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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 8518. Wien, Samstag, den 12. Mai 1888

[1]

Maria Theresia und die Musik. II.

(Schlußartikel.)


0003Ed. H. Wir lassen nunmehr aus den Briefen Maria
0004Theresia’s eine Reihe von Aussprüchen über Opern und
0005Ballette, Musik und Musiker folgen. Zum besseren Ver-
0006ständniß der darin berührten Sachen und Personen dürfte
0007es nicht überflüssig sein, eine kurze Skizze über den Bestand
0008der Hofcapelle, sowie der Oper unter der Regierung der
0009Kaiserin vorauszuschicken.


0010Die Hofmusik hatte unter dem Vater Maria Theresia’s,
0011Kaiser Karl VI., ihre höchste Blüthe erreicht. Nach dieser
0012Glanzperiode ging es rasch abwärts. Nach Karl’s VI. Tode
0013(1740) und dem bald darauf erfolgten Hinscheiden seines
0014letzten Hof-Capellmeisters J. J. Fux ließ Maria Theresia 
0015diese Stelle durch mehrere Jahre unbesetzt; erst am 2. Sep-
0016tember 1746 wurde der bisherige Vice-Capellmeister Pre-
0017dieri
zum ersten und der Hof-Compositor Georg Reutter 
0018zum zweiten Capellmeister ernannt. Der erste Capellmeister
0019hatte die Opern, Serenaden und öffentlichen Tafelmusiken
0020zu dirigiren; der zweite alle Kirchenmusiken; dabei war jeder
0021unabhängig von dem andern. So blieb es bis zum Jahre
00221752, wo die Administration beider Theater nächst der Burg
0023und dem Kärntnerthor von der Kaiserin der Stadt Wien 
0024übertragen wurde. Damit hatte die Betheiligung der Hof-
0025musik an der Oper aufgehört. Als der (nunmehr geadelte)
0026Georg von Reutter erster Capellmeister wurde, sank die
0027Hofcapelle von Jahr zu Jahr immer tiefer, man traf fast
0028lauter altersschwache Musiker aus früherer Zeit, und ihre
0029Zahl, die unter Karl VI. auf 134 gestiegen war, fiel auf
0030zwanzig, größtentheils Invaliden herab. Erst Florian Gaß-
0031mann
(1772 zum Hof-Capellmeister ernannt) brachte es
0032dahin, den Stand der Hofcapelle auf 40 Mitglieder zu er-
0033höhen. Ihm dankt man auch die Gründung der segens-
0034reichen Tonkünstler-Societät für Pensionirung ihrer Witwen
0035und Waisen, die unter dem Namen „Haydn“ noch heute blüht.
0036Die aufstrebende Oper hatte das überwiegende Interesse des
0037Hofes an sich gezogen, und die Kirchenmusik, auf welche die
0038Hofcapelle jetzt fast ausschließlich angewiesen war, wurde
0039zurückgestellt. Nur den dringenden Vorstellungen Gaßmann’s
0040bei der Kaiserin gelang es, die ernstlich geplante gänzliche
0041Auflösung der Hofcapelle zu verhindern. Die Leitung derselben
0042war zu allen Zeiten einem Capellmeister, mit einem Vice-
0043Capellmeister an der Seite, anvertraut. Unter Maria The-
0044resia’s Regierung waren Hof-Capellmeister: Predieri 
0045und Georg v. Reutter, im letzten Jahrzehnt Gaßmann 
0046und Bonno. Ein anderes Musik-Amt war das der Hof-
0047Compositoren. Sie kamen unter Kaiser Leopold I. auf,
0048welcher Carlo Badia und J. J. Fux dazu berief. Ihre
0049Hauptbestimmung war, Compositionen zu Opern und Balletten
0050zu liefern, nebenbei auch für die Kirche. Mehrere von ihnen
0051schwangen sich zu Hof-Capellmeistern empor; einige blieben in
0052ihrer Anstellung, darunter auch Wagenseil, der Lehrer
0053Maria Theresia’s und ihrer Kinder. Nach Karl’s VI. Tode
0054hatte mit dem Aufhören der Hofoper auch die Hauptbestim-
0055mung der Compositoren aufgehört; sie starben allmälig aus,
0056und wenn auch Männer wie Gluck und Mozart noch
0057in den Reihen der Hof-Compositoren glänzten, so war dies
0058nur eine vom Monarchen dem Talente dargebrachte Huldi-
0059gung, ohne Verpflichtung zu wirklichen Leistungen. Hof-
0060Compositoren waren unter Maria Theresia: Georg Reutter,
0061Porsile, Palotta, Wagenseil, Bonno, Gluck und
0062Salieri. Letzterer, der Lehrer Beethoven’s und Schubert’s,
0063diente noch unter den drei folgenden österreichischen Mon-
0064archen und starb erst 1825.


