Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 2005. Wien, Dienstag, den 29. März 1870
[1]Concerte.
0002Ed. H. Eine Lawine von Schnee und Concerten liegt
0003auf der verflossenen Woche. Der Concerte gab es von jeder
0004Gattung, Größe und Farbe: instrumental, vocal, classisch,
0005virtuos. Eine der praktischesten Eintheilungen scheint uns die
0006in Concerte für freiwillige und für gezwungene Hörer, oder
0007kürzer: in Lust- und Pflichtconcerte. Zu den ersteren zählen
0008vor Allem unsere großen Orchester- und Chormusiken; man
0009drängt sich dazu aus frohem eigenem Antriebe, des gehofften
0010lohnenden Genusses sicher. Bei den „Pflichtconcerten“ ist die
0011Hälfte des Saales besetzt von persönlichen Freunden des Con-
0012certgebers und Musik-Referenten, die andere Hälfte in der Re-
0013gel von gar Niemandem. Junge, unberühmte Pianisten und
0014Pianistinnen, welche Proben ihrer Geschicklichkeit ablegen und
0015sich einen Namen erspielen wollen, sind meistens die Veran-
0016stalter dieser musikalischen Unterhaltungen, welche so selten
0017Jemand zu seiner Unterhaltung aufsucht. „Viel Applaus und
0018wenig Geld“ lautet ihre Devise; nicht der eigene Drang, son-
0019dern die freundschaftliche, sociale oder journalistische Ver-
0020pflichtung versammelt das größere oder kleinere Häuflein der
0021Zuhörer.
0022Zu den genußreichsten Concerten neuesten Datums ge-
0023hörten die unseres Männergesang-Vereines und seines
0024„Akademischen“ Nebenbuhlers. Der Männergesang-
0025Verein hatte sein Programm ausschließlich aus Schu-
0026bert’schen Compositionen zusammengesetzt — ein Pietäts-
0027princip, gegen das manches praktische Bedenken spricht.
0028Vorerst war die Wiederholung der allerbekanntesten Chöre
0029von Schubert („Gondelfahrer“, „Mondenschein“, „Dörf-
0030chen“ etc.) unausweichlich, sodann, um doch eine Novität zu
0031bringen, die Aufnahme eines sehr unbedeutenden Reliquien-
0032stückes: „Wehmuth“, dessen schauderhaftes Gedicht uns Rückert’s
0033Epigramm ins Gedächtniß rief:
0034„Verse wollen uns nicht behagen,
0035Am liebsten mögen wir sie vertragen,
0036Wenn die Musik darüber geht,
0037Daß man davon kein Wort versteht.“
0038Damit Schubert auch als Instrumental-Componist ver-
0039treten sei, riß man einen einzelnen Satz aus seinem herrlichen
0040D-moll-Quartett und ließ die Clavier-Variationen über ein
0041französisches Lied (zu vier Händen) folgen. Beide Stücke
0042passen nicht recht in einen so großen Concertsaal, man mußte
0043sich mitunter anstrengen, die Töne zu erhaschen. Die Varia-
0044tionen (von den Herren Dr. Horn und Kremser vortreff-
0045lich gespielt) sind Beethoven gewidmet und waren Anlaß zu
0046dem ersten und letzten Besuche, welchen Schubert, der
0047glühende Verehrer Beethoven’s, diesem abstattete. Beethoven
0048machte den Componisten auf einen harmonischen Verstoß in
0049den „Variationen“ aufmerksam und schreckte dadurch, gewiß
0050gegen seine Absicht und Vermuthung, den schüchternen und
0051empfindlichen Schubert von weiteren Besuchen ab. Sehr hübsch
0052sang Fräulein Gindele das Altsolo in dem „Ständchen“,
0053mit außerordentlicher Wirkung Frau Wilt die „Allmacht“
0054von Schubert. Die Männerchöre gingen unter der Direction
0055der Herren Weinwurm und Kremser musterhaft zusam-
0056men. Herr Weinwurm hat sich überdies durch die Gefällig-
0057keit verdient gemacht, mit welcher er das große Concert des
0058(durch Herrn Eyrich’s Beurlaubung zeitweilig verwaisten)
0059„Akademischen Gesangvereins“ einstudirte und diri-
0060girte. Den Anfang machte Weinwurm’s Chor: „Der Früh-
0061ling ist da!“ — eine recht gefällige Composition, welche uns
0062leider den Gegensatz der Wirklichkeit gar zu unbarmherzig
0063fühlen ließ. Sich unablässig vorsingen lassen: „Der Früh-
0064ling ist da, ist da!“ während draußen — am Tage des offi-
0065ciellen Frühlingsanfangs — ein wüthendes Schneegestöber die
0066Luft verfinstert, das kann einen Sokrates in Harnisch brin-
0067gen. Eyrich’s „Robin Adair“, wirkt durch einige schöne
0068Klangeffecte; für ein Volkslied, zumal ein so zärtlich senti-
0069mentales, scheint uns die Composition doch zu gewaltsam auf-
0070gebauscht. Richtiger trifft Brahms den Volkston in dem
0071gemischten Chor: „Bei nächtlicher Weil’“, der übrigens nur
0072eine Bearbeitung des Silcher’schen Volksliedes sein dürfte.
