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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 8711. Wien, Freitag, den 23. November 1888

[1]

Hofoperntheater.

(„Der Wildschütz“ von Lortzing. — Fräulein Renard.)


0003Ed. H. Es war vorauszusehen, daß man auch bei uns
0004sich des „Wildschützen“ erinnern werde. Die Hofopern-
0005Direction, die sonst leider wenig Neigung zeigt für die
0006komische Oper, mochte sich durch den günstigen Erfolg von
0007Lortzing’s „Czar“ und „Waffenschmied“ doch veranlaßt
0008fühlen, auch dessen „Wildschütz“ nach einem Ruhestand von
0009achtundzwanzig Jahren wieder zu activiren. Der Einfall
0010war lobenswerth, und er hat sich gelohnt. Nicht wegzuleugnen
0011ist ja das Bedürfniß des Opernfreundes, sich zeitweilig aus
0012der Brandung der musikalischen Tragödie auf ein friedlich
0013grünes Eiland zu retten und nach den unterschiedlichen „Er-
0014lösungen“ Richard Wagner’s einmal selbst erlöst zu werden
0015durch einen lustigen Musiker. Und da wendet man sich
0016zunächst an den alten Lortzing, vor welchem und nach 
0017welchem die komische Oper in Deutschland nur ganz ver-
0018einzelte Halme getrieben hat. Sie liegt auch seit lange brach
0019in Italien und Frankreich, einst den Wundergärten musika-
0020lischer Komik, weshalb denn das Verlangen nach einem recht
0021heitern, melodienreichen Theaterabend immer seltener gestillt
0022wird. Die „Operette“, die sich jetzt an die Stelle der
0023früheren komischen Oper vorzudringen versucht, vermag diese
0024weder musikalisch noch selbst vom Standpunkt erquickender
0025Unterhaltung zu ersetzen. Seit Offenbach (von dessen Talent
0026weder unsere neuesten Componisten noch ihre Textdichter eine
0027Ahnung haben) ist es uns gar selten vergönnt gewesen, uns
0028durch eine neue Operette herzlich durchlachen zu können und
0029noch eine Fülle anmuthig heiterer Melodien in den Kauf zu be-
0030kommen. Die heutigen Operetten belehren uns gründlich über die
0031politischen Zustände Neapels unter den Bourbonen, über die
0032Intriguen am Hofe Ludwig’s XIV., über skandinavische
0033Successions-Fragen und ähnliche historische Capitel, aber
0034mit der Wohlthat des herzlichen Lachens ist’s vorbei, wie
0035mit der originellen, graziösen und einfachen Musik. Die
0036Mehrzahl unserer Operetten wird fabriksmäßig hergestellt, meist 
0037von unselbständigen, unreifen oder verbrauchten Talenten, deren
0038ganzer Ehrgeiz auf ein paar volle Häuser geht. Je kurzlebiger diese
0039Novitäten sind, desto emsiger muß für den großen Bedarf
0040nachgearbeitet werden. Die Fabriksarbeit beginnt in der
0041Regel schon mit dem Textbuch; Niemand kann oder mag
0042mehr einen neuen Stoff erfinden. Man nimmt am liebsten
0043ein fertiges französisches Libretto, putzt es mit einigen
0044Couplets und Localpässen auf und beginnt frisch drauf los
0045zu componiren. Sogar Opernbücher, welche bereits von nam-
0046haften Tonkünstlern mit Erfolg componirt sind, werden
0047ungenirt gekapert, also eine vornehmere Composition des-
0048selben Sujets durch eine trivialere verdrängt. Aus Auber’s 
0049Circassienne“ wird eine Fatinitza, aus dessen „Part
0050du diable“ ein Farinelli, aus Victor Massé’sGalathée“
0051eine Wiener Galathée, aus Massenet’sDon César
0052de Bazan“ ein Leipziger Don Cesar und so fort. Und
0053die Musik? Ein Bild künstlerischer Verwilderung und ab-
0054sichtlichen Stylgemenges. Zwei bis drei Gesangsstücke in
0055Polka- und Walzer-Rhythmus neben pathetischen, kehlen-
0056sprengenden Liebesduetten, hierauf einige Komiker-Couplets
0057und ein wüthendes Finale mit Chorgebrüll und Posaunen.