0065Die Oper (die italienische große Opera) war unter
0066den Kaisern Leopold I., Joseph I. und Karl VI. ausschließend
0067eine Angelegenheit des Hofes. Nur geladene Gäste hatten
0068Zutritt. Der Schauplatz war im Sommer die alte Favorita
0069(im Augarten) und die neue Favorita (das heutige There-
0070sianum), damals zwei kaiserliche Lustschlösser. Im Winter
0071wurden die Opern in der Hofburg gegeben, und zwar
0072in dem vom Kaiser Joseph I. erbauten prachtvollen 
0073Opernhause, dass sich zwischen der Hofbibliothek und der
0074kaiserlichen Reitschule befand. Es bestand aus zwei Sälen,
0075von denen der kleinere während des Carnevals zu den
0076italienischen Schauspielen, der große aber für die Opera
0077seria bestimmt war. Sie wurden in die jetzigen k. k. Re-
0078doutensäle umgewandelt. Maria Theresia ließ 1741 ein neues
0079Theater auf dem Michaelerplatze erbauen, welches der Grund
0080zu dem jetzigen Burgtheater wurde. Man spielte darin
0081abwechselnd deutsche und französische Schauspiele und italie-
0082nische Singspiele. Da Maria Theresia und ihr Gemal an
0083diesen abwechselnden Schauspielen Geschmack fanden, so ließen
0084sie die ehemaligen großen und kostspieligen italienischen Opern
0085ganz eingehen. Die letzte dieser großen Opern wurde noch
00861744 zur Feier der Vermälung der Schwester Maria Theresia’s,
0087Erzherzogin Marianne, mit dem Prinzen Karl von Loth-
0088ringen (in dem jetzigen großen Redoutensaale) gegeben:
0089Ipermenestra“ von Metastasio mit Musik von Hasse.
0090An jedem Theaterabend (im Hofburgtheater) waren dem
0091französischen Schau- und Singspiele, sowie der italienischen
0092Oper auch Balletvorstellungen eingefügt. Unter dem Hof-
0093Balletmeister Franz Hilverding wurde das Ballet zuerst
0094selbständiger und geschmackvoller geregelt. Sein Nachfolger
0095war Angiolini aus Toscana, 1762 als Balletmeister
0096berufen, der unter Anderm das Ballet zu Gluck’s „Orfeo“
0097schuf. Er wurde weit übertroffen von dem 1769 angestellen
0098weltberühmten Noverre, der das serieuse Ballet auf die
0099höchste Stufe der Vollkommenheit brachte und von Maria
0100Theresia hochgeschätzt war.


0101Im Gegensatz zu dem Hoftheater nächst der Burg war
0102das Schauspielhaus nächst dem Kärntnerthor ein
0103Stadttheater, und war das erste stehende
0104deutsche Theater Wiens
. Es wurde 1709 eröffnet,
0105erhielt aber das wirkliche Privilegium erst unter Karl VI. 
0106Im Jahre 1748 bekam Joseph Sellier, welcher auch das
0107Burgtheater leitete, die Erlaubniß, das Comödienhaus nächst
0108dem Kärntnerthor „K. k. privil. Stadt-Wienerisches Theatro“
0109nennen zu dürfen. Die gemeinschaftliche Leitung beider Theater
0110wurde nun beibehalten. Maria Theresia übertrug die Auf-
0111sicht über die Theaterleitung dem Stadtmagistrat, der [2]
0112die Grafen Franz Eszterhazy und Durazzo zu Com-
0113missären ernannte. Im Jahre 1753 wurde Graf Durazzo 
0114zum alleinigen General-Spectakel-Director ernannt und be-
0115hielt diesen Posten, bis er 1764 als Gesandter nach Vene-
0116dig ging.