0073Esser’s neuer Chor: „Wach’ auf“ wird als sehr dankbares Pro-
0074ductionsstück Verbreitung finden, obgleich der geehrte Componist sich
0075mit der melodischen Erfindung eben nicht in Unkosten versetzt hat.
0076Die Krone des Concertes war unstreitig Engelsberg’s
0077„Italienisches Liederspiel“, das — von Fräulein Raba-
0078tinsky, den Herren Müller, Bignio und Kraus vor-
0079trefflich gesungen — mit stürmischem Beifall aufgenommen
0080wurde. Das „Liederspiel“ besitzt schon in den reizenden Ver-
0081sen Paul Heyse’s eine poetische Unterlage von hohem, selbst-
0082ständigem Werth; musikalisch ist es weitaus das Schönste,
0083was wir dem liebenswürdigen Talente Engelsberg’s verdanken.
0084Wer Komisches im Sinn der „Ballscenen“ oder des „Land-
0085tags“ erwarten mochte, fand sich freilich getäuscht; selbst die
0086Musikstücke heiterer Färbung sind in der Minorität gegen die
0087sentimentalen. Liebe, Zärtlichkeit und Sehnsucht bilden hier
0088den Grundaccord, aus welchem in Engelsberg’s „Liederspiel“
0089ein wahrer Melodienfrühling von köstlichem Duft und Farben-
0090schmelz erblüht. Das „Italienische Liederspiel“ dürfte bald
0091siegreich die Runde durch alle deutschen Gesangvereine machen,
0092welche ja — weit über Oesterreichs Grenzen hinaus — En-
0093gelsberg’s Chöre mit Vorliebe pflegen. Geschieht doch in un-
0094serer modernen deutschen Musik alles Erdenkliche, um in dem
0095Hörer einen wahren Durst nach frischer, natürlich quellender
0096Melodie und bei den Sängern einen Heißhunger nach stimm-
0097gemäßem, dankbarem Vocalsatz zu erregen. Diesen großem
0098Chorproductionen schloß sich das vierte Concert der Gesell-
0099schaft der Musikfreunde (unter Herbeck’s Direction) mit
0100imposanteren Mitteln an. Mendelssohn’s im vorigen
0101Jahre zuerst aufgeführte „Reformations-Symphonie“ wurde
0102darin wiederholt. Die symphonische Productivität unserer
0103Zeit ist zu gering und Mendelssohn ist uns zu werth, als
0104daß wir eine Arbeit wie diese „Reformations-Symphonie“
0105geringschätzen oder gar ignoriren dürften. Die Anmuth des
0106Scherzos wird überall die Sympathien des Publicums, die
0107meisterhafte contrapunctische Behandlung von Luther’s Choral
0108im Schlußsatz allenthalben die Bewunderung der Kenner her-
0109vorrufen. Aber die „Reformations-Symphonie“ mit Mendels-
0110sohn’s besten Orchesterwerken, den beiden Symphonien, den
0111Concert-Ouvertüren etc. vergleichen zu wollen, kann doch
0112wol Niemandem beifallen. Eine kühle, sich künst-
0113lich hinaufschraubende Begeisterung macht sich darin
0114bemerkbar, sucht durch äußerliche Mittel über den Mangel an
0115Innigkeit zu täuschen und verliert sich mehr als einmal (be[2]-
0116sonders im ersten Satz) in wahres Theaterspectakel. Die
0117Choral-Citate im ersten und letzten Satz sind hier unentbehr-
0118liche und allgemein verständliche Behelfe, aber sie klingen doch
0119mehr äußerlich hineingetragen, als musikalisch aus dem Kern
0120herausgewachsen. Am werthvollsten dünkt uns das Adagio mit
0121seinem breiten Gesang der Geigen; die allgemeine Stimme
0122entschied sich für das Scherzo, das repetirt werden mußte.