0058Selbst die Begabteren dieser Operetten-Componisten hüpfen
0059unermüdlich von den Schrammeln zur Großen Oper, von
0060Wagner zu Ronacher. Mit Absicht weise ich auf diese Hoch-
0061fluth von immer lärmender und langweiliger werdenden
0062Operetten, um sie Werken wie Lortzing’s „Wildschütz“ gegen-
0063überzustellen. Wie fließt da Alles mühelos, heiter und an-
0064muthig dahin, so bescheiden und doch so musikalisch tüchtig!
0065Sentimentales wechselt mit Lustigem, aber niemals verliert
0066sich Jenes ins Tragische, noch Dieses ins niedrig Possenhafte.


0067Wenn der „Wildschütz“ im Ganzen nicht die Wirkung
0068von „Czar und Zimmermann“ oder vom „Waffenschmied“
0069erreicht, so liegt dies am Textbuch, welches dem Com-
0070ponisten einzelne glückliche Situationen, aber keine so aus-
0071geprägten und sympathischen Charaktere lieferte. Auch bewegt
0072sich die Handlung in einem Gesellschaftskreise, welcher
0073dem gemüthlich bürgerlichen Sinne Lortzing’s ferne lag.
0074Kotzebue’s Lustspiel „Der Rehbock“, welcher dem Libretto zu
0075Grunde liegt, hatte für Lortzing’s Natur zu wenig Gemüth 
0076und zu viel Frivolität. Demungeachtet bleibt der „Wildschütz“
0077eine unserer besten komischen Opern, das Werk eines liebens-
0078würdigen ehrlichen Talentes, eines specifischen Talentes
0079für das musikalische Lustspiel — die größte Selten-
0080heit in Deutschland. Ob die Vorzüge der Lortzing’schen
0081Opern heute, fünfzig Jahre nach ihrem Erscheinen, lebhafter
0082empfunden, besser gewürdigt werden, als da sie neu waren?
0083Mir und den meisten meiner Freunde erscheint Lortzing heute
0084noch werthvoller und sympathischer, weil sein Bild von dem
0085dunklen Grunde unserer modernen, forcirt dramatischen
0086Musik uns doppelt hell und treuherzig anblickt. Der an-
0087spruchslose Mann, der bei Lebzeiten der Kritik so klein vor-
0088kam, er ist im Sarge gewachsen. In allen Künsten glän-
0089zender Technik, in der Energie des dramatischen Ausdrucks
0090haben die Begabteren seiner Nachfolger ihn übertroffen —
0091in dem gesunden Kern seines Talents, in der Aufrichtigkeit
0092seiner Kunst kein Einziger. Lortzing ist der letzte naive Opern-
0093componist der Deutschen. Wir Aelteren, deren Jugend noch
0094die Blüthezeit der Lortzing’schen Opern streifte, haben heute
0095den „Wildschütz“ mit erhöhtem Vergnügen genossen. Ob
0096die jüngere, mit „Lohengrin“ aufgewachsene Generation,
0097welche zum erstenmale im Leben den „Wildschütz“ oder den
0098Waffenschmied“ hört, sich nicht fremder, gleichgiltiger davon
0099berührt fühle, bleibe dahingestellt. Zur vollen Wirkung solcher
0100älterer einfacher Werke gehört eine gewisse Continuität; sie
0101darf nicht durch Jahrzehnte unterbrochen worden sein. Re-
0102prisen alter Opern — wenn diese nicht gerade zu den höchsten
0103Thaten des Genies gehören — bedürfen einer leisen Unter-
0104stützung durch unser Erinnern, sie suchen in uns nach einem
0105Zusammenhange mit der Zeit, da wir — nicht sie — jung
0106waren. Daß dies im „Wildschütz“ nicht zutraf bei einem
0107großen Theile der Zuhörer, hat deren anfänglich spröde
0108Haltung verrathen; der Eingangschor und das so ergötz-
0109liche ABC-Lied des Schulmeisters gingen spurlos vor-
0110über. Aber bald wuchs das ganze Publicum in die
0111liebenswürdige Eigenart dieser Musik hinein; schon das
0112launige Duett zwischen Fräulein Forster und Herrn Mayer-
0113hofer sprach lebhafter an, und mit dem Auftreten Fräulein
0114Renard’s als Studiosus war das Eis vollends gebrochen. [2]
0115Nun spielte sich der ganze erste Act — einer der vortreff-
0116lichsten, den die deutsche komische Oper aufzuweisen hat —
0117in siegreicher Heiterkeit ab. Der zweite Act droht anfangs
0118durch einige Längen, sowie durch die geschmacklose Sophokles-
0119Schwärmerei der alten Gräfin gefährlich zu werden; das
0120Erscheinen der Baronin als Landmädchen, ihr neckisches Duett
0121mit dem Baron und schließlich die originelle Billardscene
0122bringen jedoch Alles wieder in Fluß und lebendige Wirkung.