0117Nach diesen sehr trockenen Vorbemerkungen können wir
0118uns wieder dem Vergnügen hingeben, in den Briefen der
0119großen Kaiserin zu blättern. In dem Briefwechsel mit
0120Kaiser Joseph läßt die Kaiserin Theater- und Musik-
0121Angelegenheiten völlig beiseite. Hingegen spricht Joseph in
0122zwei Briefen vom Jahre 1761 über den Hof- und Kammer-
0123musik- und General-Spectakel-Director Grafen Durazzo.
0124Dieser sage, daß er das Amt niederlegen, aber in Wien 
0125bleiben wolle in einer andern Stellung. „Madame Durazzo 
0126frohlockt bereits, in der Hoffnung, sie würden in Wien mit
0127ihrem Gehalt und comme Musikgraf bleiben. Aber sie
0128machen die Rechnung ohne den Wirth und ich glaube,
0129Ew. Majestät thäte gut, Durazzo und seine Frau zu entfer-
0130nen, zwei immerhin gefährliche Personen, welche genug Con-
0131fusionen angerichtet haben.“*)


0134Weit ergiebiger zeigt sich für unsern Zweck die bereits
0135erwähnte Correspondenz der Kaiserin mit ihrem Sohn, dem
0136Erzherzog Ferdinand und dessen Gemalin. Rührend ist darin
0137insbesondere die Sorgfalt und Anhänglichkeit der Kaiserin 
0138für ihren ehemaligen Musiklehrer, den berühmten italienischen
0139Operncomponisten Johann Adolph Hasse (geb. 1699 bei
0140Hamburg, † 1783 in Venedig). Maria Theresia übergibt
0141ihm ein Schreiben an ihre Schwiegertochter, die Erzherzogin
0142Maria Beatrix, in Mailand, und empfiehlt ihr den Ueber-
0143bringer mit dem Wunsche, er möge nicht auf der Reise die
0144Gicht bekommen. „Er ist alt, er war mein Musiklehrer vor
014538 Jahren. Immer habe ich seine Compositionen vor allen
0146anderen geschätzt; er ist der Erste gewesen, der die Musik
0147fließender und angenehmer gemacht hat. Er hat viel
0148gearbeitet; möglich, daß er zur Stunde nicht mehr so gut
0149reussirt, aber ich weiß es ihm Dank, daß er mit so viel 
0150Frische an dieses Werk gegangen ist und sich damit selbst
0151nach Mailand begibt.“ Und dem Erzherzog Ferdinand schreibt
0152sie: „Sage mir, wie dir die Oper gefiel und was das Publi-
0153cum dazu gesagt hat? Man erzählt hier, die Musik habe nicht
0154gefallen; es thäte mir leid um den alten Hasse.“ Die Oper,
0155nach deren Erfolg sich die Kaiserin erkundigt, kann nur
0156Ruggiero“ sein, Hasse’s letztes Werk, das er auf einen
0157Text von Metastasio zu den Vermälungs-Feierlichkeiten des
0158Erzherzogs Ferdinand componirt und in Mailand am
015910. October 1771 zur Aufführung gebracht hat. Daß
0160Arneth darunter die Oper „Ascanio“ vermuthet, ist offen-
0161bar nur ein Schreibfehler. „Ascanio in Alba“ war die thea-
0162tralische Serenade Mozart’s, welche am selben Abend mit
0163Hasse’s „Ruggiero“, der eigentlichen Festoper, aufgeführt
0164wurde. „Mir ist leid,“ schreibt Leopold Mozart, „die Sere-
0165nade des Wolfgang hat die Oper von Hasse so nieder-
0166geschlagen, daß ich es nicht beschreiben kann.“ Der greise
0167Hasse aber war als Besiegter neidlos genug, um auszurufen:
0168„Dieser Jüngling wird uns Alle vergessen machen!“ Wie
0169man sieht, war die Besorgniß der Kaiserin, Hasse werde
0170vielleicht nicht mehr reussiren, sehr begründet. Nach Hasse’s
0171Rückkehr schreibt die Kaiserin an Maria Beatrix: „Ich bin
0172entzückt über Alles, was Hasse (der schon die Gicht hat) und
0173seine Tochter mir von dir erzählten, und danke vielmals für
0174alle die Aufmerksamkeiten, welche du ihnen erwiesen hast.“