0123Ein graziöser, wohlklingender, etwas kleinbürgerlich-behäbiger
0124Menuet, der in einer anderen, vorwiegend idyllischen Sym-
0125phonie trefflich am Platze wäre. Aber der Titel: „Reforma-
0126tions-Symphonie“ will uns nicht aus dem Kopf — der Fluch
0127aller Programm-Musik — und vergebens grübeln wir, in
0128welchem Zusammenhang das harmlose Stückchen mit der Re-
0129formation stehen möge. Letztere ist überhaupt kein musikalischer
0130Stoff, am wenigsten für eine rein instrumentale Tondichtung.
0131Mendelssohn sucht mit schärferem Blick, als ihn ein anderer
0132Componist besaß, nach dem Punkte, wo dies weltgeschichtliche
0133Ereigniß sich zu natürlichem Einströmen in die musikalische
0134Form darbietet, aber das Absichtliche, Reflectirte dieser Ten-
0135denz kann er nicht verwischen. Mit dem Resultate war der
0136strenge Meister bekanntlich selbst so wenig zufrieden, daß er
0137die „Reformations-Symphonie“ consequent der Oeffentlichkeit
0138vorenthielt. Erst Mendelssohn’s Erben ließen sie drucken, und
0139wir sind ihnen dankbar dafür, denn ganz Deutschland hat ein
0140natürliches Erbrecht auf den Nachlaß eines Meisters, dem
0141gegenüber ein musikalisches Beneficium inventarii weder
0142Nothwendigkeit noch „Wohlthat“ ist. Viel unmittelbarer als
0143die „Reformations-Symphonie“ wirkte auf uns Haydn’s, seit
0144Menschengedenken hier nicht aufgeführte Symphonie in G-moll,
0145ein Werk von anmuthender Frische und Natürlichkeit, in
0146Naivetät empfangen, mit Meisterschaft gestaltet. Der Me-
0147nuet ist die Perle dieser Symphonie, welche mit unübertreff-
0148licher Delicatesse gespielt wurde. Das musikalische Wien ist in
0149den letzten 25 Jahren Haydn’s Instrumental-Compositionen
0150allzusehr entfremdet worden; es ist lobenswerth, daß man
0151uns jetzt dem Altmeister der Symphonie wieder näher bringt.
0152In ersprießlicher, nachhaltiger Weise kann dies nur geschehen,
0153indem man das anscheinend Leichte nicht leicht nimmt, es viel-
0154mehr nur mit jener liebevollen Sorgfalt vorführt, welche
0155neuestens Herbeck und Dessoff auf Haydn’sche Sym-
0156phonien verwendet haben. Zwischen den beiden Symphonien
0157hörten wir zwei Chöre von Herbeck: „Im Maien“ und
0158„Wohin mit der Freud“, volksthümlich gehaltene Strophen-
0159lieder von herzlichem Ausdruck und ungemeiner Klangschönheit.
0160Beide Chöre gefielen so sehr, daß ihre Schlußstrophen wieder-
0161holt werden mußten; man wird sie auch nirgends schöner
0162singen hören, als von Herbeck’s „Singverein“ in Wien.
