Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 2034. Wien, Donnerstag, den 28. April 1870
[1]Memoiren von Hector Berlioz. I.
0002Ed. H. In den musikalischen Kreisen von Paris war
0003es schon zu Berlioz’ Lebzeiten längst bekannt, daß der be-
0004rühmte Componist an einer Selbstbiographie arbeite, deren
0005Publication erst nach seinem Ableben gestattet sein sollte.
0006Diese „Mémoires de Hector Berlioz“ sind soeben
0007in prachtvoller Ausstattung bei Michel Lévy (Paris 1870)
0008erschienen und werden die Aufmerksamkeit aller für Musik sich
0009interessirenden Leser in hohem Grade erregen. Eine Persön-
0010lichkeit wie Berlioz ist durch ihre Eigenart wie durch ihre
0011Schicksale zur Autobiographie ganz vorzugsweise berufen. Man
0012mag über den Reiz, den Einfluß und den bleibenden Werth
0013seiner Compositionen noch so verschieden denken, ja davon ganz
0014absehen, Berlioz bleibt eine merkwürdige Erscheinung durch
0015die seltene Energie seines Charakters, durch ungewöhnliche
0016Feinheit des Geistes und der Empfindung, endlich auch durch
0017eine bis ins Greisenalter forttosende, wahrhaft tragische Lei-
0018denschaftlichkeit. Zu diesem psychologischen Interesse tritt das
0019kunsthistorische in dem Lebenslaufe eines Mannes, der, wie
0020Berlioz, die Musikzustände von Frankreich, Italien, Deutsch-
0021land, England und Rußland aus eigener Anschauung kannte
0022und ein halbes Jahrhundert lang als Tondichter und Kritiker
0023mit einschneidender Wirkung thätig war. Berlioz begann die
0024Abfassung seiner Memoiren im Jahre 1848 in London und
0025schloß sie am Neujahrstage 1865, also vier Jahre vor sei-
0026nem Tode. Wenn man an diesem reichhaltigen Buche etwas
0027zu beklagen hat, so ist es die übergroße Ausdehnung und der
0028hohe Preis desselben, welche viele Leser abschrecken dürften.
0029Es gehört schon ein lebhaftes Interesse für den Autor dazu,
0030um sich durch mehr als 500 Seiten größten Octavformats
0031mit seiner Person zu beschäftigen. Solch gewaltigen Umfang er-
0032hielt die Selbstbiographie einmal dadurch, daß Berlioz’ Reiseberichte
0033aus Italien, Deutschland, Rußland u. s. w., welche ursprünglich
0034als Feuilleton im Journal des Debats, dann selbstständig in
0035Broschürenform erschienen waren, hier unverändert und voll-
0036ständig wieder einverleibt sind. Sodann durch die bequeme
0037Breite, mit welcher Berlioz, gewohnt an den Ton der feuille-
0038tonistischen „Causerie“, manchmal recht unerhebliche Scenen
0039oder Gespräche wiedergibt. Die Lebhaftigkeit seines Tempera-
0040ments verleitet ihn, überall zu dramatisiren, wodurch seine Er-
0041zählung allerdings den Reiz der Frische gewinnt, aber an
0042Haltung und Stetigkeit verliert. So ist Berlioz z. B. nicht
0043im Stande, kurz zu erzählen: „Ich ging trotz wiederholter
0044Abmahnungen meines Freundes nach Meylan“, sondern er
0045führt dies (pag. 440), ganz als wenn er ein Bühnenstück
0046schriebe, in einem sehr lebhaften Dialog aus, welcher doch
0047nichts Anderes enthält, als das fortwährend wiederholte: „Geh’
0048nicht!“ des Freundes und Berlioz’ stereotyp darauf einschla-
0049gendes: „Ich gehe doch!“ Eine launige Conversation Berlioz’
0050mit dem alten Thürsteher des Conservatoriums füllt das
0051ganze 23. Capitel! Die eingefügten Reisebriefe endlich enthalten
0052über fremde Künstler und Kunst-Institute kritische Ausfüh-
0053rungen von jetzt sehr antiquirtem oder nur mehr localem In-