0123Der dritte Act — er führt uns aus der etwas gesperrten
0124Salonluft wieder in den blühenden Park hinaus — athmet
0125so viel „Heiterkeit und Fröhlichkeit“, als der joviale Graf 
0126sich nur wünschen konnte und wir mit ihm. Das Finale mit
0127dem ergötzlichen Chor der Schuljungen that seine Schuldig-
0128keit, und der Beifall ward schließlich unten so laut, wie oben
0129„die Stimme der Natur“.


0130Herr Director Jahn hat sich ein neues Verdienst er-
0131worben durch die Wiederaufnahme des „Wildschütz“ und durch
0132den rühmlichen Eifer, den er auf das Einstudiren desselben
0133verwendete. So minutiöse Sorgfalt und liebevolle Hingebung
0134sind unerläßlich, will man eine halbverschollene komische Oper
0135wieder zu schöner Wirkung bringen. Den Solosängern haben
0136wir das seltene Lob zu spenden, daß sie Alle nicht blos gut
0137gesungen, sondern auch gut gesprochen haben und ein durch-
0138aus harmonisches Ensemble bildeten. Fräulein Forster ist
0139als Gretchen graziös und liebenswürdig wie immer, Fräulein
0140Ida Baier fein komisch als antiker Blaustrumpf. Herr
0141Mayerhofer, mehr Charakterspieler als eigentlicher
0142Komiker, zeichnet den Schulmeister Baculus mit so meister-
0143haften Strichen, daß wir über den Mangel an Stimme willig
0144hinwegsehen. Den Baron Kronthal singt und spielt Herr
0145Schrödter sehr gefällig, wenngleich mit schwächerem
0146Effect, als andere Rollen. Der zwischen Weltschmerz und
0147Verliebtheit schwankende Cavalier ist vom Dichter und Com-
0148ponisten nicht besonders individualisirt; immerhin gestattet er
0149das Auftragen schärferer Charakterzüge, zum mindesten äußerlich.
0150Seltsam, daß ein Schauspieler von dem Talente Schrödter’s
0151so geringen Werth auf die Maske legt. Seine unvergleich-
0152lichen Lehrjungen: David, Georg und Peter Iwanoff mögen
0153sich immerhin gleichen wie drei Kanarienvögel. Aber müssen
0154denn auch Don José, Wilhelm Meister, der Baron Kron-
0155thal Alle ganz denselben Kopf haben, wie jene Drei? Eine
0156Perrücke, ein kleines Bärtchen, eine dunklere Schminke reichen
0157oft hin, verschiedene Charaktere auch äußerlich auseinander-
0158zuhalten. Herr Winkelmann, der doch nur ideale, also
0159sehr verwandte Heldengestalten darstellt, ist ein Muster in
0160erfinderischer Individualisirung des Kopfes. Auch Herr
0161Sommer hat als Graf im „Wildschütz“ eine sehr charak-
0162teristische Maske; er sieht aus wie ein Modekupfer aus einem
0163Almanach von 1810. Die Rolle bezeichnet einen sehr glück-
0164lichen Versuch des Herrn Sommer auf dem Gebiete der Spiel-
0165oper, welche nunmehr — unbeschadet der älteren Ansprüche
0166der Opera seria — mit Vortheil auf diesen vielseitigen
0167Sänger zählen darf. Durch die leichte geschmeidige Tongebung
0168in seiner Polacca hat Herr Sommer allgemein überrascht,
0169ohne ganz zu befriedigen; denn in einigen Passagen ver-
0170schwamm sein Piano bis zur Unhörbarkeit. Uebrigens ist der
0171Charakter dieses Gesangstückes eine nicht übermütige, aber
0172frische, beherzte Fröhlichkeit, welche mit süßlichem Schmachten
0173nichts zu thun hat. Herr Stoll und Fräulein Hellmes-
0174berger
ergänzen in zwei Nebenrollen das Ensemble aufs beste.


