225Die Meisterschaft ihres Spieles, das in gedrängter Menge
0226lauschende distinguirte Publicum, der bis zum Schluß sich
0227steigernde herzliche Beifall erinnerten an die glänzendste Concert-
0228periode der gefeierten Künstlerin. Brahms’ vierstimmige
0229Liebeslieder“, gesungen von Frau Dustmann, Fräulein Girzig,
0230den Herren Walter und Krauß, auf dem Piano vierhändig be-
0231gleitet von Frau Schumann und dem Componisten, erlebten
0232diesmal eine ungleich bessere Aufführung als jüngst in der
0233„Sing-Akademie“ und fanden den lebhaftesten Anklang. Auch
0234Jean Becker’s „Florentiner Quartett“ verabschiedete sich
0235mit allen Ehren. Die Aufführung von Beethoven’s großer
0236Quartett-Fuge („Tantôt libre, tantôt recherchée“, op. 133)
0237war die beste, die sich denken läßt; aber auch die beste Auf-
0238führung dieses nur von seltenen Lichtstrahlen erleuchteten und
0239erwärmten Tondickichts vermag uns dasselbe nicht freudvoll
0240und wohnlich zu machen. Eher noch wird der studirende
0241Partiturleser sich mit den mißklingenden Sonderbarkeiten
0242dieser Fuge befreunden, als der Hörer; bei aller Genialität 
0243ist und bleibt sie „Augenmusik“. Ein von dem Becker’schen
0244Verein mit Herrn Brüll vorgetragenes Clavier-Quintett von
0245J. P. Gotthard hat, einstimmigen Berichten zufolge, den leb-
0246haftesten Beifall gefunden. Wir kennen aus verschiedenen
0247Chören und Clavier-Compositionen Gotthard’s gefälliges, an-
0248spruchsloses Talent, dessen Schwingen für die größten Musik-
0249formen vielleicht noch nicht hoch und weit genug tragen. Mag aber
0250immerhin ein Theil des Herrn Gotthard so stürmisch gespen-
0251deten Beifalls dem liebenswürdigen Manne und allgemein ge-
0252schätzten thätigen Musikverleger gegolten haben, es bleibt noch
0253immer genug, um den strebsamen Componisten zu erfreuen
0254und anzueifern. Auch auf das vierte Philharmonische Concert,
0255in welchem nebst einer neuen Lachner’schen Suite (Nr. 5,
0256F-moll) ein Clavierconcert von Ignaz Brüll zur Auf-
0257führung kam, mußten wir leider verzichten. Herr Brüll soll
0258seine Composition sehr brillant vorgetragen haben, diese selbst
0259fand im Publicum wie in der Kritik nur mäßige und reser-
0260virte Zustimmung. Wir haben oft genug für die Berücksichti-
0261gung moderner Compositionen und für angemessene Protection
0262einheimischer Talente gesprochen, eine Nummer in dem Pro-
0263gramm unserer Philharmonischen Concerte sollte jedoch immer
0264ein Ehrenplatz bleiben, zu welchem, wenn auch nicht Geniali-
0265tät und Meisterschaft, doch nur eine gewisse Reife berechtigt.


0266Gibt es keine anderen Schulden zu tilgen, speciell im
0267Fache des Clavierconcertes? Zwei „Concertstücke“ von Schu-
0268mann
(op. 92 in G-dur, von Jaell allenthalben mit
0269größtem Erfolg gespielt, und op. 134 in D-moll, Brahms 
0270gewidmet) sind dem Wiener Publicum noch vollständig unbe-
0271kannt. Frau Schumann hätte, ihrer Versicherung zufolge,
0272überaus gerne eines davon mit dem trefflichen Orchester der
0273Philharmonie-Concerte gespielt. Auch Brahms’ seit mehreren
0274Jahren gedruckt vorliegendes Clavierconcert verdiente einen
0275Platz in den Philharmonischen Concerten. Wenn man solchen
0276Werken gegenüber knickert, so darf man für „einheimische Ta-
0277lente“ wenigsten nicht als Verschwender auftreten.