0054teresse. Das Merkwürdigste in Berlioz’ Biographie ist ohne
0055Zweifel seine Jugendzeit. Von dieser ist auch das Wenigste
0056bekannt geworden, weßhalb einige Mittheilungen daraus unseren
0057Lesern willkommen sein dürften. Hector Berlioz, geboren am
005811. December 1803 in Côte-Saint-André, einem Städt-
0059chen zwischen Lyon und Grenoble, ist der Sohn eines verdienst-
0060vollen, geachteten Arztes daselbst. Man erzieht ihn natürlich
0061im katholischen Glauben, „einer reizenden Religion, seitdem sie
0062Niemanden mehr verbrennt“. Sie machte ganze sieben Jahre
0063lang seine größte Seligkeit aus, später hat er sich mit ihr über-
0064worfen. Hector’s Vater war ein sehr aufgeklärter Mann, der
0065nichtsdestoweniger seiner bigotten Frau förmlich versprochen
0066hatte, den Sohn niemals vom strengen Glauben abwendig zu
0067machen. Er ließ ihn sogar manchmal den Katechismus
0068aufsagen — „eine Gewissenhaftigkeit oder philosophische Gleich-
0069giltigkeit“, zu welcher sich Hector seinem eigenen Sohne gegen-
0070über für unfähig erklärt. Hector’s Vater unterrichtete ihn
0071mit größter Sorgfalt selbst und ausschließlich, konnte ihm
0072aber niemals Geschmack an den classischen Studien beibrin-
0073gen. Hingegen schwärmte er für Landkarten und Reisebeschrei-
0074bungen, welche seiner Phantasie ein unermeßliches Feld er-
0075öffneten. Er war zwölf Jahre alt, als er gleichzeitig die zwei
0076großen Passionen seines Lebens kennen lernte: die Musik und
0077die Liebe. Gegenstand der letzteren war ein schönes achtzehn-
0078jähriges Mädchen, das Hector auf dem Landsitze seines Onkels,
0079Meylan an der savoyischen Grenze, kennen lernte. Estella
0080(schon der Name entzückte ihn) hatte natürlich nur ein mit-
0081leidiges Lächeln für die heftige Leidenschaft des Knaben, der
0082seinerseits dieses Jugend-Ideal niemals vergessen hat. Mit er-
0083greifender Wahrheit schildert er die Qualen dieser leidenschaft-
0084lichen ersten Liebe. In dieselbe Zeit fielen seine ersten, un-
0085beholfenen Versuche in der Composition. Etwas früher hatte
0086er unter Anleitung seines Vaters das Flageolet und die
0087Flöte spielen gelernt, hierauf auch die Guitarre. Dies
0088waren die drei ersten Instrumente, durch welche Berlioz in
0089die Musik eingeführt wurde, und die drei einzigen, die er in
0090seinem Leben spielen gelernt! Gewiß der seltsamste Anfang
0091und das dürftigste Material gerade für den Meister der großen
0092Instrumental-Effecte und Orchester-Combinationen! Berlioz
0093freut sich übrigens, daß sein Vater ihn nicht im Clavierspielen
0094unterrichten ließ: „Ich wäre sonst wahrscheinlich ein gefürchteter
0095Pianist geworden, wie vierzigtausend Andere.“ Seine ersten
0096Compositions-Versuche trugen, unter dem Einflusse der un-
0097glücklichen Liebe von Meylan, den Stempel fester Melancholie;
0098Berlioz hat sie sämmtlich vernichtet, nur die schwermüthige
0099Melodie zu einer Romanze aus „Estella“ (!), von Florian,
0100rettete er später in den ersten Satz seiner „Phantastischen
0101Symphonie“ (1829) unverändert hinüber. Die Biographien [2]
0102großer Componisten, inbesondere Gluck’s und Haydn’s,
0103bildeten nun die Lieblingslectüre des jungen Berlioz, der den
0104Beruf des Tondichters als das höchste denkbare Glück träumte.
0105Sein Vater war anderer Ansicht und entschlossen, aus Hector
0106einen Mediciner zu machen.