0175Die Seele der ganzen Vorstellung war Fräulein Marie
0176Renard, die ich zuletzt nenne, weil sie zu ausführlicherer
0177Besprechung einladet. Fräulein Renard ist erst seit einigen
0178Wochen Mitglied des Hofoperntheaters und bereits ein er-
0179klärter Liebling des Publicums. Dieses hat mit raschem In-
0180stinct erkannt, daß in der reizenden jungen Steiermärkerin
0181etwas noch Selteneres stecke: eine ausgesprochene Individua-
0182lität und ein echtes, ursprüngliches Talent. Die Stimme
0183Fräulein Renard’s, ein dunkler Mezzosopran, gehört
0184weder dem Umfange noch der Stärke nach zu den glän-
0185zenden, gewinnt aber durch jugendliche Frische und
0186Rundung namentlich in der mittleren und tieferen Lage.
0187Die hohen Töne über g hinaus sprechen etwas schwer an:
0188doch hörten wir Fräulein Renard als Mignon (in der gro-
0189ßen Scene im Schloßpark) as und b kräftig anschlagen und
0190aushalten. Auch eine leichte, geschmeidige Kehle hat ihr die
0191Natur vorenthalten; ihre colorirten Stellen klingen nicht
0192ganz mühelos. Es ist dies häufig bei dunklen schwereren
0193Stimmen, wie z. B. der Ehnn, mit welcher Fräulein Re-
0194nard manchen Charakterzug gemein hat. Nur scheint Fräu-
0195lein Renard mehr dem heiteren Fach sich zuzuneigen, wäh-
0196rend Frau Ehnn am glücklichsten in ernsten, sentimentalen
0197Rollen wirkte. Höchst wohlthuend berührt die gesunde, nicht
0198tremolirende Tonbildung der Renard und die Reinheit ihrer
0199Intonation. Der ureigene Zauber dieser Sängerin heißt
0200frische Unmittelbarkeit und warmblütiges Leben. Am wenig-
0201sten befriedigt hat mich ihre Mignon. Schon äußerlich
0202reagirt die blühende Körperfülle der Renard gegen unsere
0203Vorstellung von der kindlichen, blassen Mignon. Dem ist
0204freilich nicht abzuhelfen. Aber auch die ganze Darstellung
0205hatte nicht den unnachahmlichen Fluß des Ursprünglichen;
0206ein scharfes Auge konnte den Vorgang des Bildens verfol-
0207gen. Und dieser litt an einem Zuviel in Spiel und Vor-
0208trag, insbesondere in dem ungebührlich geschleppten Mignon-
0209Liede, das Fräulein Renard übertrieben theatralisch mit hoch
0210emporgestreckten Armen sang. Im Verlaufe des Abends ge-
0211wann die Leistung jene Natürlichkeit, welche sonst Fräulein
0212Renard auszeichnet, und erreichte in der großen Parkscene
0213des zweiten Actes eine bedeutende dramatische Höhe. Es
0214wäre übrigens unbillig, Fräulein Renard nach jener unglück-
0215lichen (vorletzen) Mignon-Aufführung zu beurtheilen, sang
0216sie doch in einer Umgebung — „heiß’ mich nicht reden,
0217heiß’ mich schweigen!“ Einheitlicher und bedeutender wirkt
0218ihre Carmen. Hier sind ihr starkes Naturell, ihr realistisches
0219Talent am rechten Platze. Es strömt heißes Blut durch die
0220ganze Gestalt. Dennoch schien mir diese noch nicht völlig
0221aus Einem Guß, nicht von einer Grundanschauung streng
0222beherrscht. Gleich ihre Erscheinung im ersten Act ist zu ge-
0223schniegelt, zu geleckt für eine Fabriksarbeiterin, die Früh in
0224die Arbeit geht. Vollends für diese! Carmen bestrickt die
0225Männer durch ihre wilde Schönheit und unwiderstehliche
0226Gluth; der dämonische Zauber ihres Blickes wird unter un-
0227geglättetem Haar und aus grobem Gewand noch überzeugen-
0228der funkeln. Für den Tanz bei Lilas Pastia mag sie sich
0229herausputzen. Der Charakter Carmen’s duldet keine Idealisirung.