0175In einem Brief an den Erzherzog Ferdinand (März
01761772) beklagt die Kaiserin den Tod des Hof-Capellmeisters
0177Reutter.**) In einem andern ersucht sie ihn, ihr die
0183Musik und die Figuren zu zwei Contretänzen zu schicken.
0184Durch mehrere Briefe der Kaiserin (Juli—September 1772)
0185zieht sich die Verhandlung über eine vom Erzherzog Fer-
0186dinand gewünschte Musikcapelle: „Es freut mich, daß du
0187mich um meine Zustimmung bittest, dir eine Musik zu ver-
0188schaffen, wie die der Marie. Du kannst die Musiker von
0189Paar haben, welche die besten unter Allen sind. Der Erz-
0190bischof von Colocza trägt sie dir an, sie sind in Preßburg.
0191Wenn man schon eine Musik haben will, so ist’s besser eine
0192gute als eine mittelmäßige zu nehmen; tausend Gulden mehr
0193oder weniger, das fällt da nicht ins Gewicht.“ „Deine
0194Musik,“ schreibt die Kaiserin einige Wochen später, „ist nach
0195Mantua beordert; ich hoffe, du wirst mit ihr zufrieden sein.
0196Den zwei ersten Spielern habe ich jedem 700 fl. bewilligt;
0197für jeden der drei übrigen 500 fl. nebst der Wohnung und
0198Kleidung, welche du ihnen außerdem gibt. Du kannst kaum
0199glauben, welches Vergnügen es den guten Deutschen macht,
0200daß du deutsche Musiker nach Italien kommen läßt; sie sind
0201darüber freudestrahlend!“ Auf eine weitere Anfrage des Erz-
0202herzogs antwortet die Kaiserin: „Was die Musik betrifft,
0203so hängt es ganz von deinem Belieben ab, wem sie unter-
0204stehen soll. Khevenhüller hat recht: wenn du sie be-
0205handelst comme une Kammermusik, so gehören sie
0206zum Obersthofmeister. Da es aber nur fünf Personen sind,
0207kannst du sie recht wohl dem Oberst-Stallmeister zuweisen,
0208besonders wenn sie Uniform tragen.“


0209Höchst interessant und charakteristisch für die musikalische
0210Geschmacksrichtung Maria Theresia’s ist eine Stelle aus
0211ihrem Briefe an die Erzherzogin Maria Beatrix vom 12. No-
0212vember 1772: „Was du mir über das Requiem von
0213Reutter sagst, hat mich gerührt. Das ist auch mein Lieb-
0214lingsstück unter allen seinen Compositionen. Für die Kirche 
0215hat er mehrere recht gute Sachen geschrieben. Man muß sich
0216nur an seine Stelle versetzen; es mußte Alles sehr kurz sein
0217und von Schülern, von Kindern ausgeführt werden. Er
0218mußte also das Fehlende durch Instrumente und Bässe
0219suppliren. Was das Theater betrifft, so gestehe ich, daß
0220ich den geringsten Italiener allen unseren Componisten vor-
0221ziehe, auch dem Gaßmann, dem Salieri, dem Gluck 
0222und Anderen. Sie vermögen manchmal zwei oder drei gute
0223Stücke zu machen, aber was das Ganze betrifft, ziehe ich
0224immer die Italiener vor. Für die Instrumente ist jetzt ein
0225gewisser Haydn, welcher originelle Ideen (idées [3]
0226particulièrs) hat, aber das ist erst im Beginn.“ In ihrer
0227innersten Neigung für die italienische Musik, bei welcher sie
0228erzogen war, trifft die Kaiserin ohne Frage zusammen mit
0229dem Geschmack ihres Sohnes Joseph. Seine klare Einsicht,
0230sein national deutscher Sinn bewogen Joseph den Zweiten,
0231der deutschen Musik, insbesondere der deutschen Oper, jede
0232Förderung zuzuwenden; er wußte auch den hohen Flug eines
0233Gluck und Mozart zu schätzen: aber sympathischer blieb ihm
0234stets italienischer Gesang, italienische Melodie. Wie wir ge-
0235sehen, hat auch Maria Theresia für die deutschen Hof-Capell-
0236meister und Componisten Reutter, Gaßmann, Gluck 
0237und Salieri (den sie trotz seiner italienischen Heimat ob
0238seines Styls und seiner Wiener Ansässigkeit zu den Deut-
0239schen zählte), endlich für Haydn und Mozart es keines-
0240wegs an Anerkennung und Auszeichnung fehlen lassen; aber
0241sie verhehlt nicht, daß in der Opernmusik der geringste Ita-
0242liener ihr lieber sei, als alle Deutschen.