0107Um ihn für die medicinischen Studien vorzubereiten, be-
0108gann der Vater das riesige Handbuch der Osteologie von
0109Munzo mit ihm durchzunehmen. Hector empfand den größten
0110Widerwillen dagegen, und nur das Versprechen, man werde ihm
0111eine werthvolle Flöte mit allen neuen Klappen aus Lyon
0112kommen lassen, ermuthigte ihn, diesen Widerwillen vorläufig
0113noch zu bekämpfen. Mit neunzehn Jahren verließ er schweren
0114Herzens das Vaterhaus, um in Paris die medicinische Schule
0115zu besuchen. Der erste Anblick der zerstückelten Leichen im
0116Secirsaale erfüllte ihn mit solchem Grausen, daß er zum offe-
0117nen Fenster hinaussprang und lief, so weit ihn seine Füße
0118trugen. Sein College und Stubengenosse Robert erschöpfte
0119seine ganze Beredsamkeit, um Berlioz bald nachher zu einem
0120zweiten Besuche des anatomischen Saales zu bewegen. Und
0121seltsamerweise ließ ihn der gefürchtete Anblick diesmal uner-
0122schüttert, er empfand nichts weiter als kalten Ekel. Die me-
0123dicinischen Studien wurden fortgesetzt, und Berlioz gewöhnte
0124sich an den Gedanken, die große Zahl gemeinschädlicher Aerzte
0125noch um einen Unglücklichen zu vermehren, als ein Abend in
0126der Großen Oper seinen Gedanken eine neue Wendung gab.
0127„Die Danaïden“ von Salieri war die erste Oper,
0128welche Berlioz hörte. Die entzückende, berauschende Wirkung,
0129welche sie auf den jungen Mann übte, steigerte sich mit jedem
0130Besuche des Opernhauses und erreichte ihren Gipfel bei der
0131Aufführung von Gluck’s „Iphigenie in Tauris“. Unter dem
0132Eindrucke dieser Vorstellung that Berlioz noch auf der Schwelle
0133des Opernhauses den Schwur, trotz Vater und Mutter, Onkel
0134und Tanten nichts Anderes zu werden, als Musiker. Er ver-
0135schaffte sich Zutritt zu dem greisen Lesueur, dem berühm-
0136ten Componisten der „Barden“, welcher ihn unter seine Schüler
0137aufnahm und stets mit aufrichtigem Wohlwollen behandelte.
0138Die Aufführung einer Messe, auf welche Berlioz große Hoff-
0139nungen gesetzt, scheiterte an einer Probe, welche in Folge feh-
0140lerhaft ausgeschriebener Stimmen einem Charivari glich. Ber-
0141lioz machte sich sofort an eine Umarbeitung der Messe und ver-
0142wendete drei Monate angestrengter Arbeit auf die eigenhändige Co-
0143piatur aller Auflagstimmen. Doch fehlten ihm vollständig die
0144Mittel, eine neue Aufführung zu bezahlen. Seine Bitte an
0145Chateaubriand um ein Darlehen von zwölfhundert Francs
0146wurde mit einigen höflichen Zeilen abgelehnt. Der Verzweif-
0147lung nahe, erhielt Berlioz unerwartet Hilfe von einem enthu-
0148siastischen (später im äußersten Elende verstorbenen) Kunst-
0149freunde, Namens de Pons. Dieser lieh die nöthigen zwölf-
0150hundert Francs, und die Messe wurde mit vorzüglichen Kräf-
0151ten in der Kirche St. Roch aufgeführt. Es folgt ein drollig-
0152ärgerlicher Auftritt mit Cherubini, welcher überhaupt in
0153der ganzen Geschichte unseres Berlioz eine schlechte Rolle spielt.
0154Cherubini, für seine Person nichts weniger als ascetisch, hatte
0155strenge Sittlichkeits-Verordnungen für das Conservatorium
0156publicirt, z. B. daß die männlichen Zöglinge durch ein ande-
0157res Thor und eine andere Straße eintreten mußten, als die
0158weiblichen. Berlioz, mit diesem Ukas nicht vertraut, eilt eines
0159Tages zu seinen geliebten Gluck’schen Partituren durch das
0160verbotene Damenthor. Ein eifriger Diener klagt ihn bei
0161Cherubini, und dieser läßt Berlioz nach heftigem Wortwechsel
0162aus der Bibliothek hinausjagen. Berlioz freut sich übrigens,
0163daß er in der Folge jede ihm von Cherubini servirte Blind-
0164schleiche diesem mit einer „Klapperschlange“ vergelten konnte.