0163Von Virtuosen concertirte zuerst der Cellist Herr Joseph
0164Diem. Die merkwürdige Biographie dieses treuherzigen
0165Schwabenkindes, das lange Jahre hindurch Kühe melken und
0166Käse bereiten mußte, dabei nur verstohlen, ohne Anleitung
0167an einigen Musik-Instrumenten herumnaschend, hatte hier wie
0168überall lebhaftes Interesse erregt. Wenn man erwägt, wie
0169schwer und mühsam der für seine Kunst begeisterte arme
0170Junge sich emporbrachte, wie spät er zur eigentlichen Vir-
0171tuosen-Laufbahn gelangte, so kann man Diem’s Leistungen
0172eine bewundernde Anerkennung nicht versagen. Seine Bra-
0173vour ist allerdings mangelhaft, besonders in den Applicatur-
0174Passagen, die er selten rein herausbringt, aber sein Ton ist
0175gesangvoll, sein Vortrag von warmer Empfindung. Daß
0176hin und wieder der Autodidakt durchschlägt, kann nicht ver-
0177wundern. Herr Diem errang einen ehrenvollen Erfolg,
0178leider bei sehr schwach besuchtem Hause. Andere Concertgeber
0179theilten dieses Schicksal in jüngster Zeit, wo der neue Musik-
0180vereinssaal fast unzugänglich ist durch die ihn umgebende ent-
0181setzliche Schnee- und Kothwüste. Noch weiter, nämlich zu
0182Bösendorfer in der Alservorstadt, mußte man wandern, um
0183zwei junge Pianisten, Leitert und Smietansky, zu
0184hören. Herr Leitert, bekanntlich ein Schüler Liszt’s, ist
0185ein junger Mann von entschiedenem Talent und bereits sehr
0186entwickelter Virtuosität. Sein schöner, klangvoller Anschlag,
0187die Reinheit und glänzende Technik seines Spieles sichern ihm
0188ungewöhnliche Erfolge. Das Liszt’sche Arrangement der „Tanz-
0189momente“ von Herbeck haben wir nie so vorzüglich spielen ge-
0190hört; im Vortrage Schumann’scher Compositionen schien uns
0191Leitert mitunter das virtuose Element noch zu sehr vorherrschen
0192zu lassen. Auch Herr Smietansky aus Krakau überraschte
0193durch große Fertigkeit, Kraft und Ausdauer, ohne höheren
0194geistigen Ansprüchen überall zu genügen. Mit der Vorführung
0195eigener Compositionen war der junge Virtuose nicht glücklich.
0196Sowol Leitert als Smietansky besorgte sein Programm nach
0197Liszt’scher Weise ganz allein, ohne Begleitung oder Zwischen-
0198nummern. In diesem Punkte blieben die Herren hinter dem
0199schwachen Geschlechte zurück, das sich neuester Zeit durch starke
0200Concerte auszeichnet. Nach einander gaben drei Fräulein
0201Clavierconcerte mit ganzem Orchester — ein Aufwand, der
0202allerdings die Kosten, zugleich aber den Werth und die
0203Anziehungskraft jedes Concertes erhöht. Auf Pauline
0204Fichtner, über welche wir jüngst referirten, folgten Gabriele
0205Joël und Olga Florian. Wenn die Kritik gegen jugend-
0206liche Pianistinnen eine größere Milde der Beurtheilung ein-
0207treten läßt, so wird man dies nur billig finden; verschweigen
0208wollen wir darum nicht, daß weibliche Virtuosen-Productionen
0209uns äußerst selten vollkommene musikalische Befriedigung ge-
0210währt haben. Ihr Spiel gleicht denn doch immer mehr einer
0211saubern Handarbeit, als einem freien, künstlerischen Ergusse.