0243In ihren Briefen erwähnt Maria Theresia auch häufig
0244den Ballermeister Noverre, den man als Reformator
0245seines Kunstfaches ungefähr den Gluck des Balletes nennen
0246könnte. So schreibt sie im Jahre 1774 an ihren Sohn
0247Ferdinand in Mailand: „Angiolino hat uns hier mit zwei
0248sehr elenden Balletten regalirt; man hat sie ausgezischt. Ich
0249billige diese Impertinenz nicht; vielleicht wird man dann
0250dem Noverre in Mailand ein Gleiches anthun.“ Einige
0251Wochen später: „Ich bin sehr froh, daß Noverre in
0252Mailand Erfolg gehabt hat. Man sagt, daß Angiolino dort
0253ebenso schwer vermißt werde, wie Noverre hier. Ersterer gibt
0254hier abscheuliche Ballette, und Madame (Angiolino), brüstet
0255sich aufs äußerste. Ich sage nicht, daß Noverre im Uebrigen
0256ebenso vollkommen sei; er ist unhaltbar, besonders wenn er
0257etwas Wein im Kopfe hat, was ihm oft geschieht; aber ich
0258finde ihn ganz einzig in seiner Kunst und in der Geschick-
0259lichkeit, selbst die geringsten Mitglieder vortheilhaft zu ver-
0260wenden.“ Im Januar 1776 meldet die Kaiserin: „Die
0261Angelegenheiten Noverre’s sind hier in einer großen Krise;
0262ich zweifle, daß er von der Direction (l’entreprise) en-
0263gagirt wird.“ Im nächsten Monat widerruft die Kaiserin 
0264diese Nachricht: „Das Engagement soll doch stattfinden, aber
0265sie könne für die Gewißheit nicht einstehen; cela change à
0266tout moment.“ Der Erzherzogin Maria Beatrix schreibt die
0267Kaiserin im selben Jahre: „Noverre wird sehr erstaunt
0268sein, wenn er erfährt, daß Alles, was er als volkommen
0269abgemacht glaubte, wieder gänzlich vernichtet ist. Seine
0270Gläubiger wollen nicht doppelte Auslagen machen und haben
0271sich an die Gerichte gewendet gegen Keglevich und die Anderen.
0272Der Proceß muß erst beendigt sein. Ich bin froh, mich
0273ganz und gar nicht eingemischt zu haben; ich wollte nicht
0274einmal davon reden hören. Es ist ein großes Durcheinander
0275(un grand Galimatias).“ Ueber die Theater schreibt die
0276Kaiserin gleichfalls an Maria Beatrix im Januar 1776:
0277„Jetzt hören die Vorstellungen der komischen Oper im
0278deutschen Theater auf, und ich weiß nicht, ob Noverre im
0279Stande sein wird, für diesen Verlust vollständig zu ent-
0280schädigen“. Und im Juni desselben Jahres: „Wir haben
0281gegenwärtig neun deutsche Theater, eine Opera buffa, drei
0282Feuerwerke, und die ganze Welt schreit, daß man sich lang-
0283weile; nicht ohne Grund. Mir thut es leid, aber ich habe
0284versprochen, mich nicht hineinzumischen.“ Wir wissen heute
0285nicht, worüber wir uns mehr wundern sollen, ob über diesen
0286Reichthum an Unterhaltungen in der Sommersaison oder
0287über die Ungenügsamkeit der alten Wiener, die dabei über
0288Langweile schrieen!