0165Inzwischen war die Spannung zwischen Berlioz und seinen
0166Eltern aufs Aeußerste gediehen; der Vater erklärte, den ab-
0167trünnigen Sohn nicht mehr unterstützen zu wollen. Um den
0168letzten Versuch zu wagen, eilte Berlioz ins väterliche Haus
0169zurück. Er fand eine eisige Aufnahme. Der Vater erklärte,
0170Hector müsse der Musik entsagen und dürfe nicht mehr nach
0171Paris zurück. Berlioz verfiel darüber in eine an Stumpfsinn
0172grenzende dumpfe Verzweiflung; er berührte keine Speise,
0173sprach mit Niemandem und brachte die Tage entweder einge-
0174schlossen in seinem Zimmer oder in Wäldern umherirrend zu.
0175Dieser Anblick beängstigte denn doch endlich den Vater und
0176milderte seinen Starrsinn. Hector dürfe wieder nach Paris und
0177zu seinen Musikstudien zurück, aber nur probeweise, für
0178einige Zeit; falls er da keine künstlerischen Erfolge,
0179keine Anerkennung seines Talentes zu erringen vermöchte,
0180müsse er unweigerlich eine andere Laufbahn einschlagen.
0181Diese Entscheidung sollte, der strengen Mutter wegen, Ge-
0182heimniß bleiben. In seinem Herzensjubel vermochte aber Hector
0183nicht zu schweigen; er vertraute das Geheimniß der Schwester
0184an, und diese verrieth es an die Mutter. Letztere, von reli-
0185giösen Vorurtheilen vollständig befangen, hielt ihren Sohn auf
0186Erden entehrt und jenseits verdammt, wenn er sich einer mit
0187dem Theater so eng verbundenen Kunst widme. Nachdem
0188sie ihre Drohungen machtlos abprallen sieht, wirft sie sich vor
0189ihrem Sohne auf die Knie und beschwört ihn, der Musik zu
0190entsagen. Er sucht sie zu beschwichtigen. Da springt die alte
0191Frau auf ihm zurufend: „So ziehe hin! Entehre deinen Na-
0192men, tödte mich und deinen Vater durch Kummer und Schande!
0193Ich verlasse das Haus. Du bist mein Sohn nicht mehr; ich
0194fluche dir!“ Damit verschwand sie und flüchtete sich in ein
0195entferntes Landhaus. Als unmittelbar vor der Trennung Hector
0196mit seinem Vater sich dahin begab, um ein Lebewohl von ihr
0197zu erbitten, lief sie davon, sobald sie die Beiden erblickte.
0198Berlioz hat diese entsetzliche, unglaubliche Scene niemals ver-
0199gessen; ihr schreibt er zumeist den Haß zu, der ihn seither gegen
0200allen religiösen Fanatismus und frommen Unverstand erfüllte.
0201Nach Paris zurückgekehrt, nahm Berlioz sofort seine
0202Studien bei Lesueur wieder auf und war vor Allem bemüht
0203seine Schuld an de Pons so schnell als möglich zu tilgen. [3]
0204Er erhielt vom Hause nur ein Monatgeld von 120 Francs;
0205dazu kam der bescheidene Ertrag einiger Flöten- und Guitarre-
0206Lectionen. Trotzdem gelang es Berlioz, indem er sich die
0207größten persönlichen Entbehrungen auflegte, nach einigen Mo-
0208naten 600 Francs zu ersparen und damit die Hälfte seiner
0209Schuld abzuzahlen. Es ist eines der rührendsten und für Ber-
0210lioz’ Charakter ehrenvollsten Bekenntnisse, daß er, um jene
0211Schuld bezahlen zu können, eine winzige Kammer im fünften
0212Stockwerke miethete und, anstatt wie früher beim Restaurant
0213zu diniren, sich montelang von Brot, Weintrauben und
0214Pflaumen nährte. Diese Malzeiten, zu dem Preise von
0215höchstens sechs bis acht Sous, verzehrte er auf dem Pont-
0216neuf, zu Füßen der Statue Heinrich’s des Vierten. De Pons,
0217von diesen Entbehrungen seines Freundes unterrichtet und selbst