0230Darum erschien mir der lange, ruhige, hoheitsvolle Blick, mit
0231dem Fräulein Renard dem sie arretirenden Officier imponirt
0232(der Blick einer Maria Stuart), ebenso widerspruchsvoll wie
0233der tiefinnige, gretchenhafte Herzenston, mit dem sie im
0234zweiten Act zu Don José spricht. Solche Töne hat nur die [3]
0235Liebe, die ein Gestern und ein Morgen kennt, nicht die täg-
0236lich wechselnde, „die von Zigeunern stammt“. Das sind
0237vielleicht Kleinigkeiten, die wir bei anderen Carmen-Sänge-
0238rinnen kaum beachtet hätten; einem großen Talent muß man
0239aber auch in Kleinigkeiten auf die Finger sehen. Fräulein
0240Renard wird es nicht schwer fallen, ihrer so effectvollen
0241Carmen die letzte noch fehlende Einheit und Vertiefung zu
0242geben; am besten, wenn sie die geniale Leistung der Lucca 
0243studirt. Standen wir in „Mignon“ und „Carmen“ mehr
0244im Bann eines bestrickenden Naturells, als unter dem Ein-
0245druck abgeklärter Künstlerschaft, so nöthigen uns die folgen-
0246den Rollen Fräulein Renard’s zu voller, rückhaltloser An-
0247erkennung. Ihre „Marie“ in Lortzing’s „Waffenschmied“
0248zählt zu den herzgewinnendsten Gestalten, denen man auf der
0249Bühne begegnen kann. Hier floß die ganze Erscheinung, der
0250Klang der Stimme, Vortrag, Mimik und Action zu einem
0251vollkommenen Bild des Wormser Bürgermädchens zusammen,
0252das, empfindsam und listig zugleich, den Knoten einer gefähr-
0253lichen Intrigue mit launiger Ueberlegenheit löst und Alles
0254zu gedeihlichem Ende führt. Die ganze Rolle war herzhaft
0255angefaßt und mit dem lebendigsten Reiz durchgeführt. Von
0256Einzelheiten sei nur die große Scene am Schluß des zweiten
0257Actes erwähnt, in welcher ein fein nüancirtes Spiel in ge-
0258winnendster Natürlichkeit und Wärme des Vortrages aufging.
0259Was von der „Marie“ Fräulein Renard’s zu rühmen war,
0260paßt ungefähr auch auf ihre zweite Lortzing’sche Rolle, die
0261Baronin im „Wildschütz“. Musikalisch tragen beide den gleichen
0262Familienzug, mit dem Unterschied, daß in der Baronin das
0263sentimentale Element fast gänzlich zurücktritt gegen abenteuer-
0264lustigen Uebermuth und anmuthige Schelmerei. Fräulein
0265Renard war köstlich als Student wie als Bauernmädchen —
0266Verkleidungen, durch welche sie immer noch die Haltung der
0267feinen Dame durchschimmern ließ. Wir freuen uns darauf,
0268Fräulein Renard in neuen Rollen und gewiß auch neuen
0269Fortschritten zu folgen. Was jetzt schon da ist — Jugend,
0270Stimme, Geist und frische Freudigkeit des Wirkens — sind
0271seltene, hoch zu schätzende Gaben. Unsere Oper kann sich zu
0272der Erwerbung dieses schönen Talentes umsomehr Glück
0273wünschen, als es noch kein abgeschlossenes ist, seinen Bildungs-
0274gang noch weiter fortsetzen kann.