0289Zu den schönsten, rührendsten Briefen, die wir kennen,
0290gehören die der Kaiserin an ihre Tochter Marie Antoi-
0291nette
, die Dauphine und nachmalige unglückliche Königin
0292von Frankreich.***) Mit 15 Jahren ward die liebreizende
0296Prinzessin in ein fremdes Land vermält, auf einen gefähr-
0297lichen hohen Posten gestellt. Die Kaiserin fühlte, daß ihre
0298so junge, unerfahrene Tochter noch immer der mütterlichen
0299Ueberwachung und Leitung bedürfe, und wurde nicht müde,
0300ihr ausführliche, in alle Details eingehende Briefe nach
0301Paris zu schreiben. Wenn uns die Briefe Maria Theresia’s 
0302an Joseph II. die unermüdliche, starke und weise Regentin
0303enthüllen, so gibt uns ihre Correspondenz mit Marie Antoi-
0304nette ein unvergleichlich treues Bild der sorgenden und lie-
0305benden Mutter. Ihre Briefe an die junge Königin von
0306Frankreich überströmen von Zärtlichkeit, aber nicht von jener
0307weichlichen Zärtlichkeit, welche, den Liebling umschmeichelnd,
0308jeden Fehler desselben übersieht und beschönigt. Im Gegen-
0309theile wiederholt sie in der liebevollsten Weise unermüdlich
0310die Belehrungen und Ermahnungen, welche sie für ihr Kind
0311nothwendig erachtet. Sie warnt Antoinette vor Luxus und
0312Vergnügungssucht, vor Jagd- und Spielpartien, gibt ihr
0313Weisungen für ihr Benehmen, ihre Kleidung und Coiffüre,
0314am häufigsten aber den dringenden Rath, ernste Lectüre und
0315Musik nicht zu vernachlässigen. Namentlich in den Jahren
03161776 und 1777 kommt sie immer wieder darauf zurück.
0317„Ich war so froh,“ schreibt die Kaiserin, „dich für Musik
0318eingenommen zu sehen; habe dich auch oft um Bericht über
0319deine Lectüre gequält. Seit einem Jahre höre ich nichts
0320mehr, weder von Lectüre, noch von Musik.“ Marie Antoi-
0321nette antwortet sogleich darauf: „Mein Geschmack für Musik
0322hat nicht aufgehört, ich beschäftige mich damit ebenso oft
0323und mit gleichen Vergnügen. Ich hatte jede Woche ein Con-
0324cert zu Hause und habe dabei mit mehreren Personen ge-
0325sungen.“ Der nächste Brief der Kaiserin nimmt dies gleich
0326belebend zur Kenntniß: „Je suis bien aise, que vous
0327continuez la musique et la lecture, ressources né-
0328cessaires, mais surtout pour vous
!“ Diese
0329Bemerkung kehrt, wenig verändert, noch in mehreren Briefen
0330der Kaiserin wieder. Im October 1777 meldet Marie
0331Antoinette aus Fontainebleau. „Ich lese, ich arbeite, ich
0332habe zwei Musiklehrer, einen für Gesang, den andern für
0333die Harfe.“ Einmal schickt ihr die Kaiserin Musikstücke für
0334die Harfe und verlangt zu wissen, ob Antoinette „dieselben
0335zu spielen vermochte oder nicht“. So sorgt Maria Theresia,
0336nachdem wichtigere Angelegenheiten und schwerere Sorgen bei
0337ihr die Musik zurückgedrängt hatten, doch noch immer wach-
0338samen Auges dafür, daß ihre fern von ihr lebenden Kinder
0339der Tonkunst nicht untreu werden.

Fußnoten
  • *)Briefe Maria Theresia’s an Joseph II.“ Herausgegeben
    von A. v. Arneth. (Wien 1867.)
  • **)Johann Georg v. Reutter (Sohn des 1738 verstorbenen
    Hof-Organisten Georg Reutter) wurde 1731 Hof-Compositor, 1747 
    zweiter, 1769 erster Hof-Capellmeister. Als Kirchen-Componist war er
    seinerzeit tonangebend. Er war es, der den Knaben Haydn nach
    Wien gebracht und schlecht behandelt hat.
  • ***)Briefe der Kaiserin Maria Theresia an Marie Antoinette.“
    Herausgegeben von Alfred v. Arneth. 2 Bände. (Zweite vermehrte
    Auflage. 1866.)