0218in Geldverlegenheit, hatte den unglücklichen Einfall, sich um
0219die Bezahlung der zweiten Hälfte seines Darlehens direct an
0220Hector’s Vater zu wenden. Dieser Schritt wurde verhängniß-
0221voll. Vater Berlioz sendete zwar sofort die gewünschten 600
0222Francs an de Pons, erklärte aber, seinen Sohn nicht weiter
0223zu unterstützen, falls dieser nicht unverzüglich die Künstler-
0224laufbahn verlasse. Der alte Herr fühlte längst Reue über seine
0225Nachgiebigkeit, sein Sohn hatte nun fünf Monate in Paris
0226zugebracht, ohne eine Stellung zu erlangen, einen Erfolg zu
0227erringen; anstatt ein berühmter Componist, war er in den
0228Augen des Vaters nichts geworden, als ein leichtsinniger Schul-
0229denmacher und unpraktischer Phantast. Hector ließ aber nicht
0230mehr ab von seinem Lebens-Ideal; er blieb in Paris, ent-
0231schlossen, sich mit Hilfe einiger Lectionen und großer Spar-
0232samkeit allein fortzuhelfen. Mit Feuereifer componirte er eine
0233große Oper: „Les Francs-juges“ (die Vehmrichter), und eine
0234heroische Cantate auf ein Sujet der griechischen Revolution,
0235welche damals alle Gemüther erfüllte. Alle Bemühungen des
0236jungen Componisten um eine Aufführung seiner Werke schei-
0237terten vollständig. Der Winter kam. Berlioz konnte sein lu-
0238cullisches Mal nicht mehr im Freien einnehmen, er brauchte
0239Holz, Licht, wärmere Kleider. Seine Lectionen, zu 1 Franc
0240die Stunde, hatten beinahe sämmtlich aufgehört. Er hat nur
0241die Wahl, demüthig zum Vater zurückzukehren oder Hungers
0242zu sterben. Da gibt die unbezähmbare Leidenschaft für die
0243Musik ihm neue Kraft. Berlioz läßt sich als Chorist im
0244Théâtre des Nouveautés engagiren, einer kleinen Bühne, welche
0245Vaudevilles und leichte komische Opern gab. Trotz seiner nur
0246mittelmäßigen Baritonstimme siegt Berlioz durch seine musikalische
0247Sicherheit bei der Aufnahmsprobe über seine fünf Mitbewerber:
0248einen Leinweber, einen Hufschmied, einen invaliden Schauspieler
0249und einen Kirchensänger von Saint-Eustache. Sein Dienst begann
0250unverzüglich und wurde mit einer Monatsgage von 50 Francs
0251entlohnt. Es gelang Berlioz, der seinen Eltern diesen größten
0252Schmerz ersparen wollte, seinen neuen Theaterdienst vollstän-
0253dig geheimzuhalten. Sie erfuhren von dieser Choristen-
0254Carrière erst 7 bis 8 Jahre nach deren Abschluß, und zwar
0255durch Journale, welche zuerst biographische Notizen über ihn
0256veröffentlichten.
0257Berlioz, der inzwischen bei Reicha Contrapunkt studirt
0258hatte, meldete sich zu dem Compositions-Concurs am Conser-
0259vatorium; seine Cantate „Orpheus“ wurde jedoch nach sehr
0260oberflächlicher und übelwollender Prüfung für „unausführbar“
0261erklärt. Nach so vielen Schicksalsschlägen fiel Berlioz in eine
0262gefährliche Krankheit. Da erscheint glücklicherweise sein Vater,
0263den so viel Festigkeit und Ernst doch endlich besiegen mochten,
0264und gewährte Hector die frühere Unterstützung wieder. Nun
0265konnte er seinen Choristendienst aufgeben, welcher, abgesehen
0266von der physischen Anstrengung, den jungen Componisten ver-
0267rückt zu machen drohte. „Nur ein wahrhafter Musiker,“ ruft
0268er aus, „der zugleich unsere französischen kleinen Bühnen kennt,
0269vermag zu begreifen, was ich bei dem Lernen und Ausführen
0270dieser dummen Musiken gelitten habe!“