0212Dabei betonen wir noch gar nicht die in der Regel unzurei-
0213chende physische Kraft; bei unseren neuesten Virtuosinnen ließe
0214sich vielmehr das biblische Wort von dem starken Geiste und
0215dem schwachen Fleische umkehren. Fräulein Olga Florian
0216hat einen kräftigen Anschlag (der nur zu oft mit dem ganzen
0217Arme erzielt und dadurch hart wird), große Ausdauer und
0218respectable Bravour, wie sie namentlich in der zweiten Unga-
0219rischen Rhapsodie von Liszt bewies. Hingegen fehlt
0220ihr die rechte musikalische Empfindung, mit der
0221es zum Beispiel unverträglich ist, eine Bach’sche „Toccata“
0222mit unausgesetzt gehobener Dämpfung zu spielen, so daß alle
0223Töne durcheinanderschwirren. In der „Wanderer-Phantasie“
0224von Schubert vermißten wir Wärme des Ausdrucks, in der
0225Ungarischen Rhapsodie jenes rhythmische Gefühl, ohne welches
0226derlei Stücke eben nur virtuose Fingerübungen bleiben. Hof-
0227fentlich wird die Zeit diese Mängel an dem Spiele Fräulein
0228Florian’s tilgen, das, wie gesagt, in Ueberwindung technischer
0229Schwierigkeiten Hervorragendes leistet. Fräulein Florian
0230wurde nach jeder Nummer unter lebhaftem Applaus mehrmals
0231gerufen.
0232Dieselbe Auszeichnung widerfuhr Fräulein Gabriele
0233Joël, über welche hier längst bekannte und stets gern gesehene
0234Pianistin wir nicht viel Worte zu machen brauchen. Der
0235früher genannten Virtuosin ist Fräulein Joël musikalisch [3]
0236überlegen, sie spielt Beethoven’s G-dur-Concert und Men-
0237delssohn’s „Serenade“ feurig, correct und nicht ohne Ge-
0238schmack; auf unser Gehör wirkt sie ganz angenehm, und das
0239ist schon viel, wenn auch nicht Alles. Fräulein Henriette
0240Burenne sang in Fräulein Joël’s Concert mehrere Lieder
0241mit außerordentlichem Beifall.
0242Eines haben wir im Laufe der letzten Clavierconcerte
0243bedauert; daß es nicht einem dieser zahlreichen Pianisten und
0244Pianistinnen eingefallen ist, durch irgend eine Composition von
0245Moscheles das Andenken dieses kürzlich verstorbenen Alt-
0246meisters der Clavier-Virtuosität zu ehren. Der Virtuose
0247Moscheles, der in den Zwanziger- und Dreißiger-Jahren, alle
0248Rivalen besiegend, ganz Europa entzückte, hatte sich längst zu-
0249rückgezogen, der Tondichter mußte die Mehrzahl seiner Unter-
0250haltungs- und Gesellschafts-Compositionen vom Strome der
0251Zeit wegspülen sehen. Allein unter Moscheles’ Compositionen
0252sind Stücke von tüchtigstem musikalischen Kern und bleibendem
0253Werth, Stücke, die wieder zu hören uns viel willkommener
0254wäre, als das fortwährende Abbrennen derselben fünf bis
0255sechs Liszt’schen Feuerwerke. Man denke an sein G-moll-
0256und E-moll-Concert, an seine trefflichen „Studien“ (op. 24),
0257welche die Bahn brachen für die moderne charakteristische Be-
0258handlung der Etude u. s. w. Moscheles (geboren in Prag
02591794) gehörte Oesterreich durch seine Geburt an, durch die
0260Anfänge und die größten Triumphe seiner musikalischen Thä-
0261tigkeit. Er war ein Schüler Salieri’s und Freund Beet-
0262hoven’s, in dessen Auftrag er den Clavierauszug von „Fi-
0263delio“ verfaßte und dem er später, in des Meisters letzter
0264Krankheit, von London aus werkthätig zu Hilfe kam. Auf
0265Mendelssohn’s Wunsch geschah es, daß Moscheles im Jahre
02661846 seinen bleibenden Aufenthalt in Leipzig nahm, wo er
0267als Professor des Clavierspiels eine lange, segensreiche Thä-
0268tigkeit entfaltete. Die älteren wie die jüngsten Zeitgenossen
0269(Mendelssohn und Schumann an der Spitze) waren einig in
0270der Verehrung des hochbegabten Künstlers und edlen Menschen,
0271an dessen reinen, uneigennützigen Charakter selbst die Ver-
0272leumdung sich niemals gewagt hat. Es war ungerecht, daß
0273man auf Moscheles schon bei seinen Lebzeiten so ganz vergessen
0274hatte; bei seinem Tode wenigstens hätte man sich, vor Allem
0275in Wien, des Meisters erinnern